FAULKNER Die Snopes-Saga
Ich habe", erklärte der heute 60jährige William Faulkner, nordamerikanischer Literatur-Nobelpreisträger und Farmbesitzer im Staat Mississippi, "ein Alter erreicht, in dem ich nur dann arbeite, wenn draußen schlechtes Wetter ist."
Faulkners Angabe - ob ernst gemeint oder nicht - widerspricht keineswegs unbedingt seinem Autoren-Fleiß: Oxford (Mississippi), Charlottesville, Washington und New York - die vier Orte, in denen Faulkner sich aufhielt, als er seinen jüngsten Roman niederschrieb - liegen sämtlich in der relativ niederschlagreichsten Zone der USA.
Ob indes die auch in diesen Gegenden nicht allzu häufigen Regentage für Faulkners Arbeit wirklich ausgereicht haben, kann dennoch bezweifelt werden. In seinem neuesten Roman "The Town" ("Die Stadt")* hat sich Faulkner nämlich an ein kompliziertes Unternehmen gemacht, das viel Umsicht bei der literarischen Konstruktion erfordert. "The Town" soll als Mittelstück einer Roman-Trilogie gelten, deren erstes Buch "The Hamlet", ohne als Trilogie-Anfang kenntlich zu sein, bereits vor 18 Jahren, 1940, erschienen ist. Als letzter Trilogie-Band ist der Roman "The Mansion" ("Die herrschaftliche Villa") geplant, an dem Faulkner gegenwärtig arbeitet, wenn es regnet.
Für den deutschen Büchermarkt hatte Faulkners Entschluß, gewissermaßen nachträglich eine Roman-Trilogie zu konzipieren, noch eine besondere Konsequenz. Faulkners deutschsprachige Verleger - der Züricher Verlag Fretz & Wasmuth und der Stuttgarter Verlag Henry Goverts, der von dem Schweizer Verlagshaus die Lizenzrechte für Deutschland erhielt - durften eben hoffen, den Anschluß an Faulkners gegenwärtige Produktion gewonnen zu haben: Sie hatten Faulkners Roman "A Fable" ganz kurz nach dem Erscheinen der Originalausgabe unter dem Titel "Eine Legende" auch in deutscher Sprache veröffentlicht (SPIEGEL 40/1955).
Nun aber mußten sie, wenn sie je eine deutsche Ausgabe von "The Town" verlegen wollten, vorher auch den 18 Jahre alten Roman. "The Hamlet" in deutscher Fassung herausbringen, die bei späterem Erscheinen kaum noch verkäuflich gewesen wäre.
Diese Übersetzung des Romans "The Hamlet" ist kürzlich erschienen: Die deutsche Fassung des Romans - Titel "Das Dorf"** - räumt mit dem Mißverständnis auf, Faulkner befasse sich in diesem Buch mit dem Dänenprinzen Hamlet aus Shakespeares Schauspiel. "The Hamlet" bedeutet auf deutsch so viel wie "der Weiler" oder "das kleine Dorf".
Das Unternehmen, wenigstens diese Roman-Trilogie auch auf deutsch in gehöriger Reihenfolge zu veröffentlichen, wirkt wie ein erster und später Versuch, jene Verwirrung zu entflechten, in die deutsche Faulkner-Leser fast zwangsläufig geraten. Diese Verwirrung mußte entstehen, weil noch immer nur ein Teil der literarischen Produktion Faulkners in Deutschland verlegt wurde und weil seine Bücher, soweit überhaupt bis dahin nicht in der ihnen vom Autor gegebenen Reihenfolge eingedeutscht worden waren, auch dann nicht, wenn der Inhalt es unbedingt gebot.
