MANAGER / KAUFHOF-REISEN Zeit zum Nachdenken
Zwei Jahre lang starrten Westdeutschlands Touristikunternehmer beklommen auf jede Regung des Wundermannes. Am 10. November 1970 befiel sie blankes Entsetzen.
An diesem Tag verkündete Herbert Haum, 44, der sich einst als Chef von Neckermanns Reisegesellschaft N-U-R den Ruf eines Branchenschrecks verdient hatte, im römischen Jetset-Hotel Cavalieri Hilton das Sommer-Reiseprogramm 1971 seines neuen Arbeitgebers, der Kölner Kaufhof AG.
Während ringsum auch die Touristikunternehmen ihre Preise erhöhen möchten, versprach der in Unilevers Hamburger Organisationszentrale getrimmte Diplom-Kaufmann aus dem bayrischen Birkhausen den deutschen Urlaubern bis zu 15 Prozent billigere Flugreisen und beharrte mit Pokermiene darauf, daß sämtliche Preise "kostendeckend" seien.
Als kostendeckende Warenhausreisen offeriert Haum beispielsweise Jet-Flüge nach Mallorca mit einer Woche Aufenthalt und Frühstück für 182 Mark oder nach Kenia mit einer Woche Vollpension für 695 Mark -- Angebote, bei denen der Kaufhof nach Ansicht von Fachleuten zusetzen muß.
Billige Lock- und preiswerte Snob-Angebote ("Kaufhof Marine Club" mit Segelkursen in Tunesien) sollen der neuen Reiseorganisation von Deutschlands -- nach Karstadt und Hertie -- drittgrößtem Warenhauskonzern (Umsatz 1970: rund vier Milliarden Mark) gleich im Startjahr 1971 rund 180 000 Buchungen mit einem Umsatz von 100 Millionen Mark einbringen.
Bis 1974 möchten Kaufhof und Haum hinter der TUI Touristik Union International (Jahresumsatz 1970: 561 Millionen Mark) und Neckermanns N-U-R (Jahresumsatz 1970: 247 Millionen Mark) Nummer drei im deutschen Reisegeschäft werden. In zehn Jahren schließlich soll die Warenhaus-Reisegruppe soviel umsetzen wie jetzt Kaufhofs Kleinpreis-Kette Kaufhalle: knapp eine Milliarde Mark. Haum über so kühne Pläne: "Ich hatte ja genug Zeit zum Nachdenken."
Die Gelegenheit dazu hatte der hagere Olympiareiter Josef Neckermann 58, dessen Vertrauter Haum einst gewesen war, dem bulligen Bayern, Sohn eines Glasbläsers, verschafft. Als einzigem Manager war es Herbert Haum 1964 bei dem patriarchalischen Reiter gelungen, nicht nur Angestellter, sondern auch Partner zu werden: Bei seiner Kür zum Geschäftsführer der N-U-R Neckermann und Reisen GmbH & Co. KG sicherte er sich zehn Prozent Beteiligung an dem Reiseunternehmen, das unter ihm sofort einen Senkrechtstart in der Flugtouristik (Marktanteil 1970: 29 Prozent) vollzog. Von dem Gesamtgewinn des Hauses Neckermann im vergangenen Jahr (sieben Millionen) verdiente N-U-R allein 5,4 Millionen.
Der plötzliche Ruhm des stiernackigen und cholerischen Reisemanagers schreckte indessen bald nicht nur die Konkurrenz, sondern auch den aristokratischen Herrenreiter Josef Neckermann, dessen Sohn Peter, 35, selbst ins Geschäft drängte und Interesse an der N-U-R bekundete. Herbert Haum aber wollte allein bestimmen und reklamierte lautstark alle Rechte für sich. Daraufhin feuerte der Versandhaus-Senior seinen Reise-Dynamiker und machte ihn zum Millionär: Neckermann zahlte Haum 1968 zwei Jahresgehälter gegen die vertragliche Versicherung, daß der Manager der Touristik-Branche bis 31. Oktober 1970 fernbliebe. Außerdem kaufte Neckermann den Zehn-Prozent-Anteil an der florierenden N-U-R von Haum zurück.
