SERBIEN OPPOSITION Sachen packen
Gymnasialdirektor Jussufi Memet griff ins Arsenal der jugoslawischen "Allgemeinen Volksverteidigung" und verteilte Waffen samt Munition unters Volk -- "vor allem an seine politischen Anhänger", so stellte jetzt eine Untersuchungskommission des serbischen Landtags fest.
Zum Dank für diese Gaben schossen die Dörfler von Presevo (27 000 Einwohner, davon 150 Industriearbeiter) Salut, als Jussufi Memet zum Bürgermeister gewählt wurde. " An diesem Tag wurden in Presevo mehr Schüsse abgegeben als zur Befreiung der Stadt von den Besatzungstruppen im Zweiten Weltkrieg". meldete ein Mitglied der serbischen Kommission für gesellschaftliche Aufsicht.
Obgleich -- wie man jetzt feststellte -die Bürgermeister-Wahlen gefälscht worden waren, wußte sich der Pädagoge schnell eine breite Vertrauensbasis zu schaffen: Er ließ 30 Mitglieder des Gemeinderats von allen Steuerabgaben befreien, für andere Gesinnungsgenossen beglich er deren persönliche Schulden aus der Gemeindekasse.
Sich selbst vergaß Bürgermeister Memet dabei nicht: Mit Hilfe eines gefälschten Dokuments ließ er sich aus der Gemeindekasse einen Mercedes bezahlen und sein eigenes Monatsgehalt von 1800 auf 2000 Dinar erhöhen. Soviel verdienen Durchschnittsbürger von Presevo in einem ganzen Jahr.
Von den 200 000 Dinar hingegen, die der serbische Landtag zur Verfügung gestellt hatte, um den durch Dürre und eine Tabakviruskrankheit in Not geratenen Bauern zu helfen, flossen den Armen nur 46 000 zu -- für den Rest kaufte sich Memet, was ihm gefiel.
Als die Belgrader Parteiführung endlich auf den eigenmächtigen Mann aufmerksam wurde und ihn zu stürzen versuchte, geriet sie mit dem Volkswillen in Konflikt: Die südserbischen Tabakbauern wollten ihren Dorfpatron behalten, der eifrig gegen die staatlichen Steuereinzieher und Gerichtsvollzieher gekämpft hatte. Er mußte schließlich unter Druck von oben sein Bürgermeisteramt aufgeben, blieb jedoch Abgeordneter im Landtag.
Kommunale Funktionäre wie Memet verfügen in Serbien über Machtpositionen, die sich für die Zentrale zu einem womöglich gefährlichen politischen Gegengewicht entwickeln können. Am 10. März warnte Serbiens Innenminister Slavko Sacevic vor konzentrierten "feindlichen Aktionen aus dem In- und Ausland". Als Feinde nannte er:
* Anhänger des früheren "Kommform-Büros", des 1956 aufgelösten Sowjet-Instruments zur Gleichschaltung aller kommunistischen Parteien Osteuropas;
* Neo-Kominform-Anhänger,
* anarcho-liberale Kräfte,
* "Tschetniki" (Anhänger des früheren jugoslawischen Königs) und
* "andere"
Die anderen waren Serbiens renitente Bürgermeister, gestützt vom politischen Untergrund.
Stanisa Stankovic ist Bürgermeister der serbischen Gebirgsgemeinde Surdulica (36 000 Köpfe), wo die Straße nach Bulgarien in Schotter und Schlamm versinkt. Um den Zorn eines enteigneten Bauern zu besänftigen, nahm der Bürgermeister kurzerhand der staatlichen Landwirtschaftsschule vier Hektar ab und schenkte sie dem Geschädigten. Mit Hinweis auf die "Immunität" der Gemeindeabgeordneten schützte er drei Freunde vor der Staatsanwaltschaft.
Ohne Rücksicht auf Bebauungspläne vergab er Baugenehmigungen, und der Tochter eines Fuhrunternehmers erteilte er eine Konzession zur Führung der Privatkneipe "Grom" (Donner) ohne den erforderlichen Befähigungsnachweis. Sich selbst genehmigte der Bürgermeister erhöhte Benzingelder für private Überlandfahrten und die Kosten für den Maler, der seine Privatwohnung renovierte.
Derartige Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit störten die Bauern wenig, denn ihr besonderes Wohlwollen hatte sich Stankovic bereits erworben: Nach der Sowjet-Intervention in der Tschechoslowakei riet er den im Gebiet von Surdulica siedelnden Bulgaren, die Sachen zu packen und sich über die nahe Grenze davonzumachen.
