BUNDESLÄNDER / EINDEICHUNG Knall im Koog
Durch "Grollmaßnahmen" an der Küste, so versprach Christdemokrat Dr. Helmut Lemke, 62, Landesvater zwischen zwei Randmeeren, unlängst den Schleswig-Holsteinern, solle "Volksgut" geschaffen werden -- und zwar "von allen für alle.
Mittlerweile nähert sich eine der Großmaßnahmen, die Eindeichung der Meldorfer Bucht vor der Küste Dithmarschens. der Vollendung. Doch wird der so entstehende Koog kein Volksgut werden; die Schleswig-Holsteiner haben schwerlich etwas davon.
Denn noch bevor die letzten Deichlücken geschlossen wurden, verkaufte Ministerpräsident Lemke die 1500 Hektar Nordsee-Watt für 30 Millionen Mark an die Bundeswehr. Und die will das Neuland als Erprobungsgelände für "Flugkörper, Lenk- und Rohrwaffen, Flächenfeuerwaffen, Artillerieraketen, Aufklärungsdrohnen und Flugzeug-Bordwaffen" nutzen.
Anlaß für Lemkes Neuland-Geschäft war ein 30-Millionen-Defizit bei der Finanzierung der Eindeichung der Meldorfer Bucht gewesen. Das Projekt kostet insgesamt rund 90 Millionen Mark und ist Bestandteil eines 1963 verkündeten "Generalplanes für den Küstenschutz" -- eines mit Bundes- und Landesmitteln finanzierten Deich- und Sperrwerk-Bauprogramms, das Schleswig-Holsteins Westküste sturmflutsicher machen soll.
Als die Eindeichung der Meldorfer Bucht zu scheitern drohte, sah sich die Regierung in Kiel nach potenten Finanziers um. Die Bundeswehr -- seit langem um ein eigenes Gelände für "die zahlreichen Entwicklungs- und Abnahmeerprobungen" der "Flugkörper- und Raketensysteme" (Bundesverteidigungsministerium) verlegen -- war bereit, als Teilhaber bei Lemke einzusteigen.
Zwar erhoben Westküstenbewohner Bedenken gegen die Bundeswehr-Ansiedlung im Watt und sorgten sich -- so der aus Dithmarschen gebürtige SPD-Landtagsabgeordnete Hermann Schwieger -, daß,, dauernder Knall aus dem Koog" den Fremdenverkehr im benachbarten Nordseebad Büsum (Entfernung vom künftigen Schießplatz: 15 Kilometer) und in einem im Bau befindlichen Ferienzentrum in Friedrichskoog <fünf Kilometer Entfernung) beeinträchtigen werde. Auch bat der SPD-Ortsverein Büsum bereits im November 1968 die Bonner Genossen, gegen "die Einrichtung eines Erprobungsplatzes des Amtes für Wehrtechnik" in der Meldorfer Bucht zu wirken.
Doch solche Einwände fruchteten weder in Bonn noch in Kiel. Vielmehr berichtete der damalige Ministerialdirektor im Bonner Finanzministerium, Hans-Clausen Korff, dem Haushaltsausschuß des Bundestages (der den Koog-Kauf Anfang letzten Jahres zu bewilligen hatte). Schießproben am Strand der Meldorfer Bucht hätten "zu keinen Beanstandungen -- z. B. hinsichtlich des Lärms -- in den benachbarten Gemeinden geführt".
Und im Kieler Landtag -- der im Juni 1969 über einen "Dringlichkeitsantrag des Finanzministers betr. Zustimmung zur Veräußerung" des Kooges an die Bundeswehr zu befinden hatte -- hieß sogar fast die gesamte SPD-Opposition Lemkes Geschäft mit der Bundeswehr gut; lediglich der Dithmarscher und Koog-Anwohner Schwieger stimmte dagegen.
Überzeugt hatte Lemkes Finanzminister Hans-Hellmuth Qualen die Parlamentarier nicht zuletzt, durch den Hinweis, daß die Bundeswehr dem finanzschwachen Schleswig-Holstein nicht nur einmalige 30 Millionen, sondern auch auf Dauer Geld bringen würde: Durch den Koog-Kauf werde "der Bundesminister der Verteidigung ... Mitglied des Deich- und Hauptsielverbandes Süderdithmarschen" und mithin "Verbandsbeiträge" zahlen.
Nichts erfuhren zumindest die SPD-Parlamentarier dagegen von einer Vereinbarung zwischen der Landesregierung und den Koog-Käufern' nach der das Schießgelände in der Meldorfer Bucht die Schleswig-Holsteiner auf Dauer vermutlich mehr Geld kosten wird, als es ihnen einbringt.
"Sollten in Zukunft Ansprüche erhoben werden", so sicherten sich die Schießplatz-Käufer gegenüber Entschädigungsforderungen künftiger Schießplatz-Geschädigter ab, "etwa auf den Gebieten des Fremdenverkehrs oder des Badebetriebes, wird deren Regelung vom Land Schleswig-Holstein übernommen."
Regreßpflichtig ist das Land auch dann, wenn Schiffer und Fischer der Westküste durch den Schießbetrieb im Koog Schaden erleiden. Auszuschließen ist diese Möglichkeit nicht: Die künftige Raketenschießbahn reicht aus der Meldorfer Bucht -- über die Fischgründe vor der Küste und den Schiffahrtsweg Büsum-Helgoland hinweg -- 40 Kilometer aufs Meer hinaus.
Der schleswig-holsteinische Oppositionsführer Jochen Steffen, der von solchen Klauseln auch erst letzten Monat hörte, hält Landesvater Lemkes Koog-Handel denn auch im nachhinein für "sittenwidrig" und eine "Täuschung": "Da hat der Alte wieder einmal unter Wasser geschossen -- wenn der schon lange nicht mehr regiert, werden wir noch bezahlen."