SCHULEN / HASCHISCH Kleineres Übel
Wenn Ihr Hasch wollt, bringt morgen Geld mit", bot Untertertianer Karl Meistere fünf Klassengefährtinnen an, denn: "Ich kann jede Menge besorgen."
Doch statt eines Krümels Lust-Kraut lieferte der 13jährige Stoff für ein Gerangel zwischen SPD und CDU im nördlichsten Bundesland Schleswig-Holstein. Streitpunkt: Polizei-Verhöre in der Schule.
Denn schon am Tage nach der Meister-Offerte, Anfang vergangenen Monats, erschienen Kriminalbeamte in der Meister-Schule, dem Johann-Rist-Gymnasium im holsteinischen Wedel bei Hamburg.
Der Schuljunge Meister war jedoch nicht geneigt, seine Haschisch-Quellen preiszugeben, obgleich die Kripo-Leute alle Register zogen, mit denen sie gemeinhin schwere Jungen "zum Singen" (Kripo-Jargon) veranlassen: Großzügig versprachen sie bei Wohlverhalten Straffreiheit ("Wenn du alles sagst, passiert dir gar nichts"); sie klappten die Trickkiste auf (Meister sollte niemanden verraten, sondern nur nicken, wenn ihm Namen von Verdächtigen vorgelesen würden, die er kenne); und sie dienten ihm eine V-Mann-Rolle an ("Wir sind in der Nähe, und wenn du ihn getroffen hast, nehmen wir euch beide fest. Dich natürlich nur zum Schein").
Inzwischen beschäftigt der Polizei-Einsatz im Gymnasium nicht nur die Ratsherren des aufstrebenden Hamburger Schlaf-Vororts Wedel, sondern auch Schleswig-Holsteins Landes-Parlamentarier. Grund: Der Schulleiter, Oberstudiendirektor Winfried Donnhauser, hatte sogleich Amtshilfe geleistet, als die Kriminalen "Gefahr im Verzuge" meldeten. Ohne daß vorher die Eltern der Betroffenen informiert worden waren, hatte Donnhauser-Vize, Studiendirektor Hans-Jörgen Carstensen, den Tertianer Meister und seine fünf Mitschülerinnen aus dem Unterricht zur Einzel-Vernehmung geführt.
Drei Tage nach der Hasch-Hatz berichtete der Wedeler Ratsherr und SPD-Ortsvorsitzende Helmut Plüschau, 35, dem Magistrat, "in repressiver Weise" sei versucht worden, die Kinder "zu bestimmten Aussagen" zu verleiten, ohne sie über "das Recht auf Aussageverweigerung" zu belehren.
Der Ratsherr forderte eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Schulleitung, weil sie "gesetzwidrig gehandelt und das Bürgerrecht in gröblicher Weise" verletzt habe.
"Aus Gründen der Fürsorgepflicht" für den polizeifrommen Wedeler Lehrkörper konterte das Kieler CDU-Kultusministerium mit einer Strafanzeige gegen den Wedeler SPD-Ratsherrn: Er habe die Pädagogen beleidigt.
Der CDU-Landtagsabgeordnete Dr. Gottfried Wolff, ein in der Nachbarschaft Wedels ansässiger Tierarzt, enthüllte jedoch die tieferen Ursachen der Eskalation vom Lokal-Streit zur Staats-Aktion: "Auch aus anderen Gründen ist das mehr als ein örtliches Problem."
Mit "anderen Gründen" mag Wolff die Lehre gemeint haben, die Schleswig-Holsteins regierende Christdemokraten aus der letzten Bundestagswahl gezogen haben: Schul-Affären bringen der SPD stets Wählerstimmen ein -- so in Husum (7,4 Prozent mehr Stimmen) und Itzehoe (5,8 Prozent mehr Stimmen). Sogar im stockkonservativen Norderdithmarschen verhalf Gymnasial-Unruhe der SPD in der Kreisstadt Heide zu einem Aufschwung von 35 auf 39,1 Prozent.
Mithin befürchten die Christdemokraten im nördlichsten Bundesland, daß bei den bevorstehenden Kommunalwahlen Im April die um mehr Ratssitze kämpfenden Sozialdemokra-
* Der Name wurde von der Redaktion geändert.
ten das "Ausmaß der Schulskandale" (Jungsozialisten) als willkommene "Wahlmunition" ("Zeit") verfeuern.
Doch diesmal wird zurückgeschossen: So ließ der schleswig-holsteinische CDU-Innenminister (und Polizei-Chef) Dr. Hartwig Schlegelberger dem in Wedel wohnenden Hamburger Oberkommissar Jürgen Brockmann durch einen Emissär ausrichten, er habe "die schleswig-holsteinische Polizei herabgesetzt": Brockmann, SPD-Mann und Bundesvorsitzender der Polizeigewerkschaft, hatte in einem Fernseh-Interview erklärt, den sechs Wedeler Schülern gegenüber seien "die elementaren Rechte verletzt worden, die man jedem Schwerverbrecher ... nach dem Gesetz zugestehen muß".
Aber das Vertrauen der Wedeler SPD in die Brisanz ihrer Wahlkampfmunition ist begrenzt. Noch immer glaubt dort ein rechter Parteiflügel "über ein bürgerliches Image Stimmen sammeln zu können" (Brockmann). Die Profil-Neurotiker brachten daher gegen den Genossen Brockmann ein Partei-Ordnungsverfahren in Gang -- ohne auf SPD-Landesgeschäftsführer Gerhard Strack zu hören, der sie angefleht hatte, sie sollten der Landtagsfraktion nicht in den Rücken fallen:
Drei SPD-Abgeordnete hatten bereits am 4. März die Anfrage im Kieler Landtag eingebracht, "zu welchen Feststellungen und Bewertungen" die Landesregierung inzwischen in der Gymnasial-Affäre gelangt sei.
Bisher ist den drei Fragestellern noch keine Antwort erteilt worden. Lediglich Kleis Kultus-Staatssekretär Reinhold ("Borzi") Borzikowsky erklärte dem SPIEGEL vorab: Die vom Ratsherrn Plüschau erhobenen Vorwürfe seien "unzutreffend oder übertrieben". Das "größere Übel" -- die auf das meerumschlungene Land anrollende Haschisch-Welle -- müsse "im Keim erstickt" werden.
Borzikowsky will für diesen guten Zweck sogar "auch einmal ein kleineres Übel" hinnehmen: Polizei im Gymnasium.