HOCHSCHULEN PROFESSOREN Alte Absicht
Der Hochschullehrer reiste nach Köln am Rhein und zweifelte nicht mehr daran, "daß wir einem totalen Umsturz entgegengehen, daß der Kommunismus, unter der Fahne der Republik, uns alle verschlingen wird". Er beklagte, daß "die Lehrer kaum noch einige Achtung genießen", daß die Professoren "von Studenten und anderen Leuten so im Schmutz und Staub herumgezogen werden".
Das war 1848. Der Hochschullehrer hieß Justus von Liebig.
Solche Elegien auf den Zerfall akademischer Sitten sind nach einem Jahrhundert wieder zu vernehmen. Als sich am Mittwoch letzter Woche im Rhein-Bad Godesberg rund 1500 Hochschullehrer und Akademiker aus Wirtschaft, Industrie und Politik zum Gründungskongreß des "Bundes Freiheit der Wissenschaft" trafen, war die Modulation noch dieselbe, nur der Text schien variiert. Die etablierten Intellektuellen gelobten, nicht tatenlos zusehen zu wollen, wenn "mit der fragilsten seiner Institutionen" -- der Universität -- "auch der Staat ins Schwanken gerät".
* Auf dem Gründungskongreß des "Bundes Freiheit der Wissenschaft" v. l.: Hans Maier, Wilhelm Hennis und Erwin Scheuch.
Auf dem Gründungskongreß protestierte der Bund in einer Programmerklärung gegen die "dilettantischen Bestimmungen in einer Reihe von Hochschulgesetzen, die Nichtwissenschaftlern zunehmenden Einfluß" auf die Wissenschaft einräumen. Der Berliner Sozialdemokrat und Politologie-Professor Richard Löwenthal fürchtete, daß die Hochschulen schon weithin "einem Tummelplatz von Leuten" gleichen, "die privilegiert und in der Praxis nicht selten Parasiten sind".
Die Bundesgenossen waren sich mit ihrem Bundes-Vorsitzenden Hans Maier, CSU-Sympathisant und Politologe in München, darin einig, daß "die Kräfte in den Hochschulen allein nicht mehr ausreichen, um die Freiheit der Wissenschaft zu sichern". Sie spendeten dem ehemaligen SPD-Mitglied Wilhelm Hennis Beifall, der resignierte: "In der gegebenen politischen Lage bleibt nichts anderes als der Appell an den Staat."
Im "Bund Freiheit der Wissenschaft" schlossen sich, so urteilt der niedersächsische Kultusminister Peter von Oertzen (SPD), "viele Konservative und einige verschreckte Liberale" zusammen: Hans Maier, der den "Ehrentitel eines Konservativen" nicht scheut, der FDP-Freund Walter Rüegg, einst Rektor der Frankfurter Universität, und der ehemalige nordrhein-westfälische Hochschul-Staatssekretär Hermann Lübbe (SPD).
Diese drei Professoren wurden in den Kollegial-Vorstand des Bundes berufen, zu dessen Initiatoren der CDU-Protestant Gerhard Schröder ebenso gehörte wie der Kölner Sozialforscher Erwin Scheuch und Richard Löwenthal, der schon zwei Wochen vor der Gründung des Bundes im SPIEGEL (46/1970) über den Reform-Trend an den Hochschulen geurteilt hatte: "Die Nutznießer des Wandels sind nicht die Anhänger konstruktiver Reform im Rahmen der "demokratisierten' Institutionen, sondern die Kommunisten verschiedener Richtungen."
Diese Tonart paßte weder Revoluzzern noch Reformern. Für den sozialistischen Verband Deutscher Studentenschaften (VDS) verbirgt sich hinter den "Phrasen von Freiheit und Rettung des Bestandes der Universitäten" die "alte Absicht der Unterordnung der Wissenschaft unter die elitären Privilegien der Ordinarien". Für die Radikal-Reformer von der Bundes-Assistenten-Konferenz (BAK) ist klar, daß die sich neu "formierende konservative Fraktion" der Hochschullehrer "allein auf Statuserhalt" bedacht sei. Der neue BAK-Vorsitzende Gert Jannsen: "Ein exemplarischer Fall für den allgemeinen Rechtsruck in der Bildungspolitik."
Daß der Freiheitsbund zumindest die Hochschulpolitik weiter nach rechts verrückt sehen möchte, wurde spätestens offenbar, als die Bündischen in ganzseitigen Zeitungsanzeigen jene Reformbestimmungen attackierten, die den Studenten und Assistenten Mitentscheidungsrechte in allen wichtigen Universitätsgremien gewähren. Die Professoren polemisierten gegen eine -- freilich noch nirgendwo geforderte -- "unbegrenzte Mitbestimmung der Studenten", die als "Brecheisen" benutzt werden solle, "mit dem die deutsche Universität als die schwächste Institution dieser Gesellschaft aus den Angeln gehoben werden kann".
