Pop und Pep
Von seinem Vorgänger Peter Krohn hält er nicht viel." Fr war ein Fußball-Laie", sagt der neue Manager des Europacupsiegers Hamburger SV. "Krohn glaubte, mit 20 oder 30 Jahren Tribünen-Erfahrung mehr zu wissen als Trainer nach 30 Jahren Fußballarbeit, das ist geradezu kindisch."
Günter Theo Netzer, 33, kommt aus dem Fußballfach, trat dort sogar als Heldendarsteller auf. 37mal spielte er für Deutschland, wurde Europameister und mit Borussia Mönchengladbach Deutscher Meister und Pokalsieger, bevor er für eine Million Mark zu Real Madrid wechselte.
In Spanien nannten ihn die Fans den "blonden Engel mit den großen Füßen". Seine Schuhgröße 47 bevorteilte ihn beim Treten von Freistößen und Ecken. Um "mehr Zehenfreiheit" zu haben, benutzte Netzer Fußballschuhe ohne Kappe aus dickem Leder an den Schuhspitzen. "Wie in England, in Italien oder Spanien sollten auch in Deutschland nur ehemalige Fußhaller in Fußballvereinen Manager werden", erklärt Fachmann Netzer nun.
Woanders gilt das schon längst. Bundesliga-Tabellenfiihrer 1. FC Köln bestellte seinen ehemaligen Spieler Karl-Heinz Thielen zum Manager. Bei Borussia Dortmund wirbt und transferiert Reinhold Wosab, einst Spieler der Borussen, im Fußball-Geschäft. Werder Bremen ernannte seinen Libero Rudolf Assauer zum Manager. Beim 1. FC Kaiserslautern rückte der frühere Mannschaftskapitän Jürgen ("Atze") Friedrich sogar zum Präsidenten auf.
Netzer hatte bei seinem Abschied als Fußballer, 1977 bei den Grashoppers Zürich, den Einstieg ins Geschäft mit dem Fußball gewagt -- nach einigen Enttäuschungen auf anderen Gebieten. In Mönchengladbach, seiner Heimatstadt, mußte er die Diskothek "Lovers Lane" und das Restaurant "La Lacque" wieder abgeben. Auch ein Taxi-Unternehmen rentierte sich nicht.
"Ich habe eine Nase für Geschäft und den Mut zum Risiko", glaubt Netzer, der bei Mannesmann Industriekaufmann gelernt hatte, unverdrossen. Doch seine Freundin Hannelore Girrulat, eine Goldschmiedin, versah für den zwar kontaktfreudigen, aber nicht sehr erfahrenen Kaufmann Netzer hauptsächlich die Geschäftsarbeit. Neben einer Villa besitzt Netzer ein Mietshaus.
Ein "Werbeverlag Günter Netzer" in Mönchengladbach warf bescheidene Gewinne ab. Hauptobjekt war "Das Fohlen-Echo", die Vereinszeitschrift von Netzers früherem Klub Borussia Mönchengladbach. Daneben florierten ein Sportartikel-Großhandel, eine Versicherungs-Agentur der "Alten Leipziger und die Vertretung für "Puma" Fußballschuhe Marke "Netzer Super" und "Netzer Star". Jahresumsatz insgesamt -- ohne Fußballgagen: bis zu 250 000 Mark.
"Es wäre schlimm, wenn ich mich nur um den Fußball kümmern müßte", erklärte der stets modisch gekleidete Fußball-Star seinen Übergang ins Geschäftsleben. Sein bester Freund war der Fernsehregisseur Michael Pfleghaar, der ihm zu einem "Klimbim"-Auftritt als Heino-Imitator mit Ingrid Steeger verhalf. Umgang suchte Netzer auch mit der Filmschauspielerin Elke Sommer und der Schlagersängerin Tina Sinatra. Sein langes Blondhaar läßt er auch noch heute bis auf die Schultern fallen. "Ich bin eben total unnormal", kokettierte er mit der Neigung zum Außergewöhnlichen.
Obwohl eher wortkarg und bisweilen "richtig stur", wie Netzer selbst bekannte, verlief das Leben des Samenhändler-Sohns aus Mönchengladbach im Stil von Pop und Pep, so wie er sich das Außergewöhnliche eben vorstellte. "Nur widerstrebend engagierte ich den Fußballspieler Günter Netzer", berichtet der Züricher BBC-Direktor Karl Oberholzer. Präsident der Grashoppers.
