ÜBERLÄUFER Schlagt die Aggressoren
Eine Anzahl Flugblätter und mehrere Tonbänder, die der Ministerialdirigent Krueger, stellvertretender Leiter des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung, am Donnerstag letzter Woche im CDU-Fraktionssaal des Bonner Bundeshauses präsentierte, brachten ihn zu dem aufsehenerregenden Schluß: "Was man bisher nur vermuten konnte, hat sich bestätigt: Die
Nationale Volksarmee (der Sowjetzone) wird planmäßig auf einen Angriffskrieg (gegen die Bundesrepublik) vorbereitet."
Die derart beschuldigten SED-Spitzen ließen wenig später aus Ostberlin wissen, es handele sich bei den angeblichen Beweisen für diese These um plumpe Fälschungen der Bonner Militaristen, die damit nur von ihren eigenen aggressiven Absichten ablenken wollten.
Die ganze Wahrheit lieb in den offiziellen Verlautbarungen aus Bonn und Ostberlin so unsichtbar wie der Überbringer des Materials, der 32jährige Volksarmee-Hauptmann Günter Malikowski, in der Kruegerschen Dokumentarschau zu Bonn.
Die neuen Betreuer des Überläufers ließen das etwas einfältige Gesicht des Volksoffiziers nicht direkt, sondern nur durch die Medien von Photographie und Television sichtbar werden, und sie ließen auch einige Details der ganzen Story im dunkeln, die eigentlich zum Bild gehörten.
Seit Februar dieses Jahres operiert die offizielle DDR-Propaganda mit der Mär, die Bundeswehr plane einen "Blitzkrieg gegen die DDR", noch dazu mit Atomwaffen. Diese Pankower Propagandathese, vornehmlich für das Ausland berechnet, um Bonn in Mißkredit zu bringen, wurde durch Sprüche untermauert, die von den Bundeswehr-Überläufern Winzer und Gliga in Ostberlin aufgesagt wurden.
So große Wirkung die DDR-Propagandisten sich auch im Ausland versprechen mochten, auf die eigene Truppe mußten derartige Atomschreckensbilder nicht eben anfeuernd wirken. Um möglichen Angstzuständen der Soldaten vorzubeugen, wurde im Polit-Unterricht alsbald gelehrt, solchen Angriffen werde natürlich der sozialistische Gegenschlag auf dem Fuße folgen.
Um die Gegenschlag-Vorstellungen treffend zu illustrieren, erfanden Parteibeamte des SED-Zentralkomitees eine makabre Methode psychologischer Verteidigung.
Die für den Einsatz politischer Führungsoffiziere verantwortliche ZK-Stelle gab "streng vertraulich" auf dem Polit -Dienstwege, der unabhängig von dem militärischen Dienstweg läuft, parteiinternes Material heraus, das Aufrufe an die Bevölkerung bundesdeutscher Städte und Länder enthält.
So gibt es einen Aufruf "An die Bevölkerung des Landes Niedersachsen", den Ministerialdirigent Krueger in Bonn per Photokopie verteilte, einen Appell an die Landbevölkerung und einen Aufruf an die Bürger der Stadt Bonn, den Krueger in Bonn nicht bekanntgab oder verteilte.
Heißt es in dem Aufruf für Niedersachsen: "Der von den Todfeinden des deutschen Volkes, den deutschen Militaristen, entfesselte Atomkrieg ist nur mit der restlosen und endgültigen Zerschmetterung des militaristischen, klerikal-faschistischen Bonner Obrigkeitsstaates zu beenden. Keine Gnade den Schuldigen der Aggression."
Diese streng vertraulichen Versicherungen des ZK, daß zwar eine Blitzkrieg-Aktion der Bundeswehr drohe, man den Angreifer aber bis nach Niedersachsen oder gar nach Bonn zurückwerfen werde, kamen auf dem Parteidienstweg auch zur 1. motorisierten Schützendivision in Potsdam-Eiche, wo
Hauptmann Malikowski als "Leitender Mitarbeiter der politischen Abteilung" wirkte.
