KREBS Die Kobalt-Kanone
Wenn das Warnzeichen schnarrt, gehen Ärzte und Schwestern hinter einer dicken Schutzwand in Deckung. Zurück bleibt allein der krebskranke Patient auf einer Bahre. Über ihm schwebt die Mündung eines neuartigen Geräts zur Krebsbehandlung, das von den Ärzten mit der an Atomwaffen erinnernden Bezeichnung "Kobalt-Kanone" bedacht worden ist.
An einem Steuerpult im Nachbarraum, hinter der dicken Schutzwand, betätigt ein Mediziner den Schalter, der die Mündung der "Kanone" öffnet, und minutenlang prasselt durch den Schußkanal des Geräts energiereiche Strahlung auf die Krebsgeschwulst des Patienten.
Ähnlich wie bei der. Röntgen-Tiefenbestrahlung von Krebsherden pendelt der strahlenspeiende Schußkanal langsam hin und her, damit verschiedene Hautpartien abwechselnd getroffen werden, die Geschwulst im Körperinneren aber unter ständigem Beschuß bleibt. So werden Strahlenschäden auf der Haut vermieden und die gesunden Körpergewebe vor und hinter dem Krebsherd geschont.
Der Patient spürt kaum die Wirkung der Strahlen, die den Krebsherd zerstören. Lediglich einige Minuten nach der Behandlung empfindet er eine wohlige Wärme auf der Haut, die sich an der bestrahlten Stelle rötet.
Auf diese Weise werden seit einiger Zeit erstmals in vier deutschen Krankenhäusern - im Heidelberger Czerny-Krankenhaus und in den Strahlen-Instituten der Universitäten Bonn, Berlin und Hamburg - Krebsgeschwulste mit Radio-Kobalt behandelt, "der stärksten Medizin, die jemals von Menschenhand geschaffen wurde", wie die amerikanische Atom-Energie-Kommission die Wirkung der Strahlen-Therapie einst beschrieb. "Gammatron" ist der offizielle Name des neuen Geräts für die Krebstherapie, weil es wie das Radium - kurzwellige Gamma-Strahlen aussendet.
Die Konstruktion der "Kobalt-Kanonen", die kürzlich an die deutschen Krankenhäuser ausgeliefert wurden, ist höchst simpel. Im Gegensatz zu den meisten komplizierten Atomgeräten bestehen sie nur aus einem fingerkuppengroßen radioaktiven Stück des Elements Kobalt und einem sorgfältig ausgetüftelten Schußkanal. Alles andere ist technisches Beiwerk: ein bis zur Zimmerdecke reichender Metallständer, ein verstellbarer Arm, der den 550 Kilogramm schweren Strahlerkopf trägt, und ein Motor, der das Gerät in pendelnde oder rotierende Bewegung versetzt.
Die Behandlung mit der "Kobalt-Kanone" ist gewissermaßen die perfekte Radium-Therapie, wie sie den Ärzten für die Krebsbehandlung vorschwebte, seit das Ehepaar Curie das seltene strahlende Element im Jahre 1898 entdeckte. Das Radium aber kommt nur in winzigen Mengen vor, so daß man es für eine breit angewandte Therapie nicht nutzen kann: Nach den Schätzungen der Forscher gibt es auf der Welt nur insgesamt ganze 2,5 Kilogramm des weißglänzenden metallischen Elements. In den dreißiger Jahren, in denen es als das kostbarste Metall galt, wurden für ein Gramm Radium 100 000 bis 200 000 Reichsmark gezahlt.
Das radioaktive Kobaltpräparat, das den "Kobalt-Kanonen" als Strahlenquelle dient, ist wesentlich billiger. Das fingerkuppengroße Kobalt-Röllchen im "Gammatron" kostet 50 000 Mark. Doch die Strahlung, die es durch den Schußkanal auf die Krebsgeschwulst sendet, entspricht der Strahlung eines zwei Kilogramm schweren Radium-Klotzes.
Die in Heidelberg, Bonn, Berlin und Hamburg aufgestellten Apparate sind von den Siemens-Reiniger-Werken in Erlangen konstruiert worden: Nur die Röllchen aus dem silbergrauen Metall Kobalt, das in Atom-Reaktoren radioaktiv gemacht wird, können in Deutschland vorerst nicht hergestellt werden. Die deutschen Kliniken importieren sie aus Kanada, wo die Physiker des kanadischen Atom-Zentrums die winzigen Kobaltstäbchen - zwei Zentimeter Durchmesser, ein Zentimeter Länge - drei Jahre lang in der Strahlenhölle ihres Atom-Ofens "braten" lassen.
Die Röllchen sind dann so radioaktiv, daß auch ein kurzfristiger Aufenthalt in ihrer Nähe lebensgefährlich ist, wenn die Strahlung nicht, wie bei der Behandlung von Krebskranken, sorgfältig gezielt und dosiert wird.
Die ersten Ergebnisse der Bestrahlungen - es wurden vorwiegend tiefsitzende krebsgeschwulste behandelt - mit dem Gammatron sind ermutigend. Von Heilerfolgen wollen die Mediziner allerdings noch nicht sprechen, weil es üblich ist, eine günstig verlaufende Behandlung erst fünf Jahre nach Behandlungsbeginn als Heilung zu bezeichnen. Immerhin konnten die Ärzte aber bereits von beachtlichen Primär-Erfolgen berichten - die Geschwulste begannen nach dem Beschuß durch die "Kobalt-Kanone" zu schrumpfen und verschwanden schließlich.
Die Siemens-Reiniger-Werke in Erlangen bereiten jetzt die Auslieferung eines kleinen "Gammatrons" vor; es gibt eine Strahlung ab, die einer Menge von nur 1,3 Kilogramm Radium entspricht. Dieses "Gammatron 2" wurde konstruiert, weil wenige Krankenhäuser in Deutschland über die Mittel zum Ankauf eines großen Geräts verfügen. Die große "Kobalt-Kanone" kostet nämlich rund eine Viertelmillion, die kleine dagegen mit allem Zubehör knapp 150 000 Mark.
Deutsches "Gammatron": Strahlen gegen Krebs