KUNST Wahl der Damen
New Yorker Künstlerinnen -- "Newsweek" zahlte 300 -- gingen protestierend auf die Straße. Sie schritten vor dem Museum of Modern Art (Moma) bedrohlich auf und ab, verteilten Handzettel und klagten auf Transparenten ihren Kummer: "Moma hält zu Papa."
Solche Vorliebe für Männer wittern die Demonstrantinnen überall. Überall in Amerikas Museen, doch auch am Kunstmarkt und in der Kunstkritik fühlen die Damen sich zurückgesetzt. Daher formieren sie, seit etwa einem Jahr, militante Klubs, bedrängen das männliche Establishment mit Proporz-Verlangen und steuern als Nahziel eine New Yorker Großausstellung "Frauen wählen Frauen" all.
Auch auf Deutschland wird jetzt der Künstlerinnen-Feldzug ausgeweitet -- mit einem Modellsieg: Das Hamburger Kunsthaus bietet (unter der Ägide des 46 Jahre alten Suffragettenzirkels "Gedok") eine reine Damen-Wahl aus Werken von 47 Amerikanerinnen.
Doyenne der Import-Amazonen ist die 1935 aus Deutschland emigrierte Kritikerin und Künstlerin Lil Picard, die mit Dias, Tonbändern und Druckwerken ihr eigenes Leben für die Medien durch die Medien dokumentiert. In ein Cape aus Zeitungen gehüllt, prophezeite sie zur Eröffnung, "daß die siebziger Jahre im Zeichen der Frauenkunst stehen werden
Solche Kunst, in der die jeweilige Produzentin ihren "individuellen Ausdruck als weiblicher Mensch" findet, hat für Lil Picard den Charakter des "leicht Zerstörbaren, exzentrisch Barocken. Ephemeren", wenn nicht gar einen Einschlag von Web- und Nadelarbeit. Doch allenfalls ein Teil der nach Stil und Qualität
ungleichmäßigen "Woman Artist Show" von Hamburg läßt sich in diese Kategorien fassen.
In zottigen Kordel-Arrangements (Brenda Miller), gesteppten Tüchern (Nina Yankowitz) oder bibbernden Plastik-Nestern (Hannah Wilke) wird immerhin eine gesteigerte Material-Empfindlichkeit faßbar. Hannah Wilke selbst hält die "Weichheit" ihrer Werke für geschlechtsspezifisch und lehnt es ab, Frauen-Kunst als männlich zu "verkleiden", wie es bislang anerkannte Künstlerinnen fast stets versucht hätten.
Dennoch werden Wilke-Werke auf uneingeweihte Betrachter kaum weiblicher wirken als manches "Antiform"-Kunststück von Männerhand oder auch die weichen Pop-Sachen Claes Oldenburgs, mit dem die einstige Photographin befreundet ist. Beobachterinnen raunen freilich, Hannahs Künstler-Ehrgeiz belaste das Verhältnis.
Andere Künstlerinnen wie die schon halbwegs prominente Marjorie Strider, die bunte Schaumstoff-Fladen über die Fassade des Kunsthauses lappen läßt, wünschen ihre Arbeit ganz ohne Ansehen der Weibs-Person gewürdigt. Gerade das macht offensichtlich Schwierigkeiten: Frau Strider, Dozentin einer Kunstschule, schätzt den weiblichen Anteil der Studentenschaft auf 25, den des Lehrerpersonals auf drei und den der protegierten Galerie-Künstler auf zwei Prozent.
"Wir werden nicht ernst genommen", so klagt Faith Ringgold, die eine New Yorker Gefängnis-Wand bemalt hat, politische Graphiken ("The United States of Attica") verteilt und von der Zeitschrift "Das Kunstwerk" als "der Künstler Ringgold" registriert wird. Die Farbige empfindet "das gleiche Problem noch schlimmer" als ihre hellhäutigen Kolleginnen: Die Welt der Schwarzen sei besonders patriarchalisch.
"Wir sind so lange ungerecht behandelt worden", erklärt auch die in Hamburg mit einer Art Phallus-Kolonle vertretene Bildhauerin Louise Bourgeois ganz offen, "daß wir jetzt unbedingt Privilegien brauchen. Die Frage der Qualität sollte erst einmal suspendiert werden." Und nur so sind in der Tat, bei allen Talent-Beweisen, die radikalen Forderungen der New Yorker Kunst-Kämpferinnen zu begründen: Sie verlangen die Hälfte aller Ankauf-Etats, Ausstellungen und Verwaltungsposten in den Museen für ihr Geschlecht.
Diesem Ansturm begegnen die Institutionen vorerst elastisch. Sie lassen nach und nach mehr Künstlerinnen zu. stellen sich aber gegen Grundsatz-Petitionen taub. Auf eine Umfrage der neuen Spezialgazette "Women and Art" nach den Bewertungsmaßstäben für Frauen-Kunst teilte der Museumsdirektor Thomas Hoving mit, er sei "nicht in der Lage, die Frage zuzulassen".
Die Hälfte der 50 angeschriebenen Experten antwortete, "vermutlich aus Desinteresse, Furcht oder Verachtung" ("Women and Art"), mit keiner Silbe -- darunter Susan Sontag, Andre Malraux und Lil Picard.