Nach eigenem Geständnis schreibt Faulkner nämlich "mit allen seinen Geschichten" an einem "einzigen Buch". Dieses "einzige Buch" aber kann infolge des eingetretenen Wirrwarrs in Deutschland derzeit nicht in der Abfolge der amerikanischen Originalausgaben gelesen werden. Der gegen Faulkner erhobene Vorwurf, daß er schwer lesbar sei und daß seine Bücher gewisse Dunkelheiten enthielten, dürfte hierin eine seiner wesentlichen Ursachen haben.
Die unzureichende Unterrichtung deutscher Leser über die chronologische Reihenfolge von Faulkners Büchern geht bis in die Zeit zurück, in der Faulkner überhaupt zum erstenmal ins Deutsche übersetzt wurde: in die Mitte der dreißiger Jahre. Die drei ersten, damals vom Rowohlt-Verlag herausgebrachten Faulkner-Eindeutschungen - es waren die Romane "Licht im August", die kürzlichverfilmte "Wendemarke" und "Absalom, Absalom!" - stehen in Faulkners Gesamtwerk nämlich nicht, wie viele deutsche Faulkner-Interessenten seither annehmen, an erster bis dritter, sondern an zwölfter, sechzehnter und siebzehnter Stelle.
Sie sind also viel später geschrieben worden als etwa der Roman "Die Freistatt" ("Sanctuary"), der erst 1951 in deutscher Sprache erschien, und als "Schall und Wahn" ("The Sound and the Fury"), einer der frühesten Faulkner-Romane, der seit 1956 nun auch in Deutschland zu lesen ist. Der Roman "As I Lay Dying" ("Als ich im Sterben lag"), den der Goverts-Verlag in diesem Frühjahr als neuesten seiner Faulkner-Bände präsentieren wollte, ist im Original bereits 1930 erschienen; der Roman "Soldier's Pay" ("Soldatenlohn"), den der Rowohlt-Verlag in seiner Taschenbuch -Reihe in diesem Herbst veröffentlichen will, ist der erste Roman, den Faulkner überhaupt geschrieben hat; er ist bereits 1926 erschienen.
Dieses Kreuz und Quer zwischen den Erscheinungsdaten der amerikanischen Originalausgaben und der deutschen Übersetzungen hat dazu geführt, daß deutsche Leser die oft ohnehin komplizierten Verwandtschaftsverhältnisse und Familiengeschehnisse kaum noch durchschauen können, die zahlreiche Faulkner-Romane untereinander verbinden. Sobald die Trilogie ("The Hamlet", "The Town", "The Mansion") in chronologischer Reihenfolge vollständig übertragen sein wird - dem bereits eingedeutschten Roman "The Hamlet" soll in diesem Herbst "The Town" folgen -, läßt sich aber mindestens eine der von Faulkner erfundenen Familiengeschichten halbwegsgeruhsam übersehen: die Geschichte der "Snopes".
Schauplatz der meisten Romane von Faulkner ist der allein in der Phantasie des Dichters existente "Landkreis Yoknapatawpha" ("Yoknapatawpha County"). Von dem im Landkreis Yoknapatawpha liegenden "Franzosenwinkel" aus - der Ortsname "Frenchman's Bend" bleibt in einigen deutschen Übersetzungen in der
Originalsprache - breitet sich kaninchenhaft eine obskure Sippe aus: die "Snopes", die den alteingesessenen und tonangebenden Familien De Spain, Compson und Sartoris an Lebenskraft weit überlegen sind.
Der Ahnherr der Sippe, der Roßtäuscher und Brandstifter Ab Snopes - er tritt bereits in Faulkners Roman "Die Unbesiegten" auf - hat noch die Tage des Sezessionskrieges zwischen den Nord- und Südstaaten (1861 - 1865) miterlebt. Von dieser Zeit, dem Ausgangspunkt des Romans "The Hamlet", führt die Snopes-Trilogie in ihrem Mittelstück ("The Town") bis in die zwanziger Jahre; der letzte Band "The Mansion" soll die Geschichte der Snopes bis etwa an den zweiten Weltkrieg weiterführen.
