PRESSE Fetzen fliegen
Am Tag nach dem Bombenanschlag auf das Springer-Haus (17 Verletzte) gewann die Springer-Zeitung "Welt am Sonntag" dem Attentat eine positive Seite ab. "Kasper", Marginalien-Autor des Law-and-Order- Blattes, schrieb:
Der physische und psychische Bombenterror ... hat gute Chancen, solange er vom radikal-intellektuellen Establishment als Kavaliersdelikt betrachtet und von lindern Liberalismus mit einem herzigen Du-Du bedacht wird. Gute Chancen allerdings gibt damit die politische Logik auch der Law-and-Order-Bewegung, die mit Sicherheit parallel crescendiert.
Was zuerst als Kasperei erschien, ist in westdeutschen Blättern längst Ernstfall. Die gute Chance wurde genutzt, die Bewegung geriet in Galopp: Seit Bombert barsten, denunziert eine publizistische "Volksfront von rechts" (SPD-Vize Herbert Wehner) die gesamte Linke, linde Liberale und überhaupt alles. was sie so dafür hält, als Wegbereiter des Anarchismus.
Allerorten wittern Journalisten Helfershelfer der Terroristen, die. auf Einigkeit und Recht und Freiheit pfeifen. Und weil das so ist, suggerieren Leitartikler, kann nur mehr Staat noch den wieder einmal an einen Abgrund gekommenen Staat beschützen -- auch, wenn Recht und Freiheit dabei ein bißchen hintangestellt werden.
An der Spitze der Bewegung steht, wie eh und je, Axel Springer nach eigenem Bekenntnis "zu einer Art letzten Schlacht für die Freiheit angetreten", nach dem Urteil der Londoner "Sunday Times" eher darauf bedacht, in seinen Blättern "alles das anzugreifen, was nach Meinung Springers die Stabilität der deutschen Gesellschaft bedroht". Und das tut scheint's jeder, der nicht Springers Meinung ist.
Pauschalem Verdacht verfällt in Springers "Kampf blatt", der "Welt", der gesamte "akademisch-mediale Bereich: Studenten, Journalisten, Anwälte, Professoren, Schriftsteller". Wer Terrorist, wer Helfer ist -- das ist der "Welt" fast einerlei: "Es gibt keine Gruppe, die ausschließlich an der "Front' oder im "Hintergrund' tätig wäre. Die Tätigkeitsfelder überlappen sich."
Irgendwo im Hintergrund hat Springers Konzern-Kolumnist Peter Boenisch auch Kanzler Willy Brandt ausgemacht. In "Bild am Sonntag" warf Boenisch dem Regierungschef vor, daß er nach dem Heidelberger Bombenattentat nicht sofort seine Wiener Staatsvisite abbrach (obschon, wie Boenisch weiß, dergleichen "protokollarisch nicht üblich" ist):
Wurde der Staatsbesuch verkürzt oder unterbrochen? Flog der Kanzler nach Heidelberg? (Der Flug hätte nur 65 Minuten gedauert.) Konferierte er dort mit dem amerikanischen Oberkommandierenden? ... Nein, der deutsche Kanzler fuhr -- es lebe die Musik -- zur Gedenkstätte Josef Haydns nach Eisenstadt. Die Boenisch-Behauptung. daß von Bonns sozialliberaler Koalition "die politischen Verbrecher verhätschelt" werden und die Regierung "bestenfalls vor Wahlen aus einer Kaum- eine Großfahndung" mache ("Der Kanzler wehrt sich nur gegen die CDU"), fügt sich in die Schreibweise bundesdeutscher Neonazis. Am Tag nach der Baader-Verhaftung stand in der "Deutschen National-Zeitung":
Beinahe die gesamte Linke, an der Spitze Heinemann und Brandt, hat zumindest seit einem Jahrzehnt die Ordnung zerredet ... Ein Obermaß an "Liberalisierung" der Strafgesetze vor und unter Heinemann dient so gut wie ausschließlich kommunistischen und terroristischen Bestrebungen.
Und selbst in den fernsten Winkeln der Republik verbreitete die rechte "press gang" ("Sunday Times) die These von einer Teilhabe der Bonner am Bombenterror. Regensburgs "Tages-Anzeiger":
Der von der neutralistischen Gesamtdeutschen Volkspartei zur SPD gekommene Bundespräsident Heinemann und der von der radikalen Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei zur SPD gestoßene Willy Brandt predigten uns lange genug: Eine Demokratie wie die unsere müßte auf einer bestimmten Entwicklungsstufe die Bedrohung der Gesellschaftsordnung durch den politischen Radikalismus und verbrecherische Kriminelle, wenn auch als Genossen in Marx verkleidet, hinnehmen.
