WAHLEN / NIEDERSACHSEN Ziemlich keß
Die niedersächsischen CDU-Abgeordneten begannen die Karwoche mit einem kräftigen Prost. Es galt ihrem Kollegen Heinz-Detleff Drape, der 50 wurde.
Die rechte Stimmung kam freilich erst auf, als zum Mittagessen endlich Maltheser mit Orangensaft serviert wurde, denn der Geburtstag war am Montag letzter Woche der einzige Anlaß, an dem die CDU-Parlamentarier ihre Freude hatten.
Am Abend zuvor hatten Niedersachsens Freidemokraten die schon sicher geglaubte Koalition mit der CDU abgelehnt und statt dessen wie zuvor schon die SPD -- für eine Neuwahl des Landtags plädiert. Damit schien der lang gehegte Traum der Christdemokraten, in Niedersachsen erstmals die Regierung anzuführen, wieder einmal zerronnen.
Gleichwohl bot sich endlich ein Weg aus der lähmenden Krise der Landespolitik: Seit Wochen regieren in Niedersachsen eine große Koalition, die es nicht mehr gibt, ein SPD-Ministerpräsident; den die CDU vergeblich zum Rücktritt aufforderte, und ein Kabinett, in dem vier CDU-Minister sitzen, um deren Entlassung ebenso vergeblich Ministerpräsident Dr. Georg Diederichs den Landtag ersuchte -- einen Landtag, der dann auch noch den SPD-Antrag abwies, sich unter solchen Umständen doch am besten selber aufzulösen.
Gegen die Auflösung und damit gegen Neuwahlen hatte, zusammen mit den Nationaldemokraten, die CDU gestimmt, die erst einmal die Chancen einer Regierungsneubildung ausschöpfen wollte. Sie begann Koalitionsverhandlungen mit der FDP, die ihrerseits, wie stets nach allen Seiten offen, Gespräche auch mit der SPD führte.
Außer gutem Willen hatten die Sozialdemokraten freilich nichts zu bieten: Ihre 65 Abgeordneten verfügten zusammen mit den sieben FDP-Mandatsträgern nicht über die absolute Landtagsmehrheit von 75 Sitzen. Anders dagegen standen die Christdemokraten da, deren "Greifvogel" (CDU-Jargon) und Fraktionschef Bruno Brandes soviel Überläufer aus SPD, FDP und NPD ins Nest geholt hatte, daß die CDU mit 67 Abgeordneten zur stärksten Fraktion geworden war. Für eine Koalition mit der FDP fehlte nur noch eine Stimme.
Und als am vorletzten Sonntag der FDP-Landeshauptausschuß in Hannover tagte, um über die Koalitionsfrage zu befinden, hatte Bruno Brandes auch diesem Mangel abgeholfen. Pünktlich meldete er den Freidemokraten telephonisch, daß zwei weitere NPD-Abgeordnete noch am selben Tage aus Partei und Fraktion austreten würden -- Hans Jähde und Ekkehard Stuhldreher, dessen Name für die insgesamt neun "Nomaden" (SPD-Diederichs) im niedersächsischen Parlament seither symbolisch ist.
Doch die dramatische Entwicklung, die CDU-Regisseur Brandes verkündet hatte, bewirkte das Gegenteil: Im "Roten Saal" der hannoverschen Stadthalle entschieden sich die Freidemokraten gegen die Schwarzen. Mit 57 gegen 50 Stimmen bei einer Enthaltung forderte das nach dem Parteitag zweithöchste FDP-Landesgremium statt einer Koalition mit der CDU Neuwahlen in Niedersachsen.
Sieben Stunden lang hatten die Liberalen diskutiert, bis am Ende mancher Delegierte meinte, eines sei so richtig wie das andere. Das eine faßte der FDP-Landtagsabgeordnete Willi Homeier zusammen, als er für die CDU-Lösung mit der Begründung plädierte, daß vorzeitige Neuwahlen für die FDP in diesem Bundesland "tödlich" sein könnten und daß der FDP sich hier die Gelegenheit biete, ihre Offenheit nach beiden Seiten zu demonstrieren. FDP-Landesvorsitzender Rötger Groß sekundierte, eine "Wahl aus dem Stand" sei der Partei weder personell noch finanziell zuzumuten.
