WOHNUNGSBAU / NEUE HEIMAT Die Bauland-Fresser
Der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Ernst Pernoll (Wahlkreis 36, Harburg-Soltau) fühlte sich im neuen Jahr von Berufs wegen zu einer blut- und bodenverbundenen Mission legitimiert, die ihn neben seinem Parlamentarier-Amt in Atem hielt. In seiner Hauptprofession ist Pernoll noch Geschäftsführer des Hamburger Bauernverbandes; in dieser Eigenschaft erachtete er es als seine vornehmste Bürgerpflicht, den Landwirten in den Randzonen des hanseatischen Stadtstaates Bauernmoral zu predigen.
Er warnte sie eindringlich, vor dem Moloch Großstadt und den Grundstücksspekulanten zu kapitulieren, die "zur Zeit wie Heuschreckenschwärme über die Bauern herfallen" und ihnen ein müheloses Einkommen versprechen, wenn sie ihre Äcker und Weiden als Bauland verkaufen. Mit der düsteren Warnung: "Bis jetzt hat noch kein Bauer, der seinen Hof aufgab, Glück und Reichtum geerntet", schreckt Pernoll seine Verbandsmitglieder. Er will die letzten bäuerlichen Stadtrandsiedlungen rasserein erhalten.
"Wehe, wenn erst großstädtische Wohnknollen zwischen den Bauernhöfen wuchern", so begründet der Christdemokrat seine Kampagne gegen die Grundstückshändler. "Diese Wohnknollen verbreiten sich zusehends. Daneben entstehen dann Fußball- und Kinderspielplätze. Im Sommer jagen die Großstadtkinder durch die Felder und zertrampeln das Getreide." Pernoll testete vor allem die Bauern der beiden letzten geschlossenen Bauerndörfer auf Hamburger Stadtgebiet, Sülldorf und Neugraben, auf ihre Standhaftigkeit. Obwohl mancher Grundbesitzer durch Landverkauf gern Millionenbauer werden möchte, setzten alle Bauern ihre Unterschrift unter eine Solidaritätserklärung, in der sie bekundeten, keinen Quadratmeter Land an die Großstadt-Baugesellschaften verkaufen zu wollen.
Mit diesen Selbstverpflichtungen will der CDU-Bundestagsabgeordnete Pläne durchkreuzen, die in einem zwölfstöckigen Hamburger Verwaltungsgebäude entworfen wurden, das man im Volksmund "Plettbrett" nennt. In diesem Hochhaus residiert Deutschlands mächtigster Baulöwe, Heinrich Plett, 50, der in Statur und Vitalität die meisten Baumanager überragt. Er hat wegen der unbändigen Baulust, die ihn beherrscht, stets großen Landhunger, und man sagt ihm nach, daß seine Vorratskäufe die Baulandpreise zumindest in und um Hamburg stark in die Höhe getrieben haben.
Dieser Preisanstieg löste schon am
15. Oktober in der Hamburger Bürgerschaft, dem hanseatischen Parlament, heftige Debatten aus. Hamburgs ehemaliger CDU-Bürgermeister Dr. Kurt Sieveking, der nach seiner Ablösung durch den SPD-Veteranen Max Brauer die Rolle des Oppositionsführers übernommen hat, bediente sich der marxistischen Terminologie, als er die Entartung des Baulandmarktes kritisierte: "Wenn wir die Dinge einmal ganz objektiv beim Namen nennen mit den entsprechenden wirtschaftstheoretischen Kategorien, so sehen wir uns hier einem Monopolkapitalismus der großen Baugesellschaften gegenüber."
Der Grundstücksmarkt werde von diesen Gesellschaften monopolisiert, kommentierte Sieveking später. "Durch rigorose Ankäufe treiben sie die Baulandpreise so hoch, daß kein privater Interessent noch Chancen hat, Bauland zu angemessenen Preisen zu erwerben. Diese Gesellschaften, die sich meist gemeinnützig nennen, nehmen Tausenden von Bausparern die Hoffnung, ihren Plan vom Eigenheim zu verwirklichen."
Diese Vorwürfe richten sich vor allem gegen die Baugesellschaft, die der Manager Heinrich Plett von dem zwölfstöckigen "Plettbrett" aus leitet: die Unternehmensgruppe "Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft mbH Neue Heimat". Ihr einziger Gesellschafter ist die Vermögensverwaltungs- und Treuhandgesellschaft des Deutschen Gewerkschaftsbundes mbH.
Der Bankfachmann Plett hat den Gewerkschafts-Baukonzern Neue Heimat nach bewährtem Muster der Privatwirtschaft konstruiert und der Hamburger Dachgesellschaft während der letzten fünf Jahre 27 Tochter- und Enkelgesellschaften angegliedert. Er wurde dazu von denselben Gewerkschaftsführern ermächtigt, die sonst die "Machtkonzentration in der Wirtschaft" als "hochkapitalistische Entartung" geißeln.
Zum zwölfköpfigen Aufsichtsrat gehören außer dem DGB-Vorsitzenden Willi Richter auch die Chefs der wichtigsten Industriegewerkschaften, darunter der radikalste Konzentrationsgegner Otto Brenner, Chef der Industriegewerkschaft Metall.
Mindestens achtmal im Jahr muß der Vorstandsvorsitzende Heinrich Plett dem Aufsichtsrat Rechenschaft ablegen. Er steigt dann vom 12. Stockwerk, der Direktions-Etage, in den Konferenzsaal im stromlinigen Dachaufbau, der dem Rumpf eines Elbdampfers ähnelt. Durch überdimensionale Bullaugen kann man die ganze Hansestadt überblicken.
Unlängst konnte Plett dem Aufsichtsrat berichten, daß der Konzern in diesem Jahr etwa 60 Millionen Mark mehr als im vergangenen Jahr für den gewerkschaftseigenen Wohnungsbau aufwenden wird. (1958 wurden 345 Millionen Mark "verbaut", 1959 sollen mehr als 400 Millionen Mark in Neue-Heimat-Bauvorhaben investiert werden.) Nahezu 100 000 Wohnungen hat die Neue Heimat schon fertiggestellt; sie repräsentieren einen Wert von 1,5 bis 2 Milliarden Mark. Plett plant immer neue Wohnsiedlungen, die der CDU-Opponent Pernoll verächtlich als "Wohnknollen" bezeichnet. Schwerpunkt der diesjährigen Bautätigkeit sind Hamburg, Bremen und Westberlin, wo Plett am 22. Januar die Großbaustelle "Hansaviertel Nord" inspizierte.
Nicht immer können die Aufsichtsräte den Gedankengängen und Finanzierungskunststücken ihres Baumanagers folgen. Vom DGB-Bundesvorsitzenden Willi Richter weiß man, daß er manchmal argwöhnte, Pletts Finanz-Äquilibristik könne dem DGB gefährlich werden. Nur langsam gewöhnten sich die Funktionäre daran, daß Bankschulden von mehreren hundert Millionen Mark nicht unbedingt tödlich sind.
Kommentiert Plett: "Freilich ist die Neue Heimat eine große Schuldenverwaltung. Aber was macht das schon? Der DGB brauchte sich bisher mit keinem Pfennig aus Mitgliedsbeiträgen zu engagieren, sondern hat von der Neuen Heimat noch 4,5 Millionen Mark für den Bau von Gewerkschaftsbürohäusern bekommen. Mit Eigenkapital zu bauen, ist keine Kunst. Das kann jeder Dummkopf. Wir bauen unsere Häuser mit anderer Leute Geld, und wenn wir es vom Teufel holen." Plett holte es bisher aus drei Töpfen: vom Kapitalmarkt, vom Staat (öffentliche Förderungsmittel) und von der Industrie.
Bevor Plett seine Geldbeschaffungsaktionen so elegant einleiten konnte, daß alle Großbanken, die meisten Kreditinstitute und sogar Industriekonzerne wie die Mannesmann AG mitzogen, mußte er 25 Jahre lang alle Bank- und Börsenschliche studieren, einschließlich der Pferdehändlertricks, die auf dem Grundstücksmarkt seit Jahrzehnten üblich sind.
Dieses Studium, bei dem sich Plett nebenbei als Diplom-Volkswirt qualifizierte, begann mit der Banklehre in Kassel, wo Pletts Eltern eine Kolonialwarenhandlung besaßen. Das Abitur holte er mit 21 Jahren nach, als er bei der Staatlichen Hypothekenbank in Berlin und später in der Hypothekenabteilung eines Versicherungsunternehmens beschäftigt war. Die Abendkurse ließen ihn nicht zur Ruhe kommen, so daß er tagsüber am Bankschalter mitunter vor Müdigkeit einschlief.
1933 zog er es vor, seine elementaren Erfahrungen mit Baufinanzierung und Hypothekenvermittlung als Sozius eines Hypothenmakler-Konsortiums zu verwerten. Plett wurde Bürovorsteher der Berliner Maklerfirma D. E. Moeller, die aber nicht nur kommerziellen Zwecken diente. In dem Büro am Nollendorfplatz 6 verkehrten verfemte Sozialdemokrater, die aus ihren Stellungen herausgeflogen waren und nach Brotarbeit suchten. Bei den Razzien der Gestapo wurde auch Bürovorsteher Plett ein halbes dutzendmal verhaftet, "aber länger als vier Wochen", sagt Plett, "habe ich nie eingesessen".
Aus diesem Kreis entfernte er sich 1936, als ihn die Dresdner-Bank-Zentrale in Berlin als Abteilungsleiter für Hypothekenvermittlung und Baufinanzierung engagierte. Zwei Jahre makelte Plett dann in großem Stil und kassierte von den Gewinnbeträgen, die seine Vermittlungstätigkeit der Bank einbrachte, jeweils ein Sechstel als Provision.
Während des. Krieges fand Plett zum erstenmal Gelegenheit, sich nicht nur als Finanzierungsgehilfe, sondern auch als Leiter eines Wohnungsbauunternehmens zu betätigen. Er wurde nach "Gotenhafen" berufen, dem ehemals und auch heute wieder polnischen Gdingen, wo er die Geschäftsführung einer gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft übernahm, die vorwiegend Wohnhäuser für Marinedienstgrade errichtete.
In der Uniform eines Marine-Kriegsverwaltungsinspektors lief Plett von Baustelle zu Baustelle und organisierte den Materialnachschub. Sein fachlicher Vorgesetzter war der Gauwohnungskommissar in Danzig, Heinz Roosch, ein Idealist der Heimstättenbewegung*, der heute - neben Plett - im Gewerkschaftskonzern Neue Heimat als Leiter der Hauptabteilung Finanzierung eine führende Rolle spielt.
Roosch ("Ich bin von Hause aus Wohnungspolitiker") war nach 1933 im Stab des Reichswohnungskommissars gelandet: Dieses Amt hatte Hitler dem nationalsozialistischen Wirtschaftstheoretiker Gottfried Feder übertragen, der die Zinsknechtschaft brechen wollte - ein Unterfangen, das, sogar Hitler als nebulos empfand, so daß er seinen Feder auf einen narrensicheren Posten abschob. Da die Heimstättenbewegung nicht in Fedérs Leitbild paßte, wurde Roosch nach Ostpreußen abgeschoben.