"Was ich so gehört hatte, kam es mir vor, als würde ich die Marlene Dietrich des Fußballs einkaufen." Doch Oberholzer staunte dann über den "braven, anständigen und stillen Günter".
Als die nicht-fußballerischen Geschäfte stagnierten, bemühte sich Netzer um den Einstieg in den Fußball-Handel. Er verkaufte Fußbälle en gros, aber er soll auch beim Schweizer Fußballverband eine Lizenz als Vermittler von Freundschaftsspielen erhalten haben. 29 solcher Lizenzträger, die im Fußballgeschäft tätig sind, vermitteln gelegentlich auch Spieler. Netzer: "Ich habe nie ein Spiel und schon gar nicht je einen Spieler vermittelt."
Daß er allerdings Henning Jensen und Uli Stielike von seinem alten Mönchengladbacher Klub zu Real Madrid brachte, betrachtet er als Produkt "seiner Trotteligkeit". Netzer: "Aber ich habe keinen Pfennig dafür kassiert." Geholfen soll er auch beim Wechsel Paul Breitners von Real Madrid zu Eintracht Braunschweig haben, im Auftrage des Schnapsbrenners Günter Mast ("Jägermeister").
Als der Hamburger SV in Brüssel ein Europapokalspiel bestritt, tauchte auch Netzer auf. Sein Angebot an das HSV-Präsidium, das sich gerade vom HSV-Generalmanager Krohn getrennt hatte: "Ich übernehme Verlag und Druck der HSV-Post, außerdem helfe ich beim Einkauf neuer Spieler."
Die HSV-Oberen luden Netzer zwischen Weihnachten und Silvester 1977 nach Hamburg ein. Nachdem Netzers Wünsche akzeptiert waren, überraschten die HSV-Führer den Jung-Makler: "Günter, wollen Sie nicht bei uns festangestellter Manager werden?" Netzer bat um acht Tage Bedenkzeit.
"Wenn ich zum HSV gehe, gebe ich eine Reihe lukrativer Geschäfte auf, die schon angebahnt worden sind", kalkulierte er ratlos. Noch unlängst hatte er versichert: "Ich kann mir nicht vorstellen, jemals für einen Bundesligaklub allein zu arbeiten." Sein Umdenken erklärt er so: "Das plötzliche Angebot, wieder Fußball total zu machen, ließ mich umfallen."
Als nächstes Objekt schwebte Netzer vor, Amerikaner bei der Gründung eines US-Profi-Klubs in Detroit zu beraten. Deshalb hatte er zugestimmt, an der Amerika-Reise der Grashoppers Zürich vom 15. Januar bis 6. Februar teilzunehmen, obwohl er seit fast einem Jahr kein Punktspiel bestritten hatte.
Der Detroiter Reisebüro-Inhaber und Fußballmanager Willy Dewald, der für den neu zu gründenden Klub in der Stadt von Ford und General Motors die Lizenz besitzt, bot Netzer an, ihm bei der Spieler-Suche behilflich zu sein. So sollten mindestens zwei deutsche und zwei polnische Spieler eingekauft werden, weil in Detroit sehr viele Deutsche und Polen leben. Netzer spekulierte sogar darauf, für den neuen Klub von Detroit in der US-Liga selbst zu spielen.
Beim HSV indes muß er im Vergleich zum Vorgänger Krohn ("Ich kenne Netzer nur als Freistoß-Spezialisten, -- nicht als Kaufmann") bescheidener anfangen. Während Krohn rund eine Million Mark kassiert hat, sieht Netzers Vertrag bis zum 30. Juni 1979 ein Monatsgehalt von 8000 Mark vor. Außerdem muß er eine Probezeit von drei Monaten in Kauf nehmen.
Während Krohn sich Generalmanager titulierte, heißt Netzer nur Manager. Arbeitsgebiet: Öffentlichkeitsarbeit. Bei Spielerein- und -verkäufen soll er nur beraten. Krohn heuerte und feuerte, wen er wollte. Außerdem setzte Krohn sich die Erfolgsprämien selber aus. Netzer gestand das dreiköpfige HSV-Präsidium nur ein Vorschlagsrecht für Spieler-Prämien zu.
"Krohn glaubte, er allein wäre der HSV", hebt sich Netzer vom Vorgänger ab. "Bei mir ist die Mannschaft der HSV."