„BÜROWIESEN TREIBEN SELTSAME BLÜTEN“
Hier kann eine mustergültige neue Stadt entstehen", sagte Professor Werner Hebebrand, damals Hamburgs oberster Stadtplaner, im Herbst 1959. "Alle Großstädte Europas werden uns um diese Chance, eine zweite City errichten zu können, gewiß beneiden."
Solange sie nur auf dem Papier und in den Köpfen der Planer stand, fehlte es nicht an Lob. Die Senatoren waren hingerissen, und die Lokalreporter sahen sie schon vor sich, die "imposante Silhouette" der "gigantischen Bürostadt", die in "ähnlicher Kühnheit nur in New York anzutreffen ist", die "erlösende Sensation" und "städtebauliche Ideallösung", "einzigartig", "vorbildlich", "besonders schön und einmalig".
Dann wurde sie gebaut, und der Traum war aus. Heute ist sie zwar erst halb fertig, aber schon ist sicher: So gut sie auch propagiert wurde, städtebaulich ist sie ein Mißerfolg. Eine schlechte Sache, gut verkauft: Hamburgs "City Nord".
Dabei haben die Stadtplaner ihre Zielvorstellung nicht einmal verfehlt. Großverwaltungen' wie sie nun in das City-Nord-Gebiet nördlich des Hamburger Stadtparks verpflanzt wurden, "sind allgemein weniger den vielschichtigen Betrieben einer City, sind eher den Großbetrieben der produzierenden Industrie vergleichbar", so schrieb vor sechs Jahren Christian Farenholtz, damals zuständig für die City Nord, heute Bürgermeister von Stuttgart.
Die City Nord sollte also gar keine City sein, sondern eher ein Industriegebiet für Schreibtischarbeiter. Die Planer untereinander nannten sie denn auch (nach einem typischen Hamburger Industrie-Stadtteil): Schreibmaschinen-Hammerbrook.
Schreibmaschinen -- Hammerbrook, das sind 68 Hektar -- 136 Fußballfelder -voll mit Schreibtischen, 65 Fußballfelder voll mit Autos, mehr als die Hälfte davon in Tief- oder Hochgaragen, reines Arbeitsgebiet, keine Wohnungen (bis auf 350, die gegen die ursprüngliche Absicht der Planer nun gebaut werden), ferner 52 Hektar Grün -- und dazu gehören dann noch einmal 13 000 Auto-Abstellplätze irgendwo zu Hause im reinen Wohngebiet: morgens rein, abends raus, tot, steril, Glas, Aluminium, Asphalt, Rasen.
Den Schmucknamen "City" verwendeten die Planer nur, um das Prestigebedürfnis der großen Firmen zu befriedigen und ihnen den Umzug schmackhaft zu machen. Man muß seine Pappenheimer kennen, City Nord sagen. Stadtplanung ist angewandte Sozialpsychologie.
Die Stadtplaner unterscheiden Bürobetriebe mit Service-Funktion, die
* Luftbild Seite 208: Freigabe Luftamt Hamburg 4506/70.
auf die Lage in der City angewiesen sind, von solchen mit Management-Funktion.
Service-Bürobetriebe sind Handelsfirmen, Im- und Exportgeschäfte, Handelsmakler, Agenturen, kleine Bankgeschäfte, Dienststellen der Verwaltung, Kundendienstzentren, Notare, Anwälte und so weiter.
Management-Betriebe sind die großen Verwaltungen der Industrie, der privaten und öffentlichen Versicherungsanstalten, der Großbanken, der Energieversorgungsbetriebe.
Es gibt tatsächlich keine Gründe, warum diese Großverwaltungen in der Innenstadt liegen müßten. Sie haben keine Kontakte mit den Service-Betrieben der City, keine Laufkundschaft. Sie lassen Ihre Angestellten kaum aus dem Haus, versorgen sich selbst mit Kantinen, Verkaufsstellen, Friseuren und weigern sich, in das Erdgeschoß ihrer Bürobetriebe Läden und Schaufenster hineinzunehmen. Verwaltungsgebäude ·machen die Straßen, an denen sie liegen, leer, dunkel und tot -- sie sind stadtfeindlich.
