ÄGYPTEN / ASSUAN Oberst Wasser
Auf der Grundlage von Gleichheit,
Nichteinmischung in innere Angelegenheiten und Respekt vor nationaler Würde und Souveränität" - so die Präambel - unterzeichnete in den letzten Augusttagen eine arabische Regierungsdelegation im Kreml ein Anleihe-Abkommen über 900 Millionen Rubel für den Staudamm von Assuan. Mit diesem Geld soll ein Traum verwirklicht werden, den Ägypten seit jenen sieben mageren Jahren träumt, von denen das erste Buch Mose berichtet.
Anastas Mikojan, stellvertretender Ministerpräsident und Vollkaufmann der UdSSR, der erst jüngst das unterentwickelte Kuba Fidel Castros an die rote Handelskette legte, applaudierte im großen Kremlpalast aufrichtig, als der Aufbauminister der Vereinigten Arabischen Republik, Mussa Arafa, seinen Namenszug von rechts nach links auf das Papier setzte. Obwohl die Finanzhilfe das Ägypten Nassers keineswegs so unrettbar an Moskau bindet wie die Zuckerkäufe Kuba, ist der zum Vorzugzins von zweieinhalb Prozent auf zwölf Jahre gewährte Kredit nicht nur Moskaus bisher größte, sondern auch die den größten Erfolg versprechende Investition im kalten Wirtschaftskrieg.
Arafas vielköpfige Delegation teilte sich nach den Unterzeichnungs-Zeremonien. Die Techniker aus der Kairoer "Behörde für den Assuan-Damm" traten eine Besichtigungsfahrt zu den jüngsten hydrologischen Monumentalbauten der Sowjets bei Stalingrad an. Der Aufbauminister und seine Ministerialbeamten flogen direkt zurück, um die finanzielle Ausbeute ihrer Reise an einem der verlassensten Plätze der Welt abzuladen, über die der Baedeker nicht viel mehr zu berichten weiß als:
Assuan liegt auf dem östlichen Nilufer 934 Kilometer südlich von Kairo und zählt 32 000 Araber, Berber und Sudanesen. Es ist Zentrum der südlichsten und kleinsten ägyptischen Provinz, hat ein gesundes, angenehmes Klima ohne Nebel und Regen, und in der Wüste ist die sauberste Luft. Empfehlenswerte Hotels sind das Katarakt - und das Grand-Hotel.
Seit diesem Einfrag um die Jahrhundertwende ist nichts geschehen, was die Bedeutung der Kleinstadt in Nubien erhöht hätte. Einige neue Ausgrabungen auf der Nil-Insel Elephantine gaben Aufschluß darüber, daß auch die Statthalter der Pharaonen die Tage zählten, bis sie den tristen Außenposten mit dem Hofleben in Theben vertauschen konnten. Assuan war nur wegen seiner Steinbrüche wichtig. Die vorgeschichtlichen Dynastien ließen ihre Baumeister von hier das Material für Tempel und Pyramiden holen.
Ägyptens Obelisken, auch die von Napoleon nach Paris verbrachten, sind aus Assuaner Granit gehauen, und Touristern können noch heute ein 42 Meter
langes und vier Meter breites Exemplar bewundern, das die Steinmetzen vor viertausend Jahren unvollendet liegenließen. Auch die neue Zeit ist in Assuan immerhin sechs Jahrzehnte alt:
1902 bauten britische Techniker einen kleinen Staudamm, dessen See den berühmten altägyptischen Tempel Philae, der Fruchtbarkeitsgöttin Isis unter Wasser setzte.
Neuesten Datums ist nur das Mausoleum Aga Khans. Das Oberhaupt der Ismaeli-Sekte hatte vor seinem Tode im Jahre 1959 bestimmt, er wolle in Assuan am Westufer des Nils, gegenüber einer malerischen Palmeninsel, im Wüstensand begraben sein. Jeden Tag pilgern einige Anhänger seiner Glaubensgemeinschaft barfüßig an dem schneeweißen Witwenhaus der Begum vorbei, die Stufen zu dem Marmorschrein des Verstorbenen hinauf.
Sieben Kilometer stromaufwärts aber steht seit kurzem ein Zeltbau, der eine Pilgerstätte größten Ausmaßes geworden ist. Ein Staudamm-Modell von 20 Metern Durchmesser füllt das Rundzelt aus, das abends mit Hunderten von Glühbirnen in die felsige Mondlandschaft an dem hier 600 Meter breiten Nil strahlt.. Wie die Pharaonen ließ Nasser Steinreliefs meißeln, die ringsum an, den Zeltwänden stehen und Besuchern von dunkelhäutigen Turbanträgern mit Zeigestöcken wie Bänkelsängerbilder erklärt werden.
Die Steine zeigen Szenen aus dem Paradies, das der Sadd el-All ("der Hohe Damm") Ägypten bringen soll: Blühende Weizenfelder, wo heute gelbe Wüste ist, rauchende Fabrikschornsteine und muskelstarke Männer, denen pralle Frauengestalten am Werkstor pausbäkkige Kinder entgegenstrecken, elektrisches Licht in Häusern, wo bislang nur ein Docht in Ziegentalg schwelt, und
Segelboote voll strahlend-glücklicher Menschen, die auf einem von eleganten Hotels umsäumten Stausee kreuzen.
Der größte Damm der Welt bei Assuan soll ebenso die ägyptische Landwirtschaft befruchten wie völlig neue Industrien aus der Wüste stampfen Die Bewässerung durch den 600 Kilometer langen, 250 Kilometer in die Republik Sudan reichenden Stausee wird die Anbaufläche um ein Drittel erweitern und
stellenweise mehrmaliges Ernten im Jahr ermöglichen. Der Gesamtertrag der Landwirtschaft wächst um mindestens 50 Prozent.
Ein Kraftwerk - wiederum das größte der Welt - wird mit zehn Milliarden Kilowattstunden Jahresleistung im Süden Ägyptens ein Industrierevier von Erzgruben, Elektro-Stahlwerken, Aluminium-Hütten, Verarbeitungsbetrieben, Düngemittelfabriken und Chemie-Unternehmen bis hin zur Fabrik für schweres Wasser mit Energie versorgen. Über Fernleitungen soll die überschüssige Elektrizität bis in die Städte im Nildelta fließen und dort Maschinen von Fabriken treiben, die vorläufig ebenfalls nur auf den Reißbrettern der staatlichen Produktionsbehörde in Kairo existieren.
Auch ohne die großsprecherische Propaganda des Informationsministeriums in Kairo bleibt dieses Vorhaben eine zivilisatorische Anstrengung besonderen Ausmaßes. Ägypten war nicht nur in biblischen Zeiten oft von Hungersnöten heimgesucht; nach neuesten Uno -Statistiken ist dort die Rate der Hungersterblichkeit auch heute höher als selbst in Indien. Besonders die Landbevölkerung ist von Amöbenruhr und Bilharziosis- einer kräftezehrenden Wurmkrankheit - geschwächt und lebt oft nur von einer Handvoll Bohnen am Tag. Lethargie und korangläubige Ergebenheit sind so groß, daß es keine Auswanderung gibt, zu der überdies auch jegliche finanziellen Mittel fehlen.
Die Crux Ägyptens ist Jahrtausende alt. Sie besteht darin, daß zwar der Nil während der Flutzeit im Sommer gewaltige Mengen Wasser mit sich führt, dieser, Wassersegen aber nur einmal in die von Erddämmen begrenzten Felder am Ufer geleitet werden kann. Wenn die Becken gefüllt sind, werden die Deich zum Nil hin geschlossen. Ist dann das Nilwasser nach vier bis sechs Wochen verdunstet, wird - etwa im November - die Saat auf den abgesetzten Nilschlamm gesät, und schon nach wenigen Tagen sprießen die Keime aus der Erde. Im März wird geerntet. Während der folgenden heißen Monate jedoch trocknet die Sonne den Boden so stark aus, daß eine weitere Bestellung nicht möglich ist und mithin nur eine Ernte jährlich eingebracht werden kann.