Doch was sich im "Tages-Anzeiger" (Herausgeber: Bayerns christsozialer Justizminister Philipp Held) noch als provinzielles Pamphlet überlesen läßt, erscheint im Parteiorgan "Bayernkurier" (Herausgeber: Vorsitzender Franz Josef Strauß) als CSU-offizielle Stellungnahme -- ein Dokument ungenierter Demagogie:
Sehen wir einmal davon ab, daß die sozialistischen Triebkräfte, die hinter Brandt so offenkundig stehen -- siehe die Unterwanderung der SPD! -- ... sich bereits in einem mehr als unverhüllten Bund mit dem Weltkommunismus befinden. Selbst wenn hier Triebkraft und ausführendes Organ sich nicht so überdeutlich ergänzten: Es liegt doch für jeden Einsichtigen klar auf der Hand, daß diese Regierung die rote Unterwanderung unserer Gesellschaft, einschließlich Mord und permanenter Gewalttätigkeit einfach deshalb dulden muß, weil sie es sich nicht mehr erlauben kann, die Sowjetunion als hochgelobten und schon unverzichtbaren Vertragspartner noch zu verärgern.
Wie heftig Springers und Straußens Publikationen das freiheitliche System strapazierten, das zu schützen sie vorgeben, machten unabhängige Bürgerblätter deutlich. Dort war nachzulesen, was der Kampfpresse das Blei nicht wert ist.
Während "Bild" eine "breite Sympathiewelle der linken Schickeria" für die Terroristen entdeckte, registrierte die konservative "Cellesche Zeitung" nach den Bombenanschlägen eine "Isolierung" der Terroristen "auch bei jenen, die ihnen bislang mit Sympathie" begegnet sind.
Während die "Welt" ortete: "Der Sumpf liegt links, und zwar nur links", gaben die "Stuttgarter Nachrichten" -- frei vom Verdacht, links zu sein -- zu bedenken, "daß die geistigen Fundamente des Linksradikalismus und des linken Faschismus in jenen Jahren gelegt worden sind, als in Bonn die Christlichen Demokraten den Bundeskanzler stellten und an erster Stelle regierten".
Während der CSU-nahe "Tages-An-Zeiger" in Regensburg "Staat und Gesellschaft" schon "auf dem Totenbett" sah, bedeckt mit den "Leichentüchern unserer Freiheit", rückte die seriöse "Hannoversche Allgemeine Zeitung" zurecht: "Die Gefahr, die durch die Aktivitäten der Bande hervorgerufen wurde, ist vielfach überschätzt worden. Weder der Bestand des Staates noch die demokratische Grundordnung konnten durch ihr Treiben ernsthaft gefährdet werden."
Und während Springers "Welt am Sonntag" ("Nennt die Namen!") fürs Ausradieren war: "Die Entscheidung wird erst gefallen sein, wenn der Hintergrund der Anarchie nicht nur aufgehellt, sondern weggewischt ist . -- . wenn es auch die Helfer der Helfershelfer nicht mehr gibt", urteilte die "Neue Ruhr Zeitung" über die "WamS": "Hexenjagd ... Vernichtung bis ins vierte Glied ... Was für eine Torheit!" Um die Idee abzustützen, die "Sympathien für die Propagandisten der gewaltsamen Veränderung" reichten "bis in demokratische Parteien hinein", zog "WamS"-Kolumnist Matthias Walden das Juso-Wort von den ",systemsprengenden" Aktivitäten" heran: "Nun wird gesprengt, und die Fetzen fliegen."
Daß aber SPD-Jungsozialisten, FDP-Jungdemokraten, Gewerkschaftsjugend. "Falken" und "Naturfreunde" Ende Mai in einer gemeinsamen Erklärung "als Vertreter von Millionen organisierter Jugendlicher in der BRD" die Bombenanschläge als "Aktionen von Kriminellen" verurteilt haben -- diese Meldung unterschlugen sämtliche Blätter des Springer-Konzerns ihren 25 Millionen Lesern.
So folgen Springer- und Strauß-Journalisten mittlerweile exakt jenen Grundsätzen. die der Münchner Zeitgeschichtler Hermann Bott in einer Untersuchung über "Die Volksfeind-Ideologie" vor drei Jahren als Kriterien "rechtsradikaler Propaganda" analysierte. "Haßgefühle und Aggressivität", so Bott, werden auf eine "imaginäre Feindgruppe gelenkt. In der Unbestimmtheit des Feindes offenbart sich der demagogische Charakter der rechtsradikalen Propaganda, die willkürlich darüber befindet, wer Kommunist oder heimlicher Agent ist".
