Rußland kauft wieder Weizen in den USA
Als die Sowjet-Union 1972 amerikanisches Getreide im Werte von einer Milliarde Dollar kaufte, hatte sie mit einer großen Devisenknappheit zu kämpfen. Diese Situation änderte sich, fast einem Wunder gleich, Ende 1973 völlig. Erstens fielen die sowjetischen Ernten besser aus, zweitens, weit wichtiger noch, erzielte die Sowjet-Union unmittelbar nach dem arabisch-israelischen Krieg unerwartet Mehreinnahmen in Höhe von Hunderten von Millionen Dollar aus dein Verkauf ihres Erdöls und Erdgases.
1975 hat sich die Situation offenbar abermals gelindert. Wie im Jahre 1972 hat die Sowjet-Union infolge ihrer jüngsten Mißernte wohl eine weitere Milliarde Dollar aus ihrem Maschinen-Einfuhrprogramm für Getreide abzweigen müssen. Außerdem liegen für die letzten Monate 1974 und das erste Quartal 1975 erste Anzeichen vor, daß die sowjetischen Exportüberschüsse aus Lieferungen an die Länder mit harter Währung in beachtliche Defizite umgeschlagen sind, Vor allem der Überschuß aus dein Handel mit Japan hat sich in ein Defizit verwandelt.
Was bedeutet dieser Wandel? Die wirtschaftliche Verhandlungsposition der Sowjet-Union ist angeschlagen. Das sollten die amerikanischen Außenpolitiker und Geschäftsleute nicht übersehen, wenn sie mit sowjetischen Vertretern verhandeln. Allzuoft verkennen wir die sowjetischen Schwächen, ebenso wie wir mitunter ihre Stärken verkennen.
Überdies müssen die Beamten im US-Landwirtschaftsministerium periodische Sowjet-Käufe großen Umfangs in ihre Planungen für die Zukunft einbeziehen. Da die Sowjet-Union ihren Viehbestand aufstocken möchte, werden sowjetische Funktionäre höchstwahrscheinlich regelmäßig als Käufer von amerikanischem Futtergetreide. etwa von Mais, auftreten. Die Sowjet-Union liegt zu hoch im Norden, als daß sie selbst genug Mais anbauen könnte. Außerdem bringt das sowjetische Klima alle drei oder vier Jahre eine Dürre mit sich, die dann auch zu Ausfällen in der Weizenernte führt.
Der Sowjet-Union paßt es, den amerikanischen Farmer als Reservepuffer für eigene klimatische Unzulänglichkeiten und Produktionsengpässe zu benutzen. Das bedeutet, daß wir in den Vereinigten Staaten die Kosten für die Lagerung des Getreides tragen müssen, bis es von der Sowjet-Union benötigt
© The New York Times.
wird. Ebenso müssen wir auch die hohen Preise hinnehmen, weil die sporadischen sowjetischen Käufe die normalen Reserven erschöpfen, die angelegt wurden, um den üblichen Welt- und Eigenbedarf zu decken. Es muß ein Weg gefunden werden, einen Teil dieser Kosten auf die UdSSR abzuwälzen.
Solange die Sowjet-Union einen Privathändler gegen den anderen ausspielen kann, gibt es für sie keinen Grund, warum sie eine solche finanzielle Belastung auf sich nehmen sollte. Unverständlicherweise scheint unser Landwirtschaftsministerium jedoch an der gegenwärtigen Situation keinen Anstoß zu nehmen.
Manchmal muß man sieh über das Ministerium wundern. Es war zu einem großen Teil verantwortlich dafür, daß unser Land 1972 nicht vor den geheimen Weizenkäufen der Sowjets alarmiert wurde, was schließlich die Aufkäufe zu niedrigen subventionierten Preisen ermöglichte.
In diesem Jahr werden die russischen Käufe zwar nicht subventioniert, doch es könnte durchaus sein, daß unser Landwirtschaftsministerium, insbesondere Landwirtschaftsminister Earl L. Butz. es den Russen erneut ermöglicht, zu Spottpreisen einzukaufen, Mehrere Tage ließ Butz den Eindruck bestehen, die Sowjets würden in den Vereinigten Staaten insgesamt nur etwa 10 Millionen Tonnen Getreide kaufen. Wenn er sich die Mühe gemacht hätte, über die Erfahrungen von 1972 nachzudenken, hätte er erkennen können, daß die Russen in zwei Partien einkauften: zwischen dem 5. und dem 20. Juli zunächst 12,5 Millionen Tonnen Getreide. Das weicht nicht wesentlich von der Menge ab, die sie dies Jahr gekauft haben.
Doch dann kehrten die sowjetischen Getreideeinkäufer nach Hause zurück und mußten feststellen, daß sich die heiße, trockene Wetterlage nicht geändert hatte und die Ernte noch schlechter als erwartet ausfallen würde, Das machte einen zweiten Trip zum amerikanischen Getreidemarkt nötig, wo sie zwischen dem 1. und 9. August die restlichen 40 Prozent ihres Gesamteinkaufs erstanden. Da das Wetter in der Sowjet-Union in diesem Jahr dem des Jahres 1972 sehr ähnlich ist, besteht durchaus die Möglichkeit daß die sowjetischen Käufer ebenfalls ein zweites Mal erscheinen, um mehr zu kaufen.
Da Butz an den Transaktionen 1972 und 1975 beteiligt war, wäre es seine Pflicht gewesen, bei den ersten Anzeichen eines weiteren großen Sowjet-Kaufs vor wenigen Wochen die Parallelen aufzuzeigen. Faktisch begünstigte er die Russen durch die beharrliche Beteuerung, ihre Getreidekäufe würden begrenzt sein,
Nach dem jetzigen Stand der Dinge dürften sich die Preise, wenn die Ru. -- sen tatsächlich auf dem Markt erscheinen, zu spät erhöhen. Die Russen hätten dann wie 1972 ihr Getreide wiederum zu Schleuderpreisen eingekauft, Trifft diese Befürchtung zu, wird wieder der amerikanische und nicht der russische Verbraucher die Preissteigerungen zu tragen haben. Wenn nichts geschieht, die Russen daran zu hindern, uns auf diese Weise zu übervorteilen, könnte die amerikanische Erbitterung über diese Käufe der Entspannung einen dauerhaften Schaden zufügen.