Der nun auch auf deutsch vorliegende erste Band der Snopes-Trilogie, "Das Dorf", bereitete der Faulkner-Gemeinde eine kleine literarische Sensation. Der Roman weist den amerikanischen Nobelpreisträger, der in Deutschland sonst gern als "großer Tragiker" interpretiert wird, nämlich als "einen nicht minder großen Humoristen" aus. So jedenfalls urteilte der Literaturkritiker Günter Blöcker, der durch sein Buch "Die neuen Wirklichkeiten" kürzlich auch einem über Berliner Zeitungsleser hinausreichenden Kreis bekannt geworden ist. Blöcker nannte "Das Dorf" einen "Gipfel besonderer Art inmitten des Faulknerschen Erzählgebirges, auf dem helleres Sonnenlicht liegt, als wir es sonst bei diesem Autor gewohnt sind". Faulkners Sätze, meinte Günter Blöcker, krümmen sich diesmal "nicht vor Qual und innerer Anstrengung, sie ergießen sich in fröhlichen Katarakten. Stärker denn je spürt man des Dichters Vergnügen am Geschichtenerzählen".
Ähnlich schrieb auch der Schriftsteller Werner Helwig ("Raubfischer in Hellas") in der Wochenzeitung "Christ und Welt": Faulkners Roman "Das Dorf" lasse zum erstenmal "einen dunklen, trockenen, aber unverkennbaren Humor spüren. Es handelt sich da um den Einbruch einer Sippe von Eulenspiegeln in eine geformte (und gefrorene) menschliche Gesellschaft von halb städtischer, halb dörflicher Verfassung. Diese wird übertölpelt, zersetzt und ihr der Besitz auf hinterlistige witzige Art abgewonnen".
Mit einer üblichen kleinstädtischen Eulenspiegel-Geschichte dürfte der Roman "Das Dorf" allerdings nicht zu verwechseln sein. Faulkner hat in seinem Buch einige Episoden untergebracht, in denen er die Grenzscheide der Tragikomik unstreitig überschreitet. So beschreibt er zum Beispiel den schwachsinnigen Isaac Snopes, den eine fatale Neigung zu einer Kuh treibt, oder er beschreibt mit äußerster Genauigkeit die Unternehmungen des ebenfalls labil-abartigen Mink Snopes, die sogar in der modisch-rücksichtslosen Literatur kaum eine Parallele haben.
Mink Snopes hat hinterrücks einen Farmer erschossen und macht sich auf schauerlich unbeholfene Art daran, die Leiche in einen hohlen Eichenstamm zu zwängen. Da der infantile Mink bei diesem höchst genau dargestellten Unternehmen vergißt, dem Farmer die 50 Dollar wegzunehmen, deretwegen er ihn erschossen hat, versucht er später, den ungefügen Leichnam des Farmers wieder freizulegen - wobei er vom Sheriff gefaßt und in die nahe Kreisstadt Jefferson gebracht wird. Dort verurteilt ihn ein Gericht zu lebenslänglichem Aufenthalt auf einer Zuchthaus-Farm.
Eher wie eine Eulenspiegel-Geschichte wirkt dagegen der soziale Aufstieg des Flem Snopes, der eigentlichen Hauptperson des ersten Trilogie-Bandes. Daß es sich auch hierbei aber im Grunde um eine keineswegs heitere Angelegenheit handelt, erweist sich deutlich erst im zweiten Band der Trilogie, in dem Roman "The Town".
Der Grundstock zu Flems sozialem Aufstieg ist die Mitgift, die ihm seine Frau Eula einbringt: Eula wird als ein Mädchen geschildert, das mit 14 Jahren noch das Gesicht einer Achtjährigen, aber bereits die Figur einer Zwanzigjährigen hatte. Ihre träg-sinnliche Schönheit zwang bereits ihren Volksschullehrer, der einen Konflikt mit dem Gesetz befürchtete, überstürzt davonzulaufen. Außer einer Mitgift hat Eule ihrem Mann Flem Snopes ein uneheliches Kind mit in die Ehe gebracht - die Tochter Linda, die von einem unbekannten Vater stammt.