Doch lange vor dem Ende der Wartezeit verspürte der hochdotierte Arbeitslose neue Lust zum Reisemanagement. Nachdem IOS-Boß Cornfeld und Gesandte der TUI bei ihm abgeblitzt waren, kam die Kaufhof AG auf den Mann von Neckermann zu.
Kaufhofs Finanzvorstand Gottfried Nagel, 54, der Haum aus gemeinsam verbrachter Zeit bei Unilever in Hamburg kannte, suchte Diversifikationsmöglichkeiten für seinen Einzelhandeiskonzern und erspähte sie im Verkauf touristischer Dienstleistungen. Haum seinerseits entdeckte Bildungsreserven: "Als ich Neckermann fertig hatte, wußte ich erst, wie ich es eigentlich hätte machen sollen."
Haum konzipierte im Offenbacher Eigenheim, einem Neckermann-Fertighaus, den künftigen Kaufhof-Reisetrust. Unter dem Konzerndach der Langnam-Firma ITS International Tourist Services Länderreisedienste GmbH KG siedelte er als Tochtergesellschaften die Kaufhof-Reisen GmbH und die Hertie-Reisen GmbH an, die das gesamte Vertriebsnetz der beiden etwa gleich starken Warenhauskonzerne -- rund 200 Kaufhäuser -- nutzen können.
Mit dem englischen Firmennamen der ITS verfolgt Haum einen besonderen Zweck: Der Reiseboß will nicht allein westdeutsche Touristen transportieren. So verhandelt er inzwischen mit ausländischen Kaufhäusern, wie der französischen Firma Lafayette, die er neben Kaufhof und Hertie für seine Holding einspannen will.
Gehemmt von der Wettbewerbsklausel mit Josef Neckermann, steuerte er den Aufbau des Kaufhof-Reisetrustes zunächst wie ein moderner Doktor Mabuse über unsichtbare Drähte. In der Kölner Exekutive empfing ein Vorbereitungsbüro unter der Leitung des Kaufhof-Jungmanagers Ernst-Dieter Puppel ("Büro Puppel") Signale aus dem Offenbacher Raum-Heim.
Der Kontakt blieb auch dem Josef Neckermann nicht verborgen. Im September verklagte er seinen ehemaligen Vertrauten auf Vertragsbruch. Haum mußte nach einem außergerichtlichen Vergleich die strapazierte Neckermann-Kasse mit 300 000 Mark Konventionalstrafe aufbessern.
Auch TUI-Vorstand Hanns-Albrecht Seiffert, dem Haum mit dem Köder doppelter Gehälter einige Spitzenkräfte weggeangelt hatte, übte Rache an dem heftigen Konkurrenten. Es gelang ihm, den Kaufhof-Konzern von der Benutzung des neuen Jumbo-,Jets der Chartergesellschaft Condor, zu der Seiffert gute Beziehungen unterhält. auszusperren.
Raum kamen solche Schläge der Konkurrenz ganz gelegen: "Einem Newcomer kann nichts Schlimmeres passieren als faires Verhalten der Konkurrenz, weil er dann selbst zu konventioneller Haltung gezwungen wird."
Bei allen Management-Mühen für seinen neuen Arbeitgeber sah der stets auf Profit bedachte Jungmillionär ("Jeder Unternehmer, der Erfolg haben will, braucht ein gewisses Maß an Verhältnis-Schwachsinn") streng darauf, daß für ihn selbst mehr herausspringt als nur das Gehalt.
Aus der Neckermann-Abfindung steckte er eine Million Mark mit hoher Gewinnaussicht in die ITS-Hoiding' an deren Kapital von fünf Millionen Mark Haum nun mit 20 Prozent beteiligt ist. Schon in drei Jahren will der Diplom-Kaufmann, dem es Vergnügen bereitet, Kapitalist zu sein, den Reisekonzern aus der Zuschußzone fliegen.
Dann fängt auch für Herbert Haum das große Verdienen an. Wenn der Kaufhof beispielsweise 1975 nur 300 Millionen Mark umsetzt und dabei acht Millionen verdient, wie es 1971 voraussichtlich Neckermanns N-U-R schaffen wird, könnte der Manager Herbert Raum außer seinem Gehalt jährlich 1,6 Millionen Mark Reingewinn kassieren. Sein eingelegtes Kapital von einer Million Mark würde sich dann mit 160 Prozent pro Jahr verzinsen. Haum: "Die Chancen sind hervorragend."