MÄRKTE / WEIN Aasgeier des Herbstes
Mit dem Slogan "Weinrekordernte 1970 -- Ihr Lagerproblem lösen wir mit unseren Schwimmbecken" erbot sich die "Esslinger Schwimmbecken und Kunststofftechnik GmbH", Deutschlands Winzer aus einer argen Klemme zu befreien. Die in Zeitungsanzeigen verbreitete Offerte hatte ungeahnten Erfolg: An einem einzigen Tag verkaufte die Firma zehn Schwimmbecken mit 200 000 Liter Fassungsvermögen.
Der Run nach zusätzlichem Lagerraum für frischen Rebensaft, der auch bei anderen Schwimmbecken-Produzenten zu Spitzenumsätzen führte, ist auf eine Rekordernte von rund neun Millionen Hektoliter zurückzuführen. Nach Meinung von Friedrich Cornelssen, dem Leiter des Deutschen Weininstituts in Mainz, wurde ein solches Ergebnis "nie zuvor seit dem Dreißigjährigen Krieg" erreicht.
Für die rund 100 000 westdeutschen Winzer ist der Erntesegen freilich eine echte Plage. Denn der Handel, der ihnen in früheren Jahren die Ernte stets ohne langes Feilschen abgenommen hatte, nutzte die Winzernot zu "Baisse-Spekulationen" ("Winzer-Blatt").
Als die ersten Trauben geerntet wurden, brachen die Handeisbosse rücksichtslos ihre mit den Winzern wenige Wochen zuvor getroffenen Vereinbarungen. Der Verband Pfälzischer Weinkellereien zum Beispiel hatte in Neustadt mit Weinkommissionären (Maklern) und Weinbauverband schon am 7. September ein Abkommen geschlossen, das den Winzern für Weißweinmost (60 Grad Öchsle) einen Mindestpreis von 80 Pfennig pro Liter garantierte. Nach den ersten Keltertagen distanzierten sich die Aufkäufer jedoch von ihren Zusagen und zahlten in vielen Fällen nur noch den halben Preis. Sogenannter Portugieser-Most, den die Weinbauern im Herbst 1969 noch für 65 Pfennig pro Liter losgeschlagen hatten, sackte auf 40 bis 45 Pfennig, weißer Most (Riesling Mosel) von 1,35 Mark (1969) auf 90 Pfennig bis eine Mark.
In der Rheinpfalz, wo nur etwa 30 Prozent der Winzer genossenschaftlich organisiert sind, lancierte der Handel zudem Meldungen über bevorstehende Preiszusammenbrüche. Der Deutsche Weinbauverband in Bonn warf den Kommissionären vor, "die ehrliche Maklerfunktion zugunsten des Handels aufgegeben zu haben", weil sie mit Telephonanrufen versucht hatten, die Winzer in Panikstimmung zu versetzen und zu Notverkäufen zu veranlassen. Beklagt sich Friedrich-Wilhelm Weber, Geschäftsführer der Gebietswinzergenossenschaft Rietburg in Rhodt: "Mancher ist durch solche Gerüchte in die Knie gegangen."
Durch den schon zu Beginn der Ernte einsetzenden Preisverfall gelang es dem Handel, auch die später gelesenen Müller-Thurgau- und Silvaner-Sorten im Preis herunterzureden. Wie der Markt in Rheinhessen und der Pfalz dabei manipuliert wurde, hat der Weinbauverband in Bonn in diesen Tagen zu ermitteln begonnen. Bisheriges Ergebnis der Recherchen: "Das Verhalten der Kellereien an der Oberhaardt läßt darauf schließen, daß es zu Preisabsprachen der marktbeherrschenden Weinkellereien gekommen ist."
Um die Winzer vor größerem Schaden zu bewahren, startete der Stabilisierungsfonds für Wein Anfang Oktober eine Hilfsaktion "Weinkellerei auf Schienen". Fonds-Beamte trieben im In- und Ausland rund 500 leere Eisenbahn-Kesselwagen auf.
Rettung in der Not war für viele selbständige Winzer der Anschluß an eine Winzergenossenschaft. Die Lagerkapazität bei den 515 Winzergenossenschaften In der Bundesrepublik ist nämlich so groß, daß sie fast ein Viertel der deutschen Weinernte aufnehmen können. In einer Werbeaktion "Mitbestimmen -- mitgewinnen" forderten die Genossenschaften alle Kollegen auf, Notverkäufe durch den Eintritt in eine Winzergenossenschaft zu vermeiden. Die Hauptkellerei Rheinhessischer Winzergenossenschaften garantierte den neuen Genossen "ausreichenden Faßraum".
Bei Deutschlands unabhängigen Weinbauern, die ihre Freiheit nach Meinung des "Winzer-Blattes" ohnehin "längst verloren haben" und "zum Spielball der Gesetzmäßigkeit von Angebot und Nachfrage geworden sind", blieb der Appell nicht ungehört. Stärker als jemals zuvor drängten sie in diesem Herbst in die Wein-Kommunen. Allein bei der Gebietswinzergenossenschaft in Rhodt haben sich während der letzten Wochen die Geschäftsanteile von 1900 auf 2500 erhöht.
Gleichzeitig versuchen Genossenschaften und Verbände, die Konsumenten zu häufigerem Weintrinken anzuregen. Die badischen Winzervereinigungen zum Beispiel, die sich Ihre Weinwerbung bisher drei Pfennig pro Liter Rebensaft kosten ließen, wollen für die Popularisierung ihres Slogans "Badischer Wein, von der Sonne verwöhnt" 1971 den doppelten Betrag ausgeben.
Auch der Mainzer Stabilisierungsfonds, der für die Image-Pflege des deutschen Weins ("Deutscher Wein -- einzig unter den Weinen") in diesem Jahr bereits rund vier Millionen Mark ausgab, möchte für die Verkaufswerbung mehr als bisher tun. Mit einem Zuschuß der Bundesregierung von zwei Millionen Mark will er zusammen mit den Konsumgenossenschaften, Edeka, Kaufhof, Latscha und anderen Lebensmittelgroßfilialisten den Verbraucher überreden, deutsche Weine zu horten. Motto: "Ab morgen sind Sie Kellermeister".
Um Handel und Kommissionäre für die Preisschleuderei in diesem Jahr zu bestrafen, wollen die Winzerverbände künftig nur noch mit vertragstreuen Firmen zusammen arbeiten. Kommentar der Weinbaupostille "Winzerkurier": Den "Aasgeiern des Herbstes sollte in Jahren normaler Ernte kein Tropfen Wein mehr an die Hand gegeben werden".