HOCHSCHULEN Im Griff
Nach dem Urteil seiner Kollegen hat Dr. Wolfgang Engelmann, 38, habilitierter Assistent im Lehrbereich für Allgemeine Botanik an der Universität Tübingen, "einmalige Forschungsergebnisse" zutage gefördert, die "Wissenschaftlern in aller Welt" zugute kommen.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert Engelmanns Arbeit über "Methoden zur quantitativen Zeitmessung in bezug auf biologische Rhythmen" mit einer halben Million Mark. Engelmann ist zudem ein gefragter Dozent an der benachbarten Medizinischen Fakultät.
Baden-Württembergs Kultusministerium aber hat dem Forscher durch die Universitätsverwaltung kündigen lassen.
Dr. Dieter Stöffler, 34, habilitierter Assistent am Mineralogischen Institut derselben Universität, gilt als Mitbegründer der Planetologie, der Geologie von Planeten. Er ist Forschungspartner der US-Raumfahrtbehörde Nasa und der einzige deutsche Hochschulwissenschaftler, der Mondgestein aus allen Apollo-Unternehmen untersucht.
Stöffler (Institutsleiter Professor Wolf von Engelhardt: "Bester wissenschaftlicher Nachwuchs") leitet das Labor für Elektronenstrahlen-Mikro-Analyse und verfügt über einen Zweieinhalb-Millionen-Etat,
Auch er bekam ein Kündigungsschreiben.
Dr. Burkhard Gladigow, 33, habilitierter Hochschullehrer am Philologischen Seminar in Tübingen, arbeitet an einer Studie über die "poetische Darstellung naturwissenschaftlicher Probleme in der Antike". Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert dieses Werk mit einem Zuschuß von 30 000 Mark.
Aber auch Gladigow muß sich einen neuen Arbeitsplatz suchen. Er gehört wie Engelmann und Stöffler zu den 16 Tübinger Nachwuchsdozenten, die als Beamte auf Widerruf forschen und lehren. Und widerrufen hat nun das Stuttgarter Kultusministerium: um "die zu erwartende neue Lehrkörperstruktur
in den Griff zu bekommen", wie Oberregierungsrat Manfred Erhardt erläutert.
An westdeutschen Hochschulen, so sieht es ein Gesetzentwurf des Bundesrates vor, soll es künftig nur noch beamtete Professoren auf Lebenszeit und angestellte wissenschaftliche Mitarbeiter geben. Auf der Strecke bleiben dann habilitierte Assistenten, die keiner der beiden Kategorien zuzuordnen sind -- die aber gleichwohl ihre Hochschullaufbahn zumeist in der Überzeugung und häufig auch mit der Zusage ihrer Professoren begonnen haben, einmal beamtete Dozenten zu werden. "Das ist tatsächlich so etwas wie Gewohnheitsrecht. Mir ist wenigstens kein Fall bekannt, wo es nicht so gelaufen wäre", sagt Dieter Stöffler.
Durch ihre Forschungs- und Lehrtätigkeit zu Spezialisten herangereift, sehen die sechzehn Tübinger "keine Möglichkeit, nun plötzlich auf einen anderen Job umzusteigen" (Biologe Engelmann). Und das Angebot der Universitätsleitung, "bis auf weiteres" als wissenschaftliche Angestellte weiterbeschäftigt zu werden, lehnen sie als "unzumutbar" (Stöffler) ab weil das "eine Zurückstufung in eine mindere Position und eine monatliche Einkommenseinbuße von rund 250 Mark bedeuten würde".
Das Argument des Kultusministeriums, die Widerruf-Aktion ziele auch auf dringend gebotene Einsparungen, halten Assistenten und Professoren für "eher dümmlich" (so ein Institutsleiter). denn: "Einerseits sparen sie ein paar Gehälter, andererseits aber verlieren sie Forschungsgelder von Fördererorganen wie der VW- oder der Thyssen-Stiftung oder der Deutschen Forschungsgemeinschaft." Langjährige Entwicklungen, so halten die Habilitierten entgegen, mußten gekappt werden, Doktoranden und Examenskandidaten werde die Arbeitsgrundlage genommen, kostspielige Geräte drohten ungenutzt zu verstauben.
Daß all dies vermeidbar ist, demonstrierte das Kultusministerium selber. An den anderen Universitäten des Südweststaates -- so in Heidelberg und Freiburg, in Konstanz und Stuttgart -- wurden habilitierte Assistenten in vergleichbaren Situationen ohne Aufsehen zu Beamten auf Lebenszeit gemacht: 16 als wissenschaftliche, 34 als Akademische Räte und 63 als Dozenten.
Daß ausgerechnet die Tübinger ohne Chance bleiben sollen, erklären die betroffenen Assistenten mit der politischen Passivität des Tübinger Mittelbaus und der Laschheit der eigenen Universitätsverwaltung. Stöffler: "Offensichtlich hat man in Stuttgart den Eindruck: Die sind brav und fromm, mit denen kann man es am ehesten versuchen."
Ministerialdirigent Hans Joachim Szotowski, Leiter der Hochschulabteilung II des Kultusministeriums. weist solche Deutung zurück: "Wenn an anderen Universitäten solche Fälle nicht zu verzeichnen sind, dann nur deshalb, weil wir dort nicht die gleiche Überbesetzung in den kleinen Fächern haben." Im übrigen sei man bereit, alle Kündigungen noch einmal zu prüfen. Erstes Ergebnis: Bei drei der Gekündigten, darunter Dieter Stöffler, wurde der Widerruf widerrufen.
Die Tübinger Prozedur könnte zum Modellfall geraten für Tausende von Nachwuchswissenschaftlern, die als Beamte auf Widerruf an den 127 Universitäten und Hochschulen der Bundesrepublik lehren. Als Dozenten oder Assistenzprofessoren mit meist vierjährigen Dienstverträgen sollen sie ihre Eignung zum Professor auf Lebenszeit in der praktischen Hochschularbeit beweisen. Kein Kultusminister mochte ihnen bislang eine Dauerstellung garantieren.
Der nächste Konflikt zeichnet sich in West-Berlin ab, wo allein 543 Assistenzprofessoren um ihre Arbeitsstelle fürchten. Dem drohenden Platzverweis suchen die Dozenten auf ungewöhnliche Weise vorzubauen. Unter der Rubrik "Stellengesuche" annoncierten sie in der "Zeit": "Welches Land der Bundesrepublik Deutschland oder welche Universität des deutschsprachigen Auslandes ist in der Lage, ab 1974 500 Hochschullehrer zu übernehmen? Die Bewerber sind hochqualifiziert"