Den Appell an Burgersinn und Staatserhaltung ("Wir bitten alle Staatsbürger um ihre Unterstützung") ließ sich der Akademiker-Bund vor allem von der Wirtschaft finanzieren. "Man hat dort natürlich ein Interesse daran", begründete der Stuttgarter Energetik-Professor Arthur Burkhardt ("Ich bin ein Brückenpfeiler zwischen Wirtschaft und Wissenschaft") die Spendierfreudigkeit der Wirtschaftsbosse, "daß geforscht wird ohne dauernde Diskussionen um die Demokratisierung."
Burkhardt' bis zum 1. Juli dieses Jahres Vorstandsvorsitzender der Württembergischen Metallwarenfabrik und heute noch Vorstandsmitglied im CDU-Wirtschaftsrat, über die Aufgabenverteilung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft: "Von uns Hochschullehrern verlangt man nur ideellen Einsatz, nichts Materielles."
Die knapp bemessenen Mitgliedsbeiträge der Professoren wurden bislang durch reichliche Zuwendungen aus der Wirtschaft ergänzt. Der Kölner Helmut Bohn' der für den Bund die Spenden beitreibt: "Das Geld kam nicht nur von Leuten, die sich das vom Butterbrot abgespart haben; es gibt doch Betriebe mit Millionen Umsatz im Jahr."
Bohn' zugleich Geschäftsführer des auf Politik- und Militärwissenschaft spezialisierten Kölner Markus-Verlages ("Unser Konzept heißt Sicherheit"), hat schon "98 000 Mark in der Kriegskasse" -- fast die Hälfte des Betrages, den die Initiatoren des Bundes bis zum Jahresende für die Offentlichkeitsbearbeitung veranschlagt hatten. Mit diesem Betrag will Bohn vorerst die in seinem Verlag publizierten "Hochschulpolitischen Informationen" (HPI) finanzieren, "bis sie sich selber tragen und die Wirtschaft genügend Patenschaftsabonnements übernimmt".
Das Nachrichtenblatt, das jetzt in 12 000 Exemplaren erscheint, wird vom derzeitigen Sekretär des Freiheitsbundes, dem Münchner Maier-Assistenten Michael Zäher redigiert. Es soll "die Öffentlichkeit über Mißstände im Bereich der Hochschulen sowie über sachfremde politische Entscheidungen informieren" (so ein HPI-Werbezettel). Das Blatt berichtete in seinen ersten Ausgaben denn auch über die "In doktrination der Erstsemester" durch linksradikale Kommilitonen und über Aktionen linker Studenten gegen ihnen unliebsame Ordinarien.
Zum Vergleich -wurden antisemitische "Studenten-Ausschreitungen 1932" ("Als Professor Cohn seine erste Vorlesung in Breslau beginnen wollte, wurde er mit Protestrufen empfangen") herangezogen. Der Bochumer Theologie-Professor Walter Elliger, der 1963 aus Ost-Berlin in die Bundesrepublik gekommen war, resümierte in Heft drei: "Was ich in den beiden letzten Jahren hier erlebt habe, stellt die in der "DDR' gemachten Erfahrungen weit in den Schatten und läßt mich heute fast bereuen, dem Ruf an die Ruhr-Universität gefolgt zu sein.
Der Theologe, der es mit seinen "Berufspflichten für unvereinbar" hält, sich "durch einen wilden Papierkrieg und nutzlose Marathonsitzungen zermürben und von meiner wissenschaftlichen Arbeit abhalten zu lassen", repräsentiert in dem Bund den konservativeren Teil der westdeutschen Professorenschaft' dessen "Tragik heute darin liegt", wie der West-Berliner Wissenschaftssenator Werner Stein befand, "daß der seinerzeit gewählte Beruf seinen Charakter kaum vorhersehbar geändert hat" --
Die Ordinarien, die einst als Denkmäler des Doktor Allwissend ihre Lehrmeinungen ex cathedra wie Weitweisheiten verkünden durften, müssen sich heute der Kritik im Auditorium stellen, und manchmal sind es Wurf-Eier statt Argumente, die sie treffen. Sie müssen, nachdem die Hochschulreformer von SPD und FDP Mitbestimmungsregelungen für die Universitäten durchgesetzt haben, Standesinteressen wie Lehrmeinungen in Diskussionen mit Studenten und Assistenten vertreten.
Diese Diskussionspflicht empfinden viele Ordinarien als Last. Sie trauern, wie der Münchner Politik-Professor Hans Maier, der "alten Ordinarien-Universität" nach, "denn wenigstens gab es damals eine klare Verteilung der Kompetenzen und unter Umständen nur einen launischen Herrn, nach dem man sich richten mußte, nicht zehn" (siehe SPIEGEL-Gespräch Seite 115).
