BUCHMARKT Ruf wie Donnerhall
Wenn es blitzt, kracht und dampft", formuliert Autor Hans-Dieter Götz in seinem Waffenbuch "Vorderlader", überkomme den neuzeitlichen Vorderlader-Schützen "ein höchst vergnügliches, ursprüngliches Schießgefühl". Wer nachempfinden will, wie Davey Crockett oder die Soldaten von Austerlitz und Waterloo ihre Schießprügel abfeuerten, findet in der "Vorderlader"-Lektüre einen wohlmeinenden Ratgeber -- denn in einer zu schwach gebauten, mit Schwarzpulver überfüllten Replik-Waffe geht die Ladung mitunter auch nach hinten los.
Das Buch über die frühen Ballermänner gehört zu einer Reihe von Waffenbüchern, für die der Motorbuch Verlag, Stuttgart, einst nur eben eine Marktlücke gesehen hatte. Im vergangenen Jahr konnte der Verlag mit seinen sachlichen Beschreibungen über die Entwicklung von mannigfachem Tötungsgerät freilich eigene Lücken ausfüllen: Als die bis dahin florierenden Autobücher während der Ölkrise plötzlich um 25 Prozent zurückgingen. setzte er unversehens um 25 Prozent mehr Waffenbücher ab.
In diesem Jahr nun nahm das Käuferinteresse an Lektüre über alles, was da spießt und schießt, gar noch zu -trotz Preisen bis zu 48 Mark pro Buch. Verlagsleiter Wolfgang Schilling: "Stark steigende Tendenz."
Wachsendes Lesevergnügen an theoretischem Blitzen und Krachen deutet zumindest nach Ansicht des "buch aktuell-werbemagazins" auf einen Nachholbedarf: "Ein bisher vernachlässigter historischer Zweig unserer Zivilisation", meint das Blatt, sei durch die fachkundigen Autoren zum Sprießen gebracht worden. Was immer das Ersinnen von Tötungsinstrumenten auch mit Zivilisation zu tun haben mag, die Verfasser haben mit dem Fanatismus professioneller Waffennarren umfängliche Katalogwerke zustande und verblüffende Details ans Licht gebracht.
Unermüdlich stöberten sie in Kriegsarchiven, durchforsteten vergilbte Hersteller-Korrespondenzen und militärische Dienstvorschriften. Autor Götz, der sich auch "Die deutschen Militärgewehre und Maschinenpistolen 1871 bis 1945" vorgenommen hatte, merkte an: "Bei einem Teil der alten Aktenbündel hatte ich das Gefühl, der erste zu sein, der sie aufschnürte, seit sie vor mehr als einem halben Jahrhundert abgelegt worden waren."
Der Engländer I. V. Hogg, Verfasser des Buches "Die deutschen Pistolen und Revolver 1871 -- 1945", ließ sogar die meisten der von ihm mitunter fast im Stil einer Ausbildungsvorschrift beschriebenen Faustfeuerwaffen zerlegen und in Teilen photographieren. Er ermittelte auch, daß die Deutschen für ihre drei großen Kriege, von denen sie nur den kleinsten gewannen, rund achtzig verschiedene Revolver und Pistolen entwickelt und produziert haben -- mehr als jedes andere Land, sei stolz darauf wer will,
Seitenlang beschreibt Hogg, wie der Ingenieur Georg Luger, bekanntester aller deutschen Pistolenkonstrukteure, seine berühmt-berüchtigte automatische Neun-Millimeter-Parabellum-Pistole, "die Luger", entwickelte. Die Waffe, kenntlich an ihrem typischen "Kniegelenk-Verschluß", wurde im Jahre 1908 in Kaiser Wilhelms Heer eingeführt (daher: "Pistole 08") und bis in den Zweiten Weltkrieg hinein von deutschen Kriegern benutzt. Obwohl die Wehrmacht 1938 die einfacher produzierbare Walther-Pistole "P 38" eingeführt hatte (die auch von der Bundeswehr übernommen wurde), blieb "the famous German Luger" das bevorzugte Beutegut alliierter Soldaten und Muß-Stück aller Waffensammler.
Doch sogar der Faustfeuerwaffen-Fachmann Hogg konnte jene "geheimnisumwitterte Pistole" (Hogg) vom Kaliber neun Millimeter nicht einordnen, die er "Volkspistole" nennt. Der Waffenforscher stieß nur auf "verschwommene Berichte" und befand: "Kein Hersteller bekannte sich zu ihr."
Genauso nebulös blieb die Urheberschaft jenes ratternden Killers, den jeder Landser kannte: Großdeutschlands Maschinenpistole "MP 38". später "MP 40" genannt. Maschinenpistolen wurden schon im Ersten Weltkrieg entwickelt, jedoch nicht mehr verwendet. Bekannt wurden sie dann als bevorzugtes "Arbeitsgerät" amerikanischer Gangster, die hauptsächlich das amerikanische "Thompson-Gun" benutzten. Jahrzehntelang verschmähten die Waffen-Mächtigen aller Heere die Maschinenpistole, weil -- so meinen manche Experten -- Gangster wie John Dillinger und Al Capone sie mit dem Odium des Unseriösen belastet und daher für ordentlichen Militärgebrauch gleichsam entweiht hätten.