Flem Snopes tyrannisiert als Geldverleiher den "Franzosenwinkel", in dem es von ihm hörigen oder an ihn verschuldeten Mitgliedern der Snopes-Sippe wie in einem Rattennest wimmelt. Seinen Meisterstreich aber liefert er dem Mann, der dem um sich greifenden "Snopismus" zäh entgegenzuwirken sucht: dem Nähmaschinen-Reisenden Ratliff aus Jefferson.
Von seinem Schwiegervater hat Flem Snopes das alte, verfallene, von einem französischen Kolonisator erbaute Herrenhaus übernommen, auf das der Ortsname "Frenchman's Bend" zurückgeht. Einem hartnäckigen Gerücht zufolge soll auf dem Grundstück in den unruhigen Jahren des Sezessionskrieges ein ansehnlicher Geldschatz vergraben worden sein. Dieses Gerücht macht Flem sich zunutze. Nachdem er auf dem Grundstück heimlich zwei Beutel mit silbernen Dollarmünzen verscharrt hat, betätigt er sich dort als Schatzgräber, nicht ohne darauf zu spekulieren, daß sein nächtliches Treiben beobachtet wird und sich herumspricht.
Der Nähmaschinen-Vertreter Ratliff, der mit allem, was in der Gegend vorgeht, seit Jahr und Tag vertraut ist, weiß natürlich, daß es um das Franzosenhaus herum kaum einen Fußbreit Boden gibt, der nicht schon von irgendwelchen Schatzgräbern verstohlen durchwühlt worden wäre. Den Mißerfolg solcher Grabungen führt er jedoch darauf zurück, daß die bisherigen Schatzsucher nicht tief genug gegraben haben.
Der Gedanke, daß Flem Snopes den Schatz an sich bringen könnte, ist ihm unerträglich. Als Ratliff zusammen mit zwei ihm befreundeten Männern daher heimlich ebenfalls die Schatzsuche aufnimmt und mit seinen Helfern die von Flem verscharrten Silberdollars findet, kaufen die drei dem Flem Snopes das Franzosen -Grundstück ab. Sie entdecken zu spät, daß nicht alle der von ihnen ans Licht geförderten Münzen in den Jahren des Sezessionskrieges geprägt sind. Flem aber ist durch den einträglichen Grundstücksverkauf in die Lage versetzt, in die nächste größere Stadt zu übersiedeln, nach Jefferson.
An diese Begebnisse aus dem Roman "The Hamlet" hat Faulkner in "The Town" angeknüpft: Der jüngste Roman des Schriftstellers schildert, wie die Snopes auch die Stadt Jefferson in der Art einer Rattenplage durchdringen.
Nicht alle Snopes haben allerdings bei ihren Unternehmungen in Jefferson gehörigen Erfolg. Byron Snopes, als Buchhalter in der Sartoris-Bank beschäftigt, wird bei Unterschlagungen ertappt, doch gelingt es ihm, der Polizei zu entfliehen. Montgomery Ward Snopes, der während des ersten Weltkrieges in Frankreich beim Train war, macht Sich seine Pariser Weltstadt-Erfahrungen zunutze und führt im Hinterraum eines photographischen Ateliers gegen hohe Eintrittsgelder obszöne Bilder vor: Auch er muß, als der Skandal ruchbar wird, die Stadt verlassen. Wieder ein anderer Snopes betreibt am Stadtrand ein lukratives Geschäft: Gemeinsam mit einem Viehbesitzer, der dabei tödlich verunglückt, jagt er gelegentlich Zugtiere auf die Eisenbahnschienen und kassiert, wenn die Tiere erwartungsgemäß von der Lokomotive erfaßt werden, bei der Eisenbahngesellschaft beträchtliche Ersatzzahlungen.