Großverwaltungen müssen auch nicht etwa deswegen in der City liegen, weil die City durch das radiale Verkehrssystem mit allen Wohngebieten gut verbunden, also auch Zentrum des Arbeitsmarktes ist. Ihre Angestellten bleiben ihnen treu, auch wenn sie weit außerhalb der Innenstadt arbeiten müssen, und verzichten eher auf den Segen der City als auf den ihrer Firma und der langen Firmenzugehörigkeit. Viele würden ihrer Firma sogar in eine andere Stadt folgen. Sie sind bis in die tiefen Schichten ihrer Individualität hinein domestiziert.
Wenn es nach den Stadtplanern ginge, müßten die Management-Betriebe aus der City verschwinden, um Service-Betrieben Platz zu machen. Aber die Absichten der Stadtplaner sind selten die der Firmenleitungen. Für sie muß es schon zwingendere Gründe geben, wenn sie ihren angestammten Platz, ihre Adresse in der City, ihre Lage an der Alster aufgeben sollen. Schließlich sind sie ja wer und nicht irgendeiner, die Allianz, die Esso, der Deutsche Ring, Unilever, die Commerzbank, IBM und wie sie alle heißen.
Nur ihre eigene Expansion konnte sie aus der City heraustreiben. Denn gerade die Management-Betriebe brauchten schon seit dem Anfang der fünfziger Jahre immer mehr Platz und machen ihn sich gegenseitig streitig. Nur wenigen gelang es, ihr Bürogebäude durch Anbauten zu erweitern oder gar in der City Grundstücke für neue Bürogebäude aufzutreiben.
Die Stadtplaner verstärkten noch den Platzmangel in der City. Weil sie herausgefunden hatten, daß mehr Arbeitsfläche auch mehr Verkehr bedeutet, und weil sie enge, schlecht belichtete und belüftete Straßenschluchten vermeiden wollen, in denen sich die Abgase fangen, versuchten sie, die Ausnutzung der Grundstücke zu verringern.
So wurde von 1957 an die Geschoßflächenzahl in der City auf maximal 2 festgelegt. Das bedeutet, daß die gesamte Geschoßfläche eines Gebäudes nur das Zweifache der Grundstücksfläche betragen darf -- eine sehr geringe Ausnutzung, verglichen mit dem, was früher zulässig war (das bekannte Chilehaus in Hamburg etwa hat die Geschoßflächenzahl 7).
Wer mehr Nutzfläche brauchte, mußte also mehr Grundstücksfläche haben. Folge: Die City konnte sich nicht mehr in die Höhe, sondern nur noch in die Breite entwickeln.
Zu selben Zeit, als die Büroorganisatoren gerade das Großraumbüro als ideale Raumform propagierten, mußten die expandierenden Management-Betriebe ihre Angestellten auf viele kleine Büroflächen verteilen, die sie in der City oder an ihrem Rande mieten konnten und aus denen sie meistens Service-Büros vertrieben. Die Abteilungen der Esso waren vor dem Umzug in die City Nord auf 17 Stellen der Stadt verstreut. Die BP sitzt heute noch in 18 verschiedenen Häusern. City-nahe Wohngebiete, wie Harvestehude oder Rotherbaum, wurden von Bürobetrieben unterwandert.
Einige der großen Konzerne drohten damit, wenn ihnen die Stadt nicht endlich Bauplätze beschaffen würde, aus Hamburg wegzuziehen. "Das kann sich die Hansestadt", so notierte das "Hamburger Abendblatt" damals, "in ihrer Randlage, in Ihrer scharfen Konkurrenz mit anderen Häfen nicht leisten."
