FILM / KUBELKA Für die Alte Welt
Für den Wiener Cineasten Peter Kubelka, 36, ist der Kinobesuch "eine lebenslange Frustration" und ein "ununterbrochenes Leiden".
Die "Prestige-Architektur" moderner Filmpaläste mit ihren "arschgerechten Sesseln" ist ihm genauso zuwider wie die oft unscharf vorgeführten Bilder, der klirrende Ton und der "mit seinen Zuckerlpapierln raschelnde Vordermann".
Doch dieser ganze "Riesenblödsinn" (Kubelka) soll jetzt ein Ende haben -- zumindest für die Stadt New York, wo in der ehemaligen "John Jacob Astor Library" demnächst "das erste filmgerechte Kino der Welt" eröffnet wird. Erfinder dieses 100-Plätze-Hauses (Name: "Anthology Cinema"), das "die Konzentration völlig zur Leinwand lenkt": Peter Kubelka.
Er entwarf einen schwarzgetünchten Schaukasten, in dem die stark überhöhten Sitzreihen mit hölzernen Sichtblenden verkleidet sind und schallverstärkende "Scheuklappen" in Augenhöhe die Zuschauer voneinander trennen. Dennoch, sagt Kubelka, "kann ich natürlich meiner Nachbarin auf die Schenkel greifen".
In diesem "Idealkino", das von einer gemeinnützigen Stiftung für rund 400 000 Dollar eingerichtet wurde, hat Kubelka erstmals alle Raumeinflüsse ausschalten können, die im herkömmlichen Lichtspiel-"Theater" das Filmerlebnis stören: "Man sieht nichts außer der Leinwand, man hört nichts außer dem Ton, der aus dem Lautsprecher kommt" (Kubelka).
Kubelka, Mitbegründer des "Osterreichischen Filmmuseums", garantiert dem Publikum seines "unsichtbaren" Lichtspielhauses aber noch mehr: ein ganz neues Programm. Im Zwei-Monats-Rhythmus sollen regelmäßig die rund 200 "wesentlichen Werke der Filmgeschichte" laufen -- drei an jedem Tag.
Was wesentlich ist, das hat Kubelka zusammen mit dem Chef des "Anthology"-Kinos, Jonas Mekas, und drei weiteren Juroren in monatelangen Sitzungen "unter Nervenkrisen" ermittelt und schließlich durch demokratische Abstimmung entschieden. Einziges Auswahlkriterium: der Film als Kunstwerk.
Anders als bei Filmarchiven und Kinematheken üblich, wollen die New Yorker den Film seit den Brüdern Lumière zum erstenmal nicht als soziologisches oder geschichtliches Dokument präsentieren -- nur Original-Beiträge zu den "Grundlagen der Filmkunst" lassen sie zu.
Darum akzeptiert etwa Kubelka zwar die Werke der Avantgardisten Dreyer, Wertow, Dowschenko, Hans Richter und Eggeling, nicht aber die Kinostücke von Ingmar Bergman ("Ein schiecher, stinken der Stern am Filmhimmel"), den "Käse" von Antonioni oder den "abgedackelten Zweiter-Klasse-Quargel" eines Jean-Luc Godard.
Diese "Boulevard-Avantgarde", behauptet er, hat nichts mit "Grundlagenkunst" zu tun; Ihr soziales Engagement vergleicht er mit dem Werbefilm: "Ob ich jetzt werbe für die Gleichberechtigung aller Menschen", so Kubelka, "oder das Ende des Vietnamkrieges oder für den Verkauf von Bier oder Kopfwehpulver -- vom Film her gesehen ist es, abgesehen von den verschiedenen weltanschaulichen Richtungen, genau dasselbe."
Seinen puristischen, scheinbar arroganten und elitären Ansichten hat Kubelka mittlerweile in Amerika und fast allen europäischen Ländern Geltung verschafft -- durch seine eigenen Filme, die viele Kenner zu den besten zählen, die in den letzten Jahren entstanden sind.
Seine bislang fünf Filme, "vielleicht die ersten, die zu Recht und ohne Einschränkung Kunstwerke genannt werden dürfen" ("Neues Forum", Wien), sind insgesamt nur 38 Minuten lang. Dennoch hat der einstige "Wiener Sängerknabe", der nach dem Stimmbruch zunächst Chormusik studierte und dann in Rom zwei Jahre lang die Filmschule besuchte, zu ihrer Herstellung 14 Jahre gebraucht.
