THEATER / RUDKIN Unheil vom Iren
Mir geht es besser als den meisten", rühmt sich der britische Dramatiker David Rudkin, 33, "ich bin glücklich, ich liebe und werde geliebt, und ich habe Talent." Die Umwelt freilich, In der er so glücklich ist, erfüllt den begabten Autor "keineswegs mit Zuversicht und Freude".
"Unser Schicksal wird von Psychopathen bestimmt", glaubt Rudkin, und diese Überzeugung hat der in Oxford zum Altphilologen und Komponisten ausgebildete Predigersohn in Hör- und Fernsehspielen für die BBC, in Ballett-" Opern- und Filmtexten ("Fahrenheit 451") und besonders drastisch für die Bühne formuliert.
In seinem ersten, 1962 von der Royal Shakespeare Company in London ur-.
* Am Boden: Bernhard Minetti.
aufgeführten Theaterstück "Vor der Nacht" erschreckte Rudkin das Publikum durch einen Gewaltakt, den deutsche Bühnen sieben Jahre lang nicht spielen wollten:
Auf dem Höhepunkt des Rudkin-Zweiakters ritzen stumpfsinnige Erntehelfer aus dem "Black Country" bei Birmingham einem irischen Kollegen Kreuze ins Gesicht und auf die Brust, jagen ihm Messer in den Leib und brechen dem Opfer mit einer Heugabel den Hals. Danach trennen sie ihm auch noch den Kopf vom Körper.
Den Ritualmord hat als erste deutsche Bühne jetzt das Wuppertaler Schauspielhaus im Repertoire: Eine Frau (Angelika Hurwicz) inszenierte ihn als Betriebsunfall, der in der inhumanen modernen Arbeitswelt jederzeit möglich ist,
Denn Rudkins Mörder, zeigt die Aufführung, sind keinesfalls böse -- sie sind nur frustriert: 600 Kisten voll Birnen, so verlangt es der Plantagenbesitzer, den seine Tochter gängelt, durch seinen ständig fluchenden Vorarbeiter, müssen noch "vor der Nacht" geerntet werden. Doch die ungeübten Pflücker, unter ihnen ein "Scheiß Homoerotiker oder wie sie diese Typen nennen", ein Student, ein Halbstarker mit Motorrad-Tick und ein junger Ehemann, dessen Frau kein Baby kriegt, hassen die "Pißbirnen" -- sie "träumen schon davon".
Und als bei der Plackerei auch noch eine Arbeiterin vom Birnbaum stürzt, ein Gewitter aufzieht und ein Hubschrauber giftige Pflanzenschutzmittel auf die Köpfe der Ausgebeuteten sprüht, da wissen sie, wem sie dieses Unheil verdanken -- dem irischen Tramp Roche alias Shakespeare (Bernhard Minetti).
Auf diesen Outsider, der sich "Dichter" nennt, wenig arbeitet, gebildet schwätzt und seinen Kopfschmerz mit Alka-Seltzer bekämpft, konzentrieren sich alle sozialen, alle nationalistischen Ressentiments und der latente Aberglaube der Frischobst-Sammler. "Er hat einen Fluch verhängt über die Plantage für lange, lange Zeit", raunt die Ernte-Crew, und schließlich schlägt sie in orgiastischer Raserei zu.
Wahrhaftig: Dieses streng wie eine antike Tragödie komponierte Stück, für dessen originale Dialekt-Dialoge sich der ehemalige Erntehelfer Rudkin vom britischen Zeitgenossen Pinter ("Die Geburtstagsfeier) hat beeinflussen lassen, ist für die sechziger Jahre des britischen Theaters geworden, was John Osbornes "Blick zurück im Zorn" für die fünfziger war. Es ist ein "Schlüsselwerk" ("The Times"), in dem sich sozialkritische und rituelle Elemente bruchlos verbinden und in dem Grausamkeit im Arbeits-Alltag auf sexuelle, durch monotonen Stress bedingte Verklemmungen zurückgeführt wird.
Das ungewöhnliche Sujet war den Wuppertaler Bühnen ungewohnten Aufwand wert: In "Vor der Nacht" treten die Mörder leise. Sie waten bei jeder Aufführung durch 30 Kubikmeter Sägespäne, die, feuersicher imprägniert, den Bühnenboden bedecken.