POSTSTEMPEL Geh mit der Zeit
Seit nun schon zehn Monaten sind Mitarbeiter des Bundespostministers Stücklen damit beschäftigt, eine sogenannte Grundsatzentscheidung über die Frage herbeizuführen, was unter dem
"politischen und religiösen Inhalt"
eines postalischen Stempels zu verstehen sein soll.
Die Stücklen-Beamten sind dabei in einer etwas verzwickten Lage: Die geplante Grundsatzentscheidung muß berücksichtigen, daß die Post für alle da ist und daher dem einen Postbenutzer nicht gestatten kann, was sie einem anderen verweigert. Zugleich muß die Entscheidung aber plausibel machen, weshalb die Bundespost von diesem Neutralitäts-Prinzip in der Vergangenheit des öfteren abgewichen ist.
Daß die Bonner Postfachleute sich mit einem derart strapaziösen Problem abmühen müssen, ist dem sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten Peter Jacobs zuzuschreiben. Jacobs, Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Trier, befand eines Tages, die Geschäfte seiner Parteidienststelle seien nur noch unter Zuhilfenahme einer Frankiermaschine zu bewältigen.
Er wandte sich deshalb an die Frankfurter "Freistempler Gesellschaft mbH", eine der beiden Firmen In Deutschland, die von der Vermietung von Frankiermaschinen existieren, und beantragte die Überlassung eines solchen Geräts - Marke "Postalia" - gegen eine monatliche Gebühr von 30 Mark.
Der Postalia-Apparat, so hatte Jacobs kalkuliert, werde künftighin nicht nur das Belecken von Briefmarken im Trierer SPD-Büro überflüssig machen, sondern den Sozialdemokraten an der Mosel auch noch ein Stück Werbearbeit abnehmen.
Laut Postordnung steht dem Besitzer eines "Absenderfreistemplers" - so die postalische Fachbezeichnung für Frankiermaschinen - nämlich "der zwischen dem Tagesstempel und dem Gebührenstempel ... verbleibende Raum ... zur geschäftlichen Werbung durch Inschriften oder bildliche Darstellungen ... zur Verfügung".
Also gab MdB Jacobs bei den Frankfurter Freistemplern auch noch ein Werbe-Klischee in Auftrag und wählte als Text, was an der Bonner SPD-Zentralbaracke 'seit langem plakatiert ist:
"Geh mit der Zeit, geh mit der SPD."
Nun hatte Jacobs nur noch auf einen Bescheid der zuständigen Oberpostdirektion zu warten, die Stempel und Spruch in jedem Fall zu genehmigen hat. Es war Mitte Oktober vergangenen Jahres.
Sechs Wochen später traf der Bescheid der Oberpostdirektion Trier endlich ein. Er lautete allerdings anders, als Jacobs erwartet hatte. Die Trierer Post teilte mit, der SPD-Antrag sei nach Bonn an das Bundespostministerium weitergeleitet worden.
Den Postdirektoren war aufgefallen, daß der sozialdemokratische Freistempler-Slogan nicht unbedingt den Bedingungen entsprach, die für Frankiermaschinen in der Postordnung enthalten sind.
Dort heißt es über freigestempelte Werbesprüche: "Die Angaben oder Abbildungen dürfen den Einrichtungen der Deutschen Bundespost nicht abträglich sein, nicht gegen die Gesetze... das öffentliche Wohl oder die guten Sitten verstoßen und keinen politischen oder religiösen Inhalt haben."
Diese Bestimmung entspricht der allgemeinen Post-Anweisung, wonach die Post sich als Bestandteil der öffentlichen Verwaltung ideologischer Abstinenz zu befleißigen hat - ein Satz, der freilich nur dann Sinn hat, wenn er konsequent befolgt wird und nicht nur für Postkunden, sondern auch für die Post selber gilt.
Gerade der Oberpostdirektion zu Trier mögen Zweifel gekommen sein, ob es mit diesem Prinzip noch seine Richtigkeit habe: Von Trier aus waren im vergangenen Jahr zahllose Briefschaften mit einem Stempel zweifellos
religiösen Inhalts in alle Welt versandt worden.