Daß die FDP knapp bei Kasse ist, bestätigte der aus Bonn angereiste Bundesgeschäftsführer Volrad Deneke. Gleichwohl riet er (Groß: "Das war schon ziemlich keß") den Delegierten zu Neuwahlen -- so mit dem Argument, ein Zusammengehen mit der CDU in Niedersachsen werde sich bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen negativ auswirken, und überdies sei Rücksicht auf die Koalition in Bonn geboten.
Zwar herrschte nach der Abstimmung "kein Gefühl von Unterlegenen und Siegern" (Groß), aber schon kurz darauf ließen vier unterlegene FDP-Landtagsabgeordnete durchblicken, der Neuwahl-Beschluß sei nichts als eine "Empfehlung" und die Fraktion könne trotzdem tun, was sie für richtig halte.
Gleichwohl rechnete am nächsten Morgen im Landtag nicht nur die SPD, sondern auch der größte Teil der CDU damit, daß nun Neuwahlen anstünden.
Doch als sich die christdemokratischen Abgeordneten von ihrem Maltheser beim Drape-Geburtstag erhoben und sich zur Fraktionssitzung eine Treppe höher wieder niedergesetzt hatten, überraschte sie ihr Bruno Brandes (CDU-Kürzel: B. B.) mit einem neuen Coop: Was sich denn, so fragte er, durch den FDP-Beschluß geändert habe, schließlich komme es auf die Fraktion, nicht auf den Landeshauptausschuß der FDP an, und diese Fraktion müsse nun endlich zu einem klaren Votum gezwungen werden.
B. B. wußte auch wie: durch Einbringung eines konstruktiven Mißtrauensvotums gegen Ministerpräsident Diederichs. Die Unterschriften dafür hatte die CDU-Fraktion -- freilich in Erwartung eines positiven Koalitionsentscheids der FDP -- schon in der Vorwoche geleistet. Jetzt spekulierte Bruno (althochdeutsch: "der Braune") Brandes auf einen Zerfall der FDP-Fraktion und bezog auch die Schützenhilfe der NPD in sein Kalkül ein.
Und noch etwas reizte Brandes, 60, an dieser Rechnung: daß sein Widersacher, Landwirtschaftsminister und Landesvorsitzender Wilfried Hasselmann, 46 ("Wir mögen uns nicht"), dieses Manöver ablehnt und damit den Weg frei macht für einen CDU-Ministerpräsidenten Richard Langeheine, 70, jetzt Kultusminister -- den Brandes für den besten Vorgänger eines Ministerpräsidenten Brandes hält.
Daß die Fraktion bei sieben Gegenstimmen (darunter Justizminister Gustav Bosselmann> und vier Enthaltungen (darunter Hasselmann) ihrem wendigen Vorsitzenden folgte und das Mißtrauensvotum beschloß, hatte Brandes unter anderem einem Versäumnis der SPD zu danken.
Denn: Eigentlich hatte der Im heimatlichen Hannover weilende Bundesminister Egon Franke geplant, noch vor Beginn der CDU-Fraktionssitzung mit CDU-Hasselmann Gespräche über einen Neuwahltermin im Juni einzuleiten. Doch als am Vormittag die FDP-Unterhändler ihren SPD-Kollegen mitteilten, daß erst noch das Votum der Fraktion zum Beschluß des Landeshauptausschusses abgewartet werden müsse, und als überdies von der Drape-Feler durchsickerte, Brandes habe einen neuen Trick parat, unterblieb das Franke-Hasselmann-Gespräch. Bei der CDU verbreitete sich das Gerücht, die SPD wolle einmal mehr im Alleingang die Auflösung beantragen,
Diese Stimmung nutzte Bruno Brandes, in der Fraktion mit Hilfe Langeheines seinen Mißtrauensantrag durchzubringen. SPD-Fraktionschef Helmut Kasimier: "So wird hier mit einer Bedenkenlosigkeit ohnegleichen die Demokratie kaputtgemacht."