Der Siedlungspraktiker instruierte Plett genau, über volksnahe Wohnungspolitik, mit der sich schon viele Jahre vor der braunen Machtübernahme Philantropen und Sozialpraktiker beschäftigt hatten. In Schlagworten formuliert, hieß Wohnungspolitik: Billige und gesunde Wohnungen für die breiten Schichten, Unterbringung von Arbeitern in Stadtrand-Wohnkolonien, Finanzierung durch Stiftungen und genossenschaftliche Selbsthilfe.
Bereits 1847 gab der königlich-preußische Landbaumeister C. W. Hoffmann den Anstoß zur Gründung einer "Berliner gemeinnützigen Baugesellschaft". "Man hat sich überzeugt", schrieb der Menschenfreund, "daß der Mangel an gesunden, bequemen und billigen Wohnungen für Personen, welche vor dem Proletariat bewahrt werden können und müssen, nie beseitigt werden wird, wenn man die Erbauung neuer, in räumlicher Beziehung genügender Häuser nur der üblen Privat-Spekulation überläßt. Bis dahin habe man "die ganze Angelegenheit fast nur den hartherzigen, geldgierigen, meistenteils mittellosen, mit erborgtem Geld sich durchschwindelnden Baupfuschern überlassen. Und diese haben dann allerdings den Zustand planmäßig verschlimmert, ungesunde Schlupfwinkel, höhlenartige Keller, kalte Dachkammern und feuchte Ställe zu Wohnungen eingerichtet".
Mit fortschreitender Industrialisierung wuchs die Zahl der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften, die von den Kommunen, Berufsverbänden und später auch von großen Industriefirmen gefördert wurden. Daneben entstanden Wohnungsbaugenossenschaften, deren Mitglieder - Arbeiter, Angestellte und Beamte mit niedrigem Einkommen - sich durch Selbst- und Nachbarhilfe billige und gesunde Wohnungen bauten.
Schließlich gründeten auch noch die Gewerkschaften gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften. Diese Unternehmen gingen 1933 mit dem Vermögen der liquidierten Organisationen in den Besitz der nationalsozialistischen Deutschen Arbeitsfront (DAF) über, die ihre wohnungswirtschaftliche Beute nach einigen Ruhejahren gleichschaltete; 1939 wurden alle ehemaligen Gewerkschafts-Bauunternehmen in "Neue Heimat" umgetauft. Plett blieb es vorbehalten, diese Gleichschaltung 15 Jahre später zu perfektionieren.
Er setzte sich während des militärischen-Zusammenbruchs zunächst nach Kassel ab und übernahm dort im Oktober 1945 als politisch unbelasteter Wohnungspolitiker das Dezernat für Wohnungsfragen beim Regierungspräsidenten. Bald darauf wurde er auch Treuhänder der "Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft Neue Heimat, Kassel", die - wie damals alle Gesellschaften dieses Namens - als ehemaliges DAF-Unternehmen unter alliiertem Sequester stand. In seiner Treuhänderfunktion nahm Plett Verbindung mit dem obersten Gremium des neugegründeten Gewerkschaftsbundes auf, dem sogenannten Gewerkschaftsrat. Plett: "Ich suchte diese Verbindung; ich wollte nicht mehr zu den Banken zurück."
Obwohl Plett früher nicht als Gewerkschaftler hervorgetreten war - er hatte nur brav beim Bankbeamtenbund seine Beiträge bezahlt -, fand er beim Gewerkschaftsrat sofort Kontakt. Sein Habitus paßte in die gewerkschaftliche Richtung. Um sich seiner Fachkenntnisse für kommende Manageraufgaben zu versichern, gab man ihm sofort ein Amt: die Leitung des Sekretariats Wohnungspolitik im Gewerkschaftsrat.
Plett: "So wurde ich hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionär. Meine Tätigkeit war vor allem darauf gerichtet, überall die Neuen Heimaten freizukämpfen; zuerst wurde die Kasseler Gesellschaft aus der Zwangsverwaltung entlassen, bald wurden auch andere entsperrt. In Hamburg, wo die gewerkschaftlichen Wohnungsbaugesellschaften schon vor 1933 eine starke Position besaßen, ließ die Entsperrung des Vermögens lange auf sich warten."
Um nachzuhelfen, fuhr der wohnungswirtschaftliche Manager des DGB 1950 in einem alten Ford in die Hansestadt. Sein Ziel war eine Bürobaracke im Hamburger Stadtteil Bramfeld, in der die damalige Geschäftsleitung "Neue Heimat, Hamburg" vegetierte.
Der Vertrauensmann der obersten Gewerkschaftsleitung machte sofort Inventur: "Damals arbeiteten in dem Unternehmen etwa 20 Büroangestellte. Mehr als 2000 Wohnungen und damit mehr als 50 Prozent des Bestandes lagen in Trümmern. Auf ihnen lasteten noch Resthypotheken, deren Verzinsung (durch den Währungsschnitt) zwar reduziert worden war, aber. dennoch verursachten diese Verpflichtungen pausenlos Verluste in der Bilanz. Nur wenige hundert Wohnungen waren im Bau. Es galt, so schnell wie möglich eine regere Bautätigkeit zu entfalten, um Wohnungen zu schaffen und die ständigen Verlustursachen aus den aufgelaufenen Zinsen zu beseitigen. Aber wir hatten damals so gut wie keine Finanzierungsgrundlage."
Mit Startmitteln aus der Gewerkschaftskasse - das war von vornherein abgemacht - durfte Plett nicht rechnen. Der ehemalige Baufinanzierungsfachmann der alten Dresdner Bank mobilisierte sein eigenes Kapital: Er nahm Verbindung zu allen Kreditinstituten auf, die er aus seiner früheren Bank- und Bauzeit kannte.
Bald zeigte sich, daß Plett nicht nur bei den Nachfolge-Gesellschaften der Dresdner
Bank (sie wurden 1957 wieder zusammengeschlossen) Kredit hatte, auch andere Institute waren bereit, mit ihm zusammenzuarbeiten, wenn er sich an etwas anrüchigen Transaktionen beteiligte, die man als "grauen Pfandbriefmarkt" bezeichnete.
"Der graue oder meinetwegen sogar schwarze Markt war unumgänglich", so rechtfertigt Heinrich Plett seine erste Baugeldbeschaffungsaktion, "weil es an jeglicher Kapitalmarktpolitik fehlte. Man hatte Wohnungsbaugesetze verabschiedet, aber das klassische Instrument der Wohnungsbaufinanzierung, den Pfandbriefmarkt, verkümmern lassen, weil der offiziell erlaubte Zins (fünf Prozent) zu niedrig angesetzt war."
Dieses Kapitalmarktinstrument funktioniert im Normalfall so: Die Pfandbriefanstalten geben nach Genehmigung durch die Bankenaufsichtsbehörde Pfandbriefe (Schuldverschreibungen) aus und verkaufen sie an Interessenten, die ein börsenfähiges Wertpapier mit festen Zins- und Rückzahlungsleistungen und relativ stabiler Sachwertsicherung wünschen, vorzugsweise an Versicherungen.
Der Verkaufserlös - abzüglich der Bankspesen - wird für Hypotheken verwendet, das heißt, die Bankinstitute, die Pfandbriefe umsetzen, geben den Erlös als Darlehen an Bauherren, beispielsweise an
die Neue Heimat, die dafür jährlich 6,5 bis 9,5 Prozent Zinsen und Tilgung zahlen müssen. (Das Hypothekenbankgesetz schreibt die Beleihungsgrenze vor, die sich nach dem Wert des Objekts richtet.)
Um den Hypothekengebern das Gläubigerschutzrecht zu sichern, muß der Schuldner die Hypothek in das beim Amtsgericht geführte Grundbuch eintragen lassen. Die Registrierung als erste, zweite oder dritte Hypothek gibt die Reihenfolge an, mit der das Pfandrecht in Anspruch genommen werden kann, falls ein Hypothekenschuldner mit den Annuitäten (Zins und Tilgung) in Verzug gerät.
Die Besitzer der Pfandbriefe, aus deren Verkaufserlös die Hypotheken gewährt werden, sind gegen Ausfallrisiken noch zusätzlich geschützt. Das Hypothekenbankgesetz verpflichtet die Banken, die ganze Masse der beliehenen Objekte in einem sogenannten Deckungsstock zusammenzufassen, so daß es nichts ausmacht, wenn bei einem Objekt der hypothekarische Zinsen- und Tilgungsdienst ins Stocken gerät. Eine weitere Sicherung: Der Gesamtbetrag der Pfandbriefe, die eine Bank zirkulieren läßt, darf das Fünfundzwanzigfache ihres Grundkapitals und ihrer Deckungsreserve nicht überschreiten.
Trotz dieser Sicherheiten war der Pfandbrief jahrelang ein unbeliebtes Wertpapier, das Werbefeldzüge und Steuervergünstigungen nicht attraktiver machen konnten. Es gab zu viele ehemalige Pfandbriefbesitzer, die sich darüber ärgerten, daß dieses angeblich so sichere Wertpapier durch die Währungsreform genauso stark abgewertet worden war wie die Sparkonten. (Die Hypothekenschulden des Deckungsfonds wurden 10:1 zusammengelegt, so daß für eine höhere Umrechnung des Pfandbriefs kein Raum blieb.) Dieses Ressentiment bremste die Kauflust privater Wertpapier - Interessenten. Die potentiellen früheren Pfandbriefkunden - die Versicherungsanstalten - hielten sich zurück, weil der Pfandbrief nur fünf bis sechs Prozent Zinsen einbrachte, "während die öffentliche Hand", rügt Plett, "höher verzinsliche Anleihen im größten Stil auflegte und damit den Pfandbriefmarkt kaputtmachte. Die Schatzanleihen der Länder hatten außer dem Zinsvorsprung noch den Vorteil kurzfristiger Laufzeit. Die Käufer bekamen meist nach fünf Jahren ihr Geld zurück, während sie beim Pfandbrief 35 Jahre warten mußten".
Wegen dieser Unterlegenheit fanden die Banken für die in hohen Auflagen emittierten Pfandbriefe kaum Kunden, wenn sie ihnen nicht einen offiziell verfemten Bonus gewährten: sie mußten stillschweigend den Kaufpreis herabsetzen. In der Regel werden Pfandbriefe nicht unter 94 bis 98 Prozent ihres Nennwerts ausgegeben; man kann also für 94 bis 98 Mark einen Pfandbrief kaufen, der bei Kündigung oder Verlosung mit 100 Mark eingelöst wird.
