BUNDESWEHRSPITZE ZMilDBw
Bonns Wehrminister Helmut Schmidt pflegt deutsche Militärtradition. Schon der General Dr. Hans Speidel definierte vor 15 Jahren das althergebrachte Übel mit einem Satz: "Es hat noch nie eine ideale Spitzenorganisation der Armee gegeben, und wir werden auch in Zukunft keine haben"
Seit anderthalb Jahrzehnten tüfteln die Organisatoren im Verteidigungsressort an einer Spitzengliederung der Bundeswehr, die gleichermaßen den Bedürfnissen des Militärs und den Erfordernissen der Demokratie entspricht.
Schmidt versprach schon vor seinem Amtsantritt, diese Aufgabe so gut wie vollkommen zu lösen: "Dies ist der einzige Punkt. den ich noch vor Abschluß meiner Bestandsaufnahme regeln werde.
Drei Monate lang ließ der neue Hardthöhen-Herr Verfassungsrechtler, Militärjuristen, Organisatoren sowie ausgediente und aktive Generale hinter verschlossenen Türen knobeln. Das Resultat, von Schmidt am letzten Montag verkündet, ist nach Ministermeinung "keine Patentlösung, nur ein erster Schritt", nach Ansicht eines Ministergehilfen "ein winziger Schritt, viel weniger, als Schmidt eigentlich wollte, aber mehr, als die Organisationsleute für möglich hielten.
Das Mäuslein. dem kreißenden Hardtberg entsprungen: Die Inspekteure von Heer, Luftwaffe und Marine. bislang nur hohe Ministerialbeamte ohne eigene Befehlsgewalt, sind künftig Vorgesetzte ihrer Soldaten. Grund: Der Minister will Generale. die "für ihren Laden verantwortlich" sind und die er deshalb auch für Mißstände zur Verantwortung ziehen kann.
Dem Selbstgefühl der Generale Albert Schnez und Johannes Steinhoff sowie des Admirals Gert Jeschonnek half Oberbefehlshaber Schmidt auf, indem er ihnen neue Briefköpfe gewährte: nicht mehr "Der Bundesminister der Verteidigung", sondern "Bundesministerium der Verteidigung
Inspekteur des Heeres" ("der Luftwaffe", "der Marine"). Und vor ihrer Unterschrift braucht nicht mehr "Im Auftrag" (des Ministers) zu stehen.
Überdies dürfen die Inspekteure nun endlich Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften aus eigener Machtvollkommenheit einsperren oder "besondere Leistungen" durch "förmliche Anerkennung" würdigen. Und damit sie diese neue Disziplinargewalt sachgemäß handhaben, teilte Schmidt jedem Inspekteur einen Rechtsberater zu.
Dem Bundeswehr-Generalinspekteur Ulrich de Maizière bleiben solche Rechte versagt. Zwar ist er nach Schmidts Organisationserlaß weiterhin "militärischer Berater des Ministers und der Bundesregierung", zugleich "höchster militärischer Repräsentant der Bundeswehr als ranghöchster Soldat". Als quasi-ziviler Hauptabteilungsleiter im Ministerium darf er auch den Inspekteuren der Teilstreitkräfte -- in ihrer Eigenschaft als Abteilungschefs -- Anweisungen geben, als Generalinspekteur die Truppe besichtigen. Beides aber geht nur "im Auftrag des Ministers". Militärische Befehlsgewalt im alltäglichen Dienst von Stäben und Verbänden übt Maizière nicht aus.
Damit ist die Stellung des obersten deutschen Soldaten gegenüber den auf Autonomie erpichten Chefs von Heer, Luftwaffe und Marine künftig ebenso schwach wie einst die des Reichskriegsministers Werner von Blomberg. der trotz des Titels "Oberbefehlshaber der Wehrmacht" nicht gegen die selbstherrlichen Partikularfürsten der Wehrmachtteile (Fritsch, Göring, Raeder) ankam.
Die Konkurrenz zwischen Wehrmachtspitze (OKW) und Heeresführung (OKH) nahm damals groteske Formen an. Das OKH verbot seinen Generalstäblern den dienstlichen Verkehr mit Kameraden vom OKW. Heeres-Generalstabschef Ludwig Beck verfügte, für das OKW seien zwar "gute und zuverlässige Arbeiter, aber keine überragenden, zur Selbständigkeit neigenden Köpfe" auszuwählen.
Die wehrmachteinheitliche Spitzengliederung mit einem Generalstab für die Führung aller Streitkräfte -- Kennwort: "OKW-Lösung" -- scheiterte endgültig an der Machtfülle des Luftwaffen-Oberbefehlshabers Hermann Göring im NS-Staat.
