SCHWEIZ / GASTARBEITER Frömdi Fötzel
In einem Luzerner Schlemmer-Lokal vergaßen Eidgenossen Tafelfreuden und Manieren: "Chaibe Tschingg!" (mistiger Italiener!) raunzten sie den Präsidenten des staatlichen italienischen Fremdenverkehrsverbandes Enit, Michele Pandolfo, an. Pandolfo hatte es gewagt, sich mit seiner Begleitung auf italienisch zu unterhalten.
Einem Landsmann des Enit-Präsidenten erging es in der gastlichen Schweiz noch schlimmer: Vier junge Schweizer stürzten sich in Zürich auf einen italienischen Hotelangestellten und prügelten ihn unter "Sau-Tschingg"-Geschrei krankenhausreif.
In solch "unschweizerischen" verbalen und handgreiflichen Entgleisungen sieht die "Neue Zürcher Zeitung" erst einen Anfang und fragt besorgt: "Wie soll es erst werden, wenn Herr Schwarzenbach seine Schlacht gewinnt?"
Dr. phil. James Schwarzenbach, 59, Nationalrat, Schriftsteller und Herrenreiter aus Zürich, ist Initiator eines "Eidgenössischen Volksbegehrens gegen die Überfremdung". Alle stimmberechtigten (männlichen) Landesbewohner sind aufgerufen, am kommenden Sonntag darüber abzustimmen, ob es "innert vier Jahren" zu einem Exodus von 300 000 der gegenwärtig 930 000 in der Schweiz lebenden Ausländer kommen muß.
Denn Schwarzenbach, der einst den "jugendlichen Revolutionsarmeen" Hitlers und Mussolinis eine Ordnungsaufgabe für das "zerfallene Europa" zuerkannt hatte, verlangt, den Anteil der Ausländer (Schwarzenbach: "Niedergelassenen" und "Jahresaufenthaltern") an der Bevölkerung des Landes auf zehn Prozent (heute 15,3 Prozent) herunterzuschrauben. Nur dem internationalen Konferenzzentrum Genf will Schwarzenbach 25 Prozent Ausländer zugestehen. Allein aus dem Kanton Zürich müßten über 73 000 Ausländer ausziehen, etwa 50 000 aus dem Kanton Waadt am Genfer See.
"Einen derartigen Aderlaß an Arbeitnehmern, Konsumenten und Steuerzahlern", so empörte sich der Christlichnationale Gewerkschaftsbund, "könnte man nur als nationales Harakiri bezeichnen."
In der Tat kann die Schweiz heute weniger als je zuvor auf Gastarbeiter verzichten -- um so mehr als zunehmend all jene Arbeiten von ausländischen Arbeitskräften (Volksmund: "Frömdi Fötzel") verrichtet werden, für die sich Schweizer mittlerweile zu schade sind.
So karren ausschließlich Italiener (Schwarzenbach: "Arbeitssklaven") den Schweizer Müll zusammen, und fast nur Fremdarbeiter steigen in die Kanalschächte hinab. Im Gastgewerbe beträgt der Anteil ausländischer Arbeitskräfte 50 Prozent, im Baugewerbe gar 60 Prozent.
In vielen Schweizer Betrieben ist der Anteil der Ausländer sogar noch größer: So kommen von der Belegschaft der renommierten Maschinenfabrik Gebrüder Sulzer AG in Winterthur 66 Prozent der Elektroschweißer aus dem Ausland. Bei den Drehern haben drei von vier, bei den Gießerei-Arbeitern sogar neun von zehn Arbeitern einen ausländischen Paß.
Je mehr Gastarbeiter ins Land kamen, um so stärker wuchsen Argwohn und Abneigung vieler eidgenössischer Arbeitnehmer gegenüber den ausländischen Kollegen, vor allem gegenüber den rund 523 000 Italienern. Sprachschwierigkeiten, Temperament, die unbegrenzte Bereitschaft der "Tschinggen" zu Überstunden und nicht zuletzt die Erfolge der Südländer bei den Schweizerinnen verleiden den Eidgenossen die Fremden.
Um die Schweizer noch mehr gegen. die Ausländer zu mobilisieren, hatte sich Schwarzenbach der völkischen Tonart seiner Jugendjahre besonnen: "Schweizer erwache!" forderte er in einem Flugblatt, in dem er die Eidgenossen das "Grusen" vor den Fremdarbeitern lehrte, die "Wasserleitungen, Straßen und Kinderkrippen" beanspruchen und im Krankheitsfall sogar saubere Schweizer Spitalbetten belegen.
Mit solchen Argumenten war es dem Nationalrat und zeitweiligen Mitarbeiter des "Rheinischen Merkur" im vorigen Jahr immerhin gelungen, über 71 000 Unterschriften (21 000 mehr als laut Verfassung erforderlich) für seine "Überfremdungs-Initiative" zu sammeln. Zwar empfahlen Regierung und Parlament Ablehnung der Gesetzesvorlage. Aber die jetzt fällige Volksabstimmung konnten sie nicht verhindern.
James Schwarzenbach hofft indessen auf einen Abstimmungs-Sieg. Besondere Zugkraft verspricht er sich von seinem Appell: "Schweizer müssen Schweizer Arbeit tun". Erster Erfolg: Rolf Weber, Mitglied des Baseler Stadtparlaments, ging vier Wochen lang unter die Müllfahrer. Weber: "Ich will zeigen, daß auch Schweizer dieser Arbeit fähig sind."