Dieses Verfahren ist seit 5000 Jahren vorherrschend. Auch der von den Briten erbaute kleinere Stausee füllt sich nur einmal im Jahr. Wenn indes die Felder unabhängig vom Hochwasser das ganze Jahr überkünstlich bewässert werden, kann
man in manchen Gegenden jährlich drei Ernten einbringen.
Die einstigen Kolonialherren haben Ägypten überdies im Wirtschaftsverband des britischen Commonwealth auf die Monokultur von Baumwolle festgelegt, von der Englands Textilzentrum Lancashire lebte. Das Desinteresse der Briten an der sonstigen wirtschaftlichen Erschließung ist noch heute erkennbar. Die Eisenbahnlinie von Kairo nach Süden endet an den Ausläufern der Baumwollfelder, und der alte Damm von Assuan diente nur Bewässerungszwecken, obwohl sich die Ausnutzung der Wasserkraft zur Elektrizitätserzeugung von selbst anbot.
Im Juni lassen die Regenfälle im Hochland Äthiopiens den Blauen Nil um das Sechzigfache seines Standes anschwellen, und durchschnittlich fließen jährlich 84 Milliarden Kubikmeter Wasser an Assuan vorbei- Durch den alten Damm und einige andere Barrieren kann nur ein Teil davon gestaut und für die Bewässerung verwendet werden. Die Reservoire laufen während der Flutzeit voll, das überschüssige Flutwasser können sie nicht auffangen. Die Folge: Rund 40 Milliarden Kubikmeter fließen nutzlos in das Mittelmeer und verursachen überdies häufig genug katastrophale Überschwemmungen.
Singt Kamal el-Tawil, eine Art Hofkomponist Nassers, in einer "Hymne auf den Hochdamm" traurig: Nutzlos fließen die Wasser ins Meer, wo doch die Wüsten ihrer so dringend bedürfen.
Nassers hoher Damm soll so viel Wasser sammeln, daß kein Tropfen mehr verlorengeht. Der Sadd el-Ali kann in Jahren normaler Nilfluten so viel Wasser auf Vorrat stauen, daß die ständige Berieselung aller Felder selbst in Jahren mit niedrigem Wasserstand gesichert ist.
Der Staudamm wird die gesamte Landschaft am Nil verändern. Sein See wird so groß sein, daß sogar mit gelegentlichen Regenfällen, zumindest aber mit einer die ganze Vegetation beeinflussenden Zunahme der Luftfeuchtigkeit zu rechnen ist Überdies hat die Regierung mit dem Assuan-Projekt ein Rehabilitierungs-Vorhaben gekoppelt, das westlich vom Nil um einige Oasen herum ein Wüstengebiet von der Größe Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens zusammengenommen in eine fruchtbare Landschaft verwandeln soll. Ein zu diesem Zweck errichtetes Amt für Landgewinnung
(General Organization for the Rehabilitation of Deserts)
in Kairo berichtet darüber in einer Expertise:
"Während heute die meisten ... (mehr als 90 Prozent der Bewohner) im Niltal ansässig sind, betrug die Bevölkerung der Wüstengebiete in vorgeschichtlicher Zeit mehrere Millionen, und die landwirtschaftlich genutzten Gebiete waren so ausgedehnt, daß die Wüstenbewohner das Niltal mit überschüssigen Früchten und Getreide belieferten. Diese Tatsache ist aus Grabfunden und Inschriften eindeutig belegt. Erst in späterer Zeit muß eine lange Periode des Verfalls eingetreten sein, während der die Wüstenbewohner an die Uferplätze am Nil emigrierten."
Auf Grund dieser Erkenntnis haben
Nassers Prospektoren bisher 170 alte, artesische Brunnen in der Wüste freigelegt und instandgesetzt. Sie spenden noch heute aus etwa 30 Meter Tiefe Grundwasser. Durch Pumpanlagen und Kraftstationen, die einmal von der Energie aus Assuan getrieben werden sollen, wird 200 Kilometer westlich vom Nil, um die Oase Kharga mitten in der Wüste, das "New Valley" ("Neues Tal") entstehen, in dem nur wenig Baumwolle, dafür aber große Mengen Weizen, Mais, Kartoffeln und vielerlei Gemüse angebaut werden sollen. 700 000 Hektar sind allein für den wasserzehrenden Reisanbau vorgesehen.
Als ein in dieser ausgedörrten Region zöllig neuer Zweig landwirtschaftlicher
Produktion soll die Massenaufzucht von Rindvieh aufgenommen werden, insbesondere auf staatlich-genossenschaftlichen Großgütern.
Das Neue Tal westlich der alten Königsstadt Luxor Theben) und der Bau zahlreicher Fabriken in Ägyptens Südgebieten bei Assuan bieten auch eine Chance, das ständige Abwandern großer Menschenmassen in die nördlichen Großstädte Ägyptens abzustoppen. Denn dort finden sie keine Beschäftigung, sondern rekrutieren nur neue Bakschischjäger-Bataillone. Tausende von Fellachen hat Oberst Nasser vor Jahren auf Lastkraftwagen der Armee selbst nach Kairo karren lassen, wo sie
- Vorschreier zehn Piaster, Mitläufer einen Piaster - für den Umsturz demonstrierten.
Sie kampieren zwischen den Grabsteinen und in den Mausoleen der großen Friedhöfe unterhalb der Mohammed -Ali-Zitadelle vor der Stadt. Noch ist die von ihnen aufgestellte Nasser-Büste aus Gips und Bronzefarbe immer mit frischen Blumen geschmückt. Aber sie warten auf das Wirtschaftswunder, das ihnen der Revolutionär Nasser vor der Beseitigung des Faruk-Regimes versprochen hatte.
Das 25-Millionen-Volk am Nil vermehrt sich jährlich um 500 000 Menschen, ohne daß bisher die Ernährungsbasis mitwuchs. Auf dem schmalen Raum am Fluß und im Delta leben pro Quadratkilometer mehr Menschen als irgendwo sonst auf dem Globus: 690(in Westdeutschland 211, ohne Saargebiet).
Ihr jährliches Volkseinkommen beträgt umgerechnet je Kopf etwa 480 Mark gegenüber 3400. Mark in der Bundesrepublik, 9900 Mark in den USA. Mit einer nach NS-Muster aufgezogenen und ebenso "Winterhilfe" genannten Organisation kämpft Nasser einen verzweifelten Kampf um Zeitgewinn und verweist das Volk, immer wenn Elend und Hunger unerträglich zu werden drohen, auf das kommende Wunder von Assuan.
Es soll den Ägyptern alle Herrlichkeiten des Industriezeitalters bescheren, nach denen sie sich an den Schaufenstern von Kairos Prachtstraße Kasr el -Nil heute noch die Nasen plattdrücken. Zu Anschauungszwecken ließ die Regierung Radios, Fernseher, Waschmaschinen, Möbel und Automobile importieren. Sie zieren die Läden samt den Blaupausen der Fabriken und Luftaufnahmen der Standorte, wo ihre Massenproduktion dereinst anlaufen soll.
Nördlich der Pyramiden von Gizeh entsteht immerhin schon eine Automobilfabrik, die einen arabischen Volkswagen, Typ Ramses, produzieren soll.
(Motor und Getriebe liefert NSU). Gamal Abd el-Nassers industrieller Ehrgeiz ist schier unbegrenzt: Noch in diesem Herbst will Ägypten den Düsenflugzeugbau beginnen.
Für die mehr als zwei Drittel Analphabeten unter der Bevölkerung hat das Propagandaministerium Comic-Stripähnliche Zeichnungen über die hereinbrechenden herrlichen Zeiten verfertigt, und motorisierte Trupps bringen den Film vom großen Damm bis in das letzte Wüstendorf. Die hungernden Fellachen verschlingen gierig Nassers Kintopp vom
schöneren Leben. Die Hymne des Hofkomponisten Tawil schließlich - er vertonte auch Ägyptens neue Nationalhymne, ehemals ein Part aus "Aida" -
wird in allen Schulen als Pflichtfach einstudiert.