Die Oberkommandos von Luftwaffe und Marine blieben bis 1945 autonom -- bis auf die Eingriffe Adolf Hitlers. Der Heeres-Generalstab hingegen mußte die Landkriegsführung im Norden, Westen und Süden Europas an den Wehrmacht-Führungsstab abtreten. Das Heer war nur noch für Rußland zuständig. OKH und OKW zankten sich bis Kriegsende um Divisionen, Panzer und Treibstoff.
Zehn Jahre später war bei den Urplanern der Bundeswehr im Amt Blank die Erinnerung an jenes lähmende Gerangel noch frisch. Nach dem Modell der -- gescheiterten -- OKW-Lösung strebten die führenden Köpfe (Speidel, Heusinger, Kielmansegg, Baudissin, Maizière) die Bundeswehr-Lösung an: Ein oberster Führungsstab sollte Heer, Luftwaffe und Marine regieren, denen Reform-Graf Baudissin sogar einheitliches Tuch zugedacht hatte.
Auch die Sozialdemokraten plädierten damals für die "reine Wehrmachtlösung": alle drei Teilstreitkräfte unter einem Generalstabschef, neben dem gleichrangig je ein Chef für Rüstung, Verwaltung und Personal fungieren sollte.
Politische Behutsamkeit ließ es dann freilich geraten sein, das Verteidigungsministerium doch lieber nach den Regeln der "Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien" zu organisieren, genauso wie etwa das Finanz- oder das Wirtschaftsressort. Die Stäbe von Heer, Luftwaffe und Marine rangierten als Ministerialabteilungen auf einer Ebene gleichberechtigt neben der koordinierenden Abteilung "Streitkräfte". Außer dem Minister konnte niemand niemandem etwas befehlen.
Zum Mißtrauen der Politiker gegen eine militärische Führungsmannschaft mit Generalstabs-Attitüde trat dann der Eigensinn des ersten Luftwaffenchefs Josef Kammhuber, der keinen militärischen Vorgesetzten über sich dulden mochte. Selbst die bundeswehreinheitliche Führungsakademie in Hamburg war nur gegen zähen Widerstand der Flieger durchzusetzen.
Der jetzige Luftwaffen-Inspekteur Johannes Steinhoff zeigt seine Abneigung gegen die Hamburger "Strategen-Ausbildung" noch offener als ehedem Strauß-Protegö Kammhuber. Steinhoffs Plan, das Training der Luftwaffenstäbler in eigener Regie mit Schwerpunkt Technik zu straffen, scheiterte am Veto Maizières, der noch ein zweites, viel einschneidenderes Steinhoff-Projekt stoppte: ein Luftwaffen-Oberkommando außerhalb des Ministeriums unter Führung des Inspekteurs, der zugleich, um den direkten Zugang zum Minister offenzuhalten. auch Leiter einer Rumpfabteilung auf der Hardthöhe bleiben wollte.
Während sich Heeres-Schnez und Marine-Jeschonnek zumindest in der Öffentlichkeit zurückhielten, verfochten Maizière und Steinhoff ihre Maximalforderungen -- hie Bundeswehr-Lösung. hie Inspekteurs-Allmacht -- so hartnäckig, daß keiner der beiden mit Schmidts Entscheidung vom letzten Montag sonderlich zufrieden sein kann.
Dem Generalinspekteur obliegt nun vor allem.
-- die Verteidigungskonzeption -- soweit nicht Sache der Nato -- zu entwerfen und, nach Plazet des Ministers, zu verwirklichen,
die Lage der Bundeswehr im Vergleich mit dem potentiellen Gegner zu beurteilen und die Planung der Streitkräfte daran zu orientieren. die Grundsätze für Innere Führung, Erziehung, Bildung und Ausbildung festzulegen.
Um diese Aufgaben zu erfüllen, bedient sich Maizière seines Führungsstabes und der "Zentralen Militärischen Dienststellen der Bundeswehr (ZMiIDBw)". Auch über sie hat er freilich keine Befehlsgewalt ("Ich habe selber darauf verzichtet").
Die frisch gebackenen Disziplinarherren über Heer, Luftwaffe und Marine dagegen befehligen, nur noch dem Minister unterstellt und unabhängig vom Generalinspekteur, ihre Teilstreitkräfte. Insoweit sind sie allein verantwortlich für Einsatzbereitschaft, Waffen und Ausbildung der Truppe.
Angesichts des schmalen Machtgewinns der Inspekteure, der an diesem Montag wirksam wird, konnte Schmidt Anfang vergangener Woche vorschnelle Pressekommentare, die von einem Sieg der Teilstreitkräfte über Maizière sprachen, mit gutem Grund zurückweisen·. "Eine törichte, an Prestigegesichtspunkten orientierte Betrachtungsweise."