ÄMTERPATRONAGE Minen im Archiv
Der Kulanz eines CDU-Bürodieners verdankt die deutsche Öffentlichkeit den bislang aufschlußreichsten Einblick in die parteipolitische Ämterpatronage.
Der christdemokratische Büromensch eröffnete, kaum daß er im Herbst vorletzten Jahres seinen Dienst bei der Geschäftsstelle des CDU-Landesverbands Schleswig-Holstein in Kiels Muhliusstraße 47 angetreten hatte, einem von politischem Forscherdrang erfüllten Besucher den Zugang zum Kieler Geheimarchiv der Kanzlerpartei.
Jener Besucher, der heute 36jährige Dr. phil. Heinz Josef Varain, Spezialist für neuere Geschichte, war dem Parteibüro vom schleswig-holsteinischen CDU-Bundestagsabgeordneten Dr. Gerhard Stoltenberg angekündigt worden: Man möge ihm behilflich sein, denn Varain sammele in allen Kieler Parteikanzleien Material für seine Habilitationsschrift "Über die Entwicklung der politischen Parteien in Schleswig-Holstein nach 1945".
Der neu eingestellte Bürobote wies in Abwesenheit des Landesgeschäftsführers dem jungen Historiker willig den Weg ins Archiv. Ungehindert durfte Varain auch in vertraulichen Akten stöbern, die ein konsequent durchdachtes System für Parteibuch-Karrieren im schleswig-holsteinischen Staatsdienst enthüllten.
Aus den ihm zugänglich gemachten CDU-Geheimdossiers erfuhr Varain, daß Schleswig-Holsteins Ministerpräsident und CDU-Chef, Kai-Uwe von Hassel, bereits am 2. April 1955 von seinem Landesvorstand in aller Form beauftragt worden war, in der Staatsverwaltung des nördlichsten Bundeslandes für "eine im Sinne der CDU gesteuerte bessere Personalpolitik" zu sorgen.
Ein "Landesfachausschuß der CDU für Öffentliche Verwaltung", so förderte Varain ferner zutage, hatte dann ein gutes Jahr später schon genaue Richtlinien ausgetüftelt, wie diese für die CDU bessere Personalpolitik zu betreiben sei.
Der Ausschuß empfahl laut Protokoll vom 13. September 1956 als Rezept:
- Die CDU solle ihren Einfluß geltend machen, um "die Verwaltungen mit geeigneten Frauen und Männern ihrer politischen Überzeugung zu durchsetzen";
- die Landesregierung solle grundsätzlich "keine Stelle an einen der CDU nicht Nahestehenden ... vergeben, wenn für sie ein ihr Nahestehender, nach den Laufbahnrichtlinien geeigneter Bewerber vorhanden ist";
- kein "der CDU nur Nahestehender" solle berücksichtigt werden, wenn man einen "Parteifreund mit der Stelle betrauen kann".
Die Direktiven gipfelten in der Erkenntnis, diese "Verwaltungsangehörigen mit CDU-Gesinnung" seien "die einzigen, auf die wir auch dann noch rechnen können, wenn die politische Führung der Verwaltung einmal in andere Hände übergehen sollte".
Auf Geheiß der CDU-Oberen wurde beschlossen, bei der Kieler Staatskanzlei eine Stelle zur Koordinierung der Personalpolitik zu schaffen und sie so zu besetzen, "daß der notwendige Kontakt auch zur Partei gehalten werde".
Einen noch konkreteren Plan zur Auswahl CDU-frommer Staatsdiener erhielt schließlich am 16. Januar 1957 das Plazet des schleswig-holsteinischen Unions-Landesvorstands. Laut Protokoll kamen die christlichen Personalpolitiker überein, daß
- in jedem Ministerium ein CDU-Vertrauensmann bestellt und mit Materiallieferungen "über die Planstellensituation in dem einzelnen Haus" beauftragt wird,
- ein Dreier-Gremium der Partei mit Hilfe des CDU-Landesgeschäftsführers und Landtagsabgeordneten Harms Ulrich Pusch die einzelnen personellen Vorgänge zu beraten hat und
- die Beratungsergebnisse "an die zuständige Stelle" lanciert werden. Historiker Varain fand, mit dieser personalpolitischen Weichenstellung sei "die Loyalität des Beamten vom Staat fort auf die Partei gewendet" worden, und baute seine im CDU-Archiv gemachten Entdeckungen flugs in seine Habilitationsschrift ein.
Noch vor deren Drucklegung gab er, in den "Blättern für Erwachsenenbildung in Schleswig-Holstein", Kostproben der parteipolitischen Funde zum besten - gerade rechtzeitig, um damit den trägen Wahlkampf für die schleswig-holsteinischen Landtagswahlen am 23. September anzuheizen.
Die sozialdemokratische Opposition, die damals ihr Kieler Parteibüro dem Wissensdurst des Dr. Varain nicht so leichtfertig geöffnet hatte, schmiedete Varains CDU-Erfahrungen in SPDWahlkampfwaffen um.
Mit schweren Säbeln aus dem Arsenal des findigen Archivdoktors schlug SPDAbgeordneter Joachim Steffen - einst Varains Vorgänger als Assistent bei dem Kieler Lehrstuhlinhaber für politische Wissenschaften, Professor Dr. Michael Freund - im Kieler Landtag auf die CDU ein.
CDU-Innenminister Dr. Helmut Lemke suchte den Fall vor versammeltem Parlament zu bagatellisieren: Varain habe doch nur "interne, Überlegungen eines kleinen Parteigremiums... wiedergegeben, das die schleswig-holsteinische Landespolitik- weder bestimmt noch zu bestimmen hat".
Der Minister wußte nicht, daß Steffen noch Trümpfe parat hielt, die nicht in den "Blättern für Erwachsenenbildung" publik geworden waren.
Triumphierend präsentierte der SPDKämpe dem versammelten Hause ein weiteres Geheimdokument, das Protokoll der vertraulichen CDU-Vorstandssitzung vom 16. Januar 1957, und zitierte genüßlich: "Es wurde beschlossen, daß Herr Minister Dr. Lemke gemeinsam mit dem Landesgeschäftsführer geeignete Maßnahmen zu einer stärkeren Beachtung des Bemühens um eine sorgfältige Personalpflege ergreift."
Zu diesem Beschluß sei es gekommen, so erläuterte Steffen seinen Parlamentskollegen, nachdem laut Protokoll CDULemke dem Vorstand berichtet hatte, "daß eine Förderung des Anliegens Personalpolitik bereits in spürbarem Umfang eingesetzt" habe.
Schlußfolgerte der Tübinger Polit-Professor Theodor Eschenburg in der "Zeit": "Der Ministerpräsident und die CDU können sich nur dann glaubhaft von dem Patronageprojekt distanzieren, wenn sie sich von diesem Minister (Lemke) schleunigst trennen."
Denn es lasse sich nicht wegdiskutieren, daß Lemke, obschon Verfassungsminister und als solcher zum Schutz der Verfassungsgrundsätze besonders verpflichtet, "bei diesem verfassungs- und gesetzwidrigen Vorhaben" - der Aufstellung eines detaillierten Planes "zur systematischen Unterminierung des gesetzlich festgelegten Einstellungs- und Beförderungswesens" für Staatsbeamte
- "einer der Hauptakteure war".
Kieler Parteienforscher Varain
Folgen für den Wahlkampf
CDU-Minister Lemke
"Sorgfältige Personalpflege"