Der Aufgabenkatalog der Hamburger Stadtplaner hieß also:
* Bauplätze für Konzerne beschaffen;
* den Druck der City auf ihre Randgebiete mildern;
* in der City Platz machen für Service-Funktionen;
* dem Berufsverkehr Ziele außerhalb der Innenstadt anbieten.
Die Aufgaben ließen sich miteinander kombinieren: Wo Management-Betriebe aus der City herausgingen, würden Flächen für Service-Funktionen frei werden, der Druck auf die Cityrandgebiete würde nachlassen, Management-Betriebe außerhalb der City würden die Verkehrseinrichtungen nicht zusätzlich, sondern nur in der Gegenrichtung belasten. Die Stadtplaner hofften demnach, vier Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können.
Die City Nord war also als strategisch-psychologische Defensivwaffe zum Freikämpfen der Innenstadt gedacht. Und sie darf mithin, mag sie auch noch so unschön sein, nicht allein danach beurteilt werden, wie sie aussieht. Sie muß daran gemessen werden, ob sie die beabsichtigte Wirkung hat.
Die Hamburger Baubehörde meldet Volltreffer: Konzerne hiergeblieben, Mieten für Büros bis auf fünf Mark pro Quadratmeter und Monat abgesunken, Randgebiete der City als Wohnquartiere gerettet, Grundbesitzer, die Büros hauen wollten, schwenken auf Wohnungsbau um.
Wie so manche Erfolgsmeldungen ist auch diese durch Tatsachen kaum gedeckt, aber wie an vielen Erfolgsmeldungen Ist auch an dieser etwas dran. Leider hat die Hamburger Baubehörde bisher eine genaue Manöverkritik unterlassen. Sie weiß nicht, wie viele Flächen in der City frei geworden sind und wie viele davon durch Service-Betriebe übernommen wurden. Sie hat die Wirkung der City Nord nicht exakt verfolgt.
Die Konzerne sind dageblieben jedenfalls wenn die Esso, die BP und die Shell gemeint sind, die in der City Nord bauen oder schon dort eingezogen sind. Aber nach meiner Umfrage bei den Firmen sind bisher höchstens 50 000 Quadratmeter Bürofläche in der City frei geworden. Nur ein kleiner Teil davon ist mit Service-Funktionen besetzt worden.
* Unilever-Hochhaus in Hamburg.
Dabei Ist der Bedarf an Büroraum in der Innenstadt weiter gestiegen. Die Nachfrage ist größer als das Angebot. Die Mieten, gegenwärtig um zehn Mark, steigen weiter. Und immer noch werden auf beiden Seiten der Außenalster, etwa im Stadtteil Uhlenhorst, Wohnungen In Büros umgewandelt.
Die Wirkung der City Nord auf das Verkehrsnetz ist umstritten. Als die Großbetriebe in der City lagen, benutzten 85 Prozent ihrer Angestellten öffentliche Verkehrsmittel; nun, seit dem Umzug in die City Nord, sind es nur noch 50 Prozent; daran wird auch die geplante U-Bahn-Strecke zur City Nord nichts ändern. Die Entlastungs-City am Stadtpark ermöglichte es also, daß 10 000 Personen im Berufsverkehr vom öffentlichen Verkehrsmittel auf den Privatwagen umstiegen -- ein Effekt, den die Stadtplaner gewiß nicht gewünscht hatten.
Solange die U-Bahn-Strecke noch nicht gebaut ist, muß der Hamburger Verkehrsverbund einen Pendelverkehr mit Bussen aufrechterhalten, der ihn jährlich eine Million Mark kostet.