So eindeutig auf Traditionen fixiert sind freilich nicht alle Bundesgenossen. Der Berliner Richard Löwenthal etwa, in der Weimarer Republik kommunistischer Studentenfunktionär heute Mitglied der SPD, hält "die Gleichberechtigung der verschiedenen Kategorien von Hochschullehrern, die Mitbestimmung der Assistenten und ihre Befreiung aus oft unwürdigen persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen für einen überfälligen Fortschritt".
Der Politik-Lehrer akzeptierte vor zwei Jahren noch das drittelparitätische Institutsmodell am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität. Heute aber findet er -- im Gegensatz zu anderen OSI-Professoren -, daß diese "Form der "Demokratisierung' der Hochschule" mit den "Bedürfnissen von Forschung und Lehre unvereinbar" sei.
Solche mitunter auch für aufgeschlossene Professoren in der Tat beklemmenden Erfahrungen, aber auch schlicht Prestige-Reminiszenzen scheinen vorerst das Selbstverständnis des Bundes zu prägen. Einig sind seine Mitglieder sich darin, daß an der Hochschule vieles anders werden müsse und daß den Hochschullehrern wieder mehr Einfluß gebühre. Aber wie die von ihnen erstrebte Reform im Detail aussehen soll, wußten sie selbst auf ihrem Gründungskongreß noch nicht eindeutig zu bestimmen.
Dieser Bund, so urteilt der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Erich Frister, denn auch, "hat sich bisher nur in der Negation vereint". Frister riet den Mitgliedern, "ihr Engagement und ihre Sachkunde lieber in die Universitätsgremien einzubringen, wie viele ihrer Kollegen es tun. Dort könnten sie eher Verbündete unter Assistenten und Studenten werben".
Bislang freilich sucht der Bund seine Verbündeten vor allem unter gleichgesinnten Etablierten an der Alma mater, in Parteien und Wirtschaft. Daß er dabei zwangsläufig in enge Tuchfühlung mit Christdemokraten und Christsozialen geriet, "ist nicht verwunderlich" (Oertzen): Die Reform der Hochschulen, die den Kampfbund-Professoren heute mißfällt, wurde in Bund und Ländern von Sozialdemokraten initiiert.
Zwar gehören zu den Mitbegründern auch zwei namhafte SPD-Politiker: der Bundestagsabgeordnete Hermann Schmitt-Vockenhausen und der ehemalige nordrhein-westfälische Hochschul-Staatssekretär Hermann Lübbe. Aber der Hesse Schmitt-Vockenhausen gilt in seiner Fraktion eher als Polizeidenn als Bildungsexperte. Der Bielefelder Philosophie-Ordinarius Lübbe schied aus seinem Düsseldorfer Amt, nachdem Ministerpräsident Heinz Kühn den konservativen Hochschulgesetzentwurf des Staatssekretärs modifiziert hatte.
Lübbe hatte noch 1969 auf einem Bierabend im Düsseldorfer Altstadt-Restaurant "Alter Hafen" die "Einführung von Professoren-Kasinos analog den Offiziers-Kasinos an den Universitäten" empfohlen. Er wollte damit den Solidarisierungsprozeß unter den Professoren in Gang bringen und den Studenten klarmachen, welch Unterschied zwischen ihnen und den Hochschullehrern bestünde.
Von den Christdemokraten fanden gleich vier Prominente zum Akademikerbund: der ehemalige CDU-Wissenschaftsminister und Krupp-Manager Gerhard Stoltenberg ("Jung Siegfried"), der Bundestagsabgeordnete Hans Dichgans (geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie), der stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungen Union Franz Ludwig Graf von Stauffenberg (Direktionsassistent beim Panzer-Produzenten Krauss-Maffei) und der bayrische Wirtschaftsminister Otto Schedl.
Die konservative Fronde wird durch weitere Wirtschaftsvertreter verstärkt. Freunde des Bundes, die Bohn als Beiratsmitglieder in seinen "Hochschulpolitischen Informationen" aufführt, sind etwa das Vorstandsmitglied der Farbwerke Hoechst Heinz Kaufmann sowie die Bankiers F. Wilhelm Christians (Deutsche Bank) und Johann Philipp Freiherr von Bethmann <Bankhaus Gebrüder Bethmann).
"Wie man ausgerechnet auf solche Leute verfallen kann, wenn es einem um die Freiheit der Wissenschaft geht", leuchtet dem BAK-Vorsitzenden Jannsen "partout nicht ein". Der Hochschulfunktionär vermutet: "Von Hochschulreform haben die doch gar keine Ahnung." Er gibt außerdem zu bedenken: "Viele Universitätsinstitute sind doch von Wirtschaftsaufträgen abhängig."
Dem Hannoveraner Peter von Oertzen scheint die neue Koalition von Wirtschafts-, Partei- und Professoren-Interessenten dennoch "nicht ganz sinnlos zu sein" Der Minister hofft, daß sich nach dieser Formation auf der Rechten "eines Tages vielleicht eine überregionale Vereinigung reformfreudiger Wissenschaftler zusammenfindet". Oertzen: "Dann sind die Fronten klar."