Am zielstrebigsten aber verhält sich Flem Snopes, der es in Jefferson zunächst zum stillen Hotel-Teilhaber, sodann zum Inspektor beim städtischen Kraftwerk, endlich sogar zum Bank-Vizepräsidenten gebracht hat. Mit kühlem Bedacht überläßt er bald nach seiner Ankunft in Jefferson, seine Frau Eula dem ersten Mann der Stadt, dem Bankpräsidenten und Bürgermeister De Spain, als Geliebte. Auch als es auf einem Ball zwischen dem ebenfalls, wenn auch aussichtslos in Eula Snopes verliebten Rechtsanwalt Gavin Stevens und dem Bürgermeister De Spain zu einer Eifersuchtszene kommt, ignoriert Flem die stadtbekannten Zusammenhänge.
Eulas voreheliche Tochter Linda wächst inzwischen zu einem fast ebenso sinnverwirrenden Geschöpf heran, wie es in deren Jugendjahren in "Frenchman's Bend" ihre Mutter gewesen ist. Der eingefleischte Junggeselle Gavin Stevens überträgt seine Liebe zu Eula auf Linda.
Eula bittet schließlich Gavin Stevens, Linda zu heiraten, und der Rechtsanwalt ist schwach genug, Eula diese Heirat zu versprechen. Im Verlauf des Gesprächs vertraut Eula dem befreundeten Gavin das Geheimnis ihrer Ehe an: Ihr Mann Flem ist impotent. Die untadelige Sittenstrenge, der er seine Position als hochgeachteter Mitbürger verdankt, beruht auf keiner moralischen Leistung.
In der Nacht nach diesem Gespräch erschießt sich Eula. Ihrem Mann, Flem Snopes, schien nämlich die Zeit für seinen größten Coup reif geworden zu sein. Er hatte Eula und De Spain überraschend als Ehebrecher angeprangert. So wird De Spain seines Postens als Bankpräsident enthoben und muß Jefferson verlassen. Flem Snopes wird endlich als Nachfolger von De Spain Bankpräsident und kann auch die von De Spain bewohnte Villa beziehen.
Faulkner beendet seinen Roman "The Town" mit einer derbkomischen Episode, in der sich die ungebrochene Animalität der Snopes-Sippe noch einmal auslebt. Mit der Eisenbahn trifft in Jefferson ein Rudel verwilderter Kinder ein, das die halbe Stadt für einige Zeit in Atem hält. Die Eltern dieser vier Kinder sind eine der Snopes-Sippe gänzlich, fremde Indianerin und jener Bank-Defraudant Byron Snopes, der seinerzeit vor der Polizei nach Mexiko entwischen konnte. Jetzt soll der vermögende Onkel Flem die vierköpfige Brut, die alle Betten zerfetzt und jeden Erziehungsversuch mit gezücktem Messer abwehrt, unter sein Patronat nehmen.
Flem Snopes zeigt sich indessen auch dieser Störung gewachsen. Wie sie gekommen sind - jedes einen Gepäck-Anhänger um den Hals -, läßt er die vier verwilderten Kinder ungerührt wieder dorthin verfrachten, von woher die Eisenbahn sie gebracht hat.
Zu Faulkners Roman "The Town", der im vergangenen Jahr in New York erschien, notierte das englische Literaturblatt "The Times Literary Supplement", die Prosa des Autors sei "ein fortwährendes Forschen nach dem treffenden Wort". Oft sei Faulkner "plump, widerwärtig und gestelzt" ("clumsy, ugly and stilted"), beraube seinen Satzbau gewaltsam der Klarheit und türme Nebensatz auf Nebensatz. Es gebe aber Romanabschnitte, in denen der "Nebel der Worte" den Leser in die schmerzende Heftigkeit der Szene hineinzureißen scheine, so daß er Faulkners Figuren nicht nachempfinde, sondern in ihnen stecke. Flem Snopes hingegen bleibe "durchweg in eine gewisse Distanz gerückt". Nach der Lektüre von "The Town" wisse der Leser nicht, ob Flem Snopes je Qual oder Schmerz ausgestanden habe.
