„Unser Angriff kommt“
SPIEGEL: Herr Dr. Zimmermann, als CSU-Landesgruppenchef sind Sie einer der Bonner Oppositionsführer. Sie müssen sich das Versagen der Opposition angesichts einer schwer angeschlagenen Bundesregierung ebenso anlasten wie der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Helmut Kohl. Oder haben Sie sich mit dem Wunsch nach härterer Gangart nicht durchsetzen können?
ZIMMERMANN: Zunächst einmal bestreite ich, daß es ein Versagen der Opposition in Bonn gibt, was auch nur annähernd mit dem Versagen der Bundesregierung vergleichbar wäre.
SPIEGEL: Wieso haben Sie eigentlich bei den Abhör- und Korruptionsskandalen des Regierungslagers Chancen verschenkt, wieso erschallt nicht landauf, landab der Ruf: Helmut Kohl muß Kanzler werden?
ZIMMERMANN: Wann ist eigentlich jemals der Ruf nach Willy Brandt oder der Ruf nach Helmut Schmidt ertönt? Der Wechsel innerhalb der Periode ist doch die absolute Ausnahme. Der hat bisher nur einmal, 1966, stattgefunden, als die FDP die CDU-Koalition verließ, und auch da kam mit Kurt Georg Kiesinger ein Kanzler, nach dem vorher niemand gerufen hatte.
SPIEGEL: Nun ist die Strategie des CDU-Vorsitzenden Kohl ja eindeutig darauf gerichtet, die FDP zu sich herüberzuholen. Die FDP aber scheut vor dem Wechsel zurück, weil sie in Kohl offenbar nicht die Kanzlerfigur sieht.
ZIMMERMANN: Die FDP scheut den Koalitionswechsel aus ganz anderen Gründen. SPD und FDP sind heute so schwach, daß sie sich gegenseitig an der Hand halten müssen, um nicht umzufallen. Die Schwäche der beiden Koalitionsparteien, so sonderbar es klingen mag. ist heute ihre letzte verbliebene Stärke. Und Hans-Dietrich Genscher weiß ganz genau, daß ein Umfallen innerhalb der Legislaturperiode, wenn es nicht durch ein explosives, extraordinäres Ereignis erzwungen wird, seiner Partei nicht zu verkaufen ist. Die FDP-Basis geht nicht mit. Die Partei klammert sich an das, was ist.
SPIEGEL: Das heißt: Sie glauben nicht an den Erfolg der Strategie Kohls, der doch sehr stark darauf setzt, daß die FDP im Laufe der Legislaturperiode zur CDU schwenkt?
ZIMMERMANN: Sie dürfen mich nicht falsch interpretieren. Auch Kohl ist inzwischen voll und ganz meiner
* Dirk Koch, Klaus Wirtgen; in München
Meinung, daß die FDP nur bei einem extraordinären Ereignis wechseln wird. Im übrigen halte ich den Wechsel innerhalb der Periode für durchaus möglich. Ich glaube, daß der Herbst 1978 nach den Landtagswahlen in Hamburg, Bayern, Niedersachsen und Hessen für die Strategie der Opposition ein ganz entscheidendes Datum. eine Zäsur ist. Ein miserables Abschneiden der FDP in Hessen wäre der Punkt, bei dem Genscher die Konsequenzen auch bundespolitisch ziehen könnte.
SPIEGEL: Wenn man dem folgt, was Sie sagen, dann kann die Opposition ja weiter Däumchen drehen, dann können Sie ja zufrieden sein mit der Art, wie die Opposition ihre Rolle bisher gespielt hat.
ZIMMERMANN: Ich wäre ein schlechter stellvertretender Oppositionsführer, wenn ich zufrieden wäre. Wir tun, was wir können, um den Standpunkt der Opposition verständlich zu machen, um Alternativen aufzuzeigen, um die schwachen Stellen zwischen SPD und FDP deutlich zu machen. Am Beispiel der Terroristen-Gesetzesvorlagen haben wir versucht, mitten in die Regierungskoalition hineinzuzielen. Mit der von uns beantragten namentlichen Abstimmung müssen die Regierungsmitglieder zeigen, wie sie zu der von uns geforderten Verteidigerüberwachung und zur Sicherungsverwahrung stehen.