Seit Staatschef Nasser am 9. Januar 1960 in Anwesenheit des sowjetischen Kraftwerkministers Ignati Nowikow als "erster Arbeiter vom Hochdamm" mit der Sprengung von 20 000 Tonnen Gestein die Bauarbeiten einleitete, werden Schulklassen und Reisegruppen aus dem ganzen Land an das Rundzelt mit dem Glühbirnen-Modell in Assuan geführt.
Hier ist der Platz, von wo aus der "Tiger von Falugha" - so Nassers Ehrenname aus dem 1948er Feldzug gegen die Israelis - den Sprung aus der Vorzeit in das Industriezeitalter ansetzt und wo Ägypten zur ersten Wirtschaftsmacht Afrikas erhoben werden soll. Hier ist ebenso die Stätte der bisher schwersten Niederlage der westlichen Welt in der Auseinandersetzung um die jungen unterentwickelten Staaten.
Schon vor dem Sturz Faruks war den Experten klar, daß nur eine Revolutionierung der antiquierten, mit Wasserschopfrad und Archimedischer Spirale
betriebenen Bewässerung oder die Industrialisierung Ägypten aus seiner biblischen Misere herausreißen würde - am besten aber beides zusammengenommen. Ein Agrarexperte griechischer Abstammung hatte bereits dafür plädiert, den Nil irgendwo aufzustauen, so daß ähnlich der Hortung von Weizen durch den biblischen Pharao-Berater Joseph künftig Nilwasser für magere Jahre "eingelagert" werden könnte.
Der Grieche sollte am 9. Januar 1960 den ägyptischen Orden "Kragen des Nils" bekommen. Da er sich inzwischen mit seinem Assistenten um die Erstrechte an der Idee vor dem Kadi streitet, unterblieb die Verleihung.
Der erste realistische Vorschlag für das Projekt stammt von dem Nah-Ost -Kaufmann Rudi Stärker, der in Kairo zwei Dutzend renommierter westdeutscher Firmen vertritt. Am 18. Oktober 1952 verfaßte Stärker einen Brief an den damaligen Wortführer der Revolution, General Nagib, und erhielt die Antwort, er solle detailliertere Pläne über den Staudamm vorlegen.
Am 14. November 1952 morgens ließ der deutsche Kaufmann eine Mappe mit Zeichnungen und Berechnungen im Kubbeh-Palast überreichen. Am Nachmittag um drei Uhr stoppte vor seiner Wohnung am Nil, die gegenüber der Stelle liegt, an der die Pharaotochter das Findelkind Moses im Schilf entdeckt haben soll, ein Jeep und brachte ihn direkt zu Gamal Abd el-Nasser. Bei dem 34jährigen Oberst hatte die Idee sofort gezündet. Nach Stärkers mündlichem Rapport übertrug er die Vorbereitungsarbeiten dem Oberst Samir Helmi, einem Vertrauten aus seiner 1946/48er Ausbildungszeit auf der Militärakademie in Kairo. Nasser stammt selbst aus einem der Hungerdörfer am Nil und ist oft in dem Zug mitmarschiert, der alljährlich, wenn das Nilwasser zu steigen beginnt, unter beschwörendem Singsang anstelle des früheren Menschenopfers dem Fluß eine Blumengabe darbringt.
Stärker veranschlagte den Netto-Speicherinhalt des Stausees auf 70 Milliarden Kubikmeter. Weitere je 30 Milliarden Kubikmeter wurden für die unvermeidliche Ablagerung von Nilschlamm sowie zur Hochwasserregulierung hinzugerechnet. So ergab sich mit 130 Milliarden Kubikmeter Rauminhalt ein Staubecken von phantastischen Ausmaßen:
Fünfmal größer als der gegenwärtig größte Stausee der Welt, der Bouldersee in Colorado, oder tausendmal so groß wie die Möhnetalsperre.
Schon drei Tage nach seinem Besuch im Kubbeh-Palast schloß der Revolutionsrat mit den von Stärker vertretenen Firmen Hochtief AG Essen und Rheinstahl Union Brückenbau AG Dortmund einen Vertrag über Versuchsbohrungen in der Gegend südlich von Assuan ab, die der Deutsche als die günstigste Staustelle erkundet hatte. Der neue Staudamm-Minister Hassan Saki beauftragte-Stärker, zunächst einmal 80 Meter tief im Flußbett zu bohren, um festzustellen, wie der Untergrund beschaffen ist.
Die Bohrmeißel stießen auf Felsgeröll und Flußsand, auf dem weder eine Staumauer aus Zement noch ein Damm aus Felsblöcken errichtet werden kann.
Minister Saki fluchte; er hatte erwartet, daß bereits die erste Bohrung auf massiven Fels stoßen werde. Als der Vertrag auf weitere 160 Meter ausgedehnt wurde, die Bohrmeißel aber immer noch Sand und Geröll zutage förderten, trug sich Saki mit Rücktrittsgedanken.
Rudi Stärker hingegen versprach von einer dritten Bohrung absoluten Erfolg. Denn was die Ägypter nicht wußten war, daß ihm ein Gutachten des Freiburger Professors Pfannenstiel vorlag, des geologischen Sachverständigen vom Deutschen Afrikakorps. Pfannenstiel kannte theoretisch die geologischen Verhältnisse Ägyptens aus den Vorbereitungen für den Feldzug Feldmarschall Rommels. Was er von Anfang an vorausgesagt hatte, traf bei dem dritten Bohrversuch ein: Kurz nach 200 Metern Tiefe erreichten die Bohrer massiven Fels.
Hochtief und Rheinstahl Union arbeiteten draufhin ihren Entwurf aus: einen Damm von 111 Metern Höhe, 3,5 Kilometern Länge quer zum Nil und einem Kilometer Dicke an seiner Basis unter Wasser (siehe Graphik Seite 51). Auf der Dammkrone eine Straße von 32 Metern Breite.
Schwierig blieb die Frage der Finanzierung. Stärker hatte ein Konsortium zusammengebracht, dem außer Hochtief und Rheinstahl Union die Firmen MAN, Siemens, AEG und Julius Berger angehörten, die für das Milliardenobjekt Fachkräfte, Maschinen und Material bereitstellen wollten. Da Ägypten erst nach einigen Jahren in Raten würde bezahlen können, verhandelten die Firmen mit der Bundesregierung über eine Finanzierungshilfe durch die Hermes-Versicherung des Bundes. Aber Bonn hielt den Daumen auf der Kasse.
Erst nachdem die Deutschen englische und französische Firmen in ihr Konsortium aufgenommen hatten, kam ein internationaler Finanzierungsplan zustande. Im Dezember 1955 händigte das größte Finanzierungsinstitut für Entwicklungsländer, die Weltbank in Washington, dem ägyptischen Botschafter für die erste Baustufe einen Finanzplan aus, der 70 Millionen Dollar à fonds perdu von der amerikanischen und britischen Regierung und 200 Millionen Dollar Anleihe von der Weltbank vorsah, so daß umgerechnet 1,3 Milliarden Mark bereitstunden.
Mit 46 Millionen Dollar Zuschuß hielt der US-Außenminister John Foster Dulles den Schlüssel für die Gesamtfinanzierung in der Hand, und durch ihn geriet der Staudamm plötzlich in den Strudel der Weltpolitik. Der kalte Krieger Dulles nämlich mußte durch den ägyptischen Staatschef bald eine politische Schmach besonderer Art hinnehmen.
Als eine ägyptische Militärkommission in Washington Waffen einkaufen und das Pentagon nur Ladenhüter aus dem Korea-Krieg, nicht aber moderne Angriffswaffen herausrücken wollte, klappten Nassers Unterhändler stolz hinter sich die Tür zu und kauften das Gewünschte bei der Konkurrenz in Moskau ein; MIG-Jäger, Iljuschin-Bomber, Stalinpanzer und Unterseeboote, lieferbar über die Tschechoslowakei.
