TARIFE/ ÖTV-VERHANDLUNGEN Unheimliche Sachen
Heinz Kluncker, Vorsitzender der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), kündigte Unwetter an: "Schiller und Möller können sich ruhig den Finger in den Popo stecken, der Wind kommt."
Der mächtige ÖTV-Chef wird am nächsten Montag mit Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher in Stuttgart über Löhne und Gehälter der öffentlich Bediensteten verhandeln. Politische Rücksicht will er dabei nicht üben. Obgleich seine SPD-Parteifreunde Willy Brandt, Karl Schiller und Alex Möller ihn beschworen, er möge mit einem mäßigen Tarifabschluß für 1971 das konjunkturpolitische Klima in der Bundesrepublik bessern helfen und ein deutliches Zeichen für die Lohnrunden im kommenden Jahr setzen, fordert Heinz Kluncker unnachsichtig Einkommenszuschläge bis zu 14,4 Prozent (siehe SPIEGEL-Interview Seite 54). Neben dieser allgemeinen und linearen Erhöhung der Arbeitnehmerbezüge will Kluncker den 1,3 Millionen Arbeitern und Angestellten von Bund, Ländern und Gemeinden auch noch
* einen erhöhten Zuschuß des Staates zur Vermögensbildung nach dem 624 -- Mark -- Sparförderungsgesetz verschaffen und
* zu einem erhöhten Nettoeinkommen verhelfen, indem künftig die öffentlichen Arbeitgeber die Altersversorgung auch der nichtbeamteten Staatsdiener voll übernehmen. Mit einer "einschneidenden Strukturverbesserung" der Lohn- und Gehaltsordnung will der ÖTV-Chef überdies den Eintritt qualifizierter Bewerber in den Staatsdienst erleichtern und bestehende Besoldungsunterschiede zwischen Bund, Ländern und Gemeinden beseitigen.
Kluncker hat für seine Maximalforderungen drei Argumente zur Hand: Erstens hätten sich Kanzler Brandt und sein sozialliberales Kabinett in der Regierungserklärung vom Herbst 1969 für eine breitere Vermögensstreuung verbürgt, zweitens übten die Angestellten in den staatlichen Verwaltungen seit langem die gleiche Tätigkeit aus wie Beamte, und drittens werde es immer schwieriger, Anwärter für den unattraktiven und schlecht bezahlten Staatsdienst zu keilen.
Doch wie nachdrücklich Kluncker seine Gründe auch immer vortragen wird, zwei Genossen auf Regierungsseite wollen ihm das Verhandeln schwermachen. Finanzminister Alex Möller stellte In seinen Etat 1971 für erhöhte Personalausgaben vorsorglich nur rund acht Prozent ein. Möller fürchtet, daß nach einem für die ÖTV günstigen Verhandlungsergebnis kostspielige Forderungen der Beamten, Eisenbahner und Postler unausweichlich seien.
Da Bund, Länder und Gemeinden Insgesamt etwa drei Millionen Arbeitnehmer beschäftigen, würde der Kluncker-Erfolg die öffentlichen Kassen erheblich belasten. Möller: "Das kann uns den Kragen kosten."
Sein Kabinettskollege Karl Schiller hingegen möchte die ÖTV auf sein von der Bundesregierung abgesegnetes "Lohnorientierungsdatum von sieben bis acht Prozent" festlegen, um Löhne und Preise in der nachlassenden Konjunktur unter Kontrolle zu bringen. Auch der Wirtschaftsminister sorgt. sich, nach einem hohen Tarifabschluß im öffentlichen Dienst werde keiner der anderen Gewerkschaftsführer es sich leisten können, bei Lohnverhandlungen im nächsten Jahr Zurückhaltung zu üben. Ein solcher Lohndruck aber gefährdet nach Schillers Meinung das Wachstum von Wirtschaft und Wohlstand.
Die Sorgen des Bonner Konjunktur-Professors fechten indes den Stuttgarter Lohnkämpfer nicht an. Kluncker: "Der Schiller hat seine acht Prozent genauso gegriffen wie wir unsere Zahl von erheblich mehr als 14 Prozent."
Um dem Stuttgarter Schwergewicht (Kluncker: "Im Augenblick ein Zentner und 150 Pfund") etwas Schwungkraft zu nehmen, will FDP-Innenminister Hans-Dietrich Genscher als Vertreter des Bundes dem ÖTV-Vorsitzenden am 30. November ein "honoriges Angebot" unterbreiten. Nach einer Regierungsbesprechung am letzten Samstag wird er Kluncker zunächst eine lineare Anhebung der Löhne und Gehälter anbieten. Über die ÖTV-Sonderwünsche nach Zulagen für die Vermögensbildung, eine verbesserte Altersversorgung und eine Reform der Gehaltsstruktur möchte er allerdings erst später reden. Genscher: "Das sind ganz unheimliche Sachen, da muß man sich langsam herantasten."