FERNSEHEN / Telemann ZU DEN MÜTTERN
Seelensachverständige in den USA wollen herausgefunden haben, warum zur Zeit so viele amerikanische Hausfrauen und Mütter der ehelichen Gemeinsamkeit zu entfliehen wünschen. Das Fernsehen sei schuld, behaupten die Psychologen. Weil es wildfremden Männern gestatte, in jedermanns Wohnküche einzudringen und jedermanns geschirrspülendes Gespons mit mehr vertraulichem Charme zu beschikken, als sich in Hausfrauen- und Müttergemütern gefahrlos unterbringen läßt.
Bei uns zulande liegt diese Scheidungs-Ursache vorläufig im argen. Einmal, weil die Sende-Spanne des Deutschen Fernsehens noch zu kurz ist, um auch die Besorgung des Hausstands anregend zu gestalten, zum anderen, weil unsere Television nur über zwei Herren verfügt, deren maskuliner Liebreiz zuverlässig ans Hausfrauenherz rührt. Da jedoch einem davon, dem Quizmaster Hans-Joachim Kulenkampff, allem Scheine nach zuzutrauen ist, daß er in vorgerückter Stunde Zigaretten-Asche auf den Teppich fallen läßt, muß sich sämtlicher materner Gefühlsreichtum notwendigerweise über den anderen ergießen - über den Astronomen Dr. Rudolf Kühn.
Als er im Jahre 1955 zum erstenmal auf dem Bundesschirm erschien und in gedrosseltem Schwäbisch über die "Abenteuer des Lichtstrahls" plauschte, war seine Befangenheit so lauter wie sein astronomisches Wissen. Niemandem wäre es eingefallen, ihm die Prädikate "bescheiden", "natürlich" und "sympathisch" vorzuenthalten. "So einen Lehrer", schrieb der Fernsehkritiker der "Süddeutschen Zeitung", "möchte man in der Schule gehabt haben."
Durch derlei günstigen Widerhall ermutigt, benützte der Bayrische Rundfunk den Himmelskundigen in der Folge als Hauslehrer für "Atomphysik", "Menschliche Sinnesorgane", "Sinn und Möglichkeiten der Weltraumfahrt" und "Physik im Alltag".
Nachdem das erste Dutzend von bislang 150 Lehrsendungen stattgehabt hatte, passierte es, daß Dr. Rudolf Kühn seinem Tele-Genie auf die Spur kam - jener eleusinischen Strahlung, die, wiewohl physikalisch nicht meßbar, unter Matronen-Miedern Wärme zu erzeugen vermag.
Jedenfalls: Aus dem bescheidenen, natürlichen, sympathischen Hauslehrer wurde innerhalb kurzer Frist der schiere pädagogische Sonnenschein.
Dies wiederum hatte für Telemann den Nutzen, daß auch er das Mysterium des Rudolf Kühn erfassen lernte. Denn Vorzüge wie Bescheidenheit, Natürlichkeit und gewinnendes Wesen lassen, sobald sie in solcher Überfülle zutage treten, unschwer die Hilfsmittel erkennen, durch welche sie erzielt werden.
Da wäre zunächst einmal das weiche, stets frisch gewaschene Blondhaar zu nennen, das der Gelehrte auch dann ins Gespräch zu bringen weiß, wenn er keinen experimentellen Gebrauch davon macht. So am 14. September: "Ich hätte (zur Demonstration statischer Elektrizität) auch durch die Haare fahren können...· Aber dann hätte ich wieder Briefe gekriegt, wegen der Frisur."
Desgleichen seine Vorliebe für das rhetorische Wagnis (am 10. Mai:
"Der Grund, warum ich heute kein heißes Eisen anfasse, liegt keineswegs darin, daß man's verboten hätte ). Unter "heißem Eisen" versteht Kühn zweierlei: seine vom Kameramann geschimpft, weil ich zu schnell aufgestanden bin." Und immer sieht er aus wie ein Pfadfinder, den man bei seiner täglichen "Guten Tat" ertappt hat.
Telemann stünde nicht an, sich über eine Breitenwirkung, die mit so geringen Mitteln erreicht wird, von Herzen zu freuen, wenn er nicht Zeuge gewesen wäre, als man den Rudolf Kühn unlängst in der Koseform "Rudi" ankündigte-ein Schicksal, dem der Klavierbenützer Liberace wohl nur darum entronnen ist, weil man den Vornamen Wladziu so §chlecht verkleinern kann.
Sollte der schwäbisch-bayrische Haus-Astronom weitere Diminutive ("Rudilein") verhindern wollen, müßte er sein TV-Rüstzeug geschickt erneuern. Fürs erste würde vielleicht schon die Überlegung genügen, daß populärwissenschaftliche Sendungen nicht ausschließlich dem Beweis dienen, daß man immer ein guter Junge war, der seinen Eltern und Erziehern viel Freude gemacht hat.
Merke: "Auf dem Bildschirm läßt sich erkennen, daß Sie sehr weiches Haar haben. Es war sicher frisch gewaschen" (Eine Fernsehzuschauerin an Dr. Rudolf Kühn).
Kühn