Die Partei lud die wenigen Genossen, die noch auf die Zentrale in Belgrad hörten, in den Festsaal des örtlichen Wasserkraftwerks. Bürgermeister Stankovic berief eine Gegenkundgebung in den Saal der Volkshochschule. Schließlich schloß die Partei, der "Bund der Kommunisten", auch mit Stankovic einen Kompromiß: Er legte sein Amt als Bürgermeister nieder, seinen Sitz im jugoslawischen Bundesparlament ließ man ihm.
Den Bauern von Surdulica mißfällt diese Lösung. Ihre Parole lautet jetzt: "Boykottiert die nächsten Wahlen!"
Ähnlich lag der Fall des ehemaligen Traktoristen Branko Ivosevic aus Pozarevac, der serbischen Provinz-Stadt, die sich durch die höchste Gewalttätigkeitsquote ganz Jugoslawiens und zwei Zuchthäuser auszeichnet (SPIEGEL 8/1969). Bei Ivosevic, der sich vom Landarbeiter über den Beruf eines Rechtsberaters zum Bürgermeister hochgearbeilet hatte, brauchte, wer nicht wollte, keine Steuern zu zahlen: Auf ein Wort des Bürgermeisters hin stellte der Polizeichef jede weitere Untersuchung ein.
Ivosevis verteilte an Fußballfunktionäre und andere Persönlichkeiten Plaketten, die ihn laut Aufschrift als "nicht nur in Pozarevac, sondern in ganz .Jugoslawien bekannten Kämpfer für die Rechte des Volkes" bestätigten.
Die Partei suchte auch ihn zu stürzen und schloß ihn aus ihren Reihen aus. Ivosevic verlangte einen Volksentscheid: Er kannte seine Popularität.
150 Kneipiers, Landwirte und Handwerker besetzten das Rathaus. ausgerüstet mit Slivowitz-Flaschen, Messern und Pistolen. Die Okkupanten sangen, ließen ihren Branko hochleben und jagten die Stadtverordneten auseinander: "Was wollen die Kommunisten hier eigentlich? Es ist höchste Zeit, daß sie abtreten -- dann brauchen wir ohnehin weniger Steuern zu zahlen. Sie haben uns lange genug den Verstand eingesalzen."
Branko Ivosevic, der die Huldigungen lächelnd entgegennahm, weigerte sich, der Polizei die Räumung des Saales zu befehlen. Erst auf einer weiteren Sitzung, als Miliz die kleine Fraktion linientreuer Kommunisten und das Rathaus unter ihren Schutz genommen hatte, konnte Ivosevic von seinem Posten vertrieben werden.
Radio Belgrad am 18. März über den Pozarevac-Aufruhr ·. "Dank der Aktivität der Parteiorganisationen wurde der Versuch, bestimmte oppositionelle Gruppen zu bilden ... enthüllt und so dem Versuch vorgebeugt, das politische Mehrparteiensystem zu legalisieren."
obgleich 17 Teilnehmer der Demonstrationen als Anhänger einer "gutorganisierten Gruppe, die selbst vor der Anwendung von Gewalt nicht zurückschreckt", oder "wegen Verbreitung lügnerischer Behauptungen" angezeigt wurden, breitet sich Widerstand gegen Belgrad über ganz Serbien aus.
In Raca, Bujanovac, der Schnapsstadt Vlasotince und in Kraljevo -- wo der Bürgermeister unter Hinweis auf den Volkswillen sogar die Rücknahme einer gegen ihn verhängten Parteistrafe verlangt -- rüstet sich eine aufrührerische grüne Front unter Führung populärer Lokalhelden zum Widerstand gegen höhere Steuern und gegen alles, was aus Belgrad kommt: Sie fordern höhere Zwetschgen- und Schweinepreise und eine Welt, in der es endlich wieder nach traditionellen serbischen Sitten zugeht,
Der serbische Abgeordnete Slavko Milosevic: "Wie sehr diese oppositionellen Kräfte bereits um sich gegriffen haben, das sieht man an den Wählerversammlungen auf den Dörfern, wo offen verschiedene antisozialistische Parolen vorgetragen werden.
Auf der Suche nach treibenden Kräften hinter der programmlosen Widerstandsbewegung serbischer Bauern, für die Widerstand gegen die Staatsgewalt seit je ein Volksfest ist, fand die Boulevardausgabe der Beigrader "Politika" zunächst nur "Antidemokraten, Demagogen, Kritikaster, Nationalisten und feindliche Elemente, denen das Schicksal unseres Landes nicht am Herzen liegt".
Die "Borba", das Zentralorgan des "Sozialistischen Bundes der Werktätigen", entdeckte jedoch Anhänger des (ehemaligen) Moskauer Kominformbüros und des Draja Mihajlovic.
Der serbische Nationalist Mihajlovic wurde wegen Zusammenarbeit mit den Deutschen verurteilt und 1945 hingerichtet.