Die Waffe City Nord war also nicht gerade ein völliger Blindgänger, sie hat sicherlich zur Entlastung der City und der Büromieten beigetragen und hat Verkehrsströme auf weniger belastete Straßen und Strecken umgelenkt. Ohne sie wäre heute einiges noch schlechter, als es ist. Aber ihre Wirkung war nicht nachhaltig. Was bleiben wird, ist eben doch nur Schreibmaschinen-Hammerbrook,
Das -hören die Stadtplaner nicht gern. Sie lieben den Umkehrbeweis: Hätten wir uns die City Nord nicht ausgedacht, wären diese großen Verwaltungsgebäude in der City, an der Alster und der Elbe gebaut worden, und das wäre -- wie jeder zugeben muß -- katastrophal für den Verkehr, die Service-Funktionen der City, vielleicht für das Stadtbild und das Leben in der Stadt.
Diese Logik tut so, als gäbe es keine Alternative zur City Nord. In Wahrheit aber war die City Nord nur die einfachste Lösung, das dünnste und zugleich monumentalste Brett, das die Stadtplanung bohren konnte.
Das Gebiet nördlich des Stadtparks hatten Hamburgs Stadtplaner schon früher erworben und freigehalten, um auch der Zukunft noch Chancen zu lassen.
"Keine andere europäische Stadt", so schrieb Stadtplaner Hebebrand Ende 1959, "kann ein solch attraktives Gelände -- in ihrem Besitz befindlich -- anbieten." In der Tat: Dieses Gelände hätte beispielsweise Parlament und Regierung eines Bundeslandes Norddeutschland aufnehmen oder für den Bau einer zweiten Universität oder eines Freizeit-Zentrums verwendet werden können, das Städte wie Hamburg in naher Zukunft dringend brauchen werden.
Aber: Den Finger drauf, das nehmen wir, das teilen wir, das verkaufen wir -- das war wahrhaftig keine städtebauliche Leistung.
Was für Stadtplaner sind das, die ein solches -- nie wieder zu beschaffendes -- Gelände richtig einschätzen, es in hohen Tönen loben, um dann darauf zu bauen, was sie selbst abschätzig Schreibmaschinen-Hammerbrook nennen. Ist das Stupidität, Indolenz oder schon Zynismus?
Schreibmaschinen-Hammerbrook ist ausverkauft. Diese Tatsache allein gilt manchen Hamburger Verwaltungsmenschen schon als Beweis dafür, daß die Planung richtig war -- o Hamburger Kaufmannsgeist!
Die Expansion geht weiter:
* In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Angestellten in den großen Management-Betrieben Hamburgs um mehr als 30 Prozent angestiegen.
* Die Geschoßfläche pro Arbeitsplatz hat sich gleichzeitig von rund 15 auf rund 22 Quadratmeter vergrößert.
* Bis 1980 wird die für Büroarbeit genutzte Geschoßfläche, nach einer Prognose der Hamburger Baubehörde, um weitere 128 bis 145 Hektar zunehmen.
Die Stadtplaner müssen sich nun wieder etwas einfallen lassen. Sie sprechen von einer "City Süd" in Harburg und einer "City West" in Altona-Ottensen. Plötzlich gibt es also Alternativen zur City Nord. Ein so attraktives Gelände, wie es keine andere europäische Stadt anbieten kann, werden sie aber nicht nach einmal finden. Was jetzt noch da ist, sind bebaute Flächen, Sanierungsgebiete. Das bedeutet Bodenordnung, Verlagerung von Betrieben, Abbruch von Wohnungen. Vor zehn Jahren wäre das nicht schwieriger gewesen als heute.
Eine andere Möglichkeit war vor dem Bau der City Nord immerhin erwogen worden: Man hätte einzelne Management-Betriebe dezentral außerhalb der Kernstadt in der Nähe von U-Bahn- oder S-Bahn-Stationen unterbringen können (und hätte damit auch das Verkehrsnetz gleichmäßiger ausgelastet). Allerdings hätte es große Mühe gemacht, geeignete Grundstücke zu finden und aufzuschließen.
