15.01.1968
DURBRIDGELeichen zum Lachen
Eine evangelische Kirchengemeinde in Duisburg-Hamborn ließ ihre Abendandacht platzen, die Schleswig-Holsteinische Landesbühne setzte die Operette "Maske in Blau" ab, und in der Hamburger Bürgerschaft sprachen Abgeordnete schneller. Gläubige, Theaterbesucher und Politiker hatten sich eine andere Abendunterhaltung vorgenommen: Sie wollten ein Kriminalspiel von Francis Durbridge sehen.
Mit den platten und unschlüssigen Krimi-Serien des britischen TV-Autors hatte das Deutsche Fernsehen von 1962 ("Das Halstuch") bis 1966 ("Melissa") alljährlich Millionen Zuschauer erregt. An Durbridge-Abenden waren bis zu 93 Prozent der deutschen Fernsehgeräte auf Empfang geschaltet. Dann freilich zeigten die Produzenten Überdruß -- 1967 kam kein Stück des Engländers auf den deutschen Bildschirm.
Doch für diese Woche nun hat der Westdeutsche Rundfunk wieder einen Durbridge angekündigt. Titel: "Ein Mann namens Harry Brent" -- eine 900 000-Mark-Produktion in drei Teilen und mit sechs Toten.
Die aufwendige Leichen-Schau bietet, wie immer, konventionelle Mord-Konstruktionen -- diesmal um den Chef eines Londoner Reisebüros, den die Polizei als Auftraggeber einer Mord-Serie vermutet. Dank neuer Regie-Konzeption soll dennoch, so der Chef der WDR-Fernsehspiele, Günter Rohrbach, "alles ganz anders sein als sonst bei Durbridge".
Wandel verspricht sich Rohrbach von dem in Krimi-Inszenierungen bisher ungeübten Regisseur Peter Beauvais ("Peter Schlemihl"), der "bewußt auf die alte künstliche Spannungsmache verzichtet", dafür aber Realismus, Psychologie, Milieu-Charakteristik und Spaß ins Spiel bringe -- so Rohrbach. Spaßig findet es der Regisseur beispielsweise, wenn ein Verbrecher über ein Polizistenbein stolpert und in eine Kiste voll geeister Fische fällt.
Mit solchen Zutaten soll der originale Durbridge seine Nachahmer und Nachfolger ausstechen. Das Zweite Deutsche Fernsehen nämlich hatte die Krimi-Pause im Ersten Programm zu ähnlichen Mord-Serien genutzt.
So bereitet die Mainzer TV-Anstalt für die nächste Zeit zumindest drei neue Kriminal-Reihen vor, nachdem sie im letzten Herbst bereits eine Trilogie "Verräter" gesendet hatte und im Dezember "Der Tod läuft hinterher" folgen ließ. Ihre jüngste Serie machten die Fernseh-Manager durch 13 000 Plakate und einen Auftritt des "Tod"-Detektivs Joachim Fuchsberger in Vico Torrianis "Goldenem Schuß" so populär, daß sich "Bild" schon "wie in alten Durbridge-Zeiten" fühlte.
Trotzdem bleiben die Hüter des echten Durbridge gelassen. "Den Markenartikel", sagt Rohrbach, "haben schließlich wir und nicht die anderen."
DER SPIEGEL 3/1968
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