MILITÄRPUTSCH Der dritte Mann
Ich bin wieder da! Ich bin wieder da!",
kreischte der ziegenbärtige Neger, der Anfang Vergangener Woche in einem Jeep durch die Straßen von Leopoldville raste. Drei Lastkraftwagen, vollgepfropft mit kongolesischen Soldaten, preschten hinterdrein.
"Sieg! Sieg!", brüllte der Mann im Jeep mit heftig flatternden Armen und heulte durch ein Megaphon: "Die ganze Armee steht hinter mir."
Die Armee, die dem von Staatspräsident Kasavubu amtsenthobenen, vom Parlament bejubelten, bald darauf verhafteten und später wieder freigekommenen Kongo-Premier Patrice Lumumba an diesem Tage folgte, zählte indes außer zwei Generalen kaum mehr als fünfzig Mann. Mit ihnen hoffte er, sich noch einmal den Weg zu den Mikrophonen des Senders Lépoldville zu erkämpfen, um endlich mit den "von Kasavubu und von der Uno gekauften Subjekten" abzurechnen.
Geiferte Lumumba vor Journalisten:
"Wir klagen die Uno an, zusammen mit der Opposition gegen uns zu konspirieren." Und: "Herr Kasavubu hat nicht mehr das Vertrauen der Nation... Er wollte mich liquidieren."
Vor dem Rundfunkgebäude traten denn Premier ghanesische Uno-Soldaten entgegen. Blinkende Bajonette richteten sich gegen die fleckig-weiße Hemdbrust des kongolesischen Regierungschefs.
Eine Stimme schnarrte: "Wenn Ihre Leute Widerstand leisten, muß ich schießen lassen."
Wütend starrte Lumumba in ein bleiches Jungengesicht: George Short, 20, britischer Leutnant in ghanesischen Diensten, verweigerte ihm den Zugang zu "seinem Radio". Flehte Presse-Adjutant Serge Michel, ein Franzose slawischer Herkunft mit zwielichtiger KP -Karriere: "Aber Exzellenz werden doch Ihr Leben nicht riskieren." Und Exzellenz Lumumba resignierte.
Die peinliche Rundfunk-Schlappe verschaffte dem bedrängten Premier wider Erwarten eine Atempause, ehe der dritte Mann im kongolesischen Verwirrspiel überraschend die Bühne betrat: Oberst Joseph-Désiré Mobutu, 29, Regisseur des kongolesischen Armee -Putsches.
Mit Mobutu kam ein ehrgeiziger junger Mann, der Macht wollte und Macht respektierte. Als sein Name am Donnerstag vergangener Woche zum ersten Male am Hufeisentisch des Sicherheitsrats genannt wurde, krümmte sich der Italiener Ortona, derzeit Präsident des Rates, vor Lachen. Uno-Generalsekretär Hammarskjöld blieb ruhig: Er schien Bescheid zu wissen.
Wenige Tage zuvor waren die panafrikanischen Freunde dem Lumumba noch einmal zu Hilfe geeilt. Guinea, dessen Staatschef Sekou Touré zuvor in Moskau konferiert hafte, entzog seine 740 Soldaten dem Uno-Oberkommando, weil die Vereinten Nationen - wie der guinesische, Missionschef Tunkara in Leopoldville begründete - sich einer "flagranten Einmischung in innere Streitfragen der Republik Kongo" schuldig gemacht hätten.
Auch Kairo wünschte seine 550 Fallschirmjäger nicht mehr unter Uno-Befehl operieren zu sehen. Und Ghanas Präsident Kwame Nkrumah drohte in einer Note an Hammarskjöld ebenfalls, er werde seine 2380 Soldaten zurückziehen, "wenn Premierminister Lumumba nicht seinen eigenen Rundfunksender in Leopoldville benutzen darf".