Außerdem konnten die Planer sich damals noch nicht von der Zwangsvorstellung frei machen, daß eine Stadt aus säuberlich nach Funktionen getrennten Gebieten bestehen mußte. Büros in Wohngebieten, daß war fast undenkbar. Unsicher war auch, ob die Großfirmen das mitgemacht hätten. Schreibmaschinen-Hammerbrook, als City Nord verkauft, war der Weg des geringsten fremden und eigenen Widerstandes.
In einer Vorstudie zur City Nord hatte die Hamburger Baubehörde einmal versucht, Wohnungen und Büros einander näherzubringen, aber ganz zaghaft, mit einer dünnen, flachen Wohnbebauung und einer vierspurigen Straße mit Grünstreifen zwischen Wohnungen und Büros. Dieses jämmerliche Projekt dient ihr heute gelegentlich als Alibi: "Heute", so schreibt Gerhard Dreier, in der Baubehörde zuständig für die City Nord, "wird diese frühere Konzeption gelegentlich den Planern als kritischer Verbesserungsvorschlag empfohlen -- zur Belebung der Geschäftsstadt!" Aber: "Keiner käme auf den Gedanken, etwa vergleichbare Arbeitsflächen -- wie Hafen oder Billbrook -- mit Wohnungen zu beleben."
Würde der Stadtplaner wirklich einmal Büros mit Werften oder anderen Hafenindustrien vergleichen, so müßte er wohl herausfinden, daß Werften Wohnungen stören, Büros hingegen Wohnungen nicht stören -- im Gegenteil.
Liegen Wohnungen und Büros zusammen, so können Auto-Einstellplätze doppelt genutzt werden: nachts von den Bewohnern, tagsüber von denen, die dort arbeiten. Ebenso die Straßen und Öffentlichen Verkehrsmittel: Wir können es uns nicht auf Dauer erlauben, morgens und abends jeweils die Gegenrichtung der Straße ungenutzt zu lassen, mit dem Fahrpreis immer auch den leeren Zug, den leeren Bus, der entgegenkommt, zu bezahlen und für jedes Auto zwei Einstellplätze zu bauen.
Die Trennung der Funktionen, diese grundsätzliche Unwirtschaftlichkeit unserer Städte, schlägt durch bis ins Detail. Der Wirt der Eckkneipe im reinen Wohngebiet muß allein vom abendlichen Bierkonsum der Wohnbevölkerung leben. Im Mischgebiet kann er außerdem den Angestellten der Büros, den Klienten, Patienten, Lieferanten und Kunden Mittagessen, Würstchen, Kaffee und Kuchen verkaufen. Im reinen Arbeitsgebiet, erst recht in einem Gebiet ohne Service-Büros, wie die City Nord, kann er nur in der kurzen Mittagspause Bier verkaufen und Essen nur an die, denen es in den Kantinen nicht schmeckt. Nach Büroschluß hat er kaum noch Gäste.
Alle Läden, die sich in der City Nord gerade eben noch über Wasser halten, das Uhren- und Schmuckgeschäft, der Käseladen, der Kosmetikladen, das Schallplattengeschäft, der "City-Imbiß" und so weiter, haben ihr ebenso schlecht gehendes Gegenstück in den Wohngebieten oder fehlen dort ganz. In gemischten Gebieten aber haben sie mehr Kunden, die sich besser über den Tag verteilen, und ein breiteres Sortiment.
Die andauernde Kritik an der Trennung der Funktionen kann anscheinend Stadtplaner nicht verunsichern, aber die Politiker zeigen allmählich Wirkung. So bestimmt der Koalitionsvertrag, den im letzten Jahr SPD und FDP in Hamburg schlossen, daß "Wohnungen, Arbeitsstätten sowie Einrichtungen für Freizeit und Erholung so eng wie möglich verzahnt" werden sollen.