1950, als Plett zum erstenmal nach Baugeld fahndete, und auch während der Kapitalmarktenge 1956/57 wurden 100-Mark-Pfandbriefe sogar für 80 und 82 Mark verkauft; in der Zwischenzeit pendelte der graue Kurs um 86 bis 90 Mark*. Den Kursverlust trugen aber nicht die Banken, sondern sie lasteten ihn , den großen Hypothekenkunden auf, vornehmlich dem Chef der Neuen Heimat, Heinrich Plett, der ab 1950/51 sehr aktiv am grauen Pfandbriefmarkt beteiligt war.
Plett konnte es sich leisten, die Kursverluste hinzunehmen; denn von ihm kann kein Aufsichtsrat verlangen, möglichst hohe Gewinne zu erwirtschaften. Nach dem Wohnungs-Gemeinnützigkeitsgesetz dürfen Unternehmen wie die Neue Heimat höchstens vier Prozent Gewinn ausschütten. Was mehr verdient wird, muß sofort in Wohnungen investiert werden.
So ließ sich Plett bedenkenlos bei den meisten Hypothekenbanken große Pfandbriefkontingente einräumen, die er dann mit Hilfe seiner Geschäftsbanken unter dem offiziellen Kurs losschlug. Den um den Kursverlust und die Bankspesen geschmälerten Erlös gewährten ihm die Banken dann als Hypotheken.
Auf diesem Umweg verschaffte sich Plett in wenigen Jahren mehr als 500 Millionen Mark Wohnungsbaugeld; freilich war es teures Geld, denn mitunter mußte er Kursverluste bis zu 15 Prozent hinnehmen. Aber dieses Wildern auf dem Kapitalmarkt war nach Pletts Kalkulation lukrativer, als untätig auf einen warmen Kapitalmarktfrühling zu warten.
"Wenn wir nur gehofft und geharrt hätten", sagt Plett, "wären die halbzerstörten Gebäude der Neuen Heimat ganz zusammengebrochen. So konnten wir sie mit geringerem Aufwand wieder bewohnbar machen. Außerdem konnten wir Tausende von Wohnungen noch zu einer Zeit bauen, als die Baukosten knapp halb so hoch waren wie heute."
Nachdem sich die Methode Plett eingespielt hatte, hielten fast alle Banken für Plett ständig Hypothekenkontingente - bereit. Auf die Hypothekenzusagen bekam Plett notfalls auch kurzfristige Bankkredite, um fällige Rechnungen der Baufirmen bezahlen zu können.
Freilich war Pletts Finanzschaukel ein gefährliches Instrument, aber bald floß ihm auch aus anderen Quellen kontinuierlich Geld zu. Seit die "Neue Heimat, Hamburg" - die Urzelle des heutigen Konzerns - ein soziales Bauvorhaben nach dem anderen anpackte, bekam sie auch von der öffentlichen Hand immer größere Summen zinsfreier Kredite, die frühestens in 60 Jahren getilgt zu werden brauchen.
Dadurch ermutigt, entfaltete der Manager des DGB einen Expansionsdrang, wie ihn ungestümer auch die Manager der großen Industriekonzerne nicht aufzubieten pflegen. Bei seinem nächsten Kraftakt wurde er von einem alten Bekannten beraten, dem ehemaligen Gauwohnungskommissar Heinz Roosch, der 1952 auf Stellungssuche zu Plett gekommen war, Plett beschäftigte ihn trotz Einspruchs altgewerkschaftlicher Linienrichter zunächst als freien Mitarbeiter und besoldete ihn aus einem Sonderfonds. Später wurde Roosch fest angestellt. Nach Eintritt in die SPD avancierte er sogar zum Berater des wohnungswirtschaftlichen Ausschusses beim SPD-Parteivorstand.
Von Roosch assistiert, kaufte Plett in Hamburg und später auch in anderen Teilen des Bundesgebiets eine große Anzahl Wohnungsbaugesellschaften einschließlich Trümmerstätten auf. Plett: "Es waren gemeinnützige und nicht gemeinnützige Gesellschaften, die man zum Teil früher einmal als ausgesprochene Konkurrenten gegen die gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen ins Leben gerufen hatte."
Wie geschickt er dabei vorging, zeigt der Ankauf der "Ageka" Aktiengesellschaft für gemeinnützigen Kleinwohnungsbau, die ursprünglich dem Zigaretten-Industriellen Philipp F. Reemtsma gehört hatte. Sagt Plett: "Die Gesellschaft besaß große Grundstücksflächen mit Ruinen und angeschlagenen Häusern. Der Erwerb dieser Grundstücke hätte uns mehrere Millionen Mark gekostet. Wir machten es anders - wir kauften die Ageka-Aktien (Grundkapital 50 000 Mark) für ein Butterbrot und kamen auf diese Weise sehr billig in den Besitz neuer Grundstücksflächen, auf denen sich sehr bald die Bauarbeiter unserer Vertragsfirmen betätigten."
Der Aktienkauf wurde dadurch erleichtert, daß Reemtsma den größten Teil der Ageka-Aktien nach dem Krieg einem verdienten Angestellten übereignet hatte; der wurde aber dieses Geschenks nicht froh, weil er mit den Aktien auch die noch auf den Grundstücken ruhenden Hypothekenverpflichtungen übernehmen mußte. Plett fand den Ageka-Hauptaktionär mit 37500 Mark, dem Nominalwert des Aktienpakets, ab. Die restlichen Aktien (nominell 12500 Mark) überließ ihm eine Baufirma für 1250 Mark, so daß Plett die Firma und ihren gesamten Haus- und Grundbesitz für 38750 Mark - den Preis eines Kleinfamilienheims - erwerben konnte. Auf ähnliche Weise gliederte Plett der Neuen Heimat Unternehmen und Liegenschaften an, die kirchlichen Verbänden und Handwerkervereinigungen gehört hatten, denen aber wegen Kapitalmangels jegliche Initiative fehlte, ihren angeschlagenen Hausbesitz wiederaufzubauen.
Dem DGB-Bundesvorstand imponierten Pletts Finanzierungs- und Arrondierungskunststücke derart, daß er sich - wie Plett berichtet - "im September 1954 entschloß, alle ihm noch gehörenden Beteiligungen an örtlichen Wohnungsunternehmen der ,Neuen Heimat, Hamburg', einzubringen. Mehrere angegliederte Unternehmen haben dann später aus besonderen Gründen Tochtergesellschaften erworben, die also Enkelgesellschaften der Neuen Heimat sind. Schließlich wurde ihr auch noch eine Baustoff-Firma angehängt".
So entstand ein gewerkschaftlicher Großkonzern mit über 1300 Angestellten (siehe Graphik), dessen Verschachtelung dieselben Grundzüge aufweist wie etwa der Mannesmann-Konzern, den die Gewerkschaften wegen seiner perfekten Konstruktion scharf angegriffen haben. Der Gewerkschaftskonzern hat gegenüber Mannesmann und anderen privatwirtschaftlichen Mammutgesellschaften den Vorteil, keine Körperschaft-, Gewerbe- und Vermögensteuer zahlen zu müssen.
Auch für ihren Grund- und Hausbesitz genießt die Neue Heimat Steuerprivilegien: die obligate Grunderwerbsteuer wird auf ein Minimum reduziert und die Grundsteuer ermäßigt; denn alles, was Plett unter dem Dach seiner Holdinggesellschaft zusammenfügte, gilt als gemeinnützig, und gemeinnützige Unternehmen brauchen nur Umsatzsteuer zu zahlen.
Den Gewerkschaften, sagt Plett, diene die Neue Heimat als Exerzierfeld, auf dem sie betriebswirtschaftliche Erfahrungen sammeln könnten. Tonangebend für den inneren Betrieb ist die Devise: "Wer nicht spurt, fliegt." Die Hinausgeflogenen gaben ihrer Fachgewerkschaft die Mitgliedsbücher zurück. Um die Austritte zu bremsen, schrieb die Ortsverwaltung Hamburg der DGB-Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen einem ehemaligen Angestellten des Gewerkschafts-Baukonzerns: "Wir haben nicht nur einmal, sondern in wiederholten Fällen die Rechte unserer Mitglieder bei der Neuen Heimat wahrgenommen und im Laufe der letzten Jahre sogar eine Reihe von Mitgliedern vor dem Arbeitsgericht vertreten."
Auf die Kapitalbeschaffung wirkte sich Pletts straffe Konzernführung indes sehr positiv aus. Seine Beziehungen zu den Banken festigten sich um so mehr, als jedes der neuen Konzernglieder Grundstückswerte mitbrachte, die als Sicherheit für die steigenden Geschäftskredite dienen konnten. Die Banken fanden es sehr bequem, sich mit einem großen Baupartner zu arrangieren, dessen Finanzabteilung ihnen bei der Abwicklung des Pfandbrief- und Hypothekengeschäfts die Arbeit abnahm.
In der Kartei dieser Finanzabteilung tauchen ab 1951/52 die Namen von mehr als 100 Industriefirmen auf, die dem Gewerkschaftskonzern viele Millionen Mark Baukredite gaben. Die ersten prominenten Firmen, die ihre Spitzengewinne in Form von 7c-Darlehen* unter dem Dach der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft vor dem Finanzamt in Sicherheit brachten, waren die Mannesmann AG, Düsseldorf, und die Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH, Hamburg.
Der Vorstand des Bundesverbandes der Deutschen Industrie war zunächst schockiert, als er von dieser Kooperation erfuhr; er mußte sich aber sehr schnell an diese Geldbewegung gewöhnen, denn bald suchten immer mehr Großfirmen, beispielsweise die Daimler-Benz AG und die Farbenfabriken Bayer AG, Leverkusen, steuersparende Zuflucht bei der Neuen Heimat.
Diesen ungewöhnlich engen Kontakt zwischen den Sozialpartnern haben zwei Finanzstrategen zustande gebracht: der ehemalige Bundesfinanzminister Fritz Schäffer, 70, und der Hamburger Finanzmakler Wolfgang Essen, 55, Inhaber der Firma Hansa Sachwert Anlagen Gesellschaft mbH. Schäffer wirkte allerdings nur als stummer Gehilfe mit. Unter seiner Ägide entstanden die berühmt-berüchtigten Siebener-Paragraphen des Einkommensteuergesetzes, deren perfekte Ausnutzung der Hamburger Geschäftsmann Wolfgang Essen zu einem modernen Gesellschaftsspiel entwickelte.
Das Millionen-Karussell
Essen erfand Konzeptionen ("Das ist echte geistige Arbeit"), die bis dahin auch von den raffiniertesten Steuerberatern noch nicht ersonnen worden waren. Die Ergebnisse seines Denksports teilte er vornehmlich bekannten Wirtschaftsführern an Rhein und Ruhr mit, die er 1945/46 hinter dem Stacheldraht alliierter Internierungslager kennengelernt hatte.
Stets bemüht, möglichst viele Mitspieler zu werben, besuchte Essen auch den gewerkschaftseigenen Baulöwen Heinrich Plett und seine engsten Mitarbeiter: den konvertierten Wohnungspolitiker Heinz Roosch und den jungen Finanzdirektor Albert Vietor, 36 (genannt "King Albert"), einen ehemaligen Kasseler Einzelhandelskaufmann, den Plett zum Finanzgehilfen ausgebildet hatte.