Ursache des Zeitaufwandes: Außer dem 1952 begonnenen, stilistisch uneinheitlichen Erstling "Mosaik im Vertrauen" sind alle Kubelka-Produktionen aus Einzelbildern (Kadern) zusammengefügt. Denn "Film", davon war der Einzelgänger, der "niemals Avantgardist sein" wollte, als erster überzeugt, "ist nicht Bewegung. Film ist die Projektion von Einzelaufnahmen in einem sehr schnellen Rhythmus".
Aufs Detail versessen wie keiner seiner Vorgänger seit 1895, als die ersten photographischen Bewegungsbilder vorgeführt wurden, zwang Kubelka darum in "Hunderten von Arbeitsstunden" dem vom Filmprojektor vorbestimmten Grundrhythmus -- 24 Kader pro Sekunde, 1440 pro Minute -- seine exakt programmierten Variationen auf. Er komponierte
* 2160 Einzelbilder von einem Tanzpaar zur strengen Bewegungs-Etüde "Adebar" (1951);
* 1440 Kader vom Bierzapfen und -trinken zu einer Minute Elementar-Kino, in dem etwa ein Fetzen Bierschaum die optische Kraft eines "Granateinschlags" (Kubelka) hat ("Schwechater", 1958);
* 180 Meter schwarzen und weißen Rohfilm nach einer exakten Zahlen-Partitur mit "absoluter Stille" und elektronisch erzeugtem Lärm ("White Noise") zum "metrischen" Film "Arnulf Rainer" (1960);
* drei Stunden Film- und 14 Stunden Tonmaterial, das er im Sudan während einer Touristen-Safari erbeutete, zu einem 16 Minuten langen Kontrast-Mosaik, in dem Bild, Sprache und Musik einander ständig widersprechen oder sich ironisch ergänzen ("Unsere Afrikareise", 1966).
Solche Film-Poeme, die der Amerikaner Mekas zu den "großen Augenblicken des Kinos" rechnet, bedeuten allemal eine Strapaze für das auf Kubelkas Momentaufnahmen nicht eingeübte Auge und haben den Autor daheim um seine "letzten Freunde gebracht".
Um neue zu gewinnen (und um leben zu können), führt Kubelka, der sich "sehr einsam" fühlt und "nichts sehnlicher" wünscht als "Kommunikation 24mal in jeder Sekunde", seine schwierigen Filme auf vielen Vortragsreisen -- etwa zu den US-Universitäten Harvard und Vale, nach Rom, Lissabon und Madrid -- stets mehrmals hintereinander vor.
Noch weiter freilich will der Filmkünstler seinem oft verständnislosen Publikum keineswegs entgegenkommen. Denn der sensible "Gebrauchsfilm" -Konsument Kubelka ("Wenn Im Film jemand beerdigt wird, muß ich immer weinen") kennt und verabscheut die fatalen Wirkungsmechanismen der Filmindustrie.
Die Forderung "Runter mit dem Niveau, damit's auch die blöden Arbeiter verstehen" hält er für "die größte Gemeinheit" der Kommerz-Filmer, So produziert er weiter auf hohem Niveau esoterisch -- und zumindest im Ausland wurde diese konsequente Haltung auch anerkannt.
Dänische Cineasten etwa widmeten dem Österreicher einen Fan-Club, und Kollegen aus dem New Yorker Underground entdeckten in Kubelka, der zwischendurch auch als Filmbibliothekar bei der Uno in New York gearbeitet hat, einen Vorläufer eigener Bestrebungen. Sie wählten ihn zum Ko-Direktor ihrer "Filmmakers' Cooperative" und offerierten ihm einen ständigen Arbeitsplatz in den USA. Doch der Gourmet Kubelka will aus Wien, wo er in seiner Speisekammer edle Weine keltert und im Backrohr zarte Kalbsbrüste zubereitet, nicht emigrieren. Denn "von hier", sagt er, "hab' ich meinen Drive".
Das ist aber auch alles. In Wien war nach kein Kubelka-Film in einem öffentlichen Kino zu sehen; in Wien ist auch Kubelkas zehn Jahre alte Idee des "unsichtbaren Kinos" trotz vorhandener Geldmittel "am emotionellen Einspruch subalterner Beamter der Burghauptmannschaft gescheitert". Wien bleibt halt Wien.
Aber selbst nach New York, wo Kubelkas Kino-"Kindertraum" nun endlich verwirklicht wird (Eröffnungs-Programm: "Die Reise durch das Unmögliche" von Georges Méliès), hat der Filmmacher die Partituren seines nächsten Wiener Filmprojekts im Koffer mitgenommen. Arbeitstitel: "Denkmal für die Alte Welt".