PRESSE Ich lege dir meine Liebe zu Füßen
In der amtlichen italienischen Ausfuhrstatistik wurde eine besondere Spalte für die "Fotoromane" eingerichtet. Denn seit einigen Monaten verlangen alle Auslandsitaliener diese seltsamen fotografierten Romane tonnenweise. Bald sollen sie auch in fremden Sprachen erscheinen. Ihre Auflage steigt so rasch wie ihr Niveau sinkt. Erstaunlicherweise scheint in beiden Richtungen die Grenze noch nicht erreicht.
Der Serienerfolg der Fotoromane begann gleich nach der Eroberung Italiens durch die Anglo-Amerikaner mit einem Siegeszug der "Comic Strips" durch die italienische Presse. Zunächst waren es wirklich nur "strips", Streifen karikierender Zeichnungen, die eine nicht immer unlustige Handlung zum Inhalt haben. Für fast alle USA-Zeitungen sind diese "Comic Strips" wichtiger und gewinnbringender als sämtliche Leitartikel und politischen Nachrichten.
Heute sind sie in Italien zu mehreren Dutzend schreiend bunter Kinder- und Jugendzeitschriften ausgewachsen, die von allen jungen Italienern verschlungen werden. Nur wenige Verleger versuchen, den Bildergeschichten eine erzieherische Note zu geben. Aber Eltern und Lehrer drücken ohnehin die Augen verständnisvoll zu.
Denn auch den Erwachsenen wurde die Errungenschaft der Comic Strips bald zugänglich gemacht. Nicht in kilometerlangen, über viele Jahre laufenden Kinder-Abenteuern und Witz-Geschichten wie in Amerika, sondern zunächst durch Bearbeitung großer und kleiner Werke der Weltliteratur. Von Victor Hugos "Misérables" bis zu Manzonis "Verlobten" blieb nichts verschont. Zum Entsetzen nur weniger geht seit Monaten auch Dantes "Göttliche Komödie" durch den Wolf der Comic-Strip-Produzenten. Bald wird sie sich jede Straßenbahn und jede Hintertreppe erobern.
Die zeichnerischen "Werke" wurden zunächst in den Tageszeitungen veröffentlicht, dann in eigens dafür gegründeten Zeitschriften. Mit deren Riesenauflagen entschädigten sich heute alle großen Verlage für ihre Verluste im Buchgeschäft. In Wölkchenform werden den Romanhelden die Worte vor den Mund gezeichnet. Mit den "romanzi a fumetti", den Wölkchenromanen, erhält sich das italienische Verlagswesen am Leben.
Heute gibt es mehr als ein Dutzend solcher "Fumetti"-Hefte in Italien. Allein die drei größten von ihnen, "Grand Hotel", "Mio Sogno" (Mein Traum) und "Lunapark", haben zusammen eine Auflage von über einer Million Exemplaren in der Woche. Und das in einem Land, in dem es die größte Tageszeitung, der Mailänder "Corriere della Sera", auf kaum 200000 Exemplare bringt.
Fast alle erreichbaren Romane sind inzwischen schon in Wölkchen aufgegangen. So werden die "Fumetti"-Romane nun eigens geschrieben und gezeichnet. Vor allem Stoffe jüngsten Datums müssen dran glauben.
Lana Turner sagt beispielsweise im Wölkchen zu Tyrone Power, der sich von ihr trennen will, um die Schauspielerin Linda Christian zu heiraten: "Du hast recht, Ty, wir wurden nicht dafür geschaffen, um miteinander zu leben". Ty: "Ich danke Dir, ich werde Dich immer in guter Erinnerung behalten". Mit den Worten "Nun ist nur noch das Hochzeitsdatum festzusetzen" schließt Tyrouc Power seine Linda Christian in die Arme.
Bei ähnlicher Gelegenheit sagt Rita Hayworth zu Ali Khan: "Ali, ich glaube, eine andere zu sein. Lassen Sie mich meine Unruhe und meine Leiden vergessen, damit ich wieder einen Sinn in meinem Leben finde ..." Ali: "Rita, ich lege Dir meine Liebe und meine unermeßlichen Reichtümer zu Füßen". Jeden Backfisch und jeden Ladenstift rühren die Wölkchen zu Tränen.
Das richtige Schmalz aber bekamen die Geschichten erst, als vor zwei Jahren der Romanschreiber Ezio d'Errico auf die Idee kam, die Zeichnungen durch Fotografien zu ersetzen. Das war die Geburtsstunde des neuesten italienischen Exportartikels "Fotoromane".
Für seine Produktion wurde eine eigene Industrie aufgebaut, mit Ateliers, Drehbuchschreibern, Architekten, Regisseuren und Schauspielern. Das Niveau konnte kaum noch weiter sinken. Mit einiger Anstrengung wurde auch das erreicht.
Heute gibt es abgelegene Dörfer in Süditalien, in die nie eine Tageszeitung kommt, wohl aber regelmäßig "Mein Traum" und "Lunapark". Wer nicht lesen kann, läßt sich die aufregend-rührseligen Bilder von Schriftkundigen erklären. Jede Redaktion hat schon junge Leute in Massen abweisen müssen, die telegraphisch, brieflich oder persönlich um eine "Rolle" im nächsten "Fotoroman" baten. Die Auswahl an wohlgeformten Mädchen und breitschultrigen Männern ist gewaltig. Und mehr wird kaum verlangt.
Im Durchschnitt besteht ein "Fotoroman" aus 500 Aufnahmen, für deren Herstellung etwa ein Monat benötigt wird. Der "Roman" erscheint dann in 20 bis 25 Fortsetzungen. In jedem Heft laufen mehrere Fotoromane. Damit das Publikum den roten Faden nicht verliert, kommen selten mehr als vier oder fünf Personen darin vor. Die "Stars" haben kaum mehr zu tun als sonst Filmkomparsen und werden auch nur wie Komparsen bezahlt.
Alle "Stars" und Staraspiranten erhoffen natürlich den Sprung zum Film. Nur zwei jungen Mädchen unter Hunderten ist er wirklich gelungen. Eine der beiden, Gina Lollobrigida, ist heute eine der bekanntesten und umworbensten Schauspielerinnen des italienischen Films.
Der junge Hauptdarsteller Ciro in dem Film "Unter römischer Sonne" dagegen mußte monatelang Fotoromane "drehen", ehe er jetzt endlich wieder eine neue Filmrolle erhielt. Zumindest als Leser wird auch er den "fotoromanzi" und den "fumetti" nicht untreu werden. Sonst wäre er kein richtiger Vertreter der italienischen Jugend.