15.01.1968
PRESSE / PROZESSETote Tante
Für die "Welt" war es ein "Fisch" im "anderen Netz", für den "Stern" eine "Katze im Sack". "Christ und Welt" witterte einen "Fuchs, dem die Trauben zu sauer" waren, und dem amerikanischen Nachrichtenmagazin "Newsweek" schien es "tot wie Abfall".
Solchermaßen biologische Einordnung erfuhr die Geschichte einer Frau, die Geschichte machte: Swetlana Stalins Memoiren "20 Briefe an einen Freund", im SPIEGEL vorabgedruckt (SPIEGEL 38/1967 bis 41/1967), vom Wiener Verlag Fritz Molden im letzten Herbst auf den deutschsprachigen Buchmarkt gebracht.
Im Wettbewerb um die Vorabdrucksrechte, die von der eigens zu diesem Zweck gegründeten Liechtensteiner Firma Copex Establishment offeriert wurden, hatte der "Stern" keine Fortune gehabt. "Stern"-Chef Henri Nannen tröstete sich nach Lektüre des Buchmanuskripts mit der plötzlich in ihm aufkommenden Gewißheit, es handle sich um eine "Familienschnulze"; er war dem "mildtätigen Geschick" dankbar, das ihn davor bewahrt hatte, das Werk abzudrucken und dafür noch Geld auszugeben.
Doch sollten die "Stern"-Leser nicht vollends verzichten: Im August vorigen Jahres zitierte der "Stern" aus einer unautorisierten Memoiren-Fassung, die er durch eigene Recherchen und durch ein Interview mit einer drei Jahre zuvor gestorbenen Swetlana-Tante anreicherte. Und zu Weihnachten bescherte er der Offentlichkeit einen Bericht über den angeblich schlechten Verkauf des Swetlana-Buches.
Das brachte Nannen und Mannen vom "Stern" fortan die Beschäftigung mit Gerichten ein:
* Den August-Beitrag legte der SPIEGEL wegen Wettbewerbsverstoßes und Urheberrechtsverletzung dem Landgericht Hamburg vor. > Aus gleichem Grund rief der Verlag Fritz Molden das Landgericht für Strafsachen in Wien an, das die Illustrierte in Österreich beschlagnahmen ließ.
* Ebenfalls wegen der falschen Memoiren kamen Swetlana und Copex Establishment beim Bezirksgericht in Zürich ein, das für eine Beschlagnahme des Hamburger Bilderblattes in der Schweiz sorgte.
* Nach der "Stern"-Meldung über den angeblich schlechten Verkauf des Swetlana-Buches erwirkte der Wiener Verlag beim Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung gegen den "Stern", und
* Fritz Molden (Wien XIX, Eroicagasse) reichte gegen Henri Nannen und den Verfasser des Verkaufsberichtes, Helmut Eilers, Privatklage ein.
* Der "Stern" schließlich beantragte seinerseits zur Bekräftigung einer Gegendarstellung beim Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung gegen die "Welt", die seine Recherchen über den geschäftlichen Mißerfolg des Memoiren-Bandes angezweifelt hatte.
So ist der tote Abfall dank Henri Nannen wenigstens in den Gerichten noch lebendig. Und der "Stern", der beim Druck der Swetlana-Memoiren zwangssparen durfte, muß obendrein noch zahlen. Letzten Freitag untersagte ihm das Landgericht Hamburg, das Buch als Ladenhüter einzustufen, und erlegte ihm die Kosten des Rechtsstreits auf.
DER SPIEGEL 3/1968
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