FDP Phantom lebt
Die Liberalen wollten es genau wissen. Von Sozialforschern ließen sie den Idealtyp des FDP-Politikers ermitteln:
Der Gesuchte ist -- so ergab die Phantom-Studie -- etwa 40 bis 50 Jahre alt, hat zwei Kinder und führt ein harmonisches, aber flottes und lustiges Familienleben. Er stellt sich gerne selbst mit einem leicht progressiven Touch dar und liebt etwas Extravaganz, die freilich stets in Grenzen bleiben muß. Er legt Wert darauf, immer elegant und modisch angezogen zu sein. Er hält Mercedes-Automobile für konservativ und zieht es vor, BMW zu fahren.
Das Phantom lebt. Verblüfft entnahmen die FDP-Strategen einer umfassenden Motivstudie der "Arbeitsgruppe für psychologische Marktanalysen" unter Leitung des Sozialpsychologen Professor Reinhold Bergler, daß der ideale Freidemokrat bereits an der Spitze ihrer Partei steht: Walter Scheel, Außenminister und Vizekanzler in Willy Brandts sozialliberaler Regierung.
BMW-Fan Scheel, so fanden die Analytiker des Polit-Marktes heraus, komme "den Idealprofilen recht nahe". Allenfalls bleiben Wünsche "nach etwas mehr Härte und Ernsthaftigkeit" offen.
Auch der Kundenkreis für den Markenartikel Scheel hat das Bergler-Team herausdestilliert. Danach ist der ideale sozialliberale FDP-Wähler Student, Akademiker oder gar Professor. Er ist kontaktfreudig, jung, modern, kritisch, leicht links orientiert und reformfreudig. CDU-Wähler halten ihn häufig für einen verkappten SPD-Genossen, für einen suspekten Akademiker oder einen "gottlosen linken Querulanten". SPD-Wähler akzeptieren ihn als Partner, sind aber der Ansicht, daß sein sozialkritisches Engagement bei den Sozialdemokraten besser aufgehoben wäre.
Animiert von Berglers Erkenntnissen will FDP-Generalsekretär und Wahlkampfmanager Karl-Hermann Flach in dieser Woche auf dem traditionellen Stuttgarter Dreikönigstreffen der Liberalen ein neues Erfolgskonzept entwickeln.
Im Arbeitsstübchen seines Reiheneigenheims in Steinbach am Taunus tippte Flach den Text seiner Rede, die er am Donnerstag in Stuttgart halten wird. Parteichef Scheel will sich zwar in der Liederhalle zeigen, den großen Auftritt aber hat er seinem neuen Partei-Profos überlassen.
Schon jetzt bereitet Flach alternative Strategien vor. Sollte sich eine absolute CDU/CSU-Mehrheit abzeichnen, dann wollen die Liberalen die Gefahr eines rückständigen Unions-Staates beschwören. Denn nur eine starke FDP könne die Rückkehr von Strauß und Barzel an die Macht verhindern.
Viel wahrscheinlicher erscheint Flach und der FDP-Spitze freilich die Möglichkeit einer absoluten SPD-Mehrheit im nächsten Bundestag. Angesichts der ungewöhnlich günstigen Umfrage-Ergebnisse für den sozial-demokratischen Koalitionspartner sei ein solches Resultat nicht mehr auszuschließen.
Wenn sich die Gefahr abzeichnet, daß die FDP wegen einer übermächtigen SPD nicht zur Regierungsbildung gebraucht wird, wollen sich die Liberalen von den Genossen distanzieren. Willy Brandt, Karl Schiller und andere gemäßigte Sozialdemokraten sollen den Wählern dann als Gefangene ihrer radikalen Parteifreunde dargestellt werden. die in der Bundesrepublik den Sozialismus einführen wollten. Flach: "Wir müssen den Leuten klarmachen: Wer Brandt und Schiller will, und nicht Karsten Voigt und Erhard Eppler, muß die FDP wählen."
Auf jeden Fall aber soll sich die FDP mit einer Strategie des begrenzten Konflikts innerhalb der Koalition von der SPD abheben und sich dem von Bergler skizzierten Idealwähler als liberales Korrektiv darstellen.
Bevorzugter Tummelplatz der Liberalen wird das von dem parteilosen Minister Hans Leussink nur unzulänglich betreute Gebiet der Wissenschafts- und Bildungspolitik sein. Denn aus den Bergler-Recherchen lernten sie, daß die Wähler von der FDP auf diesem Gebiet besonders viel erwarten und große Hoffnungen auf die Freidemokratin Hildegard Hamm-Brücher setzen.
So paßte es denn in Flachs Konzept. daß die von ihrer Ministeriumsarbeit unbefriedigte Leussink-Staatssekretärin noch im Mai den Posten quittiert, um von Bayern aus die Politik ihres früheren Chefs zu attackieren.
Weiterer Angriffspunkt soll die ungeschickte Rechtspolitik des SPD-Justizministers Gerhard Jahn sein, dem die Liberalen vor allem "spießbürgerliche Kleinlichkeit" (Flach) bei der Reform des Abtreibungsparagraphen 218 vorwerfen.
Auch zur bislang von der FPD vernachlässigten Wirtschaftspolitik will sich der kleine Koalitionspartner künftig zu Wort melden: freilich nicht mit Kritik an Doppel-Minister Karl Schiller, sondern mit flankierenden Vorschlägen. Wortführer wird Walter Scheel selber sein, der sich von FDP-Sympathisanten aus den Unternehmer-Verbänden munitionieren lassen will.
Mit Scheels Auftritten als Wirtschaftsexperte hofft Flach eines seiner Hauptprobleme angehen zu können. Zwar ist Scheel laut Umfragen so bekannt wie Willy Brandt, und seine Popularität nimmt ständig zu. Doch wissen nur wenige, daß der von ihnen so geschätzte Außenminister auch Führer der FDP ist.
Für die freidemokratischen Wahlstrategen ist es daher wichtig, diese Identifikationslücke zu schließen, weil Scheel als einziger in der Führungsmannschaft in der Lage ist, nicht nur neue, sozialliberale Wähler anzuziehen, sondern auch alte, konservativ-liberale Anhänger bei der Partei zu halten. Nur der Vizekanzler wird deshalb mit seinem Porträt auf den Litfaßsäulen und Plakatwänden im Herbst 1973 für die FDP werben.
Schon heute ist sich die Führungscrew der im Bundestag nur noch mit 5,8 Prozent vertretenen FDP eines Wahlerfolgs sicher. Und wie eh fand sich auch diesmal wieder der liberale Optimist. Kühn sagte Nordrhein-Westfalens FDP-Chef Willi Weyer für den Urnengang 1973 voraus: "Zehn Prozent sind keine Illusion mehr."
Folgerichtig plant die Partei für den Tag danach. Statt bisher drei möchten die Liberalen dann von den Sozialdemokraten vier Kabinettsposten einfordern: Neben ihrem Besitzstand -- Außen-, Innen- und Agrarressort -- wollen sie entweder ein neu zu bildendes Industrie- oder das Bildungs- und Wissenschaftsministerium haben.
Ein führender Freidemokrat möchte dieser Kabinettsriege freilich nicht mehr angehören: Scheel-Vize und Innenminister Hans-Dieter Genscher würde am liebsten den Vorsitz einer größeren und einflußreicheren FDP-Bundestagsfraktion übernehmen und sein Ressort dem bisherigen Fraktionschef Wolfgang Mischnick abtreten.