RAUMFAHRT / LUNA 17 Wie Brötchen
Die Moskauer Militärzeitung "Roter Stern" feierte das kosmische Ereignis mit einer dramatischen Zeichnung: Ein Kampfwagen, gezogen von drei Pferden -- Symbol des mächtigen Rußland -- stürmt über die Mondlandschaft, das überdimensionale Staatsbanner mit Hammer und Sichel flattert im Fahrtwind.
Die himmlische Troika symbolisierte den jüngsten Erfolg sowjetischer Raumfahrttechnik: die Landung des Mond-Autos "Lunochod 1", das am Dienstag letzter Woche auf dem Erdtrabanten aufsetzte, von der Erde aus ferngesteuert zu kosmischer Erkundungsfahrt.
Im Huckepack-Verfahren war das achträdrige Mond-Auto ans Ziel gelangt. Zwei Tage lang hatte das Trägerfahrzeug, die Mondsonde Luna 17, den Himmelskörper umkreist, ehe es im lunaren "Mare Imbrium" ("Regenmeer") weich aufsetzte. Zu beiden Seiten des Projektils klappten Abfahrtrampen herunter. Wenig später rollte das Mond-Mobil, dessen Form an eine fahrbare Suppenterrine erinnert, ins Regenmeer hinab. Getrieben von acht in die Achsen eingebauten Elektromotoren, kurvte es 20 Meter durch den Staub des Mondes.
Es war der zweite "Raumfahrt-Triumph" ("New York Times") der Sowjets innerhalb von neun Wochen. Ende September war es den russischen Kosmos-Technikern schon einmal gelungen, den amerikanischen Raumfahrt-Vorsprung zu verringern: mit der Mond-Sonde Luna 16, die weich gelandet und mit 100 Gramm Mondstaub zur Erde zurückgekehrt war.
Das russische Konzept, automatische Stationen zu anderen Himmelskörpern zu entsenden, erfordert nach Angaben der Sowjets für jede Mission nur etwa den zwanzigsten Teil der Kosten einer bemannten Mond-Expedition. Überdies ist "der Flug automatischer Stationen", so der russische Physiker Iwan Kowal, "nicht mit einem Risiko für Menschenleben verbunden".
So originär, daß es westlichen Technikern als genialer Einfall hätte erscheinen können, war das Design des russischen Mond-Vehikels mit seinen zwei Kamera-Glubschaugen und den Antennen am Deckeirand der Suppenschüssel freilich nicht. Es ähnelt einem Modell, das Nasa-Techniker schon 1964 zu Papier gebracht hatten, jedoch mit vier statt mit acht Rädern.
Rußlands erstes Mond-Auto soll jedoch nicht nur als ferngelenkter Späher arbeiten, sondern zudem noch eine Funktion erfüllen, die amerikanische Astronauten von Hand bewältigten: Automatische Meßstationen sollen im Umkreis des Luna-17-Landeplatzes deponiert werden.
Die Mühe, die sich US-Astronauten im vorigen Jahr mit dem Aufstellen von Seismographen, Magnetometern und Temperaturmeßgeräten gemacht haben, hat sich für die Mondforscher auf der Erde schon ausgezahlt: Zur gleichen Zeit, als am Mittwoch letzter Woche "Lunochod 1" erste Mond-Daten zur Erde funkte, berichteten amerikanische Wissenschaftler über die Ausbeute des ersten Fernmeßjahres.
6500 mal sind seit der Landung von Apollo 12 die auf dem Mond hinterlassenen Meßsonden abgefragt worden. Aufgrund dieser Daten können sich die US-Forscher nun ein Bild machen
* über das Innenleben des leblosen Erdbegleiters: Im Gegensatz zur Erde mit ihrem noch glühendflüssigen Magma-Kern ist der Mond ein längst erstarrter Himmelskörper, der selbst in 200 Kilometer Tiefe nur 1000 Celsiusgrade heiß ist, eine Temperatur, die auf der Erde schon in 25 Kilometer Tiefe herrscht;
* über die Häufigkeit und Stärke von Mondbeben: Schwere Beben wurden nicht registriert, leichtes Mond-Zittern wurde durchschnittlich alle 1,3 Tage gemessen, offenbar abhängig von der jeweiligen Stellung Erde -- Mond, also von den Auswirkungen des irdischen Schwerefeldes.
Die amerikanischen Meßstationen auf dem Mond werden von einem Mini-Atomkraftwerk gespeist und haben nunmehr 12 Mondnächte mit Temperaturen bis zu 160 Minusgraden ohne Schaden überdauert. Fraglich ist, ob das sowjetische Mond-Auto "Lunochod 1", das seine Batterien über Sonnenzellen wieder auflädt, ähnlich zählebig wird werkeln können.
Doch die Sowjets träfe es auch nicht so hart, wenn ihre ferngesteuerte Apparatur unter dem enormen Hitze- und Kältestreß schließlich den Dienst versagte. Die Russen haben schon angekündigt, daß sie Mondwagen wie Brötchen produzieren wollen. Im Abstand weniger Wochen könnten seriengefertigte neue "Lunochods" über den Mondboden rollen.
* Nach der Landung auf dem Mond (Fernsehbild).