FESTSPIELE / SALZBURG Gänzlich gelöst
Vier Jahre lang schmiedete Herbert von Karajan in Salzburg am "Ring des Nibelungen". Nun ist das Gesamtkunstwerk vollbracht -- und der Maestro "ganz traurig, daß alles vorbei ist".
Zum Abschluß des vierteiligen "Bühnenfestspiel"-Zyklus gingen in der Nacht zum Palmsonntag Richard Wagners alte Germanen zu Grabe. Und wohllautender, prächtiger -- auch teurer (zwei Millionen Mark) -- als vom Unternehmer, Regisseur und Dirigenten Karajan ist die "Götterdämmerung" noch nicht dargeboten worden.
Aus mehr als 100 Schein- und Bildwerfern ließ Karajan kosmische Nebel wabern, Schwaden dampfen, den Horizont erröten, das Erdrund lodern und den Göttersitz Walhall verglühen.
Zum bunten Lichtspiel und unter dem Forte-Fortissimo von 130 Berliner Philharmonikern sausten beim Einsturz der Gibichungenhalle 2,8 Tonnen tschechischer Schaumstoff sekundenschnell 26 Meter tief in die Versenkung. Ein neun Meter hoher Turm barst in Stücke.
Kostspielige Solisten -- Abendgage: über 6000 Mark -- begleiteten die apokalyptische Show mit schönen, freilich schwachen Stimmen: Jung Siegfried, der schwedische Karajan-Protegé Helge Brilioth, sang aus vollem Halse bloß ein dünnes Piano, Brünnhilde (Helga Dernesch) verkündete das Jüngste Gericht mit kurzem Atem, selbst Wagner-Routiniers ging auf der Cinemascope-Bühne (750 Quadratmeter Fläche) die Luft aus.
Wie der Gesang, so blieb auch die Gestik meist unverständlich. "Vom Irdischen gänzlich gelöst" (Karajan), bewegten Recken und Maiden die Hände nach dem wogenden Wagner-Klang und guckten in die Luft, aus der schwache, die Musik illustrierende Lichtsignale kamen: Für Karajan ist der "Ring" nur eine bebilderte Symphonie. So hat er die massiven Klänge kammermusikalisch verdünnt und eindrucksvoll aufgefächert.
Regiemängel, manierierte Lichtspiele und allzu schwache Stimmen trüben schon den Genuß am philharmonischen Wohlklang, seit Karajan zu Ostern 1967 in seiner Geburtsstadt Salzburg sein erstes Ein-Mann-Festival eröffnete. Jahrelang hatte der Meister darunter gelitten, daß "der "Ring' fast durchweg fehlerhaft inszeniert" wurde -- nun wollte er es allein und richtig machen.
Ein internationales Hilfswerk sammelte Geld dafür. Über 1000 eingeschriebene Karajan-Fans abonnierten Opern und als Beiprogramm gegebene Konzerte alljährlich im voraus. Die "Deutsche Grammophon Gesellschaft" nahm die vier Wagner-Dramen auf Band. Rudolf Bing, Boß der New Yorker "Metropolitan Opera"' entlockte der Fluggesellschaft "Eastern Airlines" eine Spende von zwei Millionen Mark, damit Karajans Künstler jeweils im Herbst zum amerikanischen Operntempel geflogen werden konnten. Der französische Regisseur Francois Reichenbach hielt Karajans Probearbeiten In einem Film fest, den die Schweizer Karajan-Firma "Cosmotel" weltweit an TV-Stationen verkaufen will.
Derart abgesichert, brüstete sich der Unternehmer Karajan anfangs: "Verluste muß ich auf meine Kappe nehmen, Zuschüsse gibt es nicht."
Doch nun ist auch mit dem ausgeglichenen Haushalt längst "alles vorbei". Schon für seinen "Siegfried" mußte Millionär Karajan 1969 Stadt und Land Salzburg um 430 000 Mark Zuschuß und jetzt um weitere 28 000 Mark Nachtrag bitten. Für die diesjährige "Götterdämmerung" hat der "Genius des Wirtschaftswunders" (Adorno) sogar 630 000 Mark Defizit errechnet, das die Salzburger Stadtherren nicht begleichen wollen.
Auch andere Mäzene machen Rückzieher. Nachdem im letzten Herbst die fest eingeplante New Yorker "Siegfried"-Aufführung wegen des Streiks an der Met platzte, muß über Karajans US-Engagement neu verhandelt werden.
Derweil hat die Grammophon ihre Ko-Produktion mit Karajan bereits beendet; das Repertoire kommender Oster-Festivals hat sie längst mit anderen Top-Dirigenten im Kasten.
Künftig soll der britische Plattenkonzern "Emi" (deutsches Label: "Electrola") Karajans Oster-Repertoire vorab aufnehmen -- ein Risiko ist das nicht. Denn deutlicher noch als bisher wird der Dirigent in Zukunft auf bestsellernde Kunstschätze des Abendlandes zurückgreifen:
Schon in der letzten Karwoche strich er die gemäßigt moderne Zehnte Symphonie von Schostakowitsch zugunsten der Neunten von Bruckner; statt des längst annoncierten "Tristan" will er im nächsten Jahr den -- auch sommers in Salzburg unter Karl Böhm gespielten -- "Fidelio" präsentieren, weil das Publikum ihn "massenweise um meinen Beitrag für das Beethovenjahr gebeten" habe. 1972 endlich möchte der Meister Bachs "Matthäus-Passion" aufführen und das ungekürzte Langspiel auf Vor- und Nachmittag verteilen.
Zwischen den Leiden des Herrn können die Karajan-Kunden dann im "Goldenen Hirschen" tafeln.