"Bis heute", wunderte sieh Götz, "hat noch kein Militärhistoriker schlüssig erklärt, warum sich die deutsche Wehrmacht erst ein Jahr vor Kriegsbeginn ernsthaft für eine Maschinenpistole zu interessieren begann." Über die MP 38, die 1938 von den Erma-Werken, Erfurt, vorgeführt wurde, wundert sich andererseits F. W. A. Hobart, Verfasser von "Die Maschinenpistole", heute noch: "Man weiß nicht, wer der Konstrukteur dieser Waffe, der MP 38, war." Gewiß sei es "entgegen der landläufigen Meinung nicht Hugo Schmeißer" gewesen.
Dennoch: Alliierte Soldaten nannten die rüttelnde Schießautomatik immer nur "die Schmeißer", und Schriftsteller Ernest Hemingway hat den Irrtum gar in seinem Roman "Inseln im Strom" verewigt. Merkwürdig mutet obendrein an, daß der Sturmgewehr-Konstrukteur Hugo Schmeißer mitten im Krieg vor dem Berliner Kammergericht einen Prozeß um die Rechte an der Teleskop-Schließfeder der MP 38/40 gegen die Firma Erma anstrengte -- er verlor.
Die einfachsten und zugleich feuerkräftigsten Maschinenpistolen des Weltkriegs entwickelten die Russen: 71 bis 73 Patronen hatten ihre MPs in den -- von der finnischen MP Suomi stibitzten -- Trommelmagazinen.
Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs blieb freilich jenes Feuerrohr bedeutsam, das die Generalität von jeher "den langen Arm der Infanterie" genannt hat: das weittragende, genau schießende Gewehr. Seine Geschichte in der deutschen Armee unter Königen, Kaisern und Kanzlern war bis 1945 zugleich die Geschichte der Büchsenmacher-Familie Mauser.
Nach dem Sieg von 1871 mit dem veralteten. 1841 eingeführten Zündnadelgewehr rüstete Preußens südlicher Bundesgenosse Bayern nach einer "Allerhöchsten Entschließung" des 23jährigen Bayern-Königs Ludwig als erster seine Armee auf einen Hinterlader mit Metallpatronen um: das in Bayern entwickelte einschüssige Werder-Gewehr wurde eingeführt, Konstrukteur Johann-Ludwig Werder ausgezeichnet mit dem "Ritterkreuz Erster Klasse des Verdienstordens vom Heiligen Michael". Beim Vergleich mit dem später von Preußen und den übrigen Bundesstaaten eingeführten Mauser-Gewehr Modell 71 schnitt die bayrische Flinte schlecht ab: Die Preußen-Waffe schoß 3000 Meter weit, rund 800 Meter weiter als das Konkurrenz-Gewehr. Überdies hatten die Bayern Ärger mit verbogenen Läufen, "verursacht durch ein zu schweres Bajonett mit 48 Zentimeter langer Klinge".
Die einstigen Fabrikarbeiter Paul und Wilhelm Mauser, zwei autodidaktische Tüftler aus dem schwäbischen Oberndorf. hatten damals noch einen langen Weg bis zur Gründung ihrer eigenen Fabrik. "Heute noch", schrieb Autor Götz über das erste in die Armee eingeführte Mausergewehr' "hat das Infanteriegewehr M 71 bei Kennern in aller Welt einen Ruf wie Donnerhall." Da die Brüder keinen Produktionsauftrag bekamen, konnten sie an den Gewehren nicht viel verdienen. Erst mit der Entwicklung und Produktion neuer Modelle für ausländische Auftraggeber bekamen sie namhafte Summen in die Firmenkasse. Wilhelm Mauser, verschlissen im Intrigengespinst der internationalen Rüstungsindustrie-Agenten, starb 1883, elf Jahre vor dem endgültigen Durchbruch seines Bruders zu Kaiser Wilhelms Gewehrlieferanten.
Das nicht von Mauser stammende Modell 88 hatte sich nicht bewährt. weil bei zahllosen Exemplaren zum Entsetzen der Schützen die Verschlüsse beim Schuß explodiert waren. Paul Mauser entwickelte in kaiserlichem Auftrag das verbesserte Modell 88/97 -- es war der Vorläufer jenes legendären Schießgewehrs, dem Kaiser Wilhelm am 5. April 1898 persönlich die Bezeichnung "Gewehr 98' verlieh und seine Truppenerprobung befahl.
Während das Heer auf das Modell 98 umgerüstet wurde, war Mauser in der Entwicklung schon vom Repetiergewehr auf Selbstladegewehre übergegangen. 1901, bei einem Schießtest, schoß sich der 63jährige Mauser das linke Auge aus. 1914, hochgeehrt und als Paul von Mauser in den Adelsstand erhoben, starb er und verpaßte knapp den ganz großen Schießtest.
"Als Paul Mausers Lebenswerk, das Modell 98' im Ersten Weltkrieg seine Bewährungsprobe bestehen mußte, war der Konstrukteur bereits tot", schrieb Waffenexperte Götz. "Sein Gewehr bestand die Prüfung mit Auszeichnung."
Mehr als 100 Millionen Mauser-Gewehre M 98 wurden gebaut. Sogar Hitlers Wehrmacht mochte auf die Standardwaffe nicht verzichten.
Als nächstes kamen die "Sturmgewehre" auf den Waffenmarkt' Schnellfeuergewehr und Maschinengewehr in einer Waffe kombiniert. Sie waren schon 1945 vollendet und erprobt.
"Seitdem hat der internationale Waffenbau keinen grundsätzlich neuen Impuls mehr erhalten", stellte Götz fest. Es scheine, "als sei die Geschichte der konventionellen Handfeuerwaffen abgeschlossen". Für die Zukunft mutmaßte der Waffenkundler: "Vielleicht bricht jetzt auch für die Infanterie das Raketenzeitalter an."