Makler Essen konnte das Dreimännerkollegium sofort für sein steuersparendes System gewinnen. Die Industrie placierte 7c-Darlehen in achtstelligen Ziffern. Essen harkte die Darlehen zusammen und schob sie der Neuen Heimat zu.
Soweit handelte es sich um ein ganz normales Verfahren. Die Industriefirmen gaben der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft zinslose 7c-Darlehen und brauchten nach der ersten Gesetzesfassung zunächst 50 Prozent, später 25 Prozent des Darlehnsbetrages überhaupt nicht zu versteuern. Auch der Zinsverlust wurde ihnen steuerlich gutgebracht; für weitere Teile des Darlehens wurde - nach der Laufzeit gestaffelt - Steueraufschub gewährt.
Indes, einen Nachteil hatte die normale 7c-Methode: Die Darlehnsgeber mußten ihr Geld für längere Frist - mindestens auf zehn Jahre - festlegen. Um seinen Industriefreunden auch in dieser Beziehung entgegenzukommen, erfand Wolfgang Essen eine Ersatzfinanzierung, die dem 7c-Geldgeber zu dem Steuervorteil auch noch volle Liquidität sicherte.
In dieses Manöver schalteten sich die in der SPD und im DGB organisierten Wohnungsbauer der Neuen Heimat ungeniert ein. Plett: "Meine Partei hat zwar gegen die Siebener-Paragraphen wegen der einseitigen Begünstigung finanzstarker Wirtschaftskreise auf das schärfste opponiert; wir haben aber trotzdem jede erdenkliche Möglichkeit eiskalt ausgeschöpft. Was wir dadurch gewannen, war für uns kein Sündengeld - wir haben damit die Wohnungsnot bekämpft."
Die Neue Heimat setzte das 7c-Geld - auf dem Papier - für Bauobjekte ein, die bereits durch eine ihrer Geschäftsbanken mit Kapitalmarktmitteln (Hypotheken) voll finanziert waren. Dieselbe Bank nahm das 7c-Geld, wie es im Jargon der Finanzmakler heißt, "in Pension"; sie legte es auf ein Sperrkonto.
Durch mannigfache Manipulationen, zum Beispiel durch sogenannten Valuta-Austausch (Austausch der Konten), wappnete sich die Neue Heimat gegen den Einspruch der Finanzämter, denn normalerweise sollen 7c-Gelder unverzüglich in neue Bauvorhaben einfließen.
Der Gewerkschaftskonzern schöpfte aber aus den gesperrten Guthaben nur die Zinseinnahmen ab und glich mit ihnen die Hypothekenzinsen für eine Anzahl fertiger Bauten aus. Mit dem steigenden 7c-Zufluß erreichten die Zinserträge einen stattlichen Saldo. Bis 1958 erhielt die Neue Heimat von der Industrie etwa 400 Millionen Mark 7c-Darlehen, die ihr jährlich zehn bis 20 Millionen Mark Zinsen einbrachten.
Warum sich Plett auf diesem Umweg Finanzierungsvorteile verschaffte, anstatt das 7c-Geld direkt zu "verbauen", wird durch die Abreden verständlich, die der Finanzmakler Essen mit der Industrie getroffen hatte: Die Banken gewährten Essens Industriekunden Kredite, deren Beträge genau mit den jeweiligen 7c-Darlehen übereinstimmten. Dafür traten die Industriefirmen ihre Rückzahlungsforderungen auf die gesperrten 7c-Darlehen als Sicherheit treuhänderisch an die Banken ab.
Die Firmen mußten die Bankkredite zwar normal verzinsen, aber sie konnten dafür den für sie sehr lukrativen Steuervorteil wahrnehmen und ihre Spitzengewinne aus der Hochkonjunktur vor dem Finanzamt in Sicherheit bringen, ohne ihre Liquidität zu schwächen. So war allen Mitspielern geholfen: der Industrie, der Neuen Heimat und auch dem Arrangeur Essen, der für die Manipulationen an der Kapitaldrehscheibe ein Prozent der Refinanzierungssumme als Provision kassierte. Sagt Essen: "Da die Banken stets Hypothekenkontingente als Ersatzfinanzierung für die Neue Heimat bereithielten, konnten wir ausgezeichnet zusammenspielen" - bis der Bundesfinanzminister abwehrende Tendenzen gegen die Refinanzierung steuerbegünstigter 7c-Darlehen entwickelte.
Plett konnte zwar nachweisen, daß er mit den Zinseinnahmen aus den 7c-Darlehen denselben Effekt erreichte, als wenn er das Geld direkt zur Baufinanzierung eingesetzt hätte, aber der Gesetzgeber strich dennoch 1953 die Steuervergünstigung für alle refinanzierten 7c-Darlehen, deren Geber und Nehmer "in mittelbarem oder unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang" kooperieren.
Da aber Industrie und Gewerkschaft in seltener Harmonie ihre politischen Vordermänner gegen den alten Thesaurier Schäffer vorschickten, wurde die Notbremse an Essens Kapitalkarussell bald wieder gelockert. Um sich rückzuversichern, hatte die Neue Heimat einen prominenten Steuergesetz - Kommentator, den Ministerialrat und Leiter der Steuerabteilung im Mainzer Landesfinanzministerium, Dr. Adolf Grass, beauftragt, gegen Zahlung eines angemessenen Honorars ein unanfechtbares Gutachten auszuarbeiten.
In dieser Expertise, die Grass seinem 7c-Handbuch beifügte, nach dem sich die meisten Finanzämter richten, entschied der Kommentator zugunsten der Neuen Heimat: "Bloße Vermittlungstätigkeit für Kreditvorgänge von dritter Seite genügt nicht, um einen mittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang... zu schaffen."
Essen engagierte mittlerweile acht Volljuristen, die ihm behilflich waren, das Refinanzierungssystem mehrmals abzuwandeln und so zu frisieren, daß die angewandten Praktiken von keinem Finanzamt angefochten werden konnten. Trotz aller Geschicklichkeit konnte der Finanzmakler jedoch nicht verhindern, daß Schäffers Nachfolger, Bundesfinanzminister Etzel, ab 1. Januar dieses Jahres die Steuervergünstigungen für jede Art refinanzierter 7c-Darlehen strich.
"Geld ist der Herr Jesus"
Essen ersann sofort eine neue Konzeption, die er demnächst im Zusammenwirken mit Heinrich Plett und der Schwerindustrie ausprobieren will. Er ist fest davon überzeugt, daß seine vorläufig noch geheimgehaltene Geldbeschaffungsaktion Erfolg haben wird.
"Geld, Geld - das ist der Herr Jesus", so hörte ein Architekt den Baumanager Heinrich Plett einmal lästern; dazu machte Plett die Gebärde des Geldzählens. Dieser Bankenmaterialismus war die ideologische Basis für die Massenproduktion von hunderttausend Volkswohnungen verschiedenster Typen. Die Neue Heimat baute zum Beispiel Bergarbeitersiedlungen in Gelsenkirchen und Dortmund-Herne. Sie errichtete, aber auch bei Baden-Baden, an der Geislinger Steige, in Augsburg und in Gmünden am Main flache Wohnsiedlungen für Arbeiter und kleine Angestellte. Im Durchschnitt umfaßt keine dieser Wohnungen mehr als 50 Quadratmeter Wohnfläche. (Durchschnittsmiete je Quadratmeter 1,20 Mark.)
Der Schwerpunkt der gewerkschaftlichen Bautätigkeit liegt jedoch in Norddeutschland und dort vorzugsweise in den Hansestadt-Staaten Hamburg und Bremen. Auf den Trümmerfeldern Bremens ließen die Töchter der Neuen Heimat schon vor Jahren ganze Stadtviertel neu erstehen. Wie stark der Gewerkschaftsbaukonzern dort dominiert, beweist die Bremer Baustatistik: Fast ein Drittel des neu geschaffenen Wohnraums wurde von der Neuen Heimat fertiggestellt. In Hamburg baute der Gewerkschaftskonzern 1957 jede zehnte neue Wohnung.
"Wenn man aber die Bundesbaustatistik zugrunde legt", betont Plett gern in vorsorglicher Bescheidenheit, "waren wir bisher am gesamten westdeutschen Bauvolumen nur mit 2,4 Prozent beteiligt. Man
soll nicht schreien, wir hätten das Baumonopol."
In letzter Zeit hat der Gewerkschaftskonzern auch südlich der Mainlinie an Boden gewonnen. Um zu zeigen, zu welchen Leistungen sein Konzern fähig ist, ließ Plett in Bogenhausen bei München auf der Isarterrasse - in einer Gegend, in der Hitler ein zweites Nymphenburg errichten wollte - eine Nachbarschafts-Großsiedlung hochziehen. Die Qualität dieser 2000 Wohnungen liegt weit über dem Durchschnittsniveau der Neue-Heimat-Produkte. Die 15 verschiedenen Haustypen - vom dreigeschossigen Normalhaus bis zum 15geschossigen Wohnhochhaus - sind in Raumaufteilung und Ausstattung den Wohnwünschen und Einkommensverhältnissen gut verdienender Facharbeiter, aber auch mittlerer Angestellter und Beamter angepaßt. In den meisten Bogenhausener Häusern pendelt ein Lift; auch Müllschlucker wurden installiert.
Mit einer ähnlichen Mustersiedlung brilliert die Neue Heimat in Kassel-Auefeld. Die Mieten für diese Wohnungen liegen im Durchschnitt bei 1,95 Mark je Quadratmeter und erreichen in der Spitze 3,50 Mark. Außerdem mußten viele Mieter der Sonderprogramm-Wohnungen sogenannte Mieterdarlehen zahlen (etwa 3000 bis 5000 Mark Baukostenzuschuß), die nicht verzinst und erst in 25 Jahren getilgt werden. In Hamburg will die Neue Heimat demnächst 3000 frei finanzierte Kleinstwohnungen (35 bis 60 -Quadratmeter) bauen, die für 100 bis 150 Mark Kostenmiete* an junge Eheleute vermietet werden sollen.
Bevor Plett seine Sonderprogramme startete, die dem Gewerkschaftskonzern den Beinamen "Teure Heimat" einbrachten, mußte er sich energisch mit Widerständen in den eigenen Gewerkschaftsreihen auseinandersetzen. Die Aufsichtsräte und das stramm sozialistische Vorstandsmitglied der Neuen Heimat, der technische Direktor Walter Beyn, betrachten es nämlich als ihre vornehmste Aufgabe, möglichst viele und möglichst billige Wohnungen zu bauen, um die kleinen Beitragszahler zu beruhigen, die häufig ins "Plettbrett" stürmen und auf die Theke in der Anmeldung klopfen: "Wann kriege ich endlich eine Wohnung?"
