PROFESSOREN Fünftes Rad
An der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster rühmte Rektor Werner Knopp am Dienstag letzter Woche einen Gelehrten, er habe durch sein "politisches wie wissenschaftliches Engagement die öffentliche Diskussion stets angestoßen und befruchtet". Dann legte er ihm das Bundesverdienstkreuz um.
Im benachbarten Bielefeld freilich, wo der Gelehrte fünf Jahre lang wirkte, fühlten sich Kollegen durch die Ehrung düpiert. Soziologie-Professor Christian von Ferber empfand sie als einen "Schlag ins Gesicht", denn "hier wird jemand geehrt, den wir für seine Nichtbeteiligung an der Selbstverwaltung gerügt haben".
Lob wie Tadel galten dem vielzitierten Soziologie-Professor Helmut Schelsky, der jüngst den Hochschulexperimentierplatz Bielefeld räumte und an die altehrwürdige Alma mater in Münster umzog.
Es war mehr als ein Arbeitsplatzwechsel; es war das Bekenntnis eines Mannes, der einst das Schlagwort von der "skeptischen Generation" prägte und der als einer der ersten in der Bundesrepublik einer Hochschulreform das Wort redete.
In einer Zeit, "als Planung noch ein böses Wort war", erinnert sich Nordrhein-Westfalens Wissenschaftsstaatssekretär Herbert Schnoor, "hat Schelsky schon Entwürfe zur Erneuerung der Universitäten entwickelt". Er entwarf das Konzept für die 1968 gegründete Reformhochschule in Bielefeld; und auch Fachkollegen wie Ferber, die heute mit Schelsky zerstritten sind, billigen ihm "höchstes Verdienst" bei der Etablierung der Soziologie als Hochschuldisziplin zu. Auf Schelskys Betreiben wurden in den fünfziger Jahren Studienpläne und Prüfungsordnungen für das in Deutschland bis dato eher mißachtete Fach erlassen.
Doch als in den späten sechziger Jahren Hochschulen wie Politiker auf Linksdrift gingen, mußte der Gelehrte und Bestsellerautor ("Soziologie der Sexualität") erkennen, daß sein ursprüngliches Bildungs- und Gesellschaftskonzept von neuen Ideen verdrängt wurde. Im Staat kamen die Sozialdemokraten zu Ehren (Schelsky: "Meine Sympathien galten immer der Opposition"), und an den Hochschulen wurde qua Gesetz mehr Mitbestimmung für Studenten und Assistenten verordnet, als dem Alt-Ordinarius recht war.
Auf den neuen Kurs reagierte der Soziologe nach einem Psycho-Muster" das er in seinem Buch über die skeptische Nachkriegsgeneration beschrieben hatte. Er zog sich ins "Private" als "Refugium gegen die Übermacht" einer sich ihm entfremdenden Umwelt zurück. 1971 gab er sein Amt als geschäftsführender Direktor des Bielefelder Zentrums für interdisziplinäre Forschung samt Sitz im Senat und anderen Hochschulausschüssen auf.
Auch politisch ging Schelsky auf Distanz zu seinen Kollegen, die wie der Bielefelder Soziologie-Dekan Theodor Harder in dem einst eher liberal gestimmten Forscher jetzt einen "subtilen Ideologen des Neokonservativismus" sehen. Vor den letzten Bundestagswahlen hatte Schelsky parteipolitisches Engagement von Wissenschaftlern noch als "professoralen Bekenntnisdrang" und "politisch sachfremde Titelverwertung" abqualifiziert.
Doch als Ende September die Christsozialen in München Parteitag hielten. war plötzlich auch der Professor Schelsky dabei. Er attackierte vor den Delegierten der Strauß-Partei den "Wohlfahrtsstaat" als "moderne Form der Sklaverei"; monotone Fließbandarbeit lobte er wegen der "vielen Hilfsschüler, die in diesen Formen produktiv sind und ihr Selbstbewußtsein daraus ziehen".
In der "FAL" ging der Professor mit dem "Prinzip Demokratie" ins Gericht. Da "mehr Demokratie" zugleich "mehr Konflikte", "weniger Rationalität". "mehr Herrschaftsansprüche" und "weniger Sachlichkeit" bedeute, plädierte Schelsky für die "Aufteilung der Herrschaftsgewalt auf verhältnismäßig selbständige Institutionen", in denen, gleichsam ständestaatlich, die Auswahl der Führungseliten "unter dem Gesichtspunkt der Sachkompetenz erfolgen" sollte. "Allgemeine politische Überzeugungen", lehrte Schelsky" "hätten dabei zurückzutreten."
Je mehr sich der Soziologe in der Öffentlichkeit als Polit-Visionär profilierte, desto weniger Zeit blieb ihm freilich für die Mitarbeit in den Gremien der heimischen Fakultät. Zwar legte der "Großforscher" (Kollege Peter Schöber über Schelskyj zuweilen brieflich Protest gegen Fakultätsentscheidungen
etwa eine neue Prüfungsordnung für Soziologen oder Berufungen -- ein; an den Abstimmungen selbst aber nahm er nur selten teil. Schließlich, im Februar dieses Jahres, schickte der damalige Soziologie-Dekan Christian von Ferber dem mitbestimmungsmüden Professor eine Rüge wegen häufigen unentschuldigten Fehlens ins Haus.
Da hatte Schelsky ("Das hatte mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun") genug. Er bat den nordrheinwestfälischen Wissenschaftsminister Johannes Rau, er möge ihn samt Lehrstuhl an die Universität Münster versetzen, wo er künftig im juristischen Fachbereich als Rechtssoziologe zu wirken gedenke. In Bielefeld, begründete Schelsky letzte Woche im privaten Gespräch, habe er sich ohnehin "als fünftes Rad am Wagen" gefühlt. Und·. "Warum sollte ich die Rüge nicht als Sprungbrett benutzen?"
Obgleich die Versetzung eines Professors -- anstelle der üblichen Berufung -- ein Novum in der westdeutschen Hochschulgeschichte ist, gewährte Minister Rau dem Soziologen den Ortswechsel; und die Münsteraner nahmen ihn trotz "grundsätzlicher Bedenken" gegen dieses Verfahren (Senatsbeschluß> in ihren Lehrkörper auf.
In Bielefeld trauerten dem subtilen Konservativen vor allem die ganz linken Studenten nach. "Sie müssen wissen", bekannte letzte Woche einer von ihnen, Albrecht Boeckh vom kommunistischen "Spartakus", "er war bei uns ein beliebter Prüfer."