DDR-FLUCHT Mit Vorsicht
Im Februar berichtete Claus Jürgen Tuchscherer, 21, dem Kölner Deutschlandfunk, warum er nicht in die DDR zurückgekehrt sei. Als der Sender das Interview ausstrahlte, rüstete Tuchscherer schon zur Rückkehr nach Schönheide bei Karl-Marx-Stadt.
Die west-östliche Karussellfahrt hatte als Love Story begonnen. Tuchscherer war bei einem Trainingsaufenthalt im Dachsteinhotel Thürlwand 1975 der österreichischen Serviererin Anna Steinbauer, 17, näher gekommen. Nach seinem fünften Olympia-Platz in Innsbruck zog er ins Elternhaus seiner Freundin in Zeltweg.
Nur zwölf Stunden später drängten DDR-Botschaftssekretär Rudi Kühnle, zwei Begleiter und Tuchscherers Trainer in die gute Steinbauer-Stube. Sie malten ihm sein Schicksal als Arbeitsloser aus und versprachen ihm Rundum-Amnestie, falls er zurückkehre. Telephonisch bestürmte ihn sein schwer herzkranker Vater: "Tu uns das nicht an." Zweimal mußte der Vater, offenbar einem Zusammenbruch nahe, auflegen.
Tuchscherer widerstand scheinbar. Er fand Arbeit und trainierte wieder. Am Sportgymnasium in Stams hätte er sein Abitur nachholen können. Über den österreichischen Skipool wäre er finanziert worden.
Da verschwand Tuchscherer mitsamt Verlobter und über 11 000 Mark Spenden überraschend am 17. März. Am nächsten Tag meldete ein Unbekannter aus Ost-Berlin den Eltern Steinbauer: "Es geht ihnen gut. Sie wollen in der DDR bleiben."
Zwei Reporter des Wiener "Kurier" fanden beide bei Tuchscherers Eltern in Schönheide. Ablichten ließ er sich nicht -- nicht für Ostmark. Die geforderten 5000 Schilling (700 Mark) scheuten die Reporter zu zahlen, da sie dann die DDR-Devisenbestimmungen verletzt hätten.
Tuchscherer versicherte: "Wir kommen am 22. April wieder nach Österreich rüber." Er sprach von Zusicherungen und davon, seinen kranken Vater später abermals von Österreich aus besuchen zu dürfen.
Er wäre allerdings der erste Rückwanderer, den die DDR neuerlich ausreisen ließe. Dennoch sprechen einige Indizien dafür: Tuchscherer brauchte bislang weder wie die vor ihm zurückgekehrten Sportemigranten ein offizielles Reuebekenntnis abzulegen noch westliche Organisationen des Menschenhandels zu bezichtigen. DDR-Medien verschwiegen seine Umkehr. Auch belasten keine Spannungen die Beziehungen Österreichs zur DDR.
Sollte Tuchscherer tatsächlich wiederum in Österreich auftauchen, sähen Sportexperten freilich einen besonderen Verdacht erhärtet: Sportspionage. Österreichs Skispringer, mit denen Tuchscherer trainieren wollte, haben seit 1975 die DDR überflügelt.
Cheftrainer Baldur Preiml, der die Österreicher für ihren Weitenflug vor allem psychologisch getrimmt hatte, würde denn auch noch einen, sogar legalen Frontwechsel Tuchscherers "mit größter Vorsicht genießen".