SPIEGEL: Zur Terroristenbekämpfung hat die Opposition zum ersten und bisher einzigen Mal eine deutliche Position bezogen. Sie tun hier so, als sei das die Regel. Zum wichtigen Thema Energie gibt es bis heute weder eine klare Position noch einen kompetenten Sprecher der Opposition, ähnlich ist es beim Problem der Arbeitslosigkeit.
ZIMMERMANN: Das Parlament hat Ende Januar seine Arbeit aufgenommen. Eine neue Fraktion mit 254 Mitgliedern muß sich erst zusammenfinden, muß sich kennenlernen, die Aufgaben müssen verteilt werden. Man muß sehen, wer sich herausschält als Sprecher in den Arbeitskreisen und Arbeitsgruppen und in den Ausschüssen des Parlaments. Das gleiche Recht der 100 Tage, das für die Regierung gilt, muß auch für die Opposition gelten. Unser Angriff kommt: Am 15. Juni steht unsere Große Anfrage zur Energiepolitik an, in der letzten Juni-Woche wird der Haushalt 1977 diskutiert.
SPIEGEL: Offenbar wird mehr verlangt, denn der CDU-Abgeordnete Todenhöfer steht ja nicht allein in der CDU/CSU-Fraktion mit seiner Klage über den desolaten Zustand der Opposition. Und es wirkt schon eher komisch, wenn der Oppositionsführer Kohl keine Gelegenheit ausläßt zu erklären, die Union sei bereit, morgen die Macht zu übernehmen.
ZIMMERMANN: Ich verstehe das als Bereitschaftserklärung von Helmut Kohl, die man natürlich nicht unausgesetzt zu wiederholen braucht. Aber niemand soll sagen können -- und die FDP hat ja manchmal versucht, das in unsere Äußerungen hineinzudeuten
wir seien nicht bereit, mit den Liberalen eine Regierung zu bilden. Wir sind bereit. Aber die FDP muß kommen. "Am Denkmodell Kreuth hat sich nichts geändert."
SPIEGEL: Versuchen wir"s mal andersherum. Der Oberoppositionsführer, Herr Kohl ...
ZIMMERMANN: ... ah, ein neuer Titel ...
SPIEGEL: ... antwortet auf den Vorwurf, daß die Opposition so schwer in Tritt kommt, dafür sei vor allem der Kreuther Sezessionsversuch der CSU verantwortlich. Stimmen Sie als einer der Väter von Kreuth dieser Wertung zu?
ZIMMERMANN: In überhaupt keiner Weise. Kreuth hat in der Zusammenarbeit der gemeinsamen Fraktion von CDU und CSU ab Januar, seit wir uns zur eigentlichen Arbeit zusammengefunden haben, weder im persönlichen Verkehr der CDU/CSU untereinander noch in meinem Verhältnis zu Helmut Kohl noch im Verhältnis Helmut Kohls zu Franz Josef Strauß noch in der sachlichen Arbeit in Gremien der Fraktion oder in Ausschüssen auch nur die geringste Rolle gespielt. Überhaupt keine.
SPIEGEL: Hinter Kreuth stand doch auch die Absicht der CSU, sich losgelöst von den Zwängen einer Fraktionsgemeinschaft mit der CDU bessere Möglichkeiten zu verschaffen, ihre politischen Alternativen unmißverständlich den Bürgern vorzustellen?
ZIMMERMANN: Der tragende Gedanke von Kreuth war, daß möglicherweise das Parteienspektrum in der Bundesrepublik für die achte Legislaturperiode mit drei im Parlament vertretenen Fraktionen zu gering sei. An diesem Denkmodell hat sich nichts geändert. Das Denkmodell kann wieder aktuell werden. Und wir sind uns völlig darüber einig, daß wir in der Strategie-Kommission, die wir zwischen CDU und CSU nach der Aufhebung des Kreuther Beschlusses verabredet haben und die im Juni das erstemal zusammentreten wird, im Blick auf 1978 und 1980 auch dieses Denkmodell neu ventilieren werden.
SPIEGEL: Also ist der Eindruck richtig, auch Helmut Kohl sei jetzt damit einverstanden, daß die CSU für einen einmaligen und regional begrenzten Einsatz außerhalb Bayerns mit einer vierten Gruppierung eine Listenverbindung zur Bundestagswahl 1980 eingeht?
