RÜSTUNG / KOSTEN Zehent für den Tod
Das ehemals große Österreich, das in Europa mit die meisten Kriege führte, ist als neutraler Kleinstaat militärisch bescheiden geworden: Die Alpenrepublik gibt für ihre Rüstung derzeit nur noch 1,3 Prozent des Volkseinkommens aus.
Japan, das durch einen Krieg gegen alle Welt groß werden wollte und dabei verlor, hat sich noch radikaler entwaffnet: Vor drei Jahrzehnten eine totalmobilisierte Heldennation, opfert es heute nur 0,9 Prozent seines Bruttosozialprodukts der Verteidigung.
Die beiden Staaten sind -- rühmliche -Ausnahmen. Fast die ganze übrige Welt ist in den letzten Jahren einem rauschhaften Wettrüsten verfallen, das apokalyptische Maße annimmt: Bald ein Zehent des Bruttosozialprodukts aller Staaten der Erde wird für Waffen und Militär ausgegeben; die Rüstungskosten aller Staaten zusammen waren 1969 50 hoch wie das Gesamteinkommen einer Milliarde Menschen in Südamerika, Südasien und dem Nahen Osten.
Noch nie, vom. Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs abgesehen, an dem 68 Nationen beteiligt waren, wurde so viel Geld in Waffen gesteckt wie jetzt -- in einer Periode der Entspannung zwischen den Supermächten, in einer Zeit, da ein totaler Krieg für ausgeschlossen gehalten wird. Über eine Billion Dollar haben die Nationen der Welt in den letzten sechs Jahren für Rüstung aufgewendet, Ende dieses Jahrzehnts wird es bei gleichbleibender Zuwachsrate fast eine halbe Billion pro Jahr sein.
Zwar entfällt der größte Teil dieser Summen auf die beiden Supermächte USA und Sowjet-Union (insgesamt 60 Prozent), zwar wenden die Blöcke Nato und Warschauer Pakt über 80 Prozent der gesamten Rüstungskosten der Welt auf. Am schwersten trifft die Last jedoch die Ärmsten.
Jene Nationen, die mehr als zehn Prozent ihres Volkseinkommens in Gewehren, Panzern und Flugzeugen anlegen, sind fast ausnahmslos Entwicklungsländer, deren Bürger immer tiefer ins Elend geraten: Laos, die beiden Vietnams, Nordkorea, Jordanien, Ägypten, Irak, Syrien, Saudi-Arabien.
Nordvietnam, das ein Viertel seines Volkseinkommens dem Krieg gegen Südvietnam und die Amerikaner opfert, führt die Liste der Völker am Gewehr an. Israel, das seit 1967 in einen latenten Schießkrieg an allen seinen Grenzen verwickelt ist, investiert einen annähernd gleich großen Teil seines Sozialprodukts in Kriegsgerät. Mit über 400 Dollar pro Kopf und Jahr überflügelt der Judenstaat in seinen Rüstungsausgaben sogar die beiden Supermächte sowie das neutrale (und reiche) Schweden.
Mit acht Prozent des gesamten Welteinkommens wenden die Menschen im Durchschnitt weit mehr für Waffen auf als für Erziehung und für Gesundheit. Die meisten Entwicklungsländer geben weit größere Summen für Waffen aus, als sie Wirtschaftshilfe erhalten. Sie legen mehr Mittel in Kasernen an als in Schulen -- mit der Aussicht, damit auf ewig Entwicklungsländer zu bleiben.
Ein Soldat kostet -- im Weltdurchschnitt -- 7800 Dollar pro Jahr, ein Schüler nur 100. Mit dem Geld, das die Ausrüstung jener ägyptischen Divisionen kostete, die 1967 in einigen Juni-Tagen aufgerieben wurden, hätte Nasser das wichtigste Entwicklungs-Projekt in der Geschichte seines Landes, den Assuandamm, leicht bezahlen können.
Zwischen 1964 und 1967 -- also in einer Zeit, da zwar lokale Kriege in Vietnam und in Nahost aufflammten, aber die Spannungen zwischen den beiden Supermächten nachließen -- stiegen die Rüstungskosten in der Welt schneller als je zuvor, schneller als die Bevölkerung und das Bruttosozialprodukt -- auch in den beiden Deutschland. (Die DDR lag 1968 mit 5,7 Prozent des Volkseinkommens und 100 Dollar pro Kopf als Aufrüster klar vor der Bundesrepublik mit 4,3 Prozent und 87 Pro-Kopf-Dollar.)
Bereits 1968 gaben die Völker, so errechnete das Internationale Friedensforschungsinstitut in Stockholm, mehr für die Mittel gegenseitigen Tötens aus, als sie im Jahre 1900 insgesamt erarbeiteten.
Die Rüstungs-Ausgaben, die früher nach Kriegen zurückgingen und in Zeiten politischer Spannungen wieder anstiegen, scheinen heute nur noch zu steigen. Raketen gebären Anti-Raketen, diese wiederum Anti-Anti-Raketen -- offenbar ad infinitum.
Und immer mehr Völker marschieren mit: 1955 hatte noch kein einziges Entwicklungsland Überschall-Kampfflugzeuge, heute fliegen 30 arme Länder solche Supermaschinen, 1957 hatte noch kein Entwicklungsland Luftabwehrraketen, heute stapeln 19 Staaten der Dritten Welt diese Waffen.
Die Waffenarsenale scheinen zur Anwendung zu reizen: Anfang der sechziger Jahre stellten die USA eine schlagkräftige Eingreiftruppe für raschen Einsatz überall in der Welt auf -- 1965 setzte Washington Teile davon in Vietnam ein. Die Russen stellten eine hochmobile Luftlande-Streitmacht mit Panzern und schwerem Gerät auf -- 1968 besetzten sie damit innerhalb von Stunden die Tschechoslowakei.
"Je mächtiger das militärische Establishment ist, um so eher wird eine Militäraktion die wahrscheinlichste von mehreren denkbaren Möglichkeiten werden", meinte jüngst die Washingtoner "Saturday Review".
Die Unesco, Kulturorganisation der Vereinten Nationen. verdeutlichte die astronomischen Rüstungskosten so: Wenn man jede Sekunde einen Silberdollar fallen ließe, wäre man 126 000 Jahre beschäftigt, um die Rüstungskosten der nächsten zehn Jahre auf einen Haufen zu werfen.