Unter dem 10. Juli 1959 hatte der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen zur Feier der Ausstellung des "Heiligen Rocks" die Einrichtung von gleich vier Sonderpostämtern in Trier verfügt, in denen die Beamten zwei Monate lang religiöse Stempel auf die eingelieferten Sendungen drückten.
Text: "Hl. Rock-Wallfahrt 19.7.
20. 9.1959". Bildliche Darstellung: Heilliger Rock nebst Kreuz.
Ohne auf die Gefühle von Protestanten und freien Denkern die amtlich vorgeschriebene Rücksicht - zu nehmen, hatte Stücklens Ministerium auch die Ausgabe einer Heilig-Rock-Briefmarke
- Wert 20 Pfennig, Auflage 20 Millionen Stück - verfügt, die nicht nur für die Dauer der Rock-Schau gültig
blieb, sondern noch bis zum 31. Dezember 1961 geklebt werden darf.
"Angaben oder Abbildungen ... politischen oder religiösen Inhalts" sind auf Wertzeichen der Deutschen Bundespost auch sonst schon zu finden gewesen, so auf den Sondermarken Erster Deutscher Bundestag (1949), Martin Luther (1952), Zehn Jahre Vertreibung (1955), Evangelischer Kirchentag und Deutscher Katholikentag (1956 und 1958) und Passionsspiele Oberammergau (1960). Auch bei Sonderstempeln hat die Bundespost sich nicht immer kleinlich gezeigt. So gestattete sie den Veranstaltern des 6. Bundestreffens deutscher Fallschirmjäger im Mai 1959 in Freiburg sogar die Benutzung eines Stempels mit dem Fallschirmjäger-Abzeichen (ohne Hakenkreuz).
Angesichts dieser zahlreichen Ausnahmen vom Grundsatz der postamtlichen Wertfreiheit im politischen und religiösen Bereich schien es den Trierer
Postmännern angezeigt, über den Fall des sozialdemokratischen "Geh mit der Zeit"-Stempels ein Bonner Dekret herbeizuführen.
Bald lag auch ein erster Zwischenbescheid vor. Mitte Dezember vorigen Jahres erfuhr Jacobs im Postministerium, daß mit einer Entscheidung über seinen Antrag nun "im Laufe der nächsten Woche" zu rechnen sei.
Indes, erst nach nochmaliger Rückfrage teilte das Stücklen-Ministerium schließlich unter dem 8. Februar 1960 mit: "Zu meinem Bedauern konnte über den Antrag ... bisher nicht entschieden werden, da eine Grundsatzentscheidung zu treffen ist. Ich bitte um Ihr Verständnis und werde Ihnen sobald wie möglich weitere Mitteilung zugehen lassen."
Inzwischen hatten die westdeutschen Oberpostdirektionen - bar jeder neuen Order aus Bonn - in Sachen Freistempler nach eigenem Gutdünken entschieden. Die Oberpostdirektion Kiel zum Beispiel ließ den "Geh mit der Zeit"
-Spruch zu, den die Kieler Sozialdemokraten für ihre Frankiermaschine bestellt hatten.
Den südhessischen Sozialdemokraten aber wurde derselbe Spruch von der Oberpostdirektion Frankfurt verboten. Als die Hessen mit dem Hinweis protestierten, die Parteifreunde in Kiel dürften den Spruch stempeln, hatte das zur Folge, daß die Kieler Genehmigung rückgängig gemacht wurde.
Unterdes sinnierten die Bonner Postbürokraten noch immer über ihrer Grundsatzentscheidung. Noch einmal -
im letzten Juni - ließ MdB Jacobs anfragen. welches Ergebnis das angestrengte Nachdenken im Hause Stücklen wohl gezeitigt habe - doch erhielt er nie mehr Antwort. Bis heute muß die SPD-Geschäftsstelle in Trier auf ihr Frankiergerät verzichten.
Nur in der Bonner Baracke, dem Hauptquartier der SPD, sind die politischen Stempler ungehindert in Betrieb. Ihr Werbespruch: "Selbständig Politisch Denken."
Verhinderter Freistempler Jacobs
Keine Antwort aus Bonn