INVESTMENT / ABSATZFLAUTE Knirscht und knackt
Eine halbe Million Werbemark sowie reichlich Bundesfarben Schwarz-Rot-Gold für Zeitungsanzeigen stehen bereit. Mit diesem Lockmittel will der Frankfurter Finanzmanager Ernst Brüggemann verschreckte Bundesbürger als Kunden deutscher Investmentfonds zurückgewinnen.
"Vorsicht, wenn Ihnen Wunderdinge versprochen werden", so Brüggemann, einer von zwei Geschäftsführern der sparkasseneigenen Deutschen Kapitalanlagegesellschaft (Deka). Und er warnt und winkt zugleich: "Sie sollten wissen, wem Sie Ihr Geld geben,"
Mit Bundesflagge, Geld und guten Worten hofft die deutsche Investment-Branche jenes Mißtrauen abbauen zu können, das seit dem Desaster des großsprecherischen Bernie Cornfeld und seiner IOS unter westdeutschen Sparern umläuft. Denn seither haftet auch den deutschen Fonds, die bislang nur durch allzu konservative Verkaufsmethoden auffielen, ein Ruch von Unseriosität an, den ausländische Vertriebsgesellschaften wie die des Par Fund, die Cornfeld-IOS und Gramco über die ganze Branche verbreitet haben.
Die Sparer haben den erfolgsgewohnten Zertifikat-Verkäufern nach dem Boomjahr 1969 in den ersten zehn Monaten 1970 das Geschäft gründlich verdorben. Die Anlageberater der Banken und Sparkassen verkauften nur für 900 Millionen Mark mehr Anteile der 33 im Bundesverband Deutscher Investmentgesellschaften zusammengeschlossenen Fonds, als sie gleichzeitig von ängstlich gewordenen Kunden zurücknehmen mußten. In der gleichen Zeit des Vorjahres dagegen hatten die Investment-Sparer die Rekordsumme von fast 2,6 Milliarden Mark netto zu den Schaltern getragen. Mithin gingen die sogenannten Mittelzuflüsse bei den Gesellschaften -- die Differenz zwischen verkauften und zurückgenommenen Papieren -- um fast zwei Drittel zurück (Siehe Graphik).
Vertrauenswerber Brüggemann verkündete deshalb die Parole: "Wir müssen die von den Vertreterkolonnen aufgeputschten und von den Auslandsfonds entlauschten Leute wieder an die Schalter der Banken und Sparkassen zurückholen."
Brüggemann-Kollege Ernst Bracker, Geschäftsführer der mit 30 Prozent zur Deutschen Bank gehörenden Deutschen Gesellschaft für Wertpapiersparen (DWS), fand für die Fonds-Misere eine perfekte Bankiersformel: "Ein Jahr spezieller Investmentprobleme." DWS-Aufsichtsrat Karl-Oskar Koenigs -- als Vorsitzender der Frankfurter Wertpapierbörse intimer Marktkenner prophezeite: "Es wird langer und intensiver Bemühungen bedürfen, um den Sparer wieder für die Investment-Anlage zu gewinnen.
Die schlechtesten Geschäfte machten Westdeutschlands Investmentverkäufer bislang im IOS-Krisenmonat Mai. Verstört durch täglich neue Sensationen um den Ozelot-Halter und Rolls-Royce-Fahrer Cornfeld sowie seine damalige deutsche Werbetrommel Erich Mende, vertrauten die Kunden den 33 Verbandsfonds nur noch ganze 28 Millionen Mark an, 86 Prozent weniger als ein Jahr zuvor.
Von dem Absatzschwund, den neben IOS der Kursverfall an den westdeutschen und US-Aktienbörsen hervorrief, blieb kaum eine der deutschen Kapitalanlage -- Gesellschaften verschont. So konnte der Fonds Industria des zur Dresdner Bank gehörenden Deutschen Investment-Trusts (DIT) im gesamten Jahr 1969 noch für fast fünf Millionen Mark Zertifikate mehr verkaufen als er zurücknehmen mußte. Bis Ende Oktober 1970 aber erzielte der Fonds fast nur ein Fünftel dieses Ergebnisses.
Auch Deutschlands ältester Fonds, der vor 20 Jahren aufgelegte Fondra der Allgemeinen Deutschen Investment-Gesellschaft (Adig), nahm bis Ende Oktober lediglich 12,8 Millionen Mark ein, etwa die Hälfte des vorjährigen Gesamtresultats.
Dem Investa-Fonds der Deutschen Gesellschaft für Wertpapiersparen flossen 1969 noch über 109 Millionen Mark zu, bis Ende Oktober 1970 kassierten die Verwalter nur knapp 50 Millionen Mark.
