ARBEITSMARKT /RAUMPFLEGERINNEN Gefährlicher Dreck
Im Musiksaal des Hamburger Gewerkschaftshauses wetterten zungenfertige Putzfrauen über den "zunehmenden Dreck, gerade von Kindern der oberen Zehntausend". Rund 1500 Kolleginnen, die auf dem ersten Protest-Happening deutscher Raumpflegerinnen das Mikrophon umlagerten, spendeten ihnen stürmischen Beifall.
Grund für die Klassenkampfstimmung der beim Hamburger Stadtstaat beschäftigten Besenbrigaden war die bevorstehende Fünf-Tage-Woche an Hamburger Schulen. Durch den arbeitsfreien Samstag drohten den Frauen empfindliche Lohneinbußen. Eine Putzfrau mit einem Kind und achtjähriger Dienstzeit zum Beispiel hätte monatlich 117 Mark verloren. Bisher brachte sie es bei 35 Arbeitsstunden pro Woche auf einen monatlichen Bruttoverdienst von 800 Mark,
Schlimmeres stand in Hamburg jenen Raumpflegerinnen bevor, die durch die Fünf-Tage-Woche auf eine Arbeitszeit von weniger als 21,5 Putzstunden kamen. Neben empfindlichen Lohnkürzungen hätten sie auch ihren Anspruch auf Altersruhegeld-Beiträge verloren,
Um ihren sozialen Besitzstand zu wahren, mobilisierten die Raumpflegerinnen die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV). Prompt ließ der für Putzfrauen-Fragen zuständige Gewerkschaftssekretär Herbert Bienk seine "sehr geehrten Damen und werten Kolleginnen" in einem eiligen Rundschreiben zu einer Großversammlung im Gewerkschaftshaus am Besenbinderhof laden.
Mit dem Aufmarsch der streitbaren Raumpflegerinnen konnte die ÖTV endlich einmal proletarische Macht demonstrieren. Der seit Jahren schwelende Unmut der Putzfrauen kam den Funktionären dabei gerade recht, denn bisher vermochte die Gewerkschaft für ihre in der sozialen Wertung an unterster Stelle rangierenden Mitglieder (ein Drittel der Putzfrauen ist gewerkschaftlich organisiert> wenig zu tun,
Die ÖTV-Funktionäre konnten zwar den Stundenlohn im Laufe der Zeit auf 4,28 Mark hochdrücken, gegen die von hanseatischen Bürokraten erlassenen Arbeitsformen waren sie jedoch machtlos. So verlangt der staatliche Arbeitgeber in Altbauten eine "Stundenleistung" von 165 Quadratmeter Reinigungsfläche. In Schulen, die nach dem 31. 3. 1955 gebaut wurden, sind in der Stunde 120 Quadratmeter zu säubern, in Turn- und Treppenhallen verlangt die Normliste 180 Quadratmeter.
Als das Organisationsamt der Hansestadt im vergangenen Jahr verschiedene Normerhöhungen anordnete. legte Bienk "im Namen aller Raumpflegerinnen" schriftlichen Protest ein. "Die Unruhe unter unseren Kolleginnen', empörte sich der Gewerkschaftssekretär, "hat ein solches Maß erreicht, daß wir Sie bitten mussen ... Ihre Entscheidungen zu überprüfen und eine Zeitbemessung zu praktizieren, die der Forderung an die Sauberhaltung und die Zumutbarkeit für die Beschäftigten entspricht."
Die Verbitterung der Putzfrauen wuchs, weil die neuen Normen schwierige Arbeiten nicht genügend berücksichtigten. Für die besonders gehaßte Toilettenreinigung zum Beispiel hatte die Schulbehörde eine Stundenleistung festgesetzt, die nach der Formel Fußbodenfläche mal zwei durch 120 errechnet wurde. Bienk: "Mit dieser Berechnung wurde die gegenüber anderen Räumen anfallende Mehrarbeit keineswegs wettgemacht." Im Musiksaal des Hamburger Gewerkschaftshauses machten die Besendamen dem Senat eine weitere Rechnung auf. "Zum Dreck des Winters", so beklagte sich eine Sprecherin, "häufen sich in Deutschlands Schulen seit einiger Zeit die Aschen- und Kippenreste rauchender Schüler." Resümee einer überanstrengten Putzfrau: "Ich und meine Kolleginnen haben in den letzten Monaten über 15 Pfund abgenommen."
Hamburgs frustrierte Raumpflegerinnen gerieten so in Rage, daß sie von "denen da oben" ungeachtet der verkürzten Arbeitszeit den gleichen Lohn wie bisher verlangten.
Die Forderungen nach einer besseren Bezahlung erscheint den Gewerkschaftsfunktionären nicht unbillig. Denn das von Unternehmern propagierte Bild der verhätschelten und mit Spitzenlöhnen verwöhnten Putzfrau stimmt nicht. Nach Untersuchungen der Gewerkschaft brauchen rund 30 bis 45 Prozent der Raumpflegerinnen ihren Verdienst ausschließlich zur Ernährung ihrer Familien oder zum Erwerb einer Altersrente.
Der massive Protest ließ den Hamburger Senat befürchten, rund 3000 Hamburger Raumpflegerinnen könnten in die Privatwirtschaft abwandern. Schon im vergangenen Jahr hatten dem Staat ein Drittel der Putzfrauen gekündigt.
Einen Tag nach der Protestversammlung erklärte sich der Hamburger Senat bereit, mit der Hamburger ÖTV einen neuen Tarifvertrag für Putzfrauen abzuschließen. In den neuen Vereinbarungen soll die bisherige wöchentliche Arbeitszeit nach Einführung der Fünf-Tage-Woche möglichst beibehalten werden. Die Sozialleistungen und Rentenansprüche der Raumpflegerinnen will der Senat nicht antasten.
Kommentar einer Putzfrau: "Wenn die Herren das nicht unterschreiben, können ihre eigenen Frauen den Dreck wegmachen."