„VÖLLIG SINNLOSES ÄRGERNIS“
Ich meine, Bundeskanzler Willy Brandt gebührt Anerkennung für seine Bemühungen in den beiden letzten Jahren, das Unbehagen und den Argwohn über das Oder-Neiße-Problem zu beschwichtigen ...
Die westlichen Verbündeten und die Bundesrepublik Deutschland vertreten formell den Standpunkt, daß bis zum Abschluß eines Friedensvertrages, der den Zweiten Weltkrieg beendet, die Oder-Neiße-Grenze als endgültige Grenze zwischen Polen und Deutschland rechtlich nicht anerkannt werden kann.
Aber nach 25 Jahren herrscht allgemeine Einmütigkeit darüber, daß die Räder der Geschichte nicht zurückgedreht
werden können. In Deutschland sowie in Großbritannien, Frankreich und den Vereinigten Staaten besteht ebenfalls eine zunehmende Tendenz, die Endgültigkeit der Oder-Neiße-Grenze anzuerkennen, um dieses völlig sinnlose Ärgernis in den Beziehungen zwischen Ost und West zu beseitigen.
Bis vor kurzem wäre es für jeden deutschen Politiker, selbst den kühnsten, äußerst schwierig gewesen, eine Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als permanente Grenze zwischen Deutschland und Polen zu befürworten. Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg war noch zu frisch und der politische Druck der Millionen Deutschen, die aus den Ostgebieten vertrieben wurden, zu groß,
Aber alle diese Vertriebenen sind inzwischen von der westdeutschen Wirtschaft praktisch absorbiert worden, und es ist höchst fraglich, ob viele von ihnen jetzt in die Ostgebiete zurückkehren möchten, selbst wenn das politisch möglich würde. Der innere Druck in Deutschland gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze ist daher von Jahr zu .Jahr geringer geworden.
Daß die öffentliche Meinung in Deutschland heute bereit wäre. die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze zu akzeptieren, zeigt sich ferner darin, daß die katholischen und protestantischen Bischöfe Deutschlands in getrennten Erklärungen auf die Anerkennung der gegenwärtigen polnischen Grenze im Interesse des Friedens gedrungen haben.
Dennoch war es eine sehr mutige Tat von Willy Brandt, dem damaligen Außenminister der Bundesrepublik
Deutschland, als er für die April-Ausgabe von "Foreign Affairs" schrieb:
"Die Grenzziehung sollte der Errichtung einer friedlichen Ordnung in Europa nicht im Wege stehen. Wenn die Kräfte in Europa stark genug sind, ein Sicherheitssystem und letzten Endes eine stabile und gerechte Ordnung zu schaffen, werden sie durch Grenzfragen der Vergangenheit nicht aufgehalten werden. Vielleicht können die Erklärungen, die wir zur Frage der Wiedervereinigung dieser Kräfte abgegeben haben, so formuliert und gesichert werden, daß die gegenwärtigen Grenzen Polens für die Dauer anerkannt werden können, für die die Bundesrepublik sich festlegen kann, das heißt, bis zu einer friedlichen Regelung ..."