ZIMMERMANN: Der Eindruck ist nach meiner Meinung insofern richtig, als Helmut Kohl unvoreingenommen über dieses Modell der Erweiterung des Parteienspektrums nachdenkt, als er es nicht mehr als eine Attacke gegen die Einigkeit der Unionsparteien ansieht. Nach dem Schock, den dieses Denkmodell zweifellos in der CDU. aber auch in der CSU verursacht hat, denkt man heute mit etwas Abstand unvoreingenommener, realistischer, weniger schreckhaft nach.
SPIEGEL: Das heißt also: Abwarten, bis die Landtagswahlen 1978 vorüber sind, und, sofern dann die FDP in Bonn nicht überkommt, Neuauflage von Kreuth?
ZIMMERMANN: Ja, aber nur im Einvernehmen und in Absprache mit der CDU. Dafür ist die Strategie-Kommission ja gegründet worden. Nach meinem Erkenntnisstand wird eine faire Diskussion der Kreuther Idee dann jederzeit mit der CDU möglich sein.
SPIEGEL: Wenn Kohl jetzt auf die Strauß-Linie einschwenkt, dann ist dies doch einmal mehr ein Beweis dafür, daß Strauß der eigentliche Oppositionsführer ist.
ZIMMERMANN: Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, daß Sie Franz Josef Strauß als eine so bedeutende Figur in der deutschen Politik sehen. Diese Meinung habe ich im Gegensatz zu Ihnen schon seit 30 Jahren. Wie nuanciert und differenziert Strauß die Szenerie der deutschen Politik sieht, das hat er kürzlich in seiner Debattenrede über den Londoner Gipfel gezeigt: nämlich Lob für den Bundeskanzler und seine Verhandlungen, wo es am Platze war, aber unnachsichtige Schärfe und Härte, wo er der Auffassung war, daß Kritik geübt werden mußte. "Strauß mehr zum Speziellen, Kohl mehr zum Generellen."
SPIEGEL: Es war schon merkwürdig, daß da nicht Oppositionsführer Kohl dem Kanzler geantwortet hat.
ZIMMERMANN: Das darf doch niemanden wundern. Helmut Kohl hat in einer Reihe von Debatten das Wort ergriffen, Strauß hat mehrfach das Wort ergriffen, etwa in der Debatte zur Regierungserklärung.
SPIEGEL: Lautet die Arbeitsteilung der CDU/CSU-Fraktion: Strauß redet zu Speziellem, Kohl mehr zu Generellem?
ZIMMERMANN: Das ist richtig, Strauß mehr zum Speziellen, Kohl mehr zum Generellen. Aber das ist nicht etwa die Arbeitsteilung, sondern für Franz Josef Strauß gibt es bestimmte Themen, die ihm besonders auf den Leib zugeschnitten sind. Dazu gehörte der Wirtschaftsgipfel.
SPIEGEL: In London war auch der Nato-Gipfel und der Vierer-Gipfel zu Berlin.
ZIMMERMANN: Nun gut, als ehemaliger Verteidigungsminister und als engagierter Außenpolitiker hat sich Franz Josef Strauß natürlich dieses Bündel von London insgesamt vorgenommen.
SPIEGEL: Und Kohl wollte zum Londoner Gipfel nicht sprechen?
ZIMMERMANN: Das stand nicht zur Debatte. In der Besprechung, die Helmut Kohl und ich jeden Montag mit dem parlamentarischen Geschäftsführer haben, hatte ich vorgeschlagen, daß ich Strauß bei dieser Thematik für den geeignetsten Redner hielte, und Kohl hat sofort zugestimmt.
SPIEGEL: Es ist schon rührend, wie Sie es Kohl und Strauß recht machen wollen. Sie stehen doch als CSU-Landesgruppenchef in einem Loyalitätskonflikt zwischen Ihrem Parteivorsitzenden Strauß mit seinem Wunsch nach einer schärfer zubeißenden Opposition und Kohl auf der anderen Seite.
ZIMMERMANN: Ich befinde mich in überhaupt keinem Loyalitätskonflikt. Ich befinde mich in einer glänzenden Rolle: Ich habe Kohl vor und Strauß hinter mir.
SPIEGEL: Sie stecken dazwischen. Sind Sie bereit, gegen uns zu wetten, daß Helmut Kohl 1980 noch gemeinsamer Kanzlerkandidat der Union ist?
