SPIELAUTOMATEN Das kleine Glück
Statistiker und Psychologen der Mainzer Universität saßen inkognito in Spelunken und Spielhallen und beobachteten junge Gäste beim Geldverplempern: wie sie Groschen um Groschen in die Schlitze von Spielautomaten steckten und mit der Chance auf zwei Mark Gewinn Ärger und Ängste. Leere und Langeweile kompensierten.
Es war die erste umfassende kriminologische Untersuchung über das Spielen an Automaten und die von jeher vermutete Sozialschädlichkeit jener einarmigen Banditen in der Bundesrepublik. Die Beobachtung der Spieler vor Ort sowie Interviews mit 492 jungen Männern, einer repräsentativen Gruppe zwischen 17 und 26 Jahren. waren selbst für das 13köpfige Mainzer Forschungsteam überraschend.
"Die Ergebnisse". urteilt Teamleiter Armand Mergen, Professor der Kriminologie, in seinem jetzt veröffentlichten Forschungsbericht*, "werden bei vielen Erziehern und Pädagogen zum Umdenken führen müssen: Denn während Fachleute wie etwa Hans Seidel vom Bundeskriminalamt bislang stets "vorausgesetzt" hatten, "daß es eine Jugendgefährdung durch Automaten gibt", kam Mergen bei der Erfüllung eines Forschungsauftrages zu entgegen-
* Armand Mergen: "Spiel mit dem Zufall", Goldmann Verlag, München: 109 Seiten: 18 Mark.
gesetzten Schlüssen: "Grundsätzlich" sei das Spiel mit den Groschen "nicht schädlich" und auch "nicht verbrechenfördernd" --
Im Gegenteil: Für "nicht ausgereifte Menschen" in "Entwicklungskrisen" in einem Spannungsstau oder in depressiver Verstimmung" kann das kleine Glück in der Kneipe nach Ansicht des Mainzer Kriminologen sogar "nützlich sein es trägt dazu bei, "ein momentanes Abgleiten in auffälliges (sogar kriminelles) Verhalten abzufangen".
110 000 bis 120 000 Spielautomaten mit Gewinnmöglichkeiten hängen in westdeutschen Lokalen an der Wand (nur vier Prozent davon sind in Spielhallen aufgestellt). und die Hälfte der männlichen Bevölkerung hat -- im Gegensatz zu nur sieben Prozent der Frauen -- Erfahrungen mit dem Gerät. Fast drei Viertel der von Mergen befragten jungen Leute spielen regelmäßig, dann und wann oder haben's schon einmal getan. Weitaus am meisten aber fühlen sich junge Strafgefangene zu den Glückspiel-Automaten hingezogen.
Außer 236 Bundeswehrsoldaten der Standorte Koblenz, Mainz und Worms. 60 Wiesbadener Polizeischülern, 76 Studenten aus dem Rhein-Main-Gebiet und 49 Schülern des Deutschen Entwicklungsdienstes hatte das Mergen-Team auch 71 Gefangenen der Vollzugsanstalten Wittlich und Rockenberg seine Testbogen vorgelegt.
Jeder fünfte Student und Soldat, jeder vierte Polizist und jeder dritte Entwicklungshelfer, aber nur 2,8 Prozent aller befragten Delinquenten gaben bei der Repräsentativ-Umfrage an: "Ich spiele nie" Die anderen tun es durchweg zu ihrer Unterhaltung -- um des Spielens willen und nicht wegen des Gewinns.
Das Forscherteam ermittelte, daß die hohe Spielleidenschaft vor allem Straffälliger "in keiner Beziehung zu ihrem delinquenten Verhalten steht". Bei der Auswertung der Testbogen konnte Mergen, Präsident der Deutschen Kriminologischen Gesellschaft, "keine Anhaltspunkte" dafür finden, "daß das Spielen an Geldautomaten die soziale Einstellung, die Charakterstruktur oder die psycho-physische Entwicklung" der Interviewten "beeinträchtigt hätte",
Daß Gestrauchelte die eifrigsten Spieler waren, erklären die Mainzer Forscher vielmehr mit dem Milieu: Die Strafgefangenen hatten mangels fester familiärer Bindungen weitaus öfter ihre Freizeit im Wirtshaus verbracht als die übrigen Testpersonen. 67,6 Prozent der Delinquenten, aber nur 32,9 Prozent der Studenten und 41,7 Prozent der Polizisten fühlen sich "auf der Suche nach Geborgenheit" (Mergen) zu einer Stammkneipe hingezogen -- zum Flippern und Pokern und zum Zweikampf mit dem klappernden Banditen an der Wand.