Ganz anderen Zielen als dieser Volksoffizier diente ein Bruder seiner Frau, der für eine private Berliner Widerstandsorganisation in der Sowjetzone tätig war und deshalb schon vor längerem mit dem Staatssicherheitsdienst der DDR kollidierte. Er wurde verhaftet. Nachdem er seine Strafe abgesessen hatte, rettete er sich nach Westen, wo ihn interessierte Wächter der bundesrepublikanischen Sicherheit nach Freunden, Verwandten und Bekannten in sowjetzonalen Dienststellen befragten.
Der Flüchtling entsann sich seines Schwagers Malikowski bei der Potsdamer Schützendivision und ließ ihn über familiäre Kanäle im Frühjahr 1960 wissen, wie willkommen er im Westen wäre, wenn er sich entschließen könnte, zu desertieren.
Die Offerte kam in einem günstigen Moment. Malikowski, seit drei Jahren Hauptmann, war soeben bei der Beförderung zum Major übergangen worden, weil die von ihm geschulten Soldaten große ideologische Schwächen offenbart hatten. So hatte beispielsweise ein Soldat die Politik der Bundesregierung verherrlicht und deren "Grünen Plan" gelobt. Auch waren in Malikowskis Divisionsbereich Hakenkreuze an Munitionsbunker geschmiert worden.
Auf anderem Gebiet hatte Hauptmann Malikowski mit seinen Politoffiziers-Genossen allerdings Hervorragendes geleistet. Animiert durch die "Streng vertraulich"-Aufrufe des ZK an die Niedersachsen und die Bonner ließen sie in der Druckerei der Divisionszeitung "Junge Garde" auf eigene Faust ähnliche Schriften herstellen, in denen nun allerdings von einem bevorstehenden Bundeswehr-Angriff - wie in den ZK-Dokumenten - keine Rede mehr war.
Es entstanden - nicht ohne Zutun Malikowskis - Passierscheine für überlaufende Bundeswehrsoldaten, Flugzettel "Die Ära Adenauer ist am Ende" und ein Aufruf: "Einwohner von Kiel.
Die letzten Widerstandsnester des Gegners in der Stadt wurden zerschlagen.
Die Stadt befindet sich in den Händen der Truppen der Nationalen Volksarmee der Deutschen Demokratischen Republik."
Dieses Material nebst - einem guten
Dutzend Tonbänder, die genormte Schulungsvorträge - aufgesprochen von redegewandten Polit-Offizieren und Parteifunktionären - enthielten, offerierte Hauptmann Malikowski seinem Schwager, ehe er zwecks Urlaubsfahrt von Potsdam nach Angermünde eine Durchreisegenehmigung für Ostberlin beantragte.
Während seine Frau mit den beiden Kindern - neun und elf Jahre alt -
zwei Stunden vorher Westberlin erreichte, schleppte der Hauptmann in Zivil am 13. August einen Koffer mit den,versprochenen Gaben über die Sektorengrenze: den ZK-gedruckten Aufruf mit der Gegenschlag-Parole nebst "Streng vertraulich"-Vermerk und den divisionseigenen Pamphleten seiner eigenen Dienststelle mit kernigen Angriffsparolen und ohne jeden Geheimhalteaufdruck.
Der in Westberlin nicht offiziell vertretene Bundesnachrichtendienst überließ es den Abwehroffizieren der drei Schutzmächte, den Koffer zu sichten. Auch warteten die Nachrichtenmänner des Ministerialdirektors Reinhard Gehlen jene Karenzzeit ab, die amerikanische Geheimdienstleute in Kronberg (Taunus) für notwendig hielten.
Am letzten Donnerstag schließlich wurde der Kofferinhalt des Hauptmanns Malikowski vom Bundespresseamt enthüllt. Ein Teil der Dokumente wurde bekanntgemacht, der Überbringer allerdings blieb unsichtbar.
So wurde der ungewandte Volksoffizier nicht in Verlegenheit gebracht, auf spitzfindige Fragen nach der Entstehungsgeschichte der verschiedenen Dokumente und den Umständen seines Übertritts antworten zu müssen.
Volksarmee-Deserteur Malikowski
Vom Schwager abberufen