ZIMMERMANN: Ich bin selbstverständlich nicht bereit, darüber zu wetten. Niemand kann im Jahre 1977 sagen, was im Jahre 1980 sein wird. Niemand kann sagen, wer dann Oppositionsführer, stellvertretender Oppositionsführer oder Parteivorsitzender von wem ist.
SPIEGEL: Kohl ist also nicht automatisch Kanzlerkandidat 1980?
ZIMMERMANN: Niemand ist automatisch irgend etwas. Helmut Kohl ist in diesem Frühjahr mit einer sehr eindrucksvollen Mehrheit zum Parteivorsitzenden wiedergewählt worden. Sein nächstes Wahldatum ist Frühjahr 1979. Im nächsten September ist Parteitag der CSU. Dort wird Franz Josef Strauß als Parteivorsitzender wiedergewählt werden.
SPIEGEL: Sehen Sie noch andere Konkurrenten für Kohl, etwa Alfred Dregger, wenn er in Hessen 1978 die Landtagswahl gewinnt?
ZIMMERMANN: Wer in der als unregierbar geltenden Stadt Frankfurt 51,3 Prozent für die CDU erhalten hat, kann auch in Hessen die absolute Mehrheit erringen. Ich halte diesen Fall nicht für unwahrscheinlich. Dann wird Alfred Dregger mit absoluter Sicherheit hessischer Ministerpräsident werden.
SPIEGEL: Wenn er dann 1979 gegen Kohl um den CDU-Vorsitz kandidiert. kann er doch 1980 Kanzlerkandidat der Union werden.
ZIMMERMANN: Ich will mir nicht Alfred Dreggers Kopf zerbrechen, ich kann nicht sagen, ob er das beabsichtigt. Aber ich sehe im Moment keinen Konkurrenten für Helmut Kohl, was Vorsitz von Partei und Fraktion angeht.
SPIEGEL: Und was die Position des Kanzlerkandidaten angeht?
ZIMMERMANN: Im Moment sehe ich auch keinen anderen Kandidaten.
SPIEGEL: 1979 steht die Neuwahl des Bundespräsidenten an. Die CSU hat bereits den Anspruch erhoben, dieses Amt mit einem Mann ihrer Wahl zu besetzen, wenn die Union die Mehrheit in der Bundesversammlung hat. Das kann auch ein CDU-Politiker sein, der Ihnen liegt?
ZIMMERMANN: Ja das stimmt.
SPIEGEL: Aber in der CDU wurde schon überlegt, die FDP mit dem Versprechen in die Koalition zu locken, deren Präsidentschaftskandidaten mitzuwählen.
ZIMMERMANN: Ganz sicher wird eines nicht passieren: Die Position des Bundespräsidenten wird nicht zum Schacherobjekt zwischen den etablierten Parteien oder Fraktionen des Bundestages -- auch nicht auf eine Quasi-
* Bei Verkündung des Kreuther Beschlusses am 19. November 1976.
Zusage der FDP für die Bundestagswahl 1980 hin. Wir werden mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit einen eigenen Kandidaten präsentieren. Es sei denn, es gäbe bis dahin eine andere Koalition in Bonn unter Führung der Union.
SPIEGEL: Wenn also die FDP vorher wechselt, kann sie als Lohn das Präsidentenamt noch mal kassieren?
ZIMMERMANN: Nicht als Preis kassieren. Aber wenn wir uns in der Koalition mit der FDP befinden, bevor der Bundespräsident zu wählen ist, dann wird zwischen den Partnern in einem anderen Maße besprochen werden, wer Bundespräsident wird, als wenn die CDU/CSU in der Bundestags-Opposition ist.
SPIEGEL: Bei der letzten Bundespräsidentenwahl kandidierte Richard von Weizsäcker für die Union. Ist er immer noch der Mann der CDU/CSU?
ZIMMERMANN: Herr von Weizsäcker war der Unionskandidat, als die CDU/CSU in der Bundesversammlung in Opposition war, als sie nicht die Mehrheit hatte. Wenn die CDU/CSU die Mehrheit hat, dann ist selbstverständlich neu darüber nachzudenken, wer als Kandidat vorgeschlagen wird.
SPIEGEL: Ist Bundestagspräsident Karl Carstens ein Mann nach Ihrem Herzen für die Scheel-Nachfolge?
ZIMMERMANN: Carstens kann man sich vorstellen genauso wie den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger, beide durchaus akzeptable Kandidaten.
SPIEGEL: Herr Zimmermann, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.