FILM / „TRANSIT“ Bestand von gestern
Ich weiß", so doziert der Bakteriologe Robert Koch vor seinen Medizinstudenten, "daß das Große und Gute in euch weiterlebt. Wenn einmal die Fackel aus unseren Händen gleitet, reißt ihr sie wieder hoch und tragt· sie in den neuen, schöneren Tag hinein."
Die leeren Worte, 1939 von Emil Jannings im Erfolgs-Lichtspiel "Robert Koch, der Bekämpfer des Todes" vorgetragen, brachten ihrem Urheber, dem Regisseur Hans Steinhoff, im Dritten Reich die höchsten Prädikate ein: Sein Heroen-Stück, in dem der Tuberkel-Forscher in "unerschütterlichem" Glauben die Bakterien wie einen "Feind besiegt", galt zugleich als "staatspolitisch und künstlerisch besonders wertvoll", als "kulturell wertvoll", "volkstümlich wertvoll" und "jugendwert".
Der Nazi-Staat ist zerbrochen, doch auf die Werte der alten Reichsfilmkunst will auch die demokratische Bundesrepublik Deutschland nicht verzichten. Eine bundeseigene Firma, die "Transit-Film GmbH", brachte. jetzt den "Robert Koch" und andere Spitzenprodukte der Goebbels-Ara erstmals in eigener Regie wieder ins Kino.
Im Münchner "Rio-Filmtheater am Rosenheimer Platz" ließ der Transit-Geschäftsführer Wilhelm Faltlhauser viermal täglich Nazifilme der Jahre 1936 bis 1939 laufen -- "die Besten von gestern", wie er annoncierte. Es sind meist unpolitische Klamotten mit Hans Albers ("Unter heißem Himmel"), Sybille Schmitz ("Hotel Sacher"), Mady Rahl und Rudi Godden ("Truxa") und Zarah Leander ("Zu neuen Ufern"), die dennoch -- so der Filmhistoriker Erwin Leiser -- "In der Regel Klischees ... aus dem Arsenal der nationalsozialistischen Propaganda" enthalten.
Für Faltlhauser freilich sind das alles "keine Nazifilme", und wichtiger als etwa "Robert Kochs" Ideologie ist ihm das Geld, was sich damit für die Bundeskasse verdienen läßt. Denn dazu wurde die Transit-Film GmbH schließlich gegründet: Im Auftrag des Bundesfilmarchivs in Koblenz und der "Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung' soll sie deren Bestände an Alt-Filmen aus ehemaligem Ufa-Besitz "auswerten".
Doch "die Transit", so sieht es der Kölner Filmkritiker Reinold E. Thiel, "versagte auf Anhieb". Ein auf zehn Millionen Mark veranschlagter Fernsehvertrag schrumpfte, so Thiel, "auf drei Millionen, als das ZDF feststellte, daß fast alle interessanten Filme schon vorher verkauft waren".
Auch an ihren Geschäften mit dem Filmverleiher Hanns Eckelkamp hat die Transit nichts verdient. Sie ließ einen Kaufvertrag über 60 Filme platzen -- "eine der traurigen Ursachen" (Eckelkamp) für den Zusammenbruch von Eckelkamps Firma "Atlas-Film". Thiel: "So hat die bundeseigene Transit die Atlas-Film ruiniert, aber für sich selbst oder die Murnau-Stiftung nicht den geringsten Nutzen daraus gezogen."
Gleichwohl ist die Transit, deren Verwaltungskosten "etwa zwischen 36 und 50 Prozent des Gesamtauswertungserlöses" betragen (Ulrich Pöschke vom Vorstand der Murnau-Stiftung), bei ihren Kunden gefürchtet -- wegen ihrer Geschäftstüchtigkeit.
So werden die Preise für altes Spielfilm- und Wochenschaumaterial -- unerläßlich für die Hersteller zeitgeschichtlicher Film- und Fernsehdokumentationen -- einigermaßen willkürlich festgesetzt. Sie schwanken zwischen fünf und 85 Mark pro Meter, obschon zumindest die Filmdokumente aus der Zeit vor 1945 nach dem geltenden Urheberrecht gratis abgegeben werden müßten**.
Aber selbst wer die hohen Transit-Preise zahlt, Ist nicht vor "politischen Auflagen" (Thiel) sicher. So erhielt der Produzent einer filmkritischen SFB-Dokumentation ("Ufa -- Januskopf des deutschen Films") einen Protestbrief' in dem sich Transit-Geschäftsführer Faltlhauser darüber beschwerte, daß "die Tendenz Ihrer Sendungen dem geschäftlichen Erfolg der uns aufgetragenen Filmauswertung abträglich ist".
Das Geschäft mit den Nazi-Relikten wird bei der Transit eben höher geschätzt als der Versuch, deren Ideologie anhand der alten Filme kritisch zu analysieren. Um ihrer Geschäfte willen ließ Faltlhauser bei einer Sichtvorführung des "Januskopfes" selbst den einstigen Reichsfilmintendanten Fritz Hippler (Regisseur des Propagandafilms "Der ewige Jude") in die Münchner Transit-Räume. Um aus der gegenwärtigen Programm-Misere der deutschen Kinos Profit für den Bund zu erwirtschaften, füllt Faltlhauser Angebotslücken einfach mit den "Besten von gestern".
Die jetzt zu Ende gegangene Münchner Transit- Woche -- fünf Nazi- und zwei Nachkriegsfilme wurden vorgeführt -- war dabei nur als Test gedacht. Bei entsprechender Publikumsresonanz will Faltlhauser künftig auch andere Städte mit Werken vom Schlage des "Robert Koch" heimsuchen,
* Bild oben: Rudi Godden, Mady Rahl. Bild unten: Emil Jannings.
** Paragraph 94 des Urheberrechtsgesetzes: "Das Recht erlischt 25 Jahre nach dem Erscheinen des Bildträgers ... jedoch bereits 25 Jahre nach der Herstellung, wenn der Bildträger innerhalb dieser Frist nicht erschienen ist."