Völliger Aufhebung der Trennung zwischen Büros und Wohnungen werden die Manager der Firmen mit Recht nicht zustimmen. Eingänge, Aufzüge und Treppen können sie nicht mit Bewohnern der unter demselben Dach liegenden Wohnungen, mit deren Kindern und deren Besuch teilen. Wohl aber wäre ein Gebäude mit getrennten Zugangswegen denkbar.
Dabei könnten die Wohngebäude zum Beispiel auch auf einen mehrgeschossigen Sockelbau gestellt werden.
Großraumbüros sind gerade rechtzeitig erfunden worden, damit große Büroflächen bis 100 Meter Breite unter Plattformen mit Läden, Schulen, Kindergärten verschwinden können. Auch Warenhäuser und manche Universitätsabteilungen könnten in solchen Sockelbauten unterkommen.
Wie ich die Stadtplanung kenne, werden Wohnungen und Büros wohl noch lange durch züchtige Grünstreifen voneinander getrennt bleiben. Aber es lohnte schon die Anstrengung von Planern, Politikern und Finanziers, statt Neuauflagen der City Nord sich etwas Neues einfallen zu lassen. Die bekannte Schaschlik-Methode: ein Stück Wohnung, ein Stück Grün, ein Stück Kirche, ein Stück Grün, ein Stück Schule und so weiter können wir uns in den Ballungsgebieten nicht mehr leisten, Wir sollten unser Grün zusammenhalten.
Statt sich als psychologische Meisterdompteure zu fühlen und die Konzerne am Prestige wie an einer Nase herumführen zu wollen (was nebenbei ein abenteuerliches Verhältnis zur Macht verrät), sollten die Stadtplaner mit ihnen offen reden und ehrlich zusammen arbeiten. Sonst sind sie nämlich, wie die City Nord zeigt, selbst nur die Genasführten.
Allerdings müssen dazu die Konzerne von ihrem hohen Roß heruntergebracht werden. Eine Finanzreform muß die Konkurrenz der Länder, Städte und Gemeinden um die Gunst der Wirtschaft wenn nicht ganz abschaffen, so doch wesentlich mildern, so daß den Konzernen die Wegzugsdrohungen vergehen.
Die Entlassung der Management-Betriebe aus der City in die City Nord, aus städtischen Bauformen auf die nach dem Muster der Einfamilienhaussiedlung konzipierte Bürwiese, entläßt sie zugleich aus der Mitverantwortung für die Stadtentwicklung, die sie in der City noch getragen haben.
Hier in Schreibmaschinen-Hammerbrook mußten sie noch stadtfeindlicher werden, als sie ohnehin sind. Nun sind sie ganz zu Selbstversorgern geworden. Wenn sie Kohl statt Rasen auf ihren Grundstücken zögen, wären sie autark. Doch ihr Rasen, der die Bürogebäude -- wie Einfamilienhäuser umgibt, ist Statussymbol, Prestigerasen, Fortsetzung der Auslegewaren mit anderen Mitteln, leider pflegebedürftiger, doch der perfekte Plastikrasen kommt, Shell, Esso, BP -- alles große Familien, jede mit einem Haus im Grünen, statt Gartenzwerg moderne Kunst.
Die City Nord war nichts anderes als die konfliktärmste Möglichkeit, und nach der sucht die herrschende Stadtplanung, wie die Politik überhaupt, immer zuerst. Sie hat keinen Weg zur Lösung der Probleme von Ballungsgebieten gezeigt, sondern deren Lösung vertagt, ausgeklammert, hinausgeschoben. Verdrängte Konflikte tauchen an anderer Stelle und später im Stadtbild und in den Köpfen der Planer wieder auf.