Gewerkschaftsmitglieder werden nämlich bei der Wohnungsvergabe bevorzugt. Wer sich um eine Wohnung der Neuen Heimat bewirbt, muß einen Fragebogen ausfüllen, in dem vermerkt ist: "Sind Sie Mitglied einer Gewerkschaft des DGB?" Dazu Plett: "Wir haben in kollegialster und freundschaftlichster Zusammenarbeit mit den Wohnungsämtern erreicht, daß mehr als 70 Prozent unserer Wohnungen an Organisierte gegangen sind."
Die Organisierten wollen aber, wenn sie in eine Gewerkschaftswohnung einziehen, nicht mehr als 1,10 Mark bis 1,30 Mark Miete je Quadratmeter zahlen. Den Anspruch auf sozialbegünstigte Mieten haben die Gewerkschaftsfunktionäre den Arbeitern eingebläut, ohne zu bedenken, daß sie damit ihrem eigenen Baukonzern Fesseln anlegten. Nur durch schärfste Kalkulation kann die Konzernleitung die Mieten für das Gros der Wohnungen auf der unteren Stufe halten, was der Wohnungsqualität nicht gut bekommt. Dabei haben die Dirigenten der Neuen Heimat noch den Ehrgeiz, mit ihren Volkswohnsiedlungen modernen Städtebau zu treiben.
Um diese Ambitionen abzureagieren, engagierten Vorstand und Aufsichtsrat 1954 als Star-Architekten den Veteranen der Städtebaukunst, Professor Dr. h. c. Ernst May (SPIEGEL 19/1955), der während der zwanziger Jahre in Frankfurt am Main moderne Stadtviertel baute und sich in den letzten zwanzig Jahren als moderner Städteplaner in der britischen Ostafrika-Kolonie Kenia betätigte. Er suggerierte Plett seinen in Afrika und England erprobten modernen Volkswohnungsstil: zwei- bis dreigeschossige Flachbauten, möglichst in Reihenhausform, die, so interpretiert Plett seinen Mentor, "den Mietern die Wohnform des Familieneigenheims vermitteln sollen". Da die meisten Normalbürger nicht über die Mittel zum Bau eines echten Familienheims verfügen (Plett: "Was sie ersparen, reicht nur für die Hundehütte"), will sie der Chef der Neuen Heimat mit der Illusion des Eigenheims trösten. "Unsere Wohnanlagen sind die Idealwohnform. Wir stellen sie mitten in eine künstlich angelegte englische Parklandschaft, aber nicht In Laubenkolonien. Im modernen Massenzeltalter brauchen die Arbeiter nicht mehr wie die Wilden in Schrebergärten zu wühlen"
"Was brauchen wir wirklich?" schrieb dazu der Volkswohnungs-Ideologe Hugo Kükelhaus: "Ein Stückchen Erde, auf dem wir im Verein mit unseren Kindern und Nachbarn und Freunden das Spiel des Lebens mitspielen können.... Ein Stückchen Erde, auf dem wir unter einem Dach zu uns selbst kommen. Nicht in der Reflexion, sondern in der besonnenen Verrichtung der einfachen und ursprünglichen Bedürfnisse, des Essens, des Trinkens, Atmens, Sprechens. Singens, Schlafens und Liebens.
"Diese Bedürfnisse sind nicht etwa Löcher, die gestopft sein wollen. Vielmehr sind sie In Wahrheit die Quellen des Lebens selbst. Wer aus diesen Quellen trinkt, entfaltet sich gleich einem gutverwurzelten Baum zu dem, was er ist: Er lebt nicht mehr an sich selbst vorbei."
Nach diesen lyrischen Maximen baute Professor May drei Jahre lang Gewerkschaftswohnsiedlungen. Er durfte auch noch das "Plettbrett" entwerfen, aber "dann hat man ihm ein Beyn gestellt", witzelt man im Verwaltungsgebäude der Neuen Heimat Der technische Direktor Walter Beyn
- ein ehemaliger Bautechniker - und die
DGB-Aufsichtsräte rügten, daß May viel zu aufwendig baue, so daß die niedrigen Mieten gefährdet seien. Wenn man May weiter freie Hand lasse, werde die Neue Heimat eines Tages konkursreif sein.
Auf Betreiben der Schlichtwohnungs-Missionare wurde der Anstellungsvertrag mit May gelöst. Weil Plett gern mit Starnamen renommiert, steht May jedoch - gegen eine Monatspauschale - der Neuen Heimat noch als städtebaulicher Berater zur Verfügung.
Besser als May kam ein scharf kalkulierender Architekt, der frühere Stettiner Stadtbaudirektor Dr.-Ing. Hans Bernhard Reichow, mit dem Gewerkschaftskonzern zurecht. Auf Reichow war Plett aufmerksam geworden, als er 1952 In Lübeck eine Flüchtlingssiedlung besichtigte, für die Relchow je Wohnung nur 8000 Mark benötigt hatte.
Nachdem man Im Lübecker Ratskeller diniert hatte, rechnete Plett auf einer Papierserviette Reichovs Kalkulationsposten nach und kam zu dem Ergebnis, daß er sich mit Reichows ökonomischer Bauweise in eine höhere Wohnungsbauklasse vorarbeiten könnte. Das erste Produkt der im Lübecker Ratskeller beschlossenen Zusammenarbeit war die vorwiegend mit Mannesmann-Geld gebaute Hamburger Gartenstadt Hohnerkamp. Als Plett in Retchows Gegenwart die Kosten überprüfte, entfuhr ihm spontan: "Sie haben mich doch besch..." Auch Reichow war mit der strengen Norm nicht ausgekommen.
Da aber die Wohnanlage Plett besonders gefiel, beauftragte er Reichow, den von ihm vorgesehenen künstlichen Teich auch noch ausheben zu lassen, obwohl Beyn und der Aufsichtsrat das große Aquarium der Volkswohnsiedlung aus dem Plan gestrichen hatten und Plett für die Bodenarbeiten noch 24 000 Mark zahlen mußte. Die Vorhaltungen der Aufsichtsräte ertrug er mit souveräner Würde. Sein Selbstbewußtsein als Finanzmanager und Baulöwe ist so stark betoniert, daß er sich in den letzten Jahren häufiger Extravaganzen leistete. So betätigt er sich zum Beispiel als Mäzen des modernistischen Bildhauers Seff Weidl, der dem Konzernchef ein abstraktes Monument vor das "Plettbrett" stellte. Der pferdeköpfige Steinträger aus Bronze soll Plett und die Neue Heimat als Bauherren symbolisieren.
Vor einigen Wochen lieferte Weidl ein Triptychon ähnlicher Figuren für 65 000 Mark bei der Neuen Heimat ab. Dieses Bildwerk soll der größten Wohnsiedlung, die Plett bisher baute, zur Zierde gereichen: der sogenannten Gartenstadt Alte und Neue Vahr, die auf ehemaligen Kuhweiden und Kohlgärten an der Autobahnausfahrt Bremen-Mitte entsteht und der hanseatischen Golf- und Tennis-Creme im "Club zur Vahr" die Grün-Perspektiven ihrer Sportanlagen verdirbt.
Bis 1961 sollen dort 40 000 Menschen in einer Vielzahl von Wohnungstypen Unterkunft finden. Als Randgarnierung des neuen Stadtviertels dienen 900 Reihenhäuser, die als Eigenheime verkauft werden sollen.
Im allgemeinen übt die Neue Heimat im Eigenheimbau jedoch Zurückhaltung, nicht nur aus ideologischen Gründen, sondern auch wegen der Enttäuschung, die der Geschäftsmann Plett mit seinen Verkaufseigenheimen erlebte. In Bayern fanden sich für die schlichten Eigenheimkonstruktionen der Neuen Heimat schwer Käufer, weil Plett vergessen hatte, die Grundsteine von einem Geistlichen weihen zu lassen. Aber auch in Hamburg wurden die zu Dutzenden aneinandergefügten Eigenheimwaben kein Verkaufsschlager.
Trotz dieser Mißerfolge läßt Plett, um nicht als Gegner der staatlich protektionierten Eigentumspolitik in Verruf zu kommen, kleine Eigenheimprogramme am Rande seiner vielen Projekte mitlaufen. Ebenso brav erfüllt er sein Soll an schlichten Volkswohnungen. Sein Baulöwenherz schlägt jedoch für die städtebaulichen Dominanten: die Wohnhochhäuser und Gartenstadtanlagen, die das Prestige der Neuen Heimat und ihres Managers heben.
Im Zentrum der Bremer Gartenstadt Neue Vahr - seinem jüngsten Prunkstück - läßt Plett zur Zeit ein Hochhaus mit 21 Stockwerken entstehen; die 200 Wohnungen dieses bisher größten Einzelbauwerks der Neuen Heimat sollen an junge Ehepaare und Junggesellen vermietet werden. Im Parterre werden die Verwaltungsbüros der neugegründeten Nachbarschaftsgemeinde untergebracht. Lichtspieltheater, Einzelhandelsgeschäfte und Konsumgenossenschafts-Filialen sollen sich um den Volkswolkenkratzer ranken, den der prominente finnische Hochhausarchitekt Alvar Aalto entwarf.
Plett lud ihn unlängst zu einer Architekten-Besprechung nach Hamburg ein, die im Verwaltungsgebäude der Neuen Heimat begann und im Nachtkabinett "Silberkeller" unter tingelnden Goldmariechen fortgesetzt wurde. Der Finne war über den Milieu-Wechsel etwas erstaunt; noch mehr wunderte er sich, daß sein Gastgeber ihm einige Unterhaltungskünstlerinnen vorstellte, die genauso wie Aalto aus Helsinki zugereist waren. Dem Finnen waren diese Damen unbekannt, Plett hingegen hatte ihre Künste schon einige Monate zuvor bewundert, als er, der weltbefahrene Mann, in Helsinki einen Silberkeller inspizierte.
Solche Architekten-Besprechungen mit etwas Aufmunterung sind für Plett nicht ungewöhnlich. Er läßt sich seine epikureische Lebensart auch nicht durch die Vielzahl der Geschäfte trüben, die er sich selbst auflastet. Um für seine mannigfachen Großvorhaben bei Kräften zu bleiben, liebt er es, gut und reichlich zu essen; noch bemerkenswerter ist sein Flüssigkeitsverbrauch. So witzelte ein Knittelreimer der Neuen Heimat in einem Geburtstagscarmen:
Es trinkt Big Boss, wie Jeder weiß,
am liebsten Schorie - eimerweis.
Kaum kommt ein frischer Trunk daher,
da ist das Glas schon wieder leer.
Er hebt es hoch und lächelt "Korie,
bring schnell mir nochmal eine Schorle
Der starke Flüssigkeitskonsum steigert den Blutdruck, so daß Plett selbst im Winter in seinem unterkühlten Generaldirektorzimmer bei halboffenen Fenstern arbeitet. Wenn die Sonne im Jahresablauf höher steigt, steigert sich auch Pletts Schorleverbrauch und damit die Transpiration, die er im Hochsommer mit Frottiertüchern auf der Schreibtischplatte auffängt.