Die gesamte, inzwischen 16 800 Mann starke Uno-Streitmacht am Kongo, meist von afrikanischen und asiatischen Staaten gestellt, schien auseinanderzubrechen, falls Hammarskjöld, "der geschickteste Diplomat der Welt" ("New York Times"), sich nicht entschloß, die Schlinge zu lockern, in der er seinen Kongo-Widersacher Lumumba gefangen hielt.
Hammarskjöld hatte, bisher von der Mehrheit des Sicherheitsrats unterstützt, nicht zugelassen, daß die Uno -Truppen am Kongo zu einem Instrument der Lumumba-Politik wurden.
Der Urwald-Premier rächte sich: Er kitzelte die Weltorganisation unablässig mit der Drohung, den Abzug der Uno-Streitkräfte zu fordern, und verließ sich zugleich mehr und mehr auf sowjetische Hilfe. Mit Unterstützung sowjetischer Piloten, Techniker und Transportflugzeuge begann Lumumba einen grausamen Bürgerkrieg gegen die Separatisten Kalonji in der Diamanten-Provinz Kasai und Tshombé im uranreichen Katanga, während die Uno -Streitmacht durch die Resolutionen des Sicherheitsrats zur Nichteinmischung verpflichtet blieb.
Als Lumumba-Truppen die Grenze Katangas überschritten, warnte Präsident Eisenhower: "Die USA bedauern die sowjetische Lieferung von Flugzeugen und anderer Ausrüstung für militärische Zwecke an den Kongo... Sie betrachten diese einseitige Aktion der Sowjet-Union als äußerst ernst."
Schoß Chruschtschow zurück: "Hammarskjöld handelt (im Kongo) im Sinne der kolonialistischen und imperialistischen Staaten." Und: "Das Mindestziel ihrer Politik ist es, die Herrschaft über die Provinz Katanga aufrechtzuerhalten, das Maximalziel der Sturz der rechtmäßigen Regierung der Kongo -Republik." Und schließlich spöttisch:
"Lumumba ist ebensosehr Kommunist, wie Chruschtschow Katholik ist."
Kongo-Präsident Kasavubu, der die Agonie seiner Urwald-Republik zunächst schweigend erduldet hatte, konferierte lange mit den Diplomaten der Westmächte und mit seinem Freund am jenseitigen Flußufer, dem Staatschef der ehemals französischen Kongo-Republik, Fulbert Youlou. Endlich schien ein Weg gefunden, den widerspenstigen, Revoluzzer Lumumba zu bändigen. Kasavubu beauftragte Radio Leopoldville, eine von ihm auf Band gesprochene Rede abzuspielen: Sie enthielt die Amtsenthebung des Premiers.
Kommentierte Hammarskjöld eilfertig vor dem Weltsicherheitsrat: "Der Präsident hat das Recht, so zu handeln. Seine Entscheidungen werden wirksam, wenn sie von einem anderen Minister gegengezeichnet sind." Diese Gegenzeichnung hatte Lumumbas bisheriger Außenminister Bomboko besorgt.
Artikel 22 des provisorischen Kongo -Grundgesetzes, dessen 254 Paragraphen von kundigen Köpfen der belgischen Jurisprudenz erdacht sind, gibt dem Staatspräsidenten in der Tat das formale Recht, den. Premier und seine Minister zu ernennen und zu entlassen; aber ohne das Vertrauen beider Häuser des Parlaments dürfen sie auch in der kongolesischen Urwald-Demokratie nicht regieren.
Lumumba schlug zurück: Innerhalb von vier Tagen setzte er den Staatspräsidenten ab (was er später in einem Brief an Hammarskjöld als verfassungswidrig widerrief), warf drei Kasavubutreue Minister aus seinem Kabinett, ließ sich von beiden Häusern des Parlaments mit großer Mehrheit im Amt bestätigen und mit "unumschränkten Vollmachten" ausrüsten. Schließlich ernannte er sich selbst zum Staatschef und Obersten Befehlshaber der Kongo-Armee, während Kasavubu eine Gegen-Regierung formierte. Spöttelte der
Pariser "Monde": "Operettenszenen in Leopoldville".
