NATO-KURS Unbequemer Hirsch
Dem verdienten Gewerkschafts-Journalisten Kurt Hirsch widerfuhr die Ehre, als erster Prominenter auf dem Altar der neuen, wahlkonformen Politik seiner SPD - Kollegen geopfert zu werden.
Seit Jahren diente der freiberufliche Gewerkschafter Hirsch der auflagestarken Funktionärs-Presse des DGB als notorischer Links - Kommentator und erntete mit seiner zeitgeschichtlichen Kritik viel Kollegen-Applaus.
Als sich Hirsch 1957 auch noch als Buch - Autor ("SS - Gestern, heute und . . .") betätigte, schrieb DGB-Vorstandsmitglied Hansen das Vorwort, und der "Frankfurter Rundschau" galt der SPD-Genosse auf der Linken als "einer der mutigsten Publizisten". Der zweiten Auflage der SS-Polemik gab sogar ÖTV-Boß Adolph Ludwig Kummernuß das Geleit.
Durch die Gunst höchster Gewerkschafts-Autoritäten blieben die Hirsch -Kommentare von jeder Reglementierung des DGB verschont, damit der Autor die "Todfeinde demokratischer und freiheitlicher Menschen" - so Kummernuß - ungehindert attackiere.
Seine Schonzeit lief aber schnell ab, als er die Kummernuß-Parole, "unsere unbewältigte Vergangenheit bewußt zu machen", unangemessen interpretierte und sich erdreistete, auch die kaum erfolgreicher bewältigte Vergangenheit der SPD ins Bewußtsein der Kollegen zu heben.
Links-Autor Kurt Hirsch vermied es nämlich sorgfältig, die neueste SPD -Metamorphose vom Bürgerschreck zum Bürgerfreund und Nato - Bruder zur Kenntnis zu nehmen.
Bedenkenlos bot er seinem Publikum In den "Mitteilungen für Funktionäre"
der Industriegewerkschaft Druck und Papier unter dem Titel
"Züge am Schachbrett der Weltpolitik" eine ebenso weitschweifige wie ketzerische Rückschau auf das Pariser Gipfel-Debakel. Von der westlichen Sprachregelung abweichend, kam Hirsch zu dem Schluß, daß Chruschtschow nicht der Alleinschuldige sei.
Sowenig Kurt Hirsch mit dieser Erkenntnis allein stand, so schmerzlich bekümmerte sie die SPD -Genossen, die Obstruktion gegen die neue Linie witterten.
Aus Sorge, Hirsch werde den Sozialdemokraten mit seiner unerwünschten These mühsam erworbene Wahlchancen wieder verderben, beschloß der geschäftsführende Vorstand
des DGB, den Autor kurzerhand zu disqualifizieren: Seine befremdlichen Äußerungen zur Außenpolitik, so entschieden die Gewerkschafter, lägen nicht "im Interesse unseres gemeinsamen Kampfes für die Erhaltung und Stärkung der unabhängigen und demokratischen Gewerkschaften".
Von dem Beschluß nahm alsdann der DGB-Bundesvorstand in demokratischer Weise "zustimmend Kenntnis". DGB -Chef Willi Richter, selbst Mitglied der von der SPD präsentierten Regierungsmannschaft, ersuchte die einzelnen Industriegewerkschaften in einem Rundschreiben - "Betr.: Bundesvorstandssitzung im September; Journalist K. H." -, dafür zu sorgen, daß Hirsch
"nicht mehr als Mitarbeiter von Gewerkschaftszeitungen tätig sein kann".
Die nunmehr auf SPD - Reformkurs geschaltete Außenpolitik des DGB liegt Willi Richter so sehr am Herzen, daß er sich mit der Sistierung der Pressekarriere des Hirsch nicht einmal zufriedengab.
Zur Abschreckung aller potentiellen Links-Abweichler dekretierte der DGB -Chef an die Adresse seiner "lieben Kollegen": "Sollten Euch ähnlich geartete Beiträge des einen oder anderen Verfassers zugehen, so ist zu empfehlen,
... solche Artikel sinngemäß nach dem o.a. Beschluß zu behandeln."
Gewerkschafts-Journalist Hirsch
Vom DGB disqualifiziert