Dieser Abstand, der zwischen Flem und den Lesern offenbleibt, beruht allerdings im wesentlichen auf einem Kunstgriff, den Faulkner bereits in einigen anderen seiner Romane angewendet hat: Er läßt, statt die Handlung zu erzählen, alternierend einige der beteiligten Personen ihre eigenen Erlebnisse schildern. Auch die teils längeren, teils kürzeren 24 Romankapitel des Romans "The Town" - das elfte besteht aus nur drei Druckzeilen - sind solche persönlich gehaltenen Kommentare, in denen sich die Begebnisse zuweilen überschneiden
Die Eindeutschung des Romans "The Town" - die deutsche Ausgabe soll im Herbst dieses Jahres erscheinen - wird die Übersetzer mit einigen Problemen konfrontieren, die bei den bereits vorliegenden Übersetzungen bisher nicht immer befriedigend gelöst worden sind. So hat - einige Beispiele für viele - etwa in der deutschen Fassung von "The Hamlet" ("Das Dorf") die amerikanische Gepflogenheit Eingang gefunden, auch vor der direkten Rede - die deutsche Rechtschreibung erheischt in diesem Fall als Interpunktion einen Doppelpunkt - ein Komma zu setzen, was ein im Deutschen ungewohntes Schriftbild ergibt. Befremdlich wirken in dieser Übersetzung auch Koppelwörter wie "Nuja", "Naja", "Soso" (für: "Nun ja", "Na ja", "So, so") oder jene Wiedergaben Faulknerscher Metaphern, die sich auf deutsch auch geschmeidiger nachbilden ließen als so: "eine kaleidoskopische Ballung säugetierischer Ellipsen" - "die ungegürtete Atmosphäre der Göttinnen im Homer und Thukydides" - "eine wintergemäße Konzentration von unbeweibtem und gezieltem Tabakspucken".
Welche Verwirrung mit sorglosen Faulkner-Übersetzungen angerichtet werden kann, demonstriert als Paradebeispiel der heute nachträglich nicht mehr reparierbare Lapsus, der Faulkners Romantitel "Light in August" zu "Licht im August" enstellt hat. "Light" bedeutet hier nämlich nicht "Licht", sondern wurde von Faulkner mit Bezug auf eine in dem Roman vorkommende Geburt als Slang-Form für "lightened" - zu deutsch: erleichtert, entladen, entbunden - verwendet.
Inzwischen hat es sich bei den Experten herumgesprochen, daß auch der Faulkner -Titel "Requiem für eine Nonne" - Teile des Romans werden als Schauspiel aufgeführt - den Doppelsinn des Originaltitels nicht wiedergibt. Das letzte Wort in "Requiem for a Nun" beinhaltet nämlich eine Anspielung auf den Zwangsaufenthalt der Romanheldin Temple Drake in einem öffentlichen Haus - in Analogie zu dem Slang-Ausdruck "Nunnery", der das Gegenteil von "Nonnenkloster" bezeichnet.
* William Faulkner: "The Town"; Verlag Random House, New York; 371 Seiten; 3,95 Dollar
** William Faulkner: "Das Dorf"; Henry Goverts Verlag. Stuttgart: 415 Seiten: 24 Mark.
Faulkner-Film "Wendemarke": Der Autor schreibt nur ...
Autor Faulkner
... wenn es regnet
Szenenbild aus "Requiem für eine Nonne"*: Das Gegenteil eines Klosters
* Inszenierung des Düsseldorfer Schauspielhauses mit Heidemarie Hatheyer und Mathias Wieman.