Als Volksfeinde verdächtig sind denn auch wieder einmal all jene, die rechten Deutschen nie ganz geheuer waren. Steckbrief der "Welt": "Ganz überwiegend handelt es sich um Intellektuelle"; besondere Merkmale: "Blue jeans ... große Amulette ... langhaariger Modehund ... weißer Alfa". Feindbild der "WamS": "Cord-Individualismus ... Kaum einer ist älter als dreißig ... Fast keiner hat einen Beruf." Laut "BamS" kennzeichnet "die schlechte Laune der Radikalen" solche Dunkelmänner, doch können sie laut "WamS" auch -- Vorsicht geboten -- "versuchen, ganz nett zu erscheinen".
Ins politische Zwielicht begibt sich schon, wer sich über die Motivationen der Baader-Meinhof-Leute Gedanken macht. Jedem müsse man "den Boden entziehen", so die CDU-nahe "Kölnische Rundschau", der "die Taten der Baader und Komplizen theologisch, psychologisch, soziologisch oder sonstwie zu erklären" versuche. Und prompt "Protest" meldete die "Welt", als Dr. Manfred Linz, Leiter der Abteilung "Religion und Gesellschaft" (Kirchenfunk) des NDR, in einer Sendung "kaum verhüllte Sympathie" (CDU Hamburg) für die Terroristen entwickelte. Linz:
Nun ist es keine Frage, daß die Baader-Meinhof-Gruppe inzwischen zu schwerer Kriminalität übergegangen ist. Auch wenn man sie Oberzeugungstäter nennen will, so sind sie eben doch Überzeugungsverbrecher geworden. Aber wir isolieren das kriminelle Element in ihnen und vergessen, daß sie ihren Weg anders begonnen haben, Alle Mitglieder der Gruppe waren in der aktiven Sozialarbeit tätig, sie haben sich also für die sozial Schwachen eingesetzt. Und erst, als sie die Hoffnung verloren, sie könnten auf diese Weise etwas Wesentliches ändern, erst dann sind sie zu einer gewaltsamen Strategie übergegangen, die auch Verbrechen rechtfertigt, Und an die Verbrechen halten wir uns jetzt und wehren damit das schlechte Gewissen ab, das uns sagt, daß diese Menschen immerhin aktiv für die auf der Schattenseite eingetreten sind,
Ein "Skandal" auch war für die "Welt". als in einer WDR-Hörfunksendung der in Österreich lebend Schriftsteller Ernest Bornemann Formulierungen -- etwa "Fahndungstheater" der Polizei -- fand, die in der Tat "in Tendenz und Substanz undiskutabel" (WDR-Intendant Klaus von Bismarck) erscheinen, Doch in dem einen wie im anderen Sender traten sogleich intervenierend Politiker auf den Plan; NRW-Innenminister Willi Weyer versprach zu prüfen. ob auch "solchen Leuten" Gelegenheit zur Meinungsäußerung zustehe: die Kieler CDU-Landesregierung beschloß. wegen des Linz-Kommentars eine "Rechtsaufsichtsmaßnahme" gegen den NDR-Intendanten einzuleiten.
Gewiß nicht nur aus berechtigter Sorge uni journalistische Verfassungstreue appellierte "Bild am Sonntag" an Willy Brandt, gegen Politei-Kritik Von "Sendern und Leitungen" seinen "Presssechef" zu mobilisieren; die "Welt" erhob es zur "Aufgabe" aller "publizistischen Medien". dem "Antiamerikanismus entgegenzutreten": das "Hamburger Abendblatt" kritisierte eine "Panorama"-Sendung über Fahndungshysterie als nicht "zweckdienlich".
Weichen Zwecken Zweck-journalismus dieser Art letztlich dienen könnte. markierten ausländische Zeitungen. Ins "parteipolitische Kalkül" der CDU CSU paßt es nach dem Urteil der liberalen Basler "National-Zeitung", daß ein "Gutteil der Presse in der Bundesrepublik dazu beigetragen hat, die Dimension der Gefahr, die von Baader und Ulrike Meinhof heraufbeschworen wurde, ins Unermeßliche zu steigern".
Und "daß die Terrorwelle der letzten Zeit ... dem Axel Springer gar nicht unwillkommen gewesen" ist. da sie "gut in seine Kampagne für "Gesetz und Ordnung'" hineinpaßte, stand in der größten jütländischen Tageszeitung. der konservativen "Jyllands-Posten",
Doch während Ausländer besorgt Deutsch land betrachten, schauen Deutsche befriedigt über die Grenzen, In derselben Ausgabe, in der er auf Seite 1 den Bonner "Bund mit dem Weltkommunismus" entlarvt. freut sich Straußens "Bayernkurier" auf Seite 14, daß der "Faseismus" samt Mussolini "heute für viele Italiener kein Popanz mehr"
"Man ... kann auch ruhig auf den vernünftigen Charakter mancher Reformen Mussolinis hinweisen."