Da Hammarskjöld die kongolesische Legalität nun allein in der Figur des Staatspräsidenten verkörpert sah, glaubte er, jene unbequemen Fesseln der Neutralität ein wenig lockern zu können, die der Erfüllung der Uno-Aufgabe im Kongo so hinderlich schienen. Die Uno-Streitkräfte
- sperrten die Kongo-Flugplätze,
- schlossen den Sender Leopoldville
und
- begannen mit der Entwaffnung der
kongolesischen Truppen.
Damit war Lumumba mundtot gemacht, während Kasavubu ein eigenes Kabel zum Sender Brazzaville am anderen Kongo-Ufer besaß. Außerdem war das sowjetische Transport-Geschwader des Premiers lahmgelegt und ihm sein einziges, freilich recht unzuverlässiges Machtinstrument - die Armee - genommen worden. Dröhnte Radio Moskau: "Die Uno-Truppen sind zu einer Besatzungsmacht geworden, die der Kongo-Bevölkerung die Freiheit stiehlt."
Als der Generalsekretär im Sicherheitsrat eine Woche später ein sowjetisches Veto fürchten mußte, und wichtige afrikanische Länder ihm ihre Unterstützung entzogen, wurde die harte Kongo-Politik stillschweigend revidiert. Die Flugplätze wurden wieder "für jeden friedlichen Flugverkehr" geöffnet, Radio Leopoldville sendete Tanzmusik und -eine sanfte Rede des Kasavubu treuen Informationsministers Bolikango
("Lumumbas Gewaltherrschaft ist zu Ende"), während die Uno-Verwaltung, den murrenden Kongo-Kriegern ihren seit zwei Monaten fälligen Sold auszahlte.
Solche Milde machte sich der eben erst vom Stabschef zum Armee-Oberbefehlshaber avancierte Oberst Joseph -Désiré Mobutu zunutze. Der putschende Oberst, seit 1949 Berufssoldat, Parteifunktionär (in der Nationalbewegung Lumumbas) und Journalist, suchte Patrice Lumumba, den gewalttätigen Apostel des kongolesischen Einheitsstaats, ebenso beiseitezuschieben wie dessen Gegenspieler Staatspräsident Kasavubu nebst seinem Schatten-Premier Ileo, nachdem er sich offenbar mit einigen Uno-Militärs stillschweigend arrangiert hatte.
Oberst Mobutu - "er soll ein Anhänger Kasavubus sein, aber seine Loyalität wird angezweifelt", spekulierte der britische "Observer" - unterzeichnete gegen den Widerstand des noch amtierenden Lumumba den Waffenstillstand in Katanga und Kasai, der, jetzt von einer Uno-Kommission überwacht wird. Er fand, daß kongolesische Gewehre auf der Waffenkammer besser aufgehoben, seien als in den Händen rebellierender Soldaten, und sorgte dafür, daß die Uno nicht mit Wehrsold für seine Truppen geizte. Mit klingendem Spiel paradierten die frisch Besoldeten inzwischen in Leopoldville vor dem stellvertretenden Uno-Befehlshaber, dem marokkanischen General Ben Hamud Kettani.
Während zwei kongolesische Delegationen, beide offensichtlich mit fragwürdiger Legitimation, im New Yorker Uno-Glaspalast antichambrierten, hoffte der kongolesische Diktator-Lehrling -
den Lumumbas Pressechef zeitweilig als verhaftet gemeldet hatte - mit Uno -Leitfaden und US-Dollars ein halbwegs dauerhaftes Fundament seiner Macht zu errichten.
Poltergeist Lumumba soll sich mit Frau und Kindern vorerst grollend ins heimatliche Stanleyville zurückgezogen haben. Witzelte ein westlicher Diplomat in der Kongo-Hauptstadt: "Wenn dies ein zivilisiertes Land wäre, hätte man Lumumba längst ermordet."
Kongo-Krieger an der Katanga-Front: Munition aus Moskau, Wehrsold von der Uno
Mobutu