Illusionslos beurteilt Wolfgang Tormann, Geschäftsführer des Deutschen Investment-Trusts (mit 2,3 Milliarden Mark Vermögen Ende Oktober die größte deutsche Kapitalanlagegesellschaft), die Geschäftsaussichten der Branche auch für den Rest des Jahres: "Wir werden mit Sicherheit nicht einmal das Ergebnis des Jahres 1968 erreichen." Tormann, der auch dem Vorstand des Bundesverbandes angehört, erwartet für 1970 einen Investmentabsatz von rund einer Milliarde Mark, 1968 verbuchten die Gesellschaften mehr als 1,5 Milliarden Mark.
Das allgemeine Tief an Westdeutschlands Wertpapierbörsen -- die Kurse der Industrieaktien fielen während der vergangenen zwölf Monate um 22 Prozent -- verschärfte die Krise, weil dadurch die Vermögenswerte aller Investmentsparer dezimiert wurden.
Nach Berechnungen der Frankfurter Bundesbank nahm der Wert des Vermögens, das deutsche Sparer bei deutschen Fonds angesammelt haben, 1970 erstmals seit 1966 nicht mehr zu, sondern schrumpfte sogar: von Anfang Januar bis Ende September um 316 Millionen auf 9,9 Milliarden Mark. Da in diesem Betrag aber noch jene 1,3 Milliarden Mark stecken, die in diesem Jahr neu zuflossen, summiert sich der Wertschwund 1970 -- aufgrund der Kursverluste an der Börse -- auf fast 1,6 Milliarden Mark.
Mit Ausnahme einiger Rentenfonds sowie des früheren "Brauerei-Fonds" (jetzt Interkapital) büßten bis zum 30. Oktober die gängigsten in der Bundesrepublik vertriebenen Investmentzertifikate deutscher und ausländischer Gesellschaften zwischen 0,5 (Deutscher Rentenfonds) und 46 Prozent (Capital Growth Fund) ihres Jahresanfangswertes ein.
Doch diese Auszehrung bundesdeutscher Ersparnisse nimmt sich noch bescheiden aus gegen die Ergebnisse, die einige ausländische Fonds ihren deutschen Kunden zum 30. Oktober vorrechnen mußten: Neben dem Capital Growth Fund büßte dank der Baisse in Wallstreet auch der Manhattan Fund mehr als 40 Prozent seines Inventarwertes ein, und auch der Value Line Special hielt sich auf der trostlosen Linie: minus 35,7 Prozent. In den ersten drei Quartalen des laufenden Jahres, so ermittelte die Bundesbank, ist der Anteil ausländischer Investmentzertifikate am Gesamtabsatz in der Bundesrepublik auf fast vier Prozent geschrumpft -- 1969 waren es noch 40 Prozent.
Wieviel Geld einzelne deutsche Sparer in diesem Jahr der Investmentkrise und der Börsenflaute opfern mußten, zeigt das Beispiel eines Investment-Käufers, der vor elf Jahren, am 31. Dezember 1959, 100 000 Mark beim Dekafonds anlegte. Der Wert seines Portefeuilles stieg bis Ende letzten Jahres auf 148 544,80 Mark, fiel dann aber bis Montag letzter Woche um 17 238,83 Mark. Bei den ebenfalls in deutschen Standardaktien investierenden Unifonds und Concentra war der Schwund ungefähr ebenso hoch.
Noch mehr hätte der Sparer freilich in diesem Jahr eingebüßt, wenn er für sein Geld beispielsweise Bayer- oder AEG-Aktien gekauft hätte. Wer dagegen Ende 1959 einer Sparkasse 100 000 Mark mit zweieinhalbjähriger Kündigungsfrist anvertraute, konnte sich Ende 1969 eines Kontostandes von 173 405,71 Mark und am Montag letzter Woche sogar eines Guthabens von 184 900,75 Mark erfreuen.
Wann Deutschlands Investmentsparer wieder mit steigenden Kursen und damit wachsenden Vermögenswerten rechnen dürfen, ist bislang selbst unter Börsenprofis heftig umstritten, da die Gewinnaussichten der Unternehmer -- eine wichtige Kursdeterminante -sehr zwiespältig beurteilt werden.
