SEUCHEN Quelle sicher
Erich Kopplow, Chef des Medizinaluntersuchungsamtes im pfälzischen Landau, warf sich flach zu Boden. Zwischen Kartoffeleimern und Pommes-frites-Maschinen machte der Bakteriologe am Mittwoch letzter Woche Jagd auf eine Maus, erlegte sie schließlich mit einem Prügel und sicherte den Kadaver in einem desinfizierten Glasröhrchen: Beweisstück A 15 436 in der jüngsten Typhusaffäre der Bundesrepublik.
Die Geschichte mit der Maus bestärkte den Bakterien-Fahnder in seinem Verdacht, daß der Kartoffelsalat-Produzent Jakob Grenz aus Neuhofen bei Ludwigshafen zwischen dem 23. und 27. September salmonellenverseuchten Kartoffelsalat ausgeliefert habe. Bis Ende letzter Woche waren allein in Baden-Württemberg. wo der mit dem Erreger Salmonella typhi angereicherte Salat in zwei Kaufhausgaststätten verabreicht wurde, etwa 300 Personen erkrankt. Vier starben, über 30 weitere Erkrankungen. die fast alle ihren Ursprung mi Südweststaat haben, wurden aus anderen Bundesländern gemeldet.
Und "bei 90 Prozent" der Typhuspatienten "läßt sich eine direkte Verbindung zu dem Kartoffelsalat" aus Neuhofen herstellen -- so der Leiter des baden-württembergischen Medizinischen Landesuntersuchungsamtes, Professor Walter Steuer. Der Chef des Stuttgarter Gesundheitsamtes Hanns Hufnagl bestätigt: "Es gibt keine andere Infektionsquelle, das ist sicher."
Dem Quellenstudium war bereits am 22. Oktober, fünf Tage nach der ersten Typhusdiagnose, ein "epideminlogischer Indizienbeweis von einer Mächtigkeit, wie sie ungewöhnlich ist", beschieden -- so Hufnagl-Vize Professor Gerhard Neumann. Denn alle Erkrankten hatten Ende September nach eigenen Aussagen im Kaufhaus Horten Würstchen, Hackbraten oder Schwäbische Maultaschen verzehrt. Und wie die Seuchen-Expertin Jutta Tottleben ermittelte, war immer Kartoffelsalat aus dem inzwischen stillgelegten Grenzschen Betrieb dabei.
Das gleiche Bild bot sich den Gesundheitskommissaren in Heidelberg, wo die meisten der Erkrankten ihre Typhusmahlzeit im Kaufhof eingenommen hatten. Lieferant auch hier: Grenz.
Jedoch, der rasche Recherchenerfolg wurde durch das hilflose Handeln der Ministerialbürokratie bei der Bekämpfung der Seuche wieder egalisiert. So weigerte sich die baden-württembergische Gesundheitsministerin Annemarie Griesinger, die Namen der Kaufhäuser zu nennen, in denen der keimreiche Salat angeboten wurde. Nur deshalb, schrieben vier Stuttgarter Mediziner in einem offenen Brief an die Ministerin, seien "Patienten auf Bronchitis, Grippe etc. behandelt" worden, die "wir bei frühzeitiger Informierung als Typhusverdächtige möglicherweise hätten besser behandeln und isolieren können".
Tatsächlich bietet Typhus im Anfangsstadium "das Bild eines banalen grippalen Infekts" (Neumann): langsam steigendes Fieber, Apathie und Durchfall. Und Ende voriger Woche war sich selbst die Ministerin "nicht mehr hundertprozentig sicher", ob bei einer lückenlosen Untersuchung aller Essensgäste der beiden Kaufhäuser "anfängliche Fehldiagnosen" -- die zu den Todesfällen beigetragen haben könnten -- nicht zu vermeiden gewesen wären.
Welche Folgen die Ratlosigkeit der Ministerialen zu Beginn der Epidemie, als noch in täglichen Bulletins das Abklingen der Krankheitswelle angekündigt wurde, am Ende haben wird, ist auch jetzt noch nicht abzuschätzen. Zwar registrieren die Mediziner seit vorletztem Freitag keine Erstinfektionen mehr (Inkubationszeit: zwischen einer und sechs Wochen), sondern nur noch nachträglich diagnostizierte Typhus-Erkrankungen. Aber schon wurden in Baden-Württemberg auch die ersten sechs Ansteckungsfälle bekannt, so daß die Gefahr einer zweiten Typhus-Welle nicht auszuschließen ist.
Gegen die Ausbreitung der Seuche hilft nur strenge Hygiene, an der es, so Professor Steuer, "auch bei uns noch hapert". Beweis: 1973 erkrankten in der Bundesrepublik 420 Menschen an Typhus. Denn anders als Grippe-Viren wechseln Typhus-Bakterien ihre Wirte nicht durch Tröpfchen-Infektion, sondern über den Verdauungstrakt (Mediziner-Formel: "Typhus ißt man"). Infiziert wird durch Stuhl oder Urin akut Kranker -- aber auch längst vom Typhus Genesener, die gleichwohl weiterhin Erreger abgeben: An die 10 000 solcher "Dauerausseheider" sind bei westdeutschen Gesundheitsämtern erfaßt.
Freilich, weder in der Neuhofener Kartoffelfabrik noch bei deren sechzehn Beschäftigten, noch in Speiseresten konnte das Medizinaluntersuchungsamt den Erreger Salmonella typhidingfest machen. Dagegen fanden sie auf dem Gelände des pfälzischen Salatmachers nahe Verwandte der Typhus-Bakterien: In einer Erdprobe, die Kopplow zwei Meter von der Hauswand entfernt in unmittelbarer Nähe des Abwasserkanals und nur eine Handbreit neben einem Mäusenest entnahm, wies der Bakteriologe Salmonella panama nach -- den gleichen Krankheitskeim, der auch in einer Plastiktüte mit rohen geschälten Kartoffeln aus dem Grenzschen Betrieb entdeckt worden war.
Sowohl durch den Kanal, der nur einen Meter unterhalb der Kartoffelwaschanlage verläuft und schon bei einem kleinen Rückstau das Waschwasser verdrecken kann, als auch durch die Mäuse, "die durchaus mal an den Kartoffeln knabbern konnten" (Kopplow) mögen Erreger an die Erdfrüchte gekommen sein -- dies um so leichter, als die Salatkartoffeln nach dem Erhitzen zwölf Stunden bis zur weiteren Verarbeitung lagerten. Und im Wasser eines illegal gebohrten Brunnens zählten die Seuchenbeamten eine Million Krankheitskeime pro Kubikzentimeter.
Zwar will Grenz sein Brunnenwasser lediglich zum Reinigen der Fabrikationsräume genutzt haben, aber, so Wissenschaftler Neumann. "wenn nut ein paar Spritzer davon an die Kartoffeln gekommen sind, dann reicht das".
Daß sein Betrieb ein Typhusherd sein soll, will Grenz, der "seit zehn Jahren unbeanstandet" Kartoffelsalat produziert, nicht glauben. Und wegen des Produktionsausfalls seit der Stillegung vor zwei Wochen sinnt der Salatmacher bereits über Schadenersatzforderungen nach.
Kopplow dagegen ("Die Typhusbakterien werden wir möglicherweise nie mehr finden") meint genug Belastungsmaterial zu haben: "Der Betriebsablauf war so, daß an jedem Tag von dort eine Epidemie ausgehen konnte."