Die Ergebnisse der schweißtreibenden, harten Managerarbeit wirkten auf viele freie Wohnungsbauunternehmer deprimierend. Sie stellen immer wieder fest, daß Plett überall den Rahm abschöpfte: auf dem derangierten Baulandmarkt, bei den Hypothekenbanken und auch bei der Wohnungsbaukasse, die Steuergelder zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus austeilt*.
So klagt zum Beispiel der Hamburger Grundstücks- und Hypothekenmakler Carl L. Grossmann: "Wir haben keinen sozialen Wohnungsbau mehr, sondern nur noch einen sozialistischen Wohnungsbau. Die Bildung von Kollektiveigentum wird gefördert, während die individuellen Bauträger zurückgedrängt werden."
Dieser Eindruck mußte entstehen, nachdem sich Plett und Roosch besonders in den SPD-regierten Ländern mit den politischen Gremien arrangiert hatten. Am besten funktioniert das Zusammenspiel Neue Heimat - SPD in Bremen. Dort wurde vor drei Jahren ein Wohnungsbaugesetz beschlossen, das Pletts Berater Heinz Roosch konzipiert hatte. Er hatte sein Elaborat dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Bremer Tochtergesellschaft, Richard Boljahn, zugeleitet, der in Bremen gleichzeitig Vorsitzender des DGB und der SPD-Bürgerschaftsfraktion ist.
Das Gesetz war genau der Kreditpolitik angepaßt, die sich Plett und Roosch auf lange Sicht zurechtgelegt haben. Bei ihren eingespielten Bankverbindungen konnte die Neue Heimat immer stärker dazu übergehen, sich die Mittel für ihre Bauvorhaben auf dem Kapitalmarkt zu beschaffen, wenn die Länder für die Darlehnsverpflichtungen bürgen, die Zinsen übernehmen und Tilgungsbeihilfen zahlen. Das Land Bremen leistete - nach dem Gesetz - eine Ausfallbürgschaft für 450 Millionen Mark Kredite und stellte einen entsprechenden Betrag für Zins- und Tilgungsbeihilfen aus Steuermitteln bereit.
Mit dieser Regelung wurde die übliche Förderung des sozialen Wohnungsbaus durchbrochen. Normalerweise gewähren die Länder sogenannte Kapitalsubventionen, das heißt, zinsfreie Baudarlehen (etwa 35 bis 55 Prozent der Bausumme) mit etwa 60 Jahren Laufzeit. Nach Rooschs Methode wird der Kapitalsubventionsfonds in Zins- und Tilgungsbeihilfen umgewandelt; dafür stellen die Banken - bei sieben bis acht Prozent Hypothekenzins und -tilgung - die 13 bis 15fache Summe an Kapitalmarkt-Hypotheken zur Verfügung. Mit der größeren Geldmenge - das allein interessiert die Initiatoren der Neuen Heimat - kann man sofort viel mehr Wohnungen bauen.
Plett hat in Hamburg (das der Neuen Heimat 1957, und 1958 insgesamt 125 Millionen Mark Kredite verbürgte) ähnliche Umdispositionen angeregt, die allerdings bisher noch nicht gesetzlich verankert wurden. Gesetz-Architekt Roosch hat der Hamburger SPD-Fraktion aber schon ein Konzept geschickt und im gleichen Aufwasch auch die SPD-Freunde in Hessen bedacht.
Pletts Drang nach immer mehr Baugeld und Expansion ist nicht nur eine Managerkrankeit - der Konzernchef ist der Gefangene seines Systems. Die Unternehmensgruppe ähnelt einer auf die Spitze gestellten Pyramide. Sie wurde auf einer ungewöhnlich kleinen Kapitalbasis errichtet (das Stammkapital beträgt nominell 25 Millionen Mark, von denen aber erst elf Millionen Mark eingebracht worden sind). Auf dieser schmalen Kapitalbasis lastet ein ungewöhnlich hoher Schuldenturm. In allen Häusern, in deren Hausfluren das Firmenschild "Neue Heimat" hängt, gehört der Gesellschaft kaum mehr als das Dach.
Jeder private Bauherr muß in der Regel außer dem Baugrundstück rund 15 Prozent der Baukosten aus seinem Privatvermögen aufbringen, sonst bekommt er keine öffentlichen Mittel und keine ersten Hypotheken. Die Neue Heimat kauft auch den Baugrund auf Kredit. Sie setzt als bescheidenes Äquivalent für das fehlende Eigenkapital ihre Dienstleistung ein - die sogenannten Regiekosten (etwa acht Prozent der Bausumme), die jeder zahlen muß, der sich von einer Wohnungsbaugesellschaft ein Haus bauen läßt.
Der gesamte Wohnungsbestand ist also mit mehr als 90 Prozent Darlehen belastet. "An manchem Quartalsschluß", erinnert sich ein früherer Finanzgehilfe Pletts, "wenn erhebliche Summen an Zins- und
Tilgungsleistungen fällig waren, wurden Treibjagden nach dem letzten erreichbaren Pfennig veranstaltet."
Solange im gleichen Tempo wie bisher gebaut wird, kann Plett mit den Kapitalmarktmitteln und Bankkrediten, die an ihm vorbeifließen, jonglieren und notfalls ein Loch stopfen, indem er ein anderes aufreißt. Wenn sich aber eines Tages der Geldstrom zu einem schmalen Fluß verengt, weil der Wohnungsbedarf gesättigt ist, wird das Jonglieren schwierig sein. Plett sinnierte unlängst in einem Mitternachtsgespräch: "Unsere größte Sorge ist, daß einmal die Baukonjunktur abreißt."
Er bemüht sich schon jetzt um Ausweichmöglichkeiten auf dem europäischen Gemeinsamen Markt und will deswegen in den nächsten Wochen bei Bundeswohnungsbauminister Lücke (CDU) vorsprechen, zu dem er gute Beziehungen unterhält. Plett: "Ich bin ja kein gelernter Sozialdemokrat; sondern nur ein angelernter." Schon vor längerer Zeit unternahm Plett den Versuch, in Frankreich für die Nato Truppenunterkünfte zu bauen; die Verhandlungen scheiterten aber an dem Protest französischer Bauunternehmer, die einen Baulöwen wie Plett nicht über die Grenze lassen wollten.
In Westdeutschland indes konnte bisher niemand die Expansion der Neuen Heimat aufhalten. Plett nutzt jede Gelegenheit, um seine Bautätigkeit zu intensivieren. So hat er zum Beispiel ein Zusatzprogramm unter dem Slogan "Hausbesitzer ohne Giftzähne" gestartet. Er geht davon aus, daß zur Zeit etwa 75 Prozent der Bevölkerung in Mietshäusern mit ihrem Hauswirt unter einem Dach wohnen, 25 Prozent haben einen "anonymen Hauswirt"; sie wohnen in Mietshäusern der Baugesellschaften und Baugenossenschaften. Die zweite Wohnform wird nach demoskopischen Untersuchungen von dem größeren Teil der Mieterschaft bevorzugt.
"Die Mieter", sagt Plett, "möchten nicht die Giftzähne der Hauswirte sehen, die sich über Kinderlärm erregen. Sie möchten auch sicher sein, daß notwendige Reparaturen und Verschönerungen regelmäßig ohne Verzug und Ärger ausgeführt werden. Mit diesem Service ist das Wohnungsbetreuungsunternehmen den meisten privaten Hauswirten überlegen; denn die gemeinnützigen Unternehmen können einen Teil ihrer Einnahmen als Reparaturfonds verbuchen, die sie nicht zu versteuern brauchen.
"Umgekehrt gibt es wohlsituierte Bürger, die sich als Sachwertsicherung ein Mietshaus zulegen möchten, weil sie fürchten, daß ihr Geld durch den leichten Inflationstrend immer mehr an Wert verliert. Sie scheuen aber den Ärger mit den Mietern. Wir bauen ihnen die Mietshäuser und übernehmen sie dann in unsere Verwaltung. Dann braucht sich der Hausbesitzer weder um Mietersorgen noch um die Bewirtschaftung zu kümmern."
Plett kann das sehr gut beurteilen, denn er ist bereits seit einigen Jahren - laut Hamburger Grundbucheintragung - mehrfacher Wohnblockbesitzer "ohne Giftzähne", obwohl er nur ungern davon spricht. Auch die beiden anderen Vorstandsmitglieder, Vietor und Beyn, sowie Pletts Bruder Kurt, ein ehemaliger Drogist, der bei der Neuen Heimat die Mieten kassiert, und andere leitende Angestellte ließen sich von dem Gewerkschaftskonzern unter günstigen Bedingungen Mietshäuser bauen.
Die Spitzenverdiener des Konzerns legten ihr steuergefährdetes Einkommen in einer privatwirtschaftlichen Enklave - umschlossen von lauter Gemeinnützigkeit -sachwertversichert an. Der Paragraph 7b des Einkommensteuergesetzes gibt ihnen die Möglichkeit, im Baujahr der Mietshäuser und im Jahr danach je zehn Prozent der Kosten von ihrem steuerpflichtigen Einkommen abzusetzen, in den darauffolgenden zehn Jahren jeweils drei Prozent.
Dem sozialen Charakter des Hauses entsprechend, wurden für diese betriebsinternen Betreuungsobjekte die günstigsten Hypotheken eingesetzt. Plett und seine engsten Mitarbeiter brauchen nur 5,5 Prozent Zinsen zu zahlen, während damals, als sie Hausbesitzer wurden, 6,5 und 7,5 Prozent Hypothekenzinsen üblich waren. Die zinsbilligen Hypotheken wurden sonst bei Bauten der Unternehmensgruppe nur in kleinen Teilbeträgen neben wesentlich höher verzinslichen Hypotheken eingesetzt, um einen "Mischzins" von 6,25 bis 6,5 Prozent zu erreichen.
Außer seinen günstig erworbenen Mietshäusern besitzt Konzernchef Plett in Hamburg-Lokstedt ein standesgemäßes Familieneigenheim, das er im vergangenen Jahr repräsentativ ausstattete, nachdem er jahrelang auf sein privates Milieu weniger Wert gelegt hatte. Seine beiden ersten Frauen starben während des Krieges. Die dritte Ehe mit einem Kindermädchen, das die drei Plett-Kinder aus den Vorehen betreut hatte, war zum Scheitern verurteilt.
Wette um 360 Flaschen Sekt
Der enttäuschte Mann gelobte nach der Scheidung, nicht zum viertenmal zu heiraten und bekräftigte dieses Gelübde in einer Tafelrunde vor Vorstandsmitgliedern und guten Freunden mit einer Wette um 360 Flaschen Sekt.
Plett mußte die 360 Flaschen zahlen, denn im vergangenen Jahr ehelichte er während einer Kneipp-Kur in Bad Wörishofen die Photographin der Neuen Heimat, Ingeborg Dommenget, 29, die dem 50jährigen Manager vor fünf Monaten einen weiteren Sohn
- Andreas - schenkte. Das Spiel mit der
Phototechnik, das Plett als Hobby betreibt, hatte den Verlust der Wette beschleunigt.
