RECHT / ROBEN Des Kaisers Kleider
Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. plädierte als erster für eine Anwaltsrobe: damit man die "Spitzbuben schon von weitem erkennen und sich vor ihnen hüten möge".
Seine Nachfolger korrigierten ihn: 1879 erhob Wilhelm 1. die Robe zur "Amtstracht" für "Richter, Staatsanwälte, Gerichtsschreiber und Rechtsanwälte". Und das wilhelminische Kostüm, das seinen Trägern Würde verleihen und den Rechtsuchenden Respekt einflößen sollte, überdauerte immerhin neunzig Jahre ohne Anfechtungen.
Erst 1869 entledigten sich renitente Rechtsanwälte und Richter der "Arbeitsuniform" und erschienen -- wie der Berliner Rechtsanwalt Horst Mahler und sein Lörracher Kollege Fritz Krafft -- im Straßenanzug vor Gericht.
Doch letzte Woche rückte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem 20 Seiten langen Urteil des Kaisers alte Kleidervorschrift wieder zurecht. Nach höchstrichterlicher Ansicht ist der Robenzwang "mit der Verfassung vereinbar". Er lasse sich auch "mit sachgerechten und vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls rechtfertigen".
Zwar konzedierten die Karlsruher, die vom badischen Anwalt Krafft bemüht worden waren, die "Allerhöchste Staatsministerial-Entschließung" des ehemaligen Landes Baden von 1879 sei kein Gesetz, sondern nur "Gewohnheitsrecht". Gleichwohl, so formulierten die Verfassungshüter' sollten Gerichtsverhandlungen "in guter Ordnung und angemessener Form" abgehalten werden. Anwälte in Rohe würden "aus dem Kreis der übrigen Teilnehmer" herausgehoben, ihre Stellung werde "sichtbar gemacht", die "Übersichtlichkeit der Situation im Verhandlungsraum" gefördert und eine "Atmosphäre der Ausgeglichenheit und Objektivität" geschaffen.
Mit diesem Spruch wurde allen Protest-Aktionen der letzten Monate nachträglich die Legitimation abgesprochen. Mit Duldung seiner Vorgesetzten, des Oberlandesgerichtspräsidenten Dr. Kissel und des Landgerichtspräsidenten Wassermann, amtierte der Frankfurter Amtsgerichtsrat Hermann Möller seit Oktober vergangenen Jahres im Jackett. Rechtsanwalt Egon Geis "respektierte den Verzicht des Vorsitzenden" und plädierte ebenfalls ohne Gerichts-Garderobe.
Der Münchner Rechtsanwalt Dr. Hermann Hohenester kündigte an, daß auch er der "überlebten Tradition" entsagen und ohne Robe auftreten wolle, zumal er es als Widerspruch empfinde, daß zwar die Protokollführer, nicht aber die Laienrichter den Amts-Anzug trügen.
Apo-Anwalt Horst Mahler ließ es im Berliner Kurras-Verfahren, das wegen der Roben-Frage ausgesetzt wurde, zum Eklat kommen, und sein Kollege Fritz Krafft nahm es auf sich, wegen seiner Zivil-Courage vom Landgericht Freiburg aus Verhandlungen ausgeschlossen zu werden.
Wie die Freiburger empfanden es auch andere Würdenträger als Zumutung, daß ohne Robe Recht gesprochen werde. Als Amtsgerichtsrat Möller in einem Schwurgerichtskollegium ohne Tracht tagen wollte, beharrte Landgerichtsrätin Ingrid Ohm auf kollegiale Amtstracht, um sich nicht "der Begünstigung einer Pflichtverletzung' schuldig zu machen.
Möller zog zwar "im Interesse der Rechtspflege" die Rohe wieder an, doch der Ablehnung wegen Befangenheit entging er nicht. "Der persönliche Konflikt innerhalb des Schwurgerichts", so argumentierten nun auch die Anwälte mit Erfolg, lasse zweifelhaft erscheinen, "daß unter dieser Spannung eine gerechte Entscheidung möglich ist".
In Berlin schließlich rügte das Kammergericht den widerborstigen Horst Mahler: Wenn er ohne Rohe auftrete, sei er nur einfacher "Zuhörer" und müsse sich Ordnungsstrafe und Hinauswurf gefallen lassen. Die Robe, so schwärmten die Kammergerichtsräte' verbreite eine "Atmosphäre ruhig-gelassener Sachlichkeit".
Was die Berliner Oberrichter als ein "Symbol" empfanden, das "den individuellen Menschen" verhüllt, ist ihrem niedersächsischen Kollegen Jan Wolfgang Berlit "benebelnde Symbolik", aber immerhin "eine einmalige Anschaffung", die "über lange Jahre die darunter getragene Kleidung" schont und "an heißen Tagen" die Jacke entbehrlich macht.
Den Frankfurter Amtsgerichtsräten Herbert Glaab und Dr. Gerd Reinschmidt diente die Amtstracht dagegen der Durchsetzung standespolitischer Ziele. Sie übersandten ihre Rohen als "sichtbaren Ausdruck" ihrer "Mißbilligung" dem hessischen Ministerpräsidenten Osswald: wegen der besoldungsmäßigen Benachteiligung der Richter und Staatsanwälte.
Welches Motiv auch immer westdeutsche Juristen trieb, die Robe zu retten -- Karlsruhe gab allen recht. Selbst eine progressive Stellungnahme des Bundesjustizministeriums ("schwerwiegender Eingriff in das Recht des Rechtsanwalts auf freie Berufsausübung") konnte den Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts nicht beeindrucken.
Das Bonner Ministerium hatte Im Fall Krafft argumentiert, des Anwalts Auftritt ohne Robe sei "kaum geeignet, die Rechts- und Wahrheitsfindung im Einzelfall zu beeinträchtigen".
Das Verfassungsgericht hingegen an die Adresse Kraffts: Der Robenzwang habe "kaum mehr als Bagatell-Charakter". Und: Es bleibe ihm "unbenommen", Strafsanktionen der Gerichte "entbehrlich zu machen" -- durch Auftritt in der Robe.