Für den moralstarken Dulles war es unfaßbar, daß eine Regierung solches tun und gleichzeitig fleißig aus den Töpfen des weltweiten amerikanischen Hilfsprogramms schlecken konnte - die USA schickten insbesondere landwirtschaftliche Produkte aus ihren Surplus -Beständen nach Ägypten. Dulles erboste sich noch mehr, als Nasser nicht nur dem westlichen Bagdadpakt fernblieb, sondern auch noch das kommunistische China anerkannte.
Der Spaziergänger am Rande des Abgrunds beschloß, Nasser ein für allemal den Geschmack an solchen Extratouren - zu verderben, möglicherweise sogar ihn zu stürzen und durch mehr westlich orientierte Männer - etwa General Nagib - zu ersetzen. Er zog in brüsker Form das Kreditangebot zurück, wobei es ihm gelegen kam, daß Ägypten für die Waffen aus dem Osten künftige Baumwollernten verpfändet hatte.
Die Note des State Department vom 19.Juli 1956 nahm giftig darauf Bezug: "Die Entwicklung (im Außenhandel) in den (voraufgegangenen) sieben Monaten war für das Assuan-Projekt nicht vorteilhaft und die US-Regierung ist zudem Schluß gekommen, daß eine Beteiligung im Augenblick nicht
möglich ist."
Natürlich fiel der ganze Finanzierungsplan zusammen, denn auch England und die Weltbank annullierten sofort ihre Offerten. Robinson Beal, ein Dulles-Freund und Autor seiner Biographie, sagte später: "Die Rücknahme der Finanzierungshilfe war ein von Foster genau kalkulierter Schlag in Nassers Gesicht. Für Dulles war mit dem Waffenkauf ein Höhepunkt im Kalten Krieg gekommen, und der Schlag sollte deshalb so hart und beleidigend wie möglich geführt werden, nicht zuletzt wegen der Abschreckungsmoral für andere neutrale Länder."
Der Schlag saß. Er traf indes Ägyptens Staatspräsidenten an dem bei ihm besonders stark entwickelten Emanzipations-Komplex der Führer junger Staaten. Nasser sonnte sich über dies gerade auf einem Gipfel seiner politischen Laufbahn. Er war mit Nehru Gast auf Marschall Titos Brioni-Insel gewesen und kehrte mit dem indischen Ministerpräsidenten nach Kairo zurück.
Die Absage riß ihn jäh aus seinem Hochgefühl heraus. Einige Tage tappte der Tiger von, Falugah wütend im Kubbeh-Palast hin und her. Er brauchte sich indes nicht lange auf das Faustpfand in seiner Hand zu besinnen; bald waren die Befehle für die Beschlagnahme des Suezkanals an die Armee heraus. Es zeigte sich, daß kaum je zuvor ein Staatsmann um ein Wirtschaftsprojekt so hoch gepokert hat wie Nasser, um Assuan. Vor einem aufgescheuchten Weltpublikum löste eine Aktion die andere ab:
- Nasser verstaatlichte den Kanal, ließ
alle Gebäude und Anlagen besetzen und plünderte die Kassen der französisch-britischen Suezkanal-Gesellschaft;
- Frankreich und England antworteten mit Bombardements und Truppenlandungen bei Port Said;
- Israel nutzte die Gelegenheit, um
-Ägypten an seiner Ostgrenze anzugreifen und
- Chruschtschow drohte, die Sowjet -Union werde einschreiten und London mit Fernraketen beschießen, falls die Aggression nicht sofort eingestellt werde.
Ägyptens Staatspräsident hatte an dem Kausal-Zusammenhang zwischen Suez und Assuan keinen Zweifel gelassen. Auf dem Manchia Square in Alexandria, wo er einer Massenversammlung die Beschlagnahme verkündete, triumphierte er am Mikrophon:
"Jahr für Jahr hat uns die Gesellschaft 35 Millionen Pfund gestohlen.
Dieses Geld gehört uns, so wie uns der Kanal gehört. Er ist von Ägyptern gebaut und 120 000 starben dabei. Wir werden das Geld für den Bau des Staudamms von Assuan Verwenden. Ja, mögen die Amerikaner an ihrer Wut ersticken,
der Damm wird gebaut; er wird auf den Schädeln jener 120 000 errichtet werden."
Aus dem Tiger von Falugah war nach dem Assuan-Krieg der gefeierte Held von Alexandria und Port Said geworden. Denn obwohl die Ägypter insbesondere von den Israelis schmerzliche Prügel bezogen hatten, gereichte Nasser das mit Uno-Hilfe glücklich überstandene Abenteuer zu höchstem Ruhm in Afrika und Asien. Kamal el-Tawil berichtet mit Vorsänger und Chor darüber:
Wir wollten den Hochdamm bauen, doch die
Imperialisten wiesen die Weltbank, uns
nichts zu geben
Chor: Welche Schande!
Aber da tönte Gamals Schrei auf dem
Manchia Square In Alexandria und wir verstaatlichten den Kanal
Chor: Ein Meisterschlag!
Drauf schickten sie ihre Flugzeuge, U-Boote
und Panzer, auf daß wir uns ergäben...
Chor: Verdammte Tat!
Aber wir waren das Feuer, das ihre Armeen
verzehrte und bei Port Said sie mit Schande
bedeckte.
Chor: Wir errangen mit Gamal den Sieg,
den Sieg, hehe!
Amerikas Außenminister mußte sich ob dieses seit Kriegsende größten Fehlschlags der amerikanischen Nah-Ost -Politik vor einen Untersuchungsausschuß des Senats zitieren lassen. Sein Zorn über Nasser indes war so heftig, daß er seinem ersten Fehler sofort einen zweiten hinzufügte. Als er während der zweimonatigen Verhöre gefragt wurde, ob Amerika sein Kreditangebot für Assuan erneuern sollte, schnappte er zurück: "Solange ich Außenminister bin, dafür nicht einen Cent." Überdies war er immer noch überzeugt, daß die Sowjets bei dem Dammprojekt nicht für den Westen einspringen würden.
Dulles am 28. Januar 1957 laut Ausschußprotokoll: "Es ist zwar denkbar, daß die Sowjets theoretisch ihre Hilfe zusagen, als Lockmittel; aber sie werden sie nie verwirklichen, weil sie wirtschaftlich viel zu sehr im eigenen Lande und von ihren Satelliten beansprucht sind."
Rudi Stärker in Kairo hingegen wußte, daß der Hinweis auf die Sowjets kein Bluff war. Er versuchte, die auch in Bonn vertretene These vom Desinteresse Moskaus zu entkräften, was nicht leicht war, weil sich die Sowjets hüteten, die Arglosigkeit im westlichen Lager zu zerstreuen. Der stellvertretende Außenminister Schepilow tönte sogar offiziell, Moskau sei an Assuan überhaupt nicht interessiert.
Die Ägypter jedoch pressierten Rudi Stärker ungerührt mit dem Hinweis, daß die Sowjets durchaus ernsthaft verhandelten und günstige Bedingungen angeboten hätten. Der Aufbauminister und der Finanzminister Nassers schmeichelten und drohten zugleich, natürlich werde Ägypten es am liebsten sehen, wenn die Deutschen nach den Vorarbeiten das Projekt auch ausführten. Aber Bonn müsse schon schnell handeln und nach den drei Milliarden Mark (Wiedergutmachung) für die Juden endlich auch etwas für die Araber springen lassen.
Stärker berichtet nach Bonn, und Wirtschaftsattache Neumann von der Deutschen Botschaft in Kairo beziffert die von ihm ebenfalls mit Bonn gewechselten Telegramme über das Assuan -Projekt auf über 100. Aber die Sowjets sind schneller:
Auf einem Kreml-Bankett zu Ehren des Besuchers Vizepräsident Feldmarschall Abd el-Hakim Amer, gab Nikita Chruschtschow das sowjetische Angebot auf Finanzierung der ersten Damm-Baustufe öffentlich bekannt. Am 27. Dezember 1958 unterzeichneten Amer für die Vereinigte Arabische Republik und Petr Nikitin für den sowjetischen Ministerrat in Kairo einen 400-Millionen-Rubel -Vertrag über die vorgesehene erste Bauphase.