Während Frau Plett III nach der Scheidung ihren Wohnsitz in eine typische Neue-Heimat-Wohnung am Hamburger Saling verlegte, ließ der Chef des Unternehmens sein Privathaus im wahrsten Sinne zu einer neuen Heimat umbauen. Geschickte Innenarchitekten taten ihr möglichstes, um die Kulisse zu verändern, vor der sich Pletts verjüngtes Familienleben abspielt.
Der Hausherr dekorierte sein modernes Mobiliar mit Seff Weidl-Kleinplastiken, das Stück zu 1000 Mark. Die gnomenhaften Steinträger, Maurer und Zimmerleute aus Bronze inspirierten ihn - wie Alraunen - zu neuen Plänen und kommerziellen Schachzügen, besonders auf dem Baulandmarkt, der den Konzernmanager in letzter Zeit sehr stark in Anspruch nahm.
Über diesen Markt gutachtete unlängst der wissenschaftliche Beirat des Bundeswohnungsbauministeriums: "Er ist eine Terra incognita. Man weiß nichts über den Umfang, nichts über die regionale Verteilung und schon gar nichts über die tatsächlichen Preise. Es gibt für diesen Teil des Marktes weder Konjunkturbeobachtung noch Preis- und Mengenstatistik. Das Marktgeschehen liegt völlig im Dunkeln. Nur einzelne Blitzlichter - ausgelöst durch Notrufe - beleuchten einmal hier und da die Situation."
Plett lächelt über diese hilflose Definition. Er kennt den Baulandmarkt ebenso gründlich wie vor Jahren den grauen Pfandbriefmarkt. "Noch niemals", sagt Plett, "war die Bodenspekulation so übel und so weit verbreitet wie heute." Den Verdacht, daß die Neue Heimat diese Entwicklung durch umfangreiche Vorratskäufe gefördert habe, weist Plett weit von sich, aber er bestreitet nicht, daß täglich Dutzende von Maklern in seinem Auftrag mit Landwirten um Hunderte von Hektar Bauland feilschen.
Das Gutachten, das die wissenschaftlichen Beiräte des Bundeswohnungsbauministers über den dunkelgrauen Baulandmarkt abgaben, nennt als Hauptursache der Bodenspekulation: "Permanent zurückhaltendes Angebot, hervorgerufen durch unklare Wertvorstellungen, die die Aufrechterhaltung des Preisstopps herbeigeführt hat." Für unbebaute Grundstücke gilt nämlich immer noch die Preisstoppverordnung vom 26. November 1936; sie wurde damals erlassen, weil der Staat wegen der vielen öffentlichen Bauprogramme eine Hausse der Bodenpreise befürchtete.
Weder die Alliierten noch die Bundesregierung beseitigten die Preisschranke; man glaubte, die Freigabe der Bodenpreise werde den sozialen Wohnungsbau zu stark belasten. Nur den gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften wurde durch eine noch heute gültige Verordnung des Alliierten Kontrollrats gestattet, den Preisstopp für Bauland zu umgehen.
Die Gemeinnützigen sollten 1948/49, als diese Verordnung erlassen wurde, zu höchster Aktivität angespornt werden, weil man sich von ihrer Initiative eine schnelle Beseitigung der Wohnungsnot versprach. Der Freibrief, Land ohne Preisbindung aufkaufen zu können, wurde im Vertrauen darauf ausgestellt, daß diese Unternehmen aufgrund ihres gemeinnützigen Charakters und der ihnen auferlegten strengen Revisionspflicht* keine überhöhten Preise zahlen und nicht mit dem Boden spekulieren würden.
Der dunkelgraue Baulandpreis
Nachdem der Preisstopp durch die Sondergenehmigung schon leicht perforiert worden war, wurde er bald immer stärker durchlöchert. Die Grundbesitzer gaben Bauland zum gestoppten Preis nur her, wenn sie sehr dringend Geld benötigten. "Die Überzeugung ist allgemein", so heißt es in dem ministeriellen Gutachten, "daß die Preisüberwachung - von wenigen Fällen abgesehen - unwirksam ist." In Mehlem am Rhein beispielsweise - in der Nähe des Bundeswohnungsbauministeriums - kostete 1947 ein Quadratmeter Bauland etwa 70 Pfennig, heute ist in der Gegend unter 45 Mark kein Quadratmeter Boden mehr zu haben.
Bundeswohnungsbauminister Paul Lücke erhält täglich Hunderte von Notrufen - vor allem von Bausparern -, ohne an der Baulandkalamität auch nur das geringste ändern zu können. Ihm fehlt die gesetzliche Handhabe, den Markt zu regulieren und die Hausse der dunkelgrauen Preise zu dämpfen. An dem seit Jahren vorbereiteten neuen Grundstücksverkehrsgesetz wird in den parlamentarischen Ausschüssen und Sachverständigengremien immer noch gefeilt. Die Agrarier der CDU und die bayrischen Christdemokraten torpedierten Lückes Plan, das antiquierte Bodenrecht grundlegend zu reformieren. Derweil geriet der Baulandmarkt immer mehr in die kriminelle Sphäre.
Den Länderbauministern wurde eine Vielzahl dubioser Grundstücksgeschäfte bekannt; aus diesem Untersuchungsmaterial gewinnt man den Eindruck, daß in der Bundesrepublik etwa 90 Prozent aller Grundstückskäufe durch einen Gesetzesbruch zustande kommen: Der Käufer zahlt einen Schwarzmarktpreis, der Verkäufer meldet dagegen dem Finanzamt den Verkauf zum Stopp-Preis, und die Notare, die den Kaufvertrag aufsetzen, bestätigen durch ihre Unterschrift, daß der Verkauf zum gesetzlichen Preis erfolgt ist.
Aber es gibt auch Methoden, das Preisstoppgesetz ganz legal zu umgehen. In Hamburg hat sich zum Beispiel der Brauch eingebürgert, den frei vereinbarten Preis zu spalten. Der Bodenbewerber schließt mit dem Grundstückseigentümer zunächst einen Vertrag ab, der ihm das Vorkaufsrecht garantiert. Das Vorkaufsrecht honoriert er dann so großzügig, daß die Differenz zwischen dem Stoppsatz, den der Käufer bei der Übernahme des Grundstücks zahlt, und dem frei vereinbarten Preis ausgeglichen wird.
Plett braucht solche Umgehungsmanöver nicht zu unternehmen. Durch den Freibrief der alliierten Verordnung begünstigt, kann er jedes angebotene Terrain zu jedem Preis aufkaufen, der ihm angemessen erscheint. Diese Aktionsfreiheit sicherte ihm einen Vorsprung gegenüber allen privaten Wohnungsbauunternehmern.
Unter den verkaufswilligen Grundbesitzern und Grundstücksagenten sprach sich schnell herum, daß man mit der Grundstücksabteilung der Neuen Heimat risikolos einträgliche Baulandgeschäfte abschließen kann. Der frühere Leiter der Grundstücksabteilung, Pypetz, renommierte damit, daß die Neue Heimat es sich leisten könne, Spitzenpreise zu zahlen, denn mit Geld brauche sie nicht zu kargen.
1957 war Pypetz plötzlich verschwunden - er suchte in Jena eine neue Heimat, aber die Sicherheitsorgane der DDR mißtrauten seinen Qualitäten und schickten ihn an Plett zurück, der sich nach Bereinigung einer undurchsichtigen Affäre von ihm trennte.
In den nächsten zwölf Monaten verbrauchte die Neue Heimat nochmals zwei Grundstücks-Abteilungsleiter - so turbulent ging es bei den Bauland-Ankäufen zu, bei denen die Neue Heimat ihr Privileg rigoros ausnützte. Beschwerte sich der Hamburger CDU-Fraktionschef Dr. Sieveking in einer Bürgerschaftssitzung: "Der eine Fall ist in meiner Nachbarschaft draußen in den Elbgemeinden vorgekommen. Da war der Preisstopp für das Gelände 5,50 Mark. Ein privater Bauherr (die Grundstücksfirma Carl Leisau) beantragte bei der Preisbehörde, ihm 8,50 Mark zu bewilligen. Das wurde ihm abgelehnt. Und es dauerte nicht, lange, da wurde das gleiche Gelände von einer großen Gesellschaft (Neue Heimat) für 14 Mark gekauft."
Ein anderer eklatanter Fall: Der Vorsitzende des Verbandes freier Wohnungsunternehmen, Werner Kock, wollte ein landwirtschaftlich genutztes Areal am Stadtrand Hamburgs für etwa fünf Mark je Quadratmeter aufkaufen; die Behörden setzten aber den Verkehrswert auf 80 Pfennig fest, worauf sich der Kauf zerschlug. Die Neue Heimat konnte indes das angrenzende Terrain ungehindert für zehn Mark je Quadratmeter erwerben.
Plett nutzt freilich auch jede Möglichkeit aus, Bauland unter dem üblichen Preis aufzukaufen, wobei ihm nach Ansicht der CDU - zumindest in einem Fall - politische Querverbindungen sehr zustatten kamen. Der Gewerkschaftskonzern konnte nämlich mit SPD-Unterstützung Spitzenfunktionäre in die Fachausschüsse des Hamburger Senats dirigieren, die über Bauplanung und Landverkauf mitbestimmen. In der Baudeputation hat der Personalchef der Neuen Heimat, Hans Leyding, (neben vier Vertretern anderer gemeinnütziger Wohnungsbauunternehmen) Sitz und Stimme; in die Finanzdeputation, die auf den Verkauf städtischer Liegenschaften Einfluß nimmt, ließ sich Plett selbst delegieren. Dieser Deputation blieb es im vergangenen Sommer vorbehalten, den Verkauf von 107 000 Quadratmetern öffentlichen Grüns an die Neue Heimat zu befürworten.
Die Entscheidung lag, bei der Bodenordnungskommission, in der die SPD über die Mehrheit verfügt. Die Sozialdemokraten der Kommission wollten der Neuen Heimat das verkehrsgünstig gelegene Terrain für 4,50 Mark je Quadratmeter überlassen. Auf CDU-Protest hin wurde der Preis auf fünf Mark erhöht, aber auch dieser Preis stellt nach Ansicht der CDU-Fraktion eine ,öffentliche Subvention für die Neue Heimat dar; denn so billig konnte bisher noch kein privater Interessent Boden aus Stadtbesitz erwerben".
Pletts SPD-Genossen unterstützten den Antrag mit dem Hinweis, daß der Neuen Heimat geholfen werden müsse, schnellstens Geldreserven zu "verbauen". Das Kapitalkarussell des Finanzmaklers Wolfgang Essen war damals durch 72 Millionen Mark nicht abgerufener 7c-Darlehen blockiert; es rotierte erst wieder, als Plett in Hamburg-Langenhorn neue Wohnanlagen aus dem billig erworbenen öffentlichen Grün stampfen ließ.
