KÜSTE De Negers
Wann immer der Dichter Theodor Storm, vor hundert Jahren Amtsrichter zu Husum, daheim aufs Wattenmeer hinaushörte, vernahm er "des gärenden Schlamms geheimnisvollen Ton" -- das Saugen und Schmatzen von Pierwürmern, Schlick-Krebsen und Wattschnecken. Sein Poem "Meeresstrand" endet: "So war es immer schon".
Damit es auch weiterhin so bleibe, rief im Sommer 1971 Professor Bernhard Grzimek, damals noch Bundes-Naturschutzbeauftragter, zur Rettung der nordfriesischen Watten und ihrer auf der Erde einzigartigen "Naturausstattung" vor drohenden Zivilisationsschäden auf.
Wolfgang Erz, Direktor bei der Bundesanstalt für Naturschutz, der nunmehr Grzimeks Aufgaben wahrnimmt, interessierte die Uno für das Projekt, die zusicherte, die von Industrialisierung und Fremdenverkehrsrummel bislang verschont gebliebene Region der Sände und Halligen bei Erfüllung international verbindlicher Auflagen als Nationalpark anzuerkennen und zu fördern. Im Frühjahr nun will Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsminister Ernst Engelbrecht-Greve im schleswig-holsteinischen Landtag eine Gesetzesvorlage für einen "Nationalpark nordfriesisches Wattenmeer" einbringen -- den ersten Naturpark nach US-Standard auf deutschem Boden.
Auf 160 700 Hektar Wattenfläche zwischen der deutsch-dänischen Seegrenze und der Halbinsel Eiderstedt soll danach "die Natur in ihrer Gesamtheit erhalten", die "Beseitigung von Bestandteilen des Nationalparks --- Zerstörung, Beschädigung oder Veränderung" verboten und die Jagd beispielsweise auf Enten und Seehunde nur noch zur liege gestattet werden. An den Stränden und Deichen der aus dem Watt ragenden fünf Inseln Sylt, Föhr, Amrum, Pellworm und Nordstrand sowie an den zehn Halligen endet das -- Park-Areal; auch bleibt die Fischerei zugelassen.
Den Anrainern der im Gezeitenrhythmus täglich zweimal dem Meer anheimfallenden Landschaft, alteingesessenen Leuten vom Stamme der Friesen, ist die internationale Aufwertung ihrer urigen Einöde dennoch nicht geheuer. Friese Willi Hansen etwa, Bürgermeister von Nordstrand, fürchtet um den Verlust "traditioneller Rechte, wozu die Wattmenschen beispielsweise das Stechen von Pierwürmern als Angelköder rechnen. Die Köderschürfe dürfen die Friesen zwar auch weiterhin betreiben, durch das Naturpark-Reglement unterbunden werden sollen dagegen gewisse andere inselübliche "Eigenmächtigkeiten", wie sich der schleswig-holsteinische Naturschützer Manfred Carstens ausdrückt.
Denn auch das ist Friesenart, daß im Winter müßiggehende Viehzüchter sich im trockengefallenen Watt in Blechtonnen verbergen, um aus solchen Schützenlöchern Enten vom trüben Himmel zu holen, und der naturgeschützten Ringelgans (Branta bernida) stellen die Nordmänner gar mit der Begründung nach, sie vertilge das Gras der Viehweiden. Sich und ihren Gästen bereiten Hallig- und Inselwirte gern Omeletts aus den Eiern geschützter Vogelarten, und natürlich wie die Versorgung ist auch die Beseitigung ihrer Folgen -- die Abwässer der Hallig Hooge zum Beispiel, wo 250 Fremdenbetten stehen, fließen nur grob gefiltert in den künftigen Nationalpark.
Aber an überlieferten Privilegien festzuhalten, gehört zum Watt wie die Würmer. Klaus Hinz zum Beispiel, Pächter der landeseigenen Hallig Süderoog, requirierte letzten Sommer in der Süderooger Station des "Deutschen Bundes für Vogelschutz" elf Packen Ansichtskarten mit dem Hinweis: "Wenn hier wat verköfft ward, mok ik dat.
Gleichwohl geht den Insulanern gesundes Erwerbsstreben nicht über alles. Käthe-Ingeborg Beier, Justitiarin im Kieler Landwirtschaftsministerium, versuchte unlängst in Husum, Inselamtmänner und -Bürgermeister für das Naturpark-Projekt mit dem Hinweis zu erwärmen, daß die "Internationale Union für Naturschutz", die im UN-Auftrag Nationalparks und Reservate kontrolliert, auch Forschungsmittel für die Region spendieren werde.
Prompt kam aus dem Kreis der Watt-Oberen, die an Grzimeks Serengeti-Filme denken mochten, der Einwand: "Dann hebbt wi hier de ganzen Negers und de annern Lud."