So unkte am Donnerstag vorletzter Woche Frankfurts Börsenchef Koenigs bei der Vorlage des Geschäftsberichts der DWS-Fonds: "Durch steigende Kosten werden die Unternehmergewinne 1971 sehr erheblich zurückgehen und sich in verschiedenen Fällen der Nullgrenze nähern und daruntergehen." Der Sprecher der Deutschen Bank Franz Heinrich Ulrich, oberster Kontrolleur der DWS-Fonds, bezeichnete des Koenigs Wort als "etwas zu düster". Ulrich: "Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Investitionspläne der Unternehmen so schief liegen und die Gewinne der Nullgrenze nahekommen." Investment-Manager Brüggemann beruft sich auf eine alte Börsen-Regel: "Das Gejammere der Vorstände bei den nächsten Hauptversammlungen muß erst vorüber sein, ehe die Kurse wieder steigen können,'
Entsprechend vorsichtig verhalten sich gegenwärtig die deutschen Investmentfonds an der Börse. Statt Aktien zu kaufen und damit selbst für ein Anziehen der Kurse zu sorgen, nutzen sie ihre derzeit hohe Liquidität (Brüggemann: "Die deutschen Fonds könnten gegenwärtig bis zu 700 Millionen anlegen") zu zinsbringender Anlage auf .den Geldmärkten. Rügte die Bundesbank in ihrem Oktober-Bericht: "Es liegt auf der Hand, daß die Kursschwankungen an den Börsen akzentuiert werden, wenn viele Fonds sich so verhalten."
Dagegen wenden die Investment-Manager ein, sie benötigten Bargeld für die Gewinnausschüttungen an die Sparer. Überdies, so argumentiert Brüggemann, "wäre es gegen die Interessen der Anteilinhaber, den sicheren acht Prozent Tageszinsen die unsichere Aktienanlage vorzuziehen". DIT-Chef Tormann böse: "Wir verwahren uns dagegen, daß irgendeine Stelle -- auch die Bundesbank -- sich in unsere Angelegenheiten mischt."
Vorerst wollen die Investment-Manager noch warten, bis die Börse ihren tiefsten Punkt erreicht hat. Dann wollen sie möglichst billig einkaufen und von dem dann folgenden Aufstieg profitieren. Denn nur wer in der Baisse kauft, so lautet die älteste Börsenjobber-Regel, kann viel Geld verdienen.
Niemals ist indessen guter Rat so billig wie in schlechten Börsenzeiten. Denn wie schon um die Jahreswende 1965/66 läßt auch in der gegenwärtigen Endphase der Hochkonjunktur die Sparneigung der Bundesbürger insgesamt nach. Die Bundesbank konstatierte kürzlich für das erste Halbjahr 1970 eine Steigerung der verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte uni 10,1 Prozent, gleichzeitig aber eine Abnahme der Ersparnisse um 2,8 Prozent. Die sogenannte Sparquote, das ist der Anteil der Einkünfte, den die Bundesbürger durchschnittlich nicht ausgeben, sank im ersten Halbjahr 1970 auf 10,2 Prozent (1969: 11,6 Prozent), den tiefsten Stand seit 1966.
So registrieren Banken und Sparkassen in diesem Jahr ein erheblich schwächeres Wachstum der Spareinlagen als vor einem Jahr. Aus Furcht, die Ersparnisse würden von der Geldentwertung aufgezehrt, kommen immer mehr Kunden an die Schalter der 15 000 Sparkassen, um ihre Konten zu erleichtern oder zu plündern. So mußten die Kassen in den ersten drei Quartalen dieses Jahres 9,9 Milliarden Mark oder 25 Prozent mehr Spargelder auszahlen als in der gleichen Vorjahreszeit, die Einzahlungen dagegen stiegen nur um 7,3 Milliarden oder 16 Prozent.
Von Anfang Januar bis Ende August registrierte die Deutsche Bank nur noch ein Spareinlagen-Wachstum von 2,5 Prozent (gleicher Vorjahreszeitraum: 11,4 Prozent). Auch bei der gewerkschaftseigenen Bank für Gemeinwirtschaft reduzierte sich der Zuwachs von 17,5 auf 5,9 Prozent. Die Commerzbank mußte sogar ein Spar-Minus von 1,1 Prozent zu den Büchern nehmen, gegenüber einem Plus von 10,6 Prozent in der vergangenen Saison.
Im Jahr der großen Sparkrise machten nur noch die Verkäufer festverzinslicher Wertpapiere wie Bahn-, Post- und Länder-Anleihen gute Miene. Denn der Absatz der sogenannten Renten an Private stieg um 42 Prozent. Auch die Sparleistung der Bausparer erhöhte sich gegenüber dem ersten Halbjahr 1969 in den ersten sechs Monaten dieses Jahres um mehr als eine Milliarde auf 6,1 Milliarden Mark -indirekt ein Ausdruck der Flucht in Sachwerte, die nach den jüngsten Preissteigerungen auch in der Bundesrepublik grassiert.
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes. Helmut Geiger, meinte zu der Umschichtung der Spargelder: "In diesem Jahr knirscht und knackt es an allen Enden."