Derweil zogen sich über dem "Plettbrett" die Wolken christdemokratischen Unmuts in dicken Schwaden zusammen. Sieveking und seine CDU-Kollegen sprechen von "Betriebsspionage" und "Geheimnisverrat" und sind überzeugt, daß die Manager der Neuen Heimat schon seit Monaten die Details eines neuen Aufbauplans kennen, der dem Hamburger Landesparlament in den nächsten Wochen als Senatsvorlage unterbreitet werden soll.
An diesem Aufbauplan wurde jahrelang gearbeitet. Er gibt die Flächen des sogenannten Außengebietes an, die in den nächsten Jahren bebaut werden sollen. Als Außengebiet gelten Grünanlagen, Natur- und Landschaftsschutzgebiete sowie landwirtschaftlich genutzte Flächen, die bisher außerhalb der Bebauungsgrenze lagen. Große Teile dieser Landreserve müssen für den Wohnungsbau geopfert werden, um die durch starken Zuzug vermehrte Bevölkerung unter Dach zu bringen. Man rechnet damit, daß Hamburg (heute 1.8 Millionen Einwohner) 1961 zwei Millionen Einwohner zählen wird.
Da der Verkehrswert von Außengebietsflächen sofort um ein Mehrfaches steigt, wenn das Terrain als Bauland oder Bauerwartungsland deklariert wird, wollen alle Grundstücksinteressenten möglichst frühzeitig wissen, wo demnächst gebaut werden darf. Wer die Gedanken der Stadtplaner kennt, verbessert seine Chance, möglichst viel Land der Bodenreserve zu relativ günstigem Preis zu erwerben.
Bei diesem Gedankenlesen schnitt die Neue Heimat bisher auffallend gut ab. Die CDU-Opposition bringt diese erstaunliche telepathische Leistung mit der Tatsache in Verbindung, daß Plett den früheren Planungsbeamten Schneider, der maßgeblich an dem neuen Aufbauplan mitarbeitete, für eine besser bezahlte Position interessierte. Schneider leitet heute die Unterabteilung Planung der Neuen Heimat. Kommentiert CDU-Fraktionschef Sieveking: "Es ist doch ganz selbstverständlich, daß die Verbindung mit den alten Kollegen nicht abreißt. Deshalb gibt es für die Neue Heimat kein (Planungs-)Geheimnis mehr."
Im Konferenzsaal der Neuen Heimat hingen schon einige Wochen vor Weihnachten die Entwurfsskizzen für eine Anzahl Wohnsiedlungen, die Plett in den jungfräulichen Gebietsstreifen errichten will, die nach seinen Informationen im neuen Aufbauplan als Bauland oder Bauerwartungsland ausgewiesen werden. Täglich belagern Makler und Grundstücksagenten die Besitzer dieser Latifundien, um Pletts Plänen durch schnelle Landaufkäufe eine reale Basis zu sichern. Die heue Heimat trifft dabei auf die Konkurrenz vieler anderer Grundstücksinteressenten, zum Beispiel der Versicherungskonzerne, aber auch der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften.
Monatelang setzte die Neue Heimat ihre gewiegtesten Unterhändler auf das letzte Landgut im Hamburger Stadtgebiet an, das Gut Wendlohe, das dem fast 70jährigen Chemiefabrikanten Dr. Ernst Sandow (Spezialität Mineralwassersalze) gehört. Da Sandow auf dem mageren Boden von Wendlohe kaum noch Landwirtschaft betreibt ("Bei den heutigen Agrarpreisen lohnt das nicht") und auf dem größten Teil seines Grundbesitzes nur spazierenreitet, glaubten Pletts Makler, mit Dr. Sandow leichtes Spiel zu haben. Sie boten ihm für das 4,1 Millionen Quadratmeter große Areal 10,5 Millionen Mark.
Aber Sandow tat so, als ob ihn das Geld überhaupt nicht interessiert: "Schon meine Mutter war eine reiche Frau." Schließlich fuhren Plett und sein Finanzdirektor Vietor selbst nach Wendlohe, um mit dem Agronom zu verhandeln. Sandow zerstörte den Baumanagern die These, daß Geld der Messias sei. Er zitiert gern fromme Sprüche wie diesen: 'Häuser bauen hier auf Erdein, ist nur lauter Eitelkeit. Laßt uns bauen, daß wir werden Kinder der ewigen Seligkeit."
Plett beauftragte inzwischen einen bibelfesten Makler, mit Dr. Sandow Verbindung aufzunehmen. Der geeignetste Mann für diese innere Mission war ein Pastorensohn, den sich die Neue Heimat für schwierige Fälle verschrieben hat, der alte Siedlungs-Spezialist Carl Höck aus Hamburg-Sülldorf, der sich vor Jahrzehnten als Schüler der Bodenreformer Damaschke und Bodelschwingh im Heimstättenwesen betätigte.
1957 hatte sich Höck jedoch bei der Finanzierung einer Reihenhaussiedlung in Sülldorf einen Bruch gehoben. Die Neue Heimat rettete ihn vor dem Ruin; sie übernahm die Siedlung und die darauf lastenden Schulden, verpflichtete aber Höck vertraglich, seine Kenntnisse und Beziehungen in den Dienst der Neuen Heimat zu stellen.
Bisher konnte jedoch auch Höck den Gutsbesitzer nicht überreden, sich den Lebensabend mit 10,5 Millionen Mark vergolden zu lassen. In Sandow sind plötzlich verdrängte materielle Interessen wachgeworden, nachdem man ihm nahegelegt hat, sich in der Schweiz niederzulassen - ein Gedanke, der dem alten Naturfreund nicht schlecht gefällt. Sandow will aber nur in die Schweiz emigrieren, wenn er zwölf Millionen Mark mitbekommt. Darüber wird noch gefeilscht, verhandelt und spekuliert.
Wenn der Ankauf zustande kommt, will Plett auf den Gutsweiden und -feldern einen neuen Stadtteil entstehen lassen, der durch eine Alweg-Einschienenbahn mit der Hamburger City verbunden werden soll. Bisher hat in der ganzen Welt noch keine staatliche oder kommunale Körperschaft den Mut gehabt, die nur auf dem Versuchsgelände erprobte Alweg-Schnellbahn in die Verkehrspraxis zu übernehmen. Plett scheut davor nicht zurück; er wäre bereit, 25 Millionen Mark für den Bau einer Alweg-Strecke aufzuwenden, wenn ihm das Projekt Wendlohe glückt.
Dabei eifert Plett bewußt einem großen Baumanager nach, dem Baumeister Adolf Sommerfeld, der während der zwanziger Jahre mit seiner Firmengruppe das südwestliche Vorfeld der Reichshauptstadt (die Gegend am Botanischen Garten, Zehlendorf-Nord und Klein-Machnow) besiedelte. Der 1933 nach England emigrierte Baulöwe - er nannte sich später Andrew Sommerfeld - finanzierte damals auch den Bau von U-Bahn-Strecken und U-Bahnhöfen, um den Wert der Bauterrains, die seine Firmengruppe erworben hatte, zu steigern. Wendlohe soll nach Pletts Plan "das Klein-Machnow von Hamburg" werden.
Eine ähnliche Großsiedlung will Plett am westlichen Stadtrand zwischen den Vororten Rissen und Sülldorf errichten. In Rissen hat sich die Neue Heimat schon 52 Hektar Bauland vertraglich gesichert. Bei Abtretung dieser Fläche erhält der Besitzer - ein Risseier Bauer - von der Neuen Heimat einen modernen Landwirtschaftsbetrieb in Schleswig-Holstein und außerdem 100 000 Mark Aufgeld.
Auch mit Sülldorfer Bauern hatte Plett ähnliche Kontrakte vorbereitet, aber in dem 800 Jahre alten Dorf ist die bäuerliche Tradition noch tief verwurzelt, so daß die absprungbereiten Bauern wankelmütig wurden, als der Geschäftsführer des Bauernverbandes, CDU-Bundestagsabgeordneter Ernst Pernoll, ein Bauernreferendum (Gewissensfrage: "Wollt ihr weichen?") veranstaltete. Die christdemokratisch aufgerüsteten Bauern bekräftigten in einer Resolution, die von allen unterschrieben wurde, daß sie weder vor Plett noch vor anderen Baumanagern zurückweichen wollen. Dieses Dokument schickte Pernoll an den sozialdemokratischen Hamburger Bausenator Nevermann.
Auf Plett machte diese Aktion jedoch überhaupt keinen Eindruck. Er weiß: Das Sülldorfer Terrain wird in dem neuen Aufbauplan als "Untersuchungsgebiet" ausgewiesen. Plett: "Die Bezeichnung Untersuchungsgebiet ist nur eine Verbeugung vor harten Worten in der Demokratie. In Wahrheit bedeutet das soviel wie. Gebiet, das zur Bebauung vorgesehen ist'. Wenn der Senat dahintersteht, wird es bebaut; da helfen keine Resolutionen. Notfalls wird man den Boden enteignen."
Plett hat in der Abweht solcher Attacken Erfahrung: "Wir haben einen ähnlichen Aufstand gegen die Neue Heimat auch beim Bau der Siedlung Bogenhausen bei München erlebt. Da hat man sogar den bayrischen Kronprinzen Rupprecht zu Hilfe gerufen. Was hat es genutzt? - Nichts. Wir haben gebaut, und wir werden weiterbauen."
* Die nach 1918 gegründete staatliche Treuhandgesellschaft "Heimstätte" forderte den Kleinsiedlungs- und Landarbeiterwohnungsbau.
* Erst im vergangenen Jahr hat sich der Kurs normalisiert. Seitdem die Banken außerordentlich liquide sind und die Zinssätze gesenkt wurden, sanken auch die Zinsen für neuemittierte Schuldverschreibungen der Länder, Kommunen und der Industrie, so daß der Pfandbrief wieder konkurrenzfähig wurde.
* Der Einkommensteuerparagraph 7c gewährte Darlehensgebern, die den Wohnungsbau förderten, erhebliche Steuervorteile. Dadurch sollten die Mieten möglichst niedrig gehalten werden. Ab 1959 bleiben die Steuervergünstigungen jedoch auf Darlehen für den Eigenheimbau (10 000 Mark je Eigenheim) beschränkt.
* Die Kostenmiete (für frei - ohne öffentliche Zuschüsse - finanzierte Wohnungen) wird nach den Zins- und Tilgungsraten festgesetzt, die ein Bauherr für das Baukapital aufbringen muß, das er in ein Wohnungsbauprojekt investiert hat.
* Die Förderung des Wohnungsbaus soll Grundstückseigentümern den Wiederaufbau und Neubau von Wohnraum erleichtern und die Baukosten sowie die laufenden Belastungen soweit in Grenzen halten, daß den einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen Wohnungen zu tragbaren Mieten zur Verfügung gestellt werden können.
* Die gemeinnützigen Unternehmen werden alljährlich von speziellen Revisionsverbänden überprüft.
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* Aus einem Plett gewidmeten Almanach, den ihm seine Mitarbeiter zum 50. Geburtstag überreichten.