AFFÄREN / BAUM-KUNST Rot wird Siegen
Heinrich Meya, Kulturdezernent der Stadt Gelsenkirchen, freute sich über ein schönes Geschenk. "Dieses Werk", sprach er, "wird sich würdig in den Rahmen unserer Abteilung Licht und Bewegung, einfügen."
Das Werk, das dem Beamten Ende September überreicht wurde, war eines von 22 sogenannten Tree-Art-Objekten, das der venezolanische Bildhauer Miguel Remedios der "Kunstsammlung" Gelsenkirchen erstmals In Europa zur Ausstellung überlassen hatte.
Die "Baum-Kunst" von Remedios besteht aus Astgabeln und Stämmen, Zweigen und Wurzelstücken, die er mit Silberbronze angestrichen und mit einem roten Punkt verziert hat. Titel der Schau: "Rot wird siegen".
Denn Miguel Remedios, sagt der Schriftsteller Philipp Wiebe aus Gelsenkirchen-Buer, der das Ast-Werk nach Europa vermittelt hat, "ist ein gestandener Sozialist": Er widmet seine Objekte den lateinamerikanischen Revolutionären Fidel Castro, Che Guevara, Camilo Torres und läßt "vom Erlös seiner Werke fünf begabte Kinder studieren".
Doch diesen Miguel Remedios gibt es nicht. Am letzten Freitag erklärte der Romancier Wiebe, 47 ("Vor unserer Tür"), in einer TV-Sendung des Dritten Programms von Radio Bremen, daß er der Stadt Gelsenkirchen einen Streich gespielt habe.
Als ein Sturm die 20 Jahre alte Akazie in seinem Garten umgeweht hatte und ein Garten-Center für die Beseitigung des Stammes 150 Mark forderte, zerlegte Wiebe den Baum "mit einer Säge für zehn Mark" und beschloß: "Machste Kunst daraus." Zusammen mit Rainer Kabel, damals Chef der "Kunstsammlung", der kurz darauf einen Posten als Abteilungsleiter beim Sender Freies Berlin antrat, inszenierte er die Remedios-Fiktion als "kunstkritisches Experiment".
Mit seiner "Tree-Art"-Aussteilung wollte Wiebe beweisen, "daß man die Öffentlichkeit mit jedem Nonsens düpieren kann, wenn man es nur richtig macht". Er ließ einen Lehrer aus Herne in Westfalen im Rebellen-Look mit Baskenmütze, Nickeibrille und schwarzgefärbtem Schnurrbart als Remedios photographieren, erfand eine revolutionäre Vita für den Ausstellungsprospekt und hängte schließlich irreführende Etiketten an seine Objekte: "Verkauft an Siegfried Lenz".
Kunstkritiker und Publikum fielen auf den Schwindel herein. Zwar schimpften einige Besucher -- wie bei moderner Kunst üblich: "Die wollen uns wohl verarschen." Die meisten Betrachter jedoch nahmen die Baum-Kunstwerke, in denen sich "leicht Anzeichen der indianischen Kunst entdecken lassen" ("Ruhr-Nachrichten"), ganz ernst.
Remedios sei "ein Künstler", schrieb die "Buersche Zeitung", "der sich zum Sprecher der Armen und Getretenen macht". "Das (sehr sparsam eingesetzte) Rot seiner Baum-Objekte", spekulierte die "Westdeutsche Allgemeine", drücke "ein Prinzip Hoffnung" aus. Die "Gelsenkirchener Blätter" bescheinigten den ausgestellten "Riesenamuletten aus kleinen Aststücken" sogar, daß sie "an die Adresse einer verständnislosen, hartherzigen Weit voller Arroganz und falschverstandenem Machtstreben gerichtet sind".
Schüler einer Gelsenkirchener Hauptschule, von Radio Bremen in der Ausstellung interviewt, fanden es "erstaunlich, wie wenig aufwendig der Künstler arbeitet", und lobten die Verbindung von Kunst und Politik. "Die politische Aussage", so der Direktor der Stadtbücherei vor der Kamera, "kann man nicht an abstrakten Dingen aufweisen. Das ging nur an einem ursprünglich lebendigen Objekt sichtbar zu machen."
Diese ernstgemeinten Kommentare von Gelsenkirchener Bürgern wollten die Stadtväter ("Das ist blamabel") nicht auch noch im Fernsehen hören. Eine Woche vor der Sendung rückte Kulturdezernent Meya mit seinem Rechtsbeistand bei Radio Bremen an, um den Film zu besichtigen -- das wurde abgelehnt.
Als ihm der Redakteur Alfred Mensak jedoch eine anschließende Studiodiskussion anbot, stimmte der Beamte der Sendung zu. Denn es war, sagt Mensak, "ja nicht unsere Absicht, Gelsenkirchen zu diffamieren, sondern lediglich zu zeigen, wie unsicher unser Urteil in Kunstdingen geworden ist".
"Das alles wäre", so trösteten sich die Herren letzten Freitag im Bremer Dritten Programm, "sicher auch woanders passiert."
* Mit Stadtrat Eberhard Weiss, Kulturdezernent Heinrich Meya und Hugo-Ernst Käufer ("Kunstsammlung" Gelsenkirchen).