Dem Attaché Neumann bringt die Nachricht einen Nervenzusammenbruch. Rudi Stärker und Konsorten nehmen den Zuschlag an die Sowjets, der jeder beteiligten Firma wenigstens 100 000 D-Mark Verlust für-ihre nunmehr nutzlosen Vorarbeiten bescheinigt, erbittert zur Kenntnis. Da aber der zweite Bauabschnitt - Errichtung des Hauptdammes, Bau der Großkraftstation mit 16 Turbinen von je 150 000 PS sowie Anlage der Pumpsysteme und Überlandleitungen, insgesamt allein 95 000 Tonnen Stahlkonstruktionen - der geschäftlich interessantere Teil des Gesamtvorhabens war, gaben sie sich nicht geschlagen. Das Konsortium erhielt sogar Verstärkung:
Krupp, Essen, und der italienische Fiat -Konzern schlossen sich an.
Das Mitglied des Exekutiv-Triumvirats Oberst Samir Helmi flog nach Europa und versicherte den Deutschen, sie besäßen nach wie vor die größte Chance auf den Hauptauftrag. Das schien um so zutreffender, als sich deutsche Firmen mittlerweile in Assuan selbst Meriten erwerben konnten. Als erste Projekte nämlich, die noch vor dem Sadd el-Ali in Angriff genommen werden sollten, hatte Nasser am alten Assuan-Damm ein Kraftwerk und eine Düngemittelfabrik bestimmt. Hauptkontraktor für das
- Kraftwerk-Bauvorhaben war die Firma Generals Traveaux in Marseille. Als der Suez-Krieg ausbrach, waren die Arbeiten am Kraftwerk stekkengeblieben.
Damals sprangen die Deutschen in die Bresche. Auf elegante Weise - unter Einschaltung nichtfranzösischer Auslandsfirmen - verhalfen die
Deutschen den Ägyptern zur Lieferung zweier in Marseille nahezu fertiggestellter 265-Tonnen-Laufkräne, ohne die die Arbeit im Kraftwerk zweieinhalb Jahre hätte unterbrochen werden müssen. Stärkers Hochtief AG führte den Bau der Wassereinlaß-Dämme und die Montage schwedischer Turbinen zu Ende. Das Düngemittelwerk - die größte und modernste Anlage in ganz Nahost -
baute ohnehin ein Konsortium, das zu 80 Prozent die Firmen Uhde GmbH und die Badische Anilin- & Sodafabrik AG bildeten.
Stärker hatte inzwischen auch Bundeswirtschaftsminister Erhard davon überzeugt, daß die deutsche Industrie sich nicht von den Sowjettechnikern den Rang ablaufen lassen solle. Am 14. Dezember 1959 fand in Lonn-Duisdorf eine letzte Lagebesprechung vor Erhards lange geplanter Reise nach Ägypten statt, die wegen Nassers Kokettieren mit der Pankow-Regierung immer wieder hinausgezögert worden war.
Dabei verlangte Ludwig Erhard nur die verbindliche Erklärung, daß der zweite Bauabschnitt technisch unabhängig vom ersten ausgeführt werden und mithin eine Zusammenarbeit mit den Russen vermieden werden könne. Die Firmen bestätigten das, und die ebenfalls anwesenden Bankenvertreter erklärten sich bereit, bis zu 300 Millionen Mark vorzufinanzieren. Ein Vertreter des Bundesschatzministers gab zu Protokoll, daß sein Haus die Anschlußfinanzierung auf zehn bis zwölf
Jahre aus Mitteln des ERP und der Kreditanstalt für Wiederaufbau für möglich halte.
Zum Zeitpunkt dieser optimistischen Sitzung war von Nasser auch eine Schwierigkeit aus dem Wege geräumt worden, die dem Außenminister Dulles als ein zusätzlicher Vorwand für die Rücknahme der US-Finanzhilfe gedient hatte: Die vertragliche Aufteilung der Nilwassermengen auf Ägypten und die seit 1956 selbständige Republik Sudan, die einen von den Kolonialherren abgeschlossenen Vertrag über die Aufteilung der Nilwasser von 1929 nicht anerkannte.
Der Sudan hat von dem Projekt wenig direkten Nutzen. Da der Stausee 250 Kilometer weit in das Land hineinreichen wird, entstehen ihm vielmehr
erhebliche Kosten und Verluste. Etwa 50 000 Einwohner müssen umgesiedelt werden. 10 000 Häuser, 350 000 Palmen, eine erst seit wenigen Jahren fördernde Goldmine und unzählige vorchristliche Bauten werden überflutet. Die Kreisstadt Wadi Halfa zum Beispiel versinkt mit ihren drei Moscheen, neun Schulen und anderen öffentlichen Bauten 80 Meter tief im Wasser.
Zweimal mußten deshalb Verhandlungen über eine Regelung in Kairo ergebnislos abgebrochen werden. Die Abgesandten aus Karthum blieben gegenüber den Vorschlägen Nassers um so mißtrauischer, als der Oberst im Sudan zahlreiche Agenten unterhält und außer Syrien auch die sudanesische Republik seinem Reich einzuverleiben versuchte.
Noch einen Tag vor der Rückkehr der Unterzeichnungsdelegation - dem Sudan wurden eine jährliche Wassermenge von 14 Milliarden Kubikmetern (bisher vier) und 180 Millionen Mark Entschädigung zugesprochen -, am 8. November 1959, rebellierte ein Teil der Garnison in Karthum gegen den Vertrag, in dem viele ein Nachgeben des sudanesischen Präsidenten Abbud gegenüber Nassers großarabischer Politik sahen.*
Unter Führung eines Obersten rückten Offiziere und Soldaten der Infanterieschule aus, um das Regierungsgebäude zu besetzen. General Abbud schickte ihnen regierungstreue Truppen entgegen, und auf der Nilbrücke gab es bei einem Feuergefecht Tote und Verletzte.
Abbud ließ die Aufrührer gefangennehmen. Selbst von, den regierungstreuen Soldaten jedoch wollte niemand dem befohlenen Exekutionskommando angehören, das fünf der verantwortlichen Offiziere noch in der Nacht zum 9.November erschießen sollte. Im Morgengrauen ließ Abbud die Offiziere schließlich durch seine Diener in einer Garage aufknüpfen.
Rudi Stärker wies nach Abschluß des ägyptisch - sudanesischen Vertrags in Bonn dringlich darauf hin, daß nunmehr über den zweiten, wichtigeren Bauabschnitt bei Assuan die Entscheidung nahe. Laut einer Aktennotiz beklagte er am 12. Dezember 1959 erneut das Schleichtempo der Bonner Ministerialbürokratie und bezweifelte, daß Nasser noch vor dem Westen zu Kreuze kriechen werde:
"Leider ist die Auffassung des deutschen Botschafters Weber und des AA immer noch die, daß man abwarten soll, bis Nasser ,das Wasser bis zum Halse' stände, dann würde er sicherlich in erster Linie auf den Westen zukommen. Ich vertrete den entgegengesetzten Standpunkt. Nasser hat zweimal bewiesen, daß er in Gefahrenmomenten seinen Weg eher nach Moskau findet..."
Am 14. Januar 1960 steht das Thema Sadd el-Ali auf dem Programm der Kabinettssitzung im Bonner Palais Schaumburg. Erhard trägt den Finanzplan vor und wünscht entsprechende Order für seine Reise. Aber Brentano und Adenauer halten Dulles die Stange. Einige Tage später werden die Firmenvertreter erneut nach Bonn berufen und hören den mickrigen Kabinettsbeschluß:
- Der Bundeswirtschaftsminister wird bei seinem Besuch die Ägypter nicht von sich aus auf die zweite Baustufe von Assuan ansprechen. Falls die ägyptische Regierung fragt, wird er sagen, daß "in Bonn eine grundsätzliche Bereitschaft besteht, aber die Voraussetzung für eine endgültige Antwort nach wie vor der Besuch der bereits 1958 angebotenen deutschen Prüfungskommission" sei.