Die Bürowiese treibt ebenso seltsame Blüten wie die Einfamilienhausweide. Jedes Bürogebäude der City Nord sucht das andere zu übertrumpfen. Die Baukunst kann sich austoben, allerdings nur auf einem umfriedeten Spielplatz, der begrenzt ist durch das Bau- und Organisationsprogramm der Bauherren und die Auflagen der Stadtplaner (Geschoßflächenzahl, Anteil der Grünflächen, Zahl der Einstellplätze sowie Höhenbeschränkung wegen der Flughafennähe).
Spielwiese des Architekten ist die "Gestaltung" -- eine frustrierende Erkenntnis für erkenntnisfähige Vertreter dieses Standes, der angetreten war, die Welt zu verbessern. Der Architekt ist ein Erfüllungsgehilfe der Gesellschaft, dessen Selbstgefühl von ihm verlangt, ihr Anführer zu sein. Dieser Anspruch ist in die Gestaltungsecke abgedrängt worden und muß da sublimiert und befriedigt werden.
Arne Jacobsen, der dänische Architekt des HEW-Gebäudes, ist der Größte. Dieses Haus (für die Hamburgischen Electricitäts-Werke) ist ein perfektes Kalkül, das jeder Analyse standhält, ein vollkommen beherrschtes, mit gewaltiger Energie auf die Spitze getriebenes Gedankengebäude.
Alles andere fällt dagegen ab. Bestenfalls angenehm, ohne falschen Anspruch, wirkt das Gebäude der Landesversicherungsanstalt (Architekten Siegel und Wonneberg); dagegen radiohaft, protzig, im Eingangsbereich verklemmt: Esso (Schramm und Pempelfort); plump, modernistisch: Nova (Langer und Urban), oder kränkelnd, gestelzt, hinkt aber brav mit: Claudius Peters (Neve und Spreckelsen); fratzenhaft, geschmacklos, aus Plastik und Marmor: Farbwerke Hoechst (Weber), noch nicht ganz fertig, wie draufgetreten, die Ecken durch Wendeltreppen wie mit Beuysschem Fett verunklart: BP (Kraemer, Pfennig, Sieverts) -- der Rest ist nicht der Rede wert.
Alle Bauten sind aus Architekturwettbewerben hervorgegangen, aus dem Wettstreit der Besten. Wenn das fertig ist, sollten sich mal alle ernsthaft zusammensetzen, um anhand der Exponate zu diskutieren, was mit diesem Beruf und dieser Gesellschaft eigentlich los ist. Ein Psychoanalytiker sollte sie begleiten.
Wie das so dasteht, ohne Zusammenhang, wie der Verkehr sich jetzt schon staut, in der zentralen Zone die Läden versteckt sind, die Wege zu den Stationen von U- und S-Bahn endlos scheinen; daß die neue U-Bahn-Station wiederum nicht zentral liegen wird, daß die Parkplätze vor den Läden fehlen, in der zentralen Zone keine Gemeinschaftseinrichtung, kein Schwimmbad, kein Kindergarten -- all das kritisiert sich selbst, zeigt, daß die Städtebauer, die am Werke waren, noch nicht einmal die einfachsten Regeln ihres Handwerks beherrschen.
Schreibmaschinen -- Hammerbrook sollte es werden und ist es geworden, eine Parodie auf Städtebau.
Gartenarchitekt Schulze will versuchen, mit kräftigen geometrischen Baumreihen und Baumblöcken (platanus acerifolia) Gras darüber wachsen zu lassen und etwas Zusammenhalt in diese Siedlung zu bringen. In zehn Jahren wird man sehen.
So ist die City Nord, ohne daß jemand darum hätte ringen müssen, Ausdruck -- Ausdruck des Wirtschaftswachstums, der Konzernmacht und der Angestelltenwelt, der Finanzgesetze, schlechter Planungsgesetze, der Zwangslage der Planer und ihrer hilflosen Tricks, des trüben Architektendaseins und so weiter,
Zugegeben, die City Nord war ein Experiment.
Wir müßten es einmal so weit bringen, daß unsere Experimente gelingen.