Datum: 23. November 1970 Betr. Bayern
Mit Bayern leben -- für diese von (dem gelegentlichen
SPIEGEL-Kolumnisten) Felix Rexhausen vor sieben Jahren benannte Kalamität hat es in den vergangenen Tagen neue Indizien gegeben: den gewiss nicht honorigen Versuch der CSU und der National-Liberalen Aktion, den Abgeordneten Karl Geldner der FDP abspenstig zu machen. Diese urige Art, gegen Gesetz und Recht zu fingerhakeln, Thema der Titelgeschichte dieses Heftes, ist sicherlich ein allzuoft in Bayern zu lokalisierendes Element von Zuhälterei in der Politik der Bundesrepublik, das verschmitzt auf Beifall (und Gegenleistung) der Spezis, auf das rechte Stimmkreuz der Depperten spekulieren darf. Die Zahl der Affären aus diesem grössten Bundesland, die allein vom SPIEGEL namhaft gemacht worden sind, wird dreistellig. Schon der im Bundestag nach dem SPIEGEL bezeichnete Untersuchungsausschuss, 1950, betraf vier bayrische Abgeordnete, die sich für ihr Votum (Bonn oder Frankfurt wird Bundeshauptstadt) angeblich hatten honorieren lassen; das Parlament empfahl ihnen, ihr Mandat niederzulegen, und überliess die Akten der Staatsanwaltschaft. "Ochsensepp" (der bayrische Justizminister nimmt Geld) und Lazari (ein Fabrikant bekommt Steuererlass gegen eine Parteispende an die CSU), Kapfinger und Onkel Aloys, Meineidsverfahren gegen den CSU-Abgeordneten Michel (nach einem SPIEGEL-Artikel) und gegen den CSU-Generalsekretär Zimmermann, heute noch Vorsitzender eines Bundestags-Ausschusses, Spielbanken-Affäre und Fibag-Skandal, die Quasi-Schenkung von
sieben Hotels aus Hitlers Erbe an den Hotelier Steigenberger (Schätzwert 50 Millionen, Preis drei Millionen) und die Bodenrestitutionen an den Milliardär August von Finck, dazwischen der brachiale Versuch von Franz Josef Strauss, den SPIEGEL zu sprengen, und koste es die Verfassung- es hat südlich des Weisswurst-Äquators, der Mainlinie, viel Stoff für den SPIEGEL gegeben, allzuviel.
Glücklicherweise nicht nur solchen. Auch Brecht und die "Süddeutsche Zeitung" sind Bayern, und der SPIEGEL-Kolumnist Peter Brügge, Autor der damals so überschriebenen Titelgeschichte, reklamiert noch heute mit der ihm eigenen Standhaftigkeit für sich, München den Titel "Deutschlands heimliche Hauptstadt" gegeben zuhaben. Inzwischen hat nämlich ein bayrischer Historiker in einem Essay mitgeteilt, diese Bezeichnung sei von einem "begeisterten Lokalpatrioten und Bayern geprägt worden, vielleicht (von dem verstorbenen Lokalschriftsteller, Anm.) Ernst Hoferichter". Aber der Münchner Oberbürgermeister Vogel bestätigt: Es war Brügges SPIEGEL-Titel.