Kairo-Botschafter Weber, zur Berichterstattung ebenfalls in Bonn, tröstet die enttäuschten Industriellen. Nach seiner intimen Kenntnis habe Ägypten mit dem zweiten Bauabschnitt keine große Eile, die Entscheidung werde nicht früher als in etwa einem Jahr fallen Weber hat das - am Nachmittag des 18. Januar 1960 - kaum vorgetragen, da stürzt sein Attache Neumann herein. Er ist abermals dem Schlagfluß nahe und verkündet, eben ticke der Fernschreiber in der BWM-Pressestelle, daß Ägypten nunmehr das ganze Projekt der Sowjet -Union übertragen habe.
Die Entwicklungshändler aus Moskau hatten den Fuß in der Tür behalten, nachdem ihnen die erste Bauphase übertragen worden war. Staudamm-Minister Saki half ihnen im Verlauf der Verhandlungen um die zweite Stufe, die Deutschen vollends aus dem Rennen zu werfen. Saki hat ohnedies lieber mit Leuten zu tun, die seine anfänglichen Zweifel an dem Projekt nicht kennen und ihm glauben, wenn er sich ereifert: "Wer hat denn herausgefunden, daß der Nilgrund bei Assuan bis 200 Meter Tiefe aus Sand besteht? Ich habe es herausgefunden!".
Saki boxte den deutschfreundlichen Oberst Helmi aus dem dreiköpfigen Exekutiv-Gremium für den Sadd el -Ali heraus - Helmi landete als Direktor bei der Düngemittelfabrik in Assuan, der dritte Mann wurde in die Suezkanalverwaltung abgeschoben - und verhalf den sowjetischen Plänen vor der von Nasser angerufenen Kommission arabischer und internationaler Wasserbau-Experten zum Durchbruch.
Professor Iwan Komzin, der Chefexperte der Sowjets, konnte dabei die Ägypter nicht nur mit dem Hinweis beeindrucken, daß es bei seinen Auftraggebern keine Finanzierungsschwierigkeiten geben werde. Ebenso überzeugend wirkte, daß die Sowjets die ursprünglich in zwei zeitlich aufeinanderfolgenden Bauphasen vorgesehenen Arbeiten zusammenfassen, also an allen Baustellen gleichzeitig beginnen wollten.
Auf diese Weise machten sich die Sowjets anheischig, die Gesamtbauzeit von zehn Jahren auf sieben zu verringern, und erhielten den Zuschlag. Abgesehen von der Zusammenfassung beider Bauetappen jedoch wird das Projekt, bis auf geringfügige Änderungen in Details, nach den deutschen Plänen ausgeführt.
Sieben Kilometer südlich von dem Briten-Staudamm wird ein 50 Meter hoher und 500 Meter langer Vordamm aufgeschüttet, der das Nilwasser aufstaut und durch einen in den Fels zu schlagenden Umleitungskanal um die Baustelle herumleitet, an der der Sadd el-Ali selbst errichtet werden soll. Der Kanal entsteht am östlichen Nilufer. Er wird 1,2 Kilometer lang und 60 Meter breit. Trotz dieser Umleitung werden die Arbeiten am Hochdamm selbst dreißig Meter unter Wasser beginnen müssen, da die von Rudi Stärker ausgewählte Baustelle innerhalb des alten Staudammsees liegt. Durch die Flußumleitung ist aber immerhin gewährleistet, daß in stehendem Gewässer gearbeitet werden kann.
Der offene Umleitungskanal war schon in den ersten Entwürfen der Deutschen vorgesehen. Aus Furcht vor israelischen Luftangriffen jedoch - auf dem alten Damm stehen Tag und Nacht Flakgeschütze feuerbereit - verlangte der Revolutionsrat eine bombensichere Anlage. Hochtief und Dortmunder Union entwarfen deshalb einen Alternativ-Vorschlag, nach dem das Nilwasser durch sieben unterirdische Rohre von je 16,5 Metern Durchmesser mit
Ventilverschlüssen umgeleitet werden sollte. Die Ventile
hätten nach Bombentreffern einzeln verschlossen werden können.
Nach dem Zuschlag an die Sowjets spielt plötzlich die Luftsicherung der Bauten keine Rolle mehr. Minister Saki will das so begründen: "Als wir mit unseren Plänen anfingen, dachten wir noch an einen möglichen lokal begrenzten Krieg. Aber wenn es hier knallt, wird es ja doch eine globale Auseinandersetzung, das wissen wir ja seit Suez." Auf die Frage, ob die Sowjets für den Kriegsfall den militärischen Schutz des Sadd el-Ali garantiert haben, weicht Saki aus: "Das ist eine politische Frage; ich bin Ingenieur."
Infolge der veränderten "Luftlage" konnten die Russen ihren Preis senken. Sie projektierten statt der unterirdischen Rohre von 1,2 Kilometern Länge nun ihrerseits einen offenen Kanal. Nur dort, wo der Kanal die Ostflanke des Hochdamms berührt, sollen mehrere 200 Meter lange Stollen durch die Erde getrieben und mit Schleusengattern versehen werden.
Weder Saki noch die Sowjets erwähnen öffentlich, daß dieser Kanal genau dem deutschen Vorschlag Nummer eins entspricht, von dem Saki ohne Rücksicht auf das Urheberrecht Pläne und Zeichnungen den sowjetischen Technikern aushändigte. Die Einsparung von 80 Millionen Mark hingegen streicht die Moskauer "Iswestija" groß heraus: "Diese Millionen sind das großzügige Geschenk der sowjetischen Hydrotechniker an die Vereinigte Arabische Republik."
Im Norden entsteht ein zweiter Hilfsdamm, wie sein südliches Pendant ein sogenannter Kofferdamm. Er wird nur 35 Meter hoch und soll verhindern, daß während der Bauarbeiten am Hochdamm aus dem umgeleiteten Strom von Norden her Schlammablagerungen die Arbeiten behindern. Schon der südliche
Vordamm, der zwar nach Fertigstellung des Hauptdamms unter Wasser liegt, aber trotzdem als Sehlammbarriere integraler Bestandteil der ganzen Anlage ist, wird die bisher bei Assuan gestaute Wassermenge von fünf auf dreizehn Milliarden Kubikmeter erhöhen.
Zwischen beiden Hilfsdämmen wird sich 111 Meter über dem heutigen Wasserspiegel als dritter der Sadd el-Ali selbst erheben. Wie bei den kleinen Dämmen werden als Schüttmaterial Felsblöcke, Geröll, Sand und Tonvorkommen aus der Umgebung verwendet. Bis hinunter auf den von den Deutschen erbohrten Felsen im Flußbett, das heißt etwa 210 Meter tief, werden in Abständen von wenigen Metern Zementstützen gegossen, die dem Damm eine feste Basis geben.
Die Sowjets ziehen auch dem nach beiden Seiten flach abgeböschten Hauptdamm ein Zementkorsett ein. Um die ganze Anlage aufzufüllen und mit Rammen und Schüttelmaschinen festzustampfen, sind 44 Millionen Kubikmeter Füllmaterial nötig, siebzehnmal so viel wie der Inhalt der Cheopspyramide.
Die Anlage verdient ihre Einstufung als größter Damm der Welt nicht etwa wegen der Höhe. Die höchste Sperrmauer wies vielmehr mit 223 Metern der 1936 errichtete Boulder -Damm am Colorado -Fluß in den USA auf, der seinerseits bereits übertrumpft wurde:
Der in der Schweiz im Bau befindliche Damm Grande Dixence wird 284 Meter hoch.
