PRIVATISIERUNG Volks-Kesselwagen
Die Kurszettel der westdeutschen Wertpapierbörsen verzeichneten in der letzten Woche für das deutsche Volkswertpapier einen erfreulichen Kursverlauf: Die vor anderthalb Jahren emittierte Preußag-Aktie konnte entgegen der allgemeinen Börsenschwäche ihre Position gut behaupten. Innerhalb
von vier Wochen war ihr Kurs um 60 Punkte auf 255 gestiegen.
Die kurstreibende Nachfrage nach den Aktien der Preußischen Bergwerks - und Hütten-Aktiengesellschaft erklärte sich jedoch nicht etwa aus ungewöhnlichen Geschäftserfolgen der Firma. Sie war vielmehr dem emsigen Bemühen des Bundesschatzministers Dr. Hans Wilhelmi zu verdanken, den Volksaktionären noch in diesem Jahr mittels einer lukrativen Transaktion die Vorteile der Bonner Eigentumspolitik handgreiflich zu machen.
Wilhelmi will der Preußag eines der rentabelsten Bundesunternehmen, die VTG Vereinigte Tanklager und Transportmittel GmbH in Hamburg, zuschlagen, das Aktienkapital der Preußag entsprechend erhöhen und die Preußag-Aktionäre kursgünstig mit den jungen Preußag-Papieren beglükken. Dieser warme Regen soll noch vor der VW-Privatisierung - die ersten VW-Aktien werden im Januar 1961 angeboten - über die Volksaktionäre niedergehen.
Das der Preußag zugedachte Objekt rechtfertigte das jähe Interesse der Börsianer. Die VTG verfügt über 13 900 Kesselwagen, zehn Motortankschiffe und sieben Tanklager mit einem Fassungsvermögen von 670 000 Kubikmetern und ist das größte europäische Unternehmen seiner Art. Die Kesselwagen ermöglichen ein einträgliches Vermietgeschäft, mit dem die Firma im vergangenen Jahr ihren Umsatz auf fast 60 Millionen Mark steigern konnte.
In Erwartung dieses erfreulichen Zuwachses hatte die Hauptversammlung der Preußag im Juni dieses Jahres die Unternehmensverwaltung ermächtigt, das Aktienkapital bei Bedarf von 105 Millionen Mark um 50 Prozent auf 157,5 Millionen Mark zu erhöhen. Nach den-Plänen Wilhelmis sollen die Aktionäre je 100 Mark Nominalwert der jungen Aktien für 160 Mark erwerben können und auf diese neuen Papiere schon für das laufende Geschäftsjahr Dividende beziehen.
Da nach Wilhelmis Ermittlungen 80 Prozent der Erstewerber von Preußag-Aktien bislang an ihren Papieren festgehalten haben, kämen somit die Pioniere des Volkskapitalismus erstmals in den Genuß jener Annehmlichkeiten, die eine Kapitalerhöhung mit sich bringt.
Nutzt der Preußag-Aktionär sein Bezugsrecht aus und bezieht, wie vorgesehen, auf je zwei seiner Altaktien eine junge Aktie für 160 Mark, so darf er sich auf einen gemeinsamen Kurs der alten und neuen Papiere von schätzungsweise 225 freuen. Fühlt er sich dagegeh nicht imstande, 160 Mark für eine junge Aktie aufzubringen, so erwächst ihm aus dem Verkauf seines Bezugsrechts an einen Interessenten für junge Preußag-Aktien noch ein Bargewinn von etwa 32 Mark.
Verkündete Schatz-Wilhelmi Anfang Juli über den Hessischen Rundfunk:
"Damit haben wir auch diesen ersten Volksaktionären gezeigt, daß in einer Volksaktie alles das drinsteckt, was in jeder Aktie drinsteckt, auch ein Bezugsrecht mit all den erfreulichen Folgen, die sich daraus für den Besitzer einer Aktie ergeben."
Auch auf andere Weise verfolgt Wilhelmi mit seinem Vorhaben das Ziel, dem Preußag-Papier das zukommen zu lassen, "was in jeder Aktie drinsteckt". Anders als die Sozial-Experimentierer der CDU hält nämlich der Minister wenig von den Bemühungen, mittels Erwerbsprivilegien für die Bezieher kleiner Einkommen, mit Verkaufssperren - zwei Jahre bei den geplanten VW-Aktien - und sonstigen Sonderbestimmungen die Volksaktien unter Naturschutz zu stellen.
So will der Minister mit der Preußag -VTG-Transaktion zugleich die Normalisierung der ersten Volksaktie fördern. Die am Preußag-Kapital noch mit 22,4 Prozent beteiligte bundeseigene Vereinigte Elektrizitäts - und Bergwerks-Aktiengesellschaft(Veba) soll die ihr zustehendenden Bezugsrechte nicht ausüben, sondern sie sogleich verkaufen, so daß dem traditionellen Börsenpublikum jetzt zum erstenmal die Möglichkeit eröffnet wird, Preußag -Aktien aus erster Hand zu erwerben.
Das Papier, ursprünglich wie die kommende VW-Aktie den Beziehern von Jahreseinkommen bis zu 16 000 Mark vorbehalten, gewinnt damit immer mehr den Charakter der herkömmlichen Börsenwerte. Auch für den
Preußag-Aktionär wird die allgemeine Kursentwicklung der Montan-Werte künftig an Bedeutung gewinnen.
Vorerst allerdings muß der Bundesschatzminister seinem Projekt noch ein beträchtliches Hindernis aus dem Weg räumen: Dem Bonner Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß ist daran gelegen, die VTG in Bundeshand zu behalten. Den Bundeswehrboß dünken die 13 900 Kesselwagen das Unternehmens die rechte Transportstaffel für Bundeswehrtreibstoffe in kriegerischen Notzeiten.
Wilhelmi hatte zunächst versucht, den notstandsbewußten Strauß mit dem Hinweis auf die Möglichkeiten des Bundesleistungsgesetzes für die VTG-Privatisierung zu gewinnen. Dieses Gesetz erlaubt, in Notzeiten auch private Kesselwagen zu beschlagnahmen und militärischen Zwecken nutzbar zu machen.
Indes, Straußens Widerstand ist neuerlich erstarkt - seit feststeht, wie schwer es die Bonner Notstandsgesetze im Bundestag haben werden und daß diese Gesetze die Konfiskation von Privateigentum jedenfalls eher erschweren als erleichtern werden.
In der Auseinandersetzung mit Strauß über seinen VTG-Plan kann Wilhelmi allerdings ein starkes Argument ins Feld führen: Wird das Projekt verworfen, so fällt der Kurs für Preußag -Papiere, und die Volksaktien-Ideologie der Bundesregierung nimmt Schaden.
Bundesschatzgrüber Wilhelmi
In der Volksaktie alles drin
Deutsche Zeitung
Das Lieblingskind: "Es gibt ja gleich was!"