Gegenüber den Zement- und Stahlbeton-Bauten ist der vorwiegend aus am Ort verfügbarem Material verfertigte Sadd el-Ali nicht der Technik, sondern des Ausmaßes der Stauwasserfläche wegen mit Abstand der bedeutendste. Indem bis 182 Meter tiefen und auf eine Strecke von Berlin bis München ausgedehnten Stausee wird mit 130 Milliarden Kubikmetern Wasser 26mal mehr Wasser gestaut als in dem bisherigen Assuansee mit seinem
nur 36 Meter hohen Damm von 1902.
Da der Wasserspiegel nach Vollendung des Dammbaues zwischen Sadd el-Ali und dem alten Damm niedriger liegen wird als bisher, wird der Isis-Tempel Philae wieder aus den Fluten hervorsteigen, während die Monumentalfiguren von Abu Simbel aus der Zeit Ramses II. vom künftigen Stauwasser bedroht sind.
Beide Kofferdämme und der zwischen ihnen 111 Meter hochragende Hauptdamm werden in der Schlußphase der Bauarbeiten durch terrassenförmige Aufschüttung miteinander verbunden: Aus allen dreien entsteht mithin ein geschlossenes Bauwerk.
Die Deutschen wollten während der Aufschüttung der drei Dämme jeweils mit Echolot und Tauchern genau die Festigkeit und sogenannte Korngröße der Füllung kontrollieren. Sowjet-Experte Komzin tat, das als kostspielige und unnötige "Bijouteriearbeit" ab. Er erklärte, er wolle einfach den Aushub aus dem Umleitungskanal mit zur Füllung verwenden und etwaige Hohlräume mit Sand und Lehm vollblasen. Auf den Einwand der westlichen Experten, der Sand werde möglicherweise fortgespült, winkte Konzin ab, dann werde eben von oben nachgeschüttet.
Ägypten stimmte der Forderung der
Sowjets zu, daß kein westlicher Ingenieur mehr das Baugelände bei Assuan betreten dürfe, und am 15. März 1960 wurde auch der vorsichtshalber abgeschlossene Beratungsvertrag mit der Londoner Firma Sir Alexander Gibb & Partners aufgekündigt, die einst den alten Assuan-Damm konzipierte. Seitdem haben die Deutschen wie der Westen überhaupt auf der Baustelle nichts mehr zu suchen.
Komzin und Genossen fanden in Assuan einen neuen Flugplatz sowie eine in das Baugelände führende Asphaltstraße nebst Eisenbahnlinie vor, die von den Ägyptern schon während der Verhandlungen um das Projekt gebaut worden waren. Außer etwa drei Dutzend Ingenieuren und Wasserbau-Spezialisten setzt Moskau 100 der "berühmtesten sowjetischen Baggerführer" (Iswestija) ein. Ihr Boß ist Dimitrij Slopucha, Held der sozialistischen Arbeit, der 2,5 Millionen Kubikmeter Boden aus dem Wolga-Don-Kanal herausgebaggert haben soll.
Für 30 Piaster (drei Mark) Tageslohn zertrümmern seit Januar fünftausend Nubier mit Spitzhacken und Hämmern das aus dem projektierten Umleitungskanal herausgesprengte Gestein. Andere transportieren die Felsbrocken kolonnenweise auf dem Kopf an eine Stelle, von wo der Aushub ab 1963 auf die gleiche Weise an den Fluß geschafft und.
für die Aufschüttung des Sadd el-Ali verwendet werden soll.
Der Vordamm stromaufwärts und sein Pendant stromabwärts sollen im Frühjahr oder Herbst 1964 fertiggestellt sein. Schon dann wird das am südlichen Kofferdamm gestaute Nilwasser 420 000 Hektar neugewonnenen Bodens bewässern und weitere 300 000 Hektar nicht nur während der Flutieit, sondern das ganze Jahr über befruchten können. Es ist noch nicht endgültig entschieden, ob das Kraftwerk auf dem westlichen oder dem östlichen Nilufer errichtet wird. Das Modell zeigt das Kraftwerk auf der Westseite.
Obwohl bis zu 12 000 Menschen bei dem Bau eingesetzt werden sollen, rückten die Sowjets auch mit einem hochmodernen Maschinenpark an. Ihre Bagger, Bulldozer und Abraummaschinen sind zum Teil amerikanischen Fabrikaten nachgebaut. Auf ehemals deutschen Schleppkähnen - an einem steht noch der Name "Friesland" - schaffen die Sowjets auf dem Nil Geräte und Zement heran.
An der Baustelle mißt man bis zu 45 und 50 Grad im Schatten. Deshalb wird hauptsächlich nachts und frühmorgens gearbeitet. Wenn der VW-Bus nach der Schicht die russischen Oberingenieure am Grand-Hotel absetzt
- Hotel Katarakt, das einzige Haus am
Platze mit Klimaanlage, schließt Ende April -, stürzen sie an der Bar das lauwarme Bier hinunter. (Lediglich für Whisky gibt das Hotel Eis aus.) Dann hauen sie sich, nur mit den einheitlichen roten Badehosen bekleidet, erschöpft auf ihre Eisenbetten, die mit Tüllhimmel-Gardinen ringsherum moskitosicher gemacht sind.
Die sowjetischen Techniker haben genaue Verhaltensmaßregeln. Beispielsweise ist es Vorschrift, ihre arabischen Arbeiter nach Feierabend mit Handschlag zu verabschieden. Einer der sozialistischen Arbeitshelden, der nach einem Streit den ägyptischen Bauingenieuren Dummheit, Faulheit und Arroganz bescheinigte, saß noch am selben Abend im Wüstenexpreß nach Kairo. Überhaupt herrscht nach dem Zuschlag an die Russen in Assuan keineswegs Rubel, Trubel, Heiterkeit.
Die Ausführung des Mammut-Projekts wird nicht nur von den Wasseransprüchen anderer Nil-Staaten und von geologischen Imponderabilien - einige Fachleute fürchten, die ungeheuren Stauwassermassen könnten bis in die Niederungen am Roten Meer durchsikkern -, sondern auch von den Eigenarten der Ägypter berührt. Den ersten Streik brachen die arabischen Arbeitskräfte bereits im Juli vom Zaun, als die Sowjettechniker ihnen in Kurzlehrgängen einige technische Grundbegriffe beibringen wollten.
Die Arbeiter am Hochdamm, die Nasser noch vor der Dammbau-Eröffnung mit einigen zusätzlichen Atü Nationalstolz vollgepumpt hatte ("Unser Land hat schon vor Jahrtausenden eine glänzende Zivilisation erlebt, als andere Teile der Welt in tiefster Rückständigkeit verharrten"), verbaten sich das.
Bares Geld verdient die Sowjet-Union am Sadd el-Ali ebensowenig wie an den Waffenlieferungen. Um so größer ist der politische Gewinn, denn nach dem Durchbruch bei Assuan rollt ihre Wirtschaftsoffensive auf vollen Touren. Dank ihren zinsgünstigen Krediten und
der Bereitschaft, sich anstatt in harter Währung mit Baumwolle, Zwiebeln und Früchten bezahlen zu lassen, sticht der Ostblock die westlichen Kaufleute mehr und mehr aus. Rudi Stärker sagt: "Es ist ein Dammbruch, die Russen sind überall. Und gegen ihre zweieinhalb Prozent Zinsen können wir mit unserer Hermes-Platte nicht anspielen."
Obwohl scharf kalkulierte Angebote westlicher, darunter deutscher Firmen, abgegeben wurden, haben ihnen die Ostblock-Staaten in jüngster Zeit aufgrund günstigerer Finanzierungs-, insbesondere Zins-Bedingungen bedeutende Aufträge weggeschnappt:
- die Errichtung einer Kokerei und
einer Sinter-Anlage zur Erzaufbereitung für das von Technikern der Duisburger Demag aufgebaute Stahlwerk Heluan;
- die Lieferung von Eisenbahnschienen, die von westlichen Firmen immer als ein Barzahlungsgeschäft gehandhabt, jetzt vom Ostblock aber ebenfalls langfristig und mit zweieinhalb Prozent Zinsen kreditiert wurde und
- die Errichtung einer Baumwollspinnerei für mehrere Tausend Arbeitskräfte (wird von der Ostzone ausgerüstet und gebaut, die auf zehn Jahre die Garnproduktion der Fabrik abnimmt).
Der zunehmende Ost-Drall schlägt sich deutlich in Ägyptens Handelsbilanz nieder: Zwei Drittel aller Baumwoll -Exporte, die wiederum 85 Prozent der Ausfuhr ausmachen, gehen bereits an die Sowjet-Union oder ihre Satelliten. Mit rund 2000 Technikern und Handelsexperten (den Offiziersaustausch zur Ausbildung an den Ost-Waffen nicht gerechnet) hat Moskau in der Republik
Nassers heute dreimal soviel Leute eingesetzt wie der Westen.
Ohnehin liegt für Ägypten die Orientierung an der sowjetischen Planwirtschaft näher als das kapitalistische System. Wie in allen unterentwickelten Ländern ist kein nennenswertes Sparkapital für den Aufbau einer Industrie vorhanden. Nasser betreibt deshalb zwangsläufig ein "sozialistisch-kooperatives" Wirtschaftssystem, in dem eine Art landwirtschaftlicher Kolchosen, "Kooperative" genannt ebensowenig fehlt wie die planwirtschuftlich und zentral gelenkte Industrie.
Gegenüber der Inflationsgefahr, die das ehrgeizige Wirtschaftsprogrammn heraufbeschwört, glaubt sich die ägyptische Regierung gewappnet. Nasser
("Die Deutschen haben nach dem Krieg auch in zehn Jahren erfolgreich ihre Wirtschaft wieder aufgebaut und die Währung gehalten!") weist darauf hin, daß er gerade deswegen auch eine Vielzahl von Konsumgüterfabriken bauen lasse.
Alle Aufbauvorhaben indes - allein im ersten Fünfjahrplan waren 240 Einzelprojekte vorgesehen - lassen erstmalig größere Lohnsummen in die Hände einer armen Bevölkerung gelangen, die das Geld mit Sicherheit sofort ausgeben und nicht auf die Sparkasse bringen wird. Bevor mithin die Industrialisierung im großen Stil Waren auf den Markt wirft, wird der Kaufkraftzuwachs das Preisniveau des ägyptischen Pfundes schwer belasten.
Die Durststrecke beim Sadd el-Ali ist ebenfalls recht lang: Frühestens 1965 oder 1966 fließt das erste, vom südlichen Vordamm zusätzlich gestaute Wasser auf die Felder. In neu bewässerten Gebieten dauert es dann ohnehin noch geraume Zeit, bis der Boden fruchtbar wird. Der Aufbau des gesamten Industriereviers Assuan schließlich kann nicht früher als 1968 bis 1970 abgeschlossen sein.
Auf die Frage nach dem Inflationsrisiko meint Oberst Amin Haker, eine Art Globke im Kubbeh-Palast: "Wir sind zwar keine Volkswirtschaftler, aber wir sind Stabsoffiziere. Als solche wissen wir sehr wohl, was eine Mobilisierung ist, und wir mobilisieren unsere wirtschaftlichen Kräfte und haben alles genau bedacht."
Den Preissteigerungen wollen die ahnungslosen Offiziere notfalls mit einem Preisstopp begegnen. Um die Industrialisierung und Agrarverbesserung -
anders als etwa in jüngster Zeit das von Inflation zerrüttete Brasilien oder die Türkei - ohne finanziellen Bankrott über die Runden zu bringen, sollen aber vor allem die Großmächte geschröpft werden. Zu diesem Zweck bedient sich Nasser einer Argumentation, die ebenso seine Landsleute wie die Vertreter anderer unterentwickelter Staaten in Entzücken versetzt.
Nasser verkündet, die Zeit sei reif- dafür geworden, daß die in Wohlstand lebenden Nationen den ehemaligen Kolonialvölkern für die jahrzehntelange Auspowerung ein Äquivalent zukommen ließen. Im Versammlungssaal der Kairoer Handelskammer begründete -er kürzlich diesen Anspruch auf Wiedergutmachung vor Vertretern der Afroasiatischen Wirtschaftskonferenz: "Die Industrialisierung dieser Staaten ist überhaupt erst durch unsere erzwungenen und niemals ausreichend bezahlten Rohstofflieferungen möglich geworden."
Nach Nassers Meinung müßten die Industrienationen im Grunde für jedes getragene Makohemd ägyptischer Rohstoff-Provenienz nachbezahlen. Selbst zutiefst von einer derartigen Kollektivschuld der höher Entwickelten gegenüber den Unterentwickelten überzeugt, will Gamal Abd el-Nasser denn auch ohne Skrupel aus dem Geschäft mit der Ost-West-Politik für sein Land herausholen, was nur irgend möglich ist, ohne mit einem der großen Partner völlig zu brechen. Ägyptens strategische Position und Nassers Vortrommler-Rolle im afrikanischen Busch halten seinen Handelswert hoch und sichern Ägypten immer bessere Bedingungen,
Nach der Schlappe von Assuan rückten jetzt wieder die USA mit einem Kreditgeschenk an, um hinter den östlichen Dammbauern nicht zu weit zurückzufallen. Sie brachten dem Pharao am Nil 143 Millionen Mark Anleihe für allgemeine wirtschaftliche Vorhaben und weitere 96 Millionen Mark Anleihe für den Bau von Omnibus-, Papier- und Zuckerfabriken. Sich den sowjetischen Geschäftsbedingungen annähernd, begnügen sich die USA erstmalig mit vier statt sechs Prozent Zinsen.
Sollte das Wirtschaftsprogramm Ägyptens eines Tages in Schwierigkeiten geraten, würden Moskau wie Washington überdies wahrscheinlich eher ein Moratorium oder einen Verzicht auf Rückzahlung gewähren, als daß sie mit Ägypten brächen. Auch diese Überlegung ist im Kalkül Nassers enthalten, der den Vertretern der 23 farbigen Staaten in Kairo vorrechnete, wieviel mehr noch von den reichen Nationen herauszuholen sei.
Er sagte: "Amerika und Rußland geben jährlich je 44 Milliarden Dollar für Rüstungen aus, mit den übrigen Ländern sind es 100 Milliarden. Auf die zwei Milliarden Menschen der Erde verteilt, macht das in jedem Land pro Kopf seiner Bürger 50 Dollar im Jahr."
Mit allen vorgesehenen Industriebetrieben, Straßen, Eisenbahnen, Schulen und Versorgungseinrichtungen liegt das um Assuan komponierte Wirtschaftsprogramm in einer Größenordnung von zwölf bis fünfzehn Milliarden Mark. Die neuerlichen 900 Millionen Rubel (ein Rubel = eine Mark) aus Moskau und der amerikanische Kredit werden vermutlich nicht die letzten Aufwendungen für Nassers lukrative Schaukelpolitik sein. Daß die Aussichten für neue Anzapfungsversuche in Ost und West durchaus günstig stehen, bescheinigte dem Hauptkassierer des Kalten Krieges am Nil die "Frankfurter Allgemeine Zeitung":
"Je größer das rivalisierende Interesse in Moskau oder Washington an der strategischen Zone des Nahen Ostens war, um so mehr konnten die arabischen Staatsmänner Forderungen an beide Seiten richten. Erst das Abflauen des Kalten Krieges verringerte die Möglichkeiten. Nach dem Mißerfolg von Paris und der sowjetischen Offensive gegen die amerikanischen Stützpunkte kann auch der Streit um die strategische Zone Naher Osten wieder aufflammen."
* Der Sudan unterzeichnete schließlich, weil die Weltbank für einen südlich Karthum geplanten kleineren Damm einen Kredit erst nach Abschluß eines Vertrages bereitstellen